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7.

Gegen Mittag ging Carley langsam um die großen, ovalen Parkanlagen am Berkeley Square. Nach seinem Besuch bei Stetson hatte er die Kiste mit den Erzproben vom Zollamt abgeholt und sich dann telephonisch mit Edward Belling für den Nachmittag in Scotland Yard verabredet.

Als er an die Ecke der Bruton Street kam, blieb er stehen und sah zu Nummer Vierunddreißig hinüber, aber er faßte sich in Geduld und rechnete nicht damit, daß Evelyn vor halb eins kommen könnte.

Damit behielt er auch recht. Freudig waren ihre Wangen gerötet, als sie ihm entgegenging. In einer Taxe fuhren sie zum Restaurant Molinari, wo er schon vorher einen Ecktisch bestellt hatte.

»Ich muß mich noch sehr entschuldigen, daß ich gestern abend nicht gekommen bin«, begann sie zögernd.

Während der Fahrt hatten sie über gleichgültige Dinge gesprochen, und keines hatte dieses unangenehme Thema berührt.

»Ich glaube, ich kenne den Grund«, entgegnete er. »Sie sprachen heute bei Stetson so laut, daß ich Ihre Worte hören mußte.«

Sie wurde verlegen, aber dann erzählte sie ihm, was sich am vergangenen Abend zugetragen hatte.

»Wissen Sie auch, daß Sie bei meinem Onkel tätig sind?« fragte er.

»Was? Sir Richard Richmond ist mit Ihnen verwandt?«

»Ja. Ich war sehr erstaunt, als ich erfuhr, daß Sie bei ihm arbeiten, und ich brauche Ihnen wohl nicht erst zu sagen, wie empört ich über sein Verhalten Ihnen gegenüber bin.«

Sie sah, daß er die Zähne zusammenbiß, und legte beruhigend die Hand auf die seine.

»Ich habe gestern abend noch Stetson in seinem Landhaus angerufen, weil ich so aufgebracht war, und er ist heute morgen deshalb früher zur Stadt gekommen, als es sonst seine Gewohnheit ist. Sie wissen wahrscheinlich schon, daß er früher mein Vormund war? Er nimmt sich aber auch jetzt noch meiner in jeder Weise an, und ich bin ihm sehr dankbar dafür.«

»Eigentlich müßten Sie die Stellung bei meinem Onkel aufgeben.«

»Das habe ich Stetson auch erklärt, aber er wollte nichts davon hören, und schließlich setzte er mir auseinander, warum ich bleiben müßte. Sie haben sicher auch erfahren, wie die Verhältnisse liegen, und so hat Stetson wenigstens eine Vertrauensperson im Hause. Da ich die ganze Korrespondenz führe, teile ich ihm die wichtigsten Dinge mit, damit er im Bilde ist und in schwierigen Fällen eingreifen kann. Aber bis jetzt ist eigentlich nichts Besonderes vorgefallen.«

»Trotzdem würde ich an Ihrer Stelle nicht bleiben. Wenn sich Sir Richard Ihnen gegenüber nun wieder vergißt...«

»Stetson versprach mir, dafür zu sorgen, daß sich das nicht wiederholt, und daß Sir Richard sich bei mir entschuldigt. Nur unter dieser Bedingung habe ich eingewilligt, zu bleiben.«

Carley sah sie besorgt an.

»Es ist mir wirklich nicht recht, daß Sie sich einer solchen Gefahr aussetzen.«

»Ich sollte eine Abschrift für Sir Richard fertigstellen, deshalb wartete ich auch bis halb eins, da ich glaubte, daß er noch kommen würde. Aber er hat sich nicht sehen lassen. Vielleicht ist es ihm selbst unangenehm, mir wieder gegenüberzutreten. Übrigens habe ich im Augenblick eine sehr interessante Arbeit – ich schreibe einen Antrag mit Belegen und Dokumenten für eine Bergwerkskonzession in Birma ab. Es ist doch merkwürdig, daß Sie auch von dort gekommen sind.«

Carley hörte erstaunt zu. Dann interessierte sich sein Onkel also doch für die Sache?

»Können Sie mir sagen, ob er heute vormittag zu Hause war?«

»Das weiß ich nicht genau – ich habe ihn jedenfalls nicht gesehen.«

»Diesen Antrag für die Konzession habe ich verfaßt«, sagte er und erklärte ihr dann die Zusammenhänge.

Aufmerksam folgte sie seinen Worten.

»Soviel ich gemerkt habe, legt Sir Richard großen Wert darauf, daß die Abschrift des Antrags bald abgeschickt wird. Er wollte mir heute die nötigen Begleitschreiben dazu diktieren.«

Carley horchte auf. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Das Verhalten seines Onkels wurde immer rätselhafter.

Nur zu bald war die Mittagspause vorüber. Jim wollte Evelyn wieder in einer Taxe nach der Bruton Street bringen, aber sie zog es vor, die kleine Viertelstunde mit ihm zu Fuß zu gehen.

In gehobener Stimmung begann sie zu arbeiten. Sie hatte fast noch eine Stunde mit der Abschrift der Beilagen zum Konzessionsantrag zu tun.

Während sie eifrig tippte, öffnete sich die Tür und Sir Richard trat ein. Sie schrak leicht zusammen, aber er kam so unbefangen auf sie zu, als ob überhaupt nichts vorgefallen wäre.

»Wir wollen uns wieder vertragen, Miß Rolands. Ich habe mich gestern vergessen, aber ich hoffe, daß Sie großzügig genug sind, mir zu verzeihen. Es war nicht böse gemeint.«

Zögernd reichte sie ihm die Hand, die er sofort wieder freigab.

»Ich habe die Abschrift fast fertig – soll ich jetzt die Begleitschreiben aufnehmen?«

»Ach, das hat Zeit bis morgen. Es ist inzwischen eine Wendung eingetreten, so daß die Sache nicht mehr so wichtig ist. Zum Zeichen des Friedensschlusses möchte ich Sie aber bitten, ein kleines Geschenk von mir anzunehmen. Ich habe mit Anwalt Stetson darüber gesprochen. Der hat mir ordentlich die Meinung gesagt!«

Er zog ein Lederkästchen aus der Tasche, öffnete es und stellte es neben die Schreibmaschine.

Evelyn warf einen Blick darauf und sah eine prachtvolle Armbanduhr, rührte sie aber nicht an.

»Sie können sie ruhig annehmen. Wenn Sie im Zweifel sind, fragen Sie Ihren Vormund, aber er wird sicher nichts dagegen haben«, fügte er mit leiser Ironie hinzu. »Sollte ich bis fünf nicht wieder hier gewesen sein, so brauchen Sie nicht auf mich zu warten. Ich habe noch einige Verhandlungen, die mit der Konzession zusammenhängen, und wenn die Sache doch noch eilig werden sollte, lasse ich Ihnen Nachricht zukommen.«

Sie war froh, als er wieder gegangen war.

Kurz vor vier kam der Butler herein, und sie fürchtete schon, daß er wieder eine Unterhaltung mit ihr beginnen wollte.

»Miß Rolands, würden Sie so liebenswürdig sein und kurze Zeit auf die Haustür achtgeben? Ich muß rasch einmal fortgehen, bin aber in zehn Minuten wieder da.«

Sie versprach es ihm, und als es kurze Zeit später klingelte, ging sie zur Tür und öffnete.

»Ach, wie liebenswürdig«, sagte die Dame, die vor ihr stand, und musterte sie mit einem prüfenden Blick. »Ist dies das Haus von Sir Richard Richmond?«

»Ja.«

»Ist er hier?«

Evelyn nahm es nicht an, da sie es aber nicht mit Bestimmtheit sagen konnte, gab sie eine ausweichende Antwort.

»Aber Sie müssen doch wissen, ob er anwesend ist oder nicht!« erwiderte die Fremde scharf.

Evelyn sah, daß die Frau ihr nicht traute, aber sie wußte nicht, was sie entgegnen sollte, und zuckte nur die Schultern.

Glücklicherweise kam in dem Augenblick der Butler zurück, und Evelyn war froh, daß sie wieder in die Bibliothek gehen konnte.


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