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»So kommt man nicht zum Arbeiten«, sagte Crawford.
»Nun, wir haben doch allerhand Neuigkeiten erfahren. Interessant war das Legat, das er der Bonati aussetzen wollte.«
»Allerdings. Wir wollen einmal sehen, ob wir sie nicht sprechen können. Heute morgen hat sie angerufen, also scheint auch sie das dringende Verlangen zu haben, in einem Interview zu glänzen und mit uns die Waffen zu kreuzend. Lassen Sie sich einmal mit dem Savoy verbinden.«
Belling folgte der Aufforderung, dann reichte er dem Inspektor den Hörer.
»Kommt gleich«, sagte er halblaut.
»Hier Inspektor Crawford. Sie haben haute angerufen, Miß Bonati. Wollten Sie mich sprechen?«
Crawford gab Belling einen Wink, und der Sergeant nahm den zweiten Hörer.
»Ja, ich hatte eigentlich die Absicht, aber –«
»Nun gut, wann kann ich Sie hier erwarten?«
»Ich werde jetzt zu Mittag essen, dann bin ich durch andere Dinge in Anspruch genommen –«
»Das tut mir sehr leid. Ließe es sich nicht vielleicht doch einrichten, daß Sie heute nachmittag hier vorbeikommen?«
Sie zögerte und schien keine Lust mehr zu haben.
»Mr. Stetson war eben hier und hat auch über Sie gesprochen.«
Crawford und Belling hörten, daß sie schnell den Atem einzog.
»Was hat er denn gesagt?«
»Ach, am Telephon läßt sich darüber nicht gut sprechen.«
»Können Sie denn nicht heute nachmittag hier ins Hotel kommen?«
»Nein, das geht leider nicht, denn ich erwarte dauernd wichtige Mitteilungen, auch von auswärts, und muß daher im Amt bleiben.«
Die Nachricht von Stetson schien sie doch sehr zu interessieren, denn plötzlich faßte sie einen Entschluß.
»Ich werde kommen.«
»Wann dürfte das sein?«
»Gegen drei.«
»Gut, wir erwarten Sie.«
»So, jetzt ist es aber auch Zeit, daß wir unsere verdiente Mittagspause machen. Kommen Sie mit, Belling.«
Sie gingen zum Kasino.
Crawford schien Richard Richmond vollkommen vergessen zu haben, denn er machte eine ausnahmsweise lange Pause und rauchte noch einige Zigaretten nach Tisch.
»Hoffentlich bekommen wir bald Nachricht von den auswärtigen Polizeiämtern. Es ist doch zu unangenehm, daß wir über Maxwell in den letztem drei Jahren nichts wissen.«
Sie stiegen wieder zum Büro hinauf.
»Sehen Sie einmal in den Akten von Maxwell nach, unter welchen anderem Namen er aufgetreten ist – vielleicht finden wir doch die Anfangsbuchstaben A. T. wieder.«
Crawford sah nach der Uhr. Es war zwanzig Minuten vor drei. Er ließ sich mit der Zentrale verbinden und fragte, ob bereits Nachrichten auf die Rundfrage eingegangen wären, aber nur zwei Fehlmeldungen waren eingetroffen.
Belling blätterte eifrig in den Akten, während Crawford sich in seinen Stuhl setzte, die Augen schloß und nachdachte. So verging eine geraume Zeit. Schließlich erhob sich Belling und kam mit dem Aktenstück zu seinem Vorgesetzten.
»Der Mann hat unheimlich viele Namen geführt, aber die Anfangsbuchstaben A. T. sind nicht darunter.«
»Schade. Das hätte uns vielleicht ein gutes Stück weitergebracht.«
Crawford stützte den Kopf in die Hand und grübelte. Belling wußte, daß er ihn in solchen Augenblicken nicht stören durfte. Ruhig setzte er sich an einen Tisch, nahm ein Blatt Papier und machte Aufzeichnungen. Auch er versuchte, auf seine Weise dieses Rätsel zu lösen.
Nach einer Weile wurde Miß Bonati gemeldet.
Crawford erhob sich und ging ihr entgegen. Sie trug diesmal ein seegrünes Kostüm und einen prachtvollen Rotfuchs. Es war unglaublich, wie verschieden diese Frau aussehen konnte. Und jedesmal wirkte sie anders. Besonders auf Belling machte sie wieder großen Eindruck.
Der Inspektor bot ihr eine Zigarette an, die sie dankend nahm.
»Sie haben mir nur Angst einjagen wollen, daß mich der Vorsitzende bei der Totenschau besonders auf die Folter spannen würde.«
»Nein, das nicht, übrigens fand ich gestern zufällig einen Schlüssel in Ihrer schönen Tasche.«
»Ja, den haben Sie aus Versehen sogar mitgenommen.«
»Vielleicht war das kein Versehen.«
Sie sah ihn erstaunt an.
»Woher haben Sie den Schlüssel?«
»Sir Richard hat ihn auf einem Tisch liegen lassen.«
»Sie meinen wohl – auf seinem Tisch?«
»Wie kommen Sie dazu, meine Worte zu bezweifeln?«
»Weil ich Verschiedenes erfahren habe, das mit Ihren Aussagen nicht übereinstimmt.«
»Dann hat Stetson mich verleumdet, der hinterhältige Mensch! Er ist ja so rachsüchtig!«
»Ich habe nicht von Stetson gesprochen – außerdem ist das eine falsche Annahme. Was sagen Sie denn eigentlich dazu, daß der Tote gar nicht Sir Richard ist?«
»Ich bin erstaunt und entsetzt. Ich habe ihn in Paris kennengelernt und bin seit der Zeit mit ihm gereist. Mir ist niemals der Gedanke gekommen, daß er nicht Sir Richard sein könnte. Er ist ganz bestimmt derselbe, mit dem ich hier ankam und der ermordet wurde.«
»Haben Sie nicht gewußt, daß es Alec Maxwell war? Ein Mann, der schon dreimal im Gefängnis und im Zuchthaus saß?«
Ria Bonati drohte in Ohnmacht zu fallen.
»Was?« rief sie außer sich. »Ein Verbrecher?! Der Schlag war schon so hart genug für mich. Aber Sie sehen, daß ich mich bereits damit abgefunden habe und ihm nicht mehr nachtrauere. Trotzdem ist es natürlich sehr bitter für mich.« Sie zog das Taschentuch heraus und preßte es an die Augen.
Crawford wartete, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Ihr Erstaunen schien echt zu sein, aber man wußte nie, wann sie die Wahrheit sagte.
»Sehen Sie sich bitte einmal diese Pistole an«, fuhr der Inspektor fort, zog eine Schublade des Schreibtisches auf und legte die Mordwaffe auf den Tisch. »Kennen Sie die?«
»Ja, ich habe sie bei der Verhandlung gesehen.«
»Das meine ich nicht. Kennen Sie die Pistole von früher her?«
»Nein«, entgegnete sie kühl.
»Dann liegt wohl ein Irrtum vor. Die Waffe wurde vor einem halben Jahr in London bei der Waffenhandlung C. W. Cleveland in der Oxford Street gekauft. Sie wissen wohl, daß in England der Waffenhandel nicht frei ist und die Händler über alle Verkäufe Buch führen müssen.«
Sie wurde unruhig.
»Belling, Sie waren doch in meinem Auftrag bei den Leuten und haben sich erkundigt. Wer hat diese Waffe gekauft?«
»Eine Miß Maud Mason.«
»So heißen Sie doch – Ria Bonati ist nur ein Künstlername.«
Sie schwieg.
»Also, geben Sie zu, daß Sie die Pistole gekauft haben?«
Wieder eine lange Pause.
»Ich gebe keine Auskunft darüber«, sagte Ria Bonati schließlich.
»Das ist Ihr gutes Recht, wenn Sie glauben, sich durch die Antwort selbst zu bezichtigen. Aber ich würde Ihnen doch raten, zu antworten, denn das letztemal haben Sie sich geweigert, mir die Wahrheit zu sagen. Wir haben uns doch schon darüber unterhalten, daß Sie am Montagabend nach dem ersten Akt das Theater verließen.«
»Das habe ich nicht getan.«
»Vielleicht ist Ihr Geist im Theater zurückgeblieben. Ihren Körper hat jedenfalls Polizist Granter kurz vor neun in der Bruton Street beobachtet. Sie machten sich mit einem Schlüssel an der Haustür zu schaffen, überlegten es sich dann anders, gingen zu dem Seitengang und verschwanden im Haus.«
»Das ist nicht wahr – das ist gelogen!«
»Wie war es denn dann?«
»Ich bin nicht ins Haus gegangen!«
»Aber in der Bruton Street waren Sie doch?«
Crawford nahm den Schlüssel, den er aus ihrer Tasche gezogen hatte, in die Hand.
»Wissen Sie, was für ein Schlüssel das ist?«
»Nein.«
»Gestern haben Sie behauptet, daß es ein Schlüssel zu einer Ihrer Türen im Hotel wäre. Aber das ist ein großer Irrtum. Belling, sagen Sie ihr, zu welcher Tür dieser Schlüssel paßt.«
»Das Haus Sir Richards hat neben der Haustür noch einen halbversteckten Eingang, der zu einer Wendeltreppe in den Keller führt«, erklärte der Sergeant. »Der Schlüssel gehört zu dieser Geheimtür.«
Ria Bonati saß wie versteinert auf ihrem Stuhl.
»Das haben Sie doch gewußt?«
»Ich will Ihnen noch etwas anderes sagen. Gestern behaupteten Sie, daß Sie sich mit dem vermeintlichen Sir Richard über harmlose Dinge unterhalten hätten, als er Sie zu Ihrer Loge begleitete. In Wirklichkeit hatten Sie aber eine scharfe Auseinandersetzung mit ihm und machten ihm die heftigsten Vorwürfe wegen seiner Sekretärin.«
»Das stimmt nicht! Wer hat Ihnen nur all diese Lügen erzählt?«
»Doch, das stimmt. Das kann durch Zeugenaussagen bewiesen werden. Ferner haben Sie es verstanden, Ihren Reisebegleiter zu veranlassen, Ihnen ein Legat auszusetzen.«
»Das hat er mir freiwillig geschenkt. Aber das kann Ihnen kein anderer als dieser niederträchtige Stetson gesagt haben!«
»Diesmal haben Sie recht. Wollen Sie sich nun nicht zu einem Geständnis bequemen?«
Ein langes Schweigen folgte.
Schließlich erhob sich Crawford.
»Nun, wenn Sie keine Erklärung abgeben, will ich Ihnen einmal sagen, zu welchen Schlüssen die Polizei kommen muß.
Sie sind in der kritischen Zeit – ein bis zwei Minuten vor neun – vor der Haustür in der Bruton Street gesehen worden, sind dann in den seitlichen Nebengang getreten und haben sich ins Haus geschlichen –«
»Das ist nicht wahr – ich habe es Ihnen doch schon gesagt!« unterbrach sie ihn leidenschaftlich.
»Können Sie das beweisen?«
Sie gab keine Antwort.
»Geben Sie jetzt wenigstens zu, daß Sie die Oper nach dem ersten Akt verlassen haben und zum Haus von Sir Richard gefahren sind?«
Wieder eine lange Pause.
»Ja«, erwiderte sie dann kleinlaut.
»Es steht für Sie alles auf dem Spiel. Ich ermahne Sie dringend, jetzt endlich die Wahrheit zu sagen.«
Plötzlich brach sie in Tränen aus, und unter heftigem Schluchzen stieß sie hervor:
»Sie sind ein brutaler, gemeiner Mensch! Ich bin vollkommen unschuldig!«
Crawford ging ruhig im Zimmer auf und ab. Als sie sich etwas beruhigt hatte, setzte er sich wieder.
»Wollen Sie mir jetzt die Wahrheit sagen, oder soll ich Sie verhaften lassen?«