Ludwig Rellstab
1812 – Ein historischer Roman
Ludwig Rellstab

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Einleitung.

Ludwig Rellstab.

Als Napoleon I. im Jahre 1812 seine Truppen gegen Rußland führte und das Glück des übermütigen Korsen in den Flammen Moskaus und auf den russischen Schneefeldern zuschanden wurde, war Ludwig Rellstab, der Verfasser des Romans »1812«, bald dreizehn Jahre alt. Seine Jugend fällt demnach in eine der stürmischsten Epochen der deutschen Geschichte. Bis zu seinem sechzehnten Jahre hat er die Welt fast nur in Waffen gesehen, und das Hauptwerk des spätern Schriftstellers wuchs wie kein anderes aus den gewaltigen Eindrücken seiner Jugend empor. Die Schilderung des französischen Feldzuges nach Rußland und die Rückkehr des aufgelösten Heeres als mächtiger Hintergrund des Romans »1812« ist daher Rellstabs Meisterwerk geworden. – –

Die Kunst Gutenbergs, als Zweck oder Mittel, spielte in der Familie Rellstab schon seit Generationen eine Rolle. Der Urgroßvater war ein Gelehrter und bekannter Theologe, der aus der Schweiz nach Berlin berufen wurde. Der Großvater besaß eine der wenigen Druckereien in dem friederizianischen Berlin; er verlegte geistliche Schriften, und die Reste seines Geschäfts gingen noch auf den Enkel über, der dadurch von vornherein Autor und Verleger in einer Person wurde. Die hervorragende Anlage des Vaters brachte ein neues Element in die Familie; er war überaus musikbegabt und stand im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts an der Spitze aller musikalischen Unternehmungen, die sich neben der Königlichen Kapelle in Privatkreisen hervorwagten. Der frühe Tod seines Vaters zwang ihn aber, auf eine rein künstlerische Laufbahn zu verzichten, da er als einziger Sohn das blühende väterliche Geschäft übernehmen mußte. Um jedoch sein Talent in dem kaufmännischen Betriebe nicht verkümmern zu lassen, gliederte er seinem Geschäft einen Musikverlag an und suchte durch eigene Veranstaltungen das Interesse des Berliner Publikums für die ihm teuere Kunst zu beleben. Bis 1806 fanden allsonntäglich in Ermangelung passender Säle Konzerte im Hause des Verlegers selbst, Jägerstraße 18, statt, und der junge Ludwig Rellstab (geboren zu Berlin am 13. April 1799) wurde schon in der frühesten Kindheit unter musikalischen Eindrücken großgezogen; die Meisterwerke eines Händel, Bach, Graun, Gluck, Mozart und Beethoven wurden ihm von Kindheit an vertraut, und viele der damaligen Komponisten und Virtuosen wie Benda, Righini, Himmel u. a. gehörten zum Freundeser Vater war in der Erziehung seines einzigen Sohnes streng und zielbewußt; er wünschte nichts sehnlicher, als daß sein Ludwig ein Meister in der Kunst werden möge, der er selbst als seinem Lebensberuf hatte entsagen müssen, und er konnte daher die Zeit nicht erwarten, um die schlummernden Keime des Kindes hervorzulocken und zu pflegen. Das war der einzige Schatten, der auf Rellstabs sonst überaus glückliche Kinderjahre fiel. Auch den ersten Schulunterricht erhielt der kleine Ludwig von seinem Vater und von seiner Mutter, die als frühere Erzieherin eine ungewöhnliche Bildung mit einem überaus liebenswürdigen, sanften Wesen verband und ihren Kindern allezeit der Mittelpunkt ihrer heiligsten Empfindungen war. Die Verhältnisse des Hauses waren behagliche. In jedem Sommer wurde eine ländliche Wohnung im Tiergarten bezogen, der damals erst von einer chaussierten Straße nach Charlottenburg, im übrigen nur von zufällig gebildeten Fußwegen durchzogen wurde. In dieser fast noch unberührten Wildnis, wo jedes Kind der Einwohner noch sein Erdbeerfeld und seine Flucht von Himbeersträuchern eigenmächtig annektieren durfte, lag für den Knaben der herrlichste Schauplatz seiner Erinnerungen. Hier gingen ihm schon früh die Zauber der Natur auf, und das Bedürfnis, in ihr seine stete Erquickung zu finden, ist ihm zeitlebens verblieben. In seinem spätern Sommerhäuschen im Dorfe Tegel bei Berlin, unter den rauschenden Bäumen des dortigen Humboldthains, hat er alljährlich bis zu seinem Tode diese freundlichen Bilder seiner ersten Kindheit wieder aufleben lassen.

Mit fünf Jahren besuchte Rellstab die Messowsche Schule in Berlin. Er lernte leicht, war aber keineswegs ein fleißiger Schüler, sondern brachte stets schlimme Zeugnisse mit heim. Ein Widerwille gegen den Zwang der Schule war ihm angeboren und trat schon bei dem Kinde heftig hervor. Der einzige Lehrer jener ersten Zeit, an den er eine freundliche Erinnerung bewahrte, war einer namens Hense, der manche Unterrichtsstunde mit der Erzählung von Spuk- und Gespenstergeschichten verbrachte. Rellstabs Schulerinnerungen wissen fast nur von einem Schreckensregiment der Prügelpädagogen jener »guten alten Zeit« zu erzählen. Mit den zunehmenden Jahren entschädigte für diese Schülerleiden auch nicht mehr die größere Freiheit daheim. Statt sich mit den Kameraden auf den Straßen zu tummeln, mußte er pünktlich nach Schulschluß zur Klavierstunde antreten. Keine Trägheit, kein Eigensinn oder gar Trotz konnte der unbeirrten Ausdauer des Vaters widerstehen, und wenn auch der Sohn für diese frühe Ausbildung später überaus dankbar sein mußte, so hatte das Kind davon naturgemäß nur die Empfindung einer unnützen Grausamkeit, die ihm einen großen Teil seiner Jugendfreuden ertötete. Der Ruhm, den ihm seine frühe Kunstfertigkeit gelegentlich eintrug, war nur ein verschwindender Honigtropfen in diesem Wermutkelche.

Auch die Zeitverhältnisse taten alles, um den ruhigen Werdegang fruchtbarer Schulbildung zu durchkreuzen. Sie beschenkten aber um so reicher die aufnahmefähige Phantasie mit andersartigen Bildern. Der Krieg preßte der Zeit seinen mächtigen Stempel auf, und eine dunkle Empfindung dessen, was alle Gemüter damals beseelte, bedrückte auch schon die Kindesseele. Der Ausmarsch der preußischen Truppen zur Besetzung Hannovers, die Schlacht bei Austerlitz, die furchtbare Katastrophe der Schlacht bei Jena und Auerstädt, der Heldentod des Prinzen Louis Ferdinand, der als trefflicher Musiker zu den Freunden des väterlichen Hauses gehörte, das alles waren Ereignisse, die in ihrer niederschmetternden Wirkung auf die Stimmung des Elternhauses beobachtet und empfunden wurden. Im Haß gegen den fremden Eroberer wuchs die Jugend heran. Dem Einrücken der Franzosen sah gleichwohl das Kindesauge mit freudiger Aufregung und Neugier als einem ungewöhnlichen, Schauspiel entgegen, denn die immerwährenden Siege dieser Scharen hatten übermenschliche Vorstellungen von ihnen erweckt. Der erste Anblick französischer Chasseurs enttäuschte nicht wenig. Das Einrücken des siegreichen Feindes zerstörte vieles, was den Reiz der häuslichen Umgebung ausmachte; die Druckerei des Vaters wurde geschlossen, das Personal und damit so mancher Jugendfreund entlassen, und das Verlagsgeschäft war so gut wie vernichtet. Im Haß gegen die übermütigen Gäste waren alt und jung einig; das hinderte natürlich nicht, mit einzelnen Fremden, die der Wechsel der Einquartierung ins Haus führte, Freundschaft zu schließen, und die bunte Farbenpracht der täglich neuen Straßenbilder trug dann schließlich doch im Kinderherzen den Sieg davon. Die Ablieferung der Waffen seitens der Bevölkerung, die befohlene abendliche Illumination nach dem Einzug des Kaisers, die Einrichtung der Nationalgarde aus der Bürgerschaft, ihre erste Parade auf dem Wilhelmplatz – was gab es da nicht alles zu schauen und anzustaunen! Die sonst so stille preußische Hauptstadt glich vollkommen einem Kriegslager. Im Biwak auf dem prächtigen Rasen des Lustgartens, dessen Betreten dem Einheimischen fast als Majestätsverbrechen vergolten wurde, sah der junge Rellstab zum erstenmal die kaiserlichen Garden, hochgewachsene Leute mit schwarzen Bärten und blitzenden Augen, in prächtigen Uniformen mit hohen Bärenmützen und weißen Beinkleidern. Der verworrene Lärm des Lagers, die rotflackernden Feuer, die schwarz emporwirbelnden Rauchsäulen unter dem sternbesäten Himmel einer Oktobernacht und im Hintergrunde die hellerleuchteten Fenster des Schlosses, wo der Usurpator die Gemächer der preußischen Könige innehatte, das war ein Eindruck, der bei einem phantasiebegabten Kinde naturgemäß vom furchtsamen Staunen zu fassungsloser Bewunderung übergehen mußte. Den Kaiser selbst hat Rellstab nur einmal gesehen in schneller Vorüberfahrt, wo der Blick kaum das dreieckige Hütchen und ein graufahles Antlitz auffangen konnte; aber die Wirkung der Anwesenheit des Übergewaltigen hat schon der siebenjährige Knabe verspürt. »Aller Augen«, berichtete er später in seinen Erinnerungen, »folgten dem Haupt mit gebanntem Blick; es herrschte in dem Moment eine atemlose Stille. So groß war die Gewalt, welche die Erscheinung übte, oder vielmehr die der Gedanken, die sich daran knüpften. Dieses flüchtig vorüberschwebende Schattenbild, halb in aufgewirbelten Staub gehüllt, ist der einzige sinnliche Eindruck, den ich von dem gewaltigen, welterschütternden Manne mitgenommen. Allein er war von nicht zu schildernder Zauberkraft und hat mich unvergeßlich durch mein ganzes Leben begleitet.«

Das ereignisvolle Jahr 1806 brachte dem Knaben aber noch eine besondere Freude, er erhielt einen lieben Spielgefährten in seinemVetter Wilhelm Häring, der mit seiner verwitweten Mutter nach der Belagerung Breslaus von dort nach Berlin in das Rellstabsche Haus übersiedelte. Von da an verknüpft sich die Jugendgeschichte Rellstabs eng mit der seines Vetters, des unter dem Namen Wilibald Alexis bekannten Schriftstellers. Besonders die gemeinsam verlebten Sommerwochen im Tiergarten, im »musikalischen Tollhaus«, wie die Umwohner einen bestimmten Gebäudekomplex mit musikalischen Einwohnern nannten, brachten beiden unverlöschliche Eindrücke.

Während dieser Ereignisse war Ludwig Rellstab so weit herangewachsen, daß er das Joachimsthalsche Gymnasium besuchen konnte. Damit begann für ihn eine neue, nur schlimmere Epoche von Schülerleiden und Lehrererfahrungen. Moderne Sprachen lernte er leicht, da ihn hierbei die häusliche Vorbildung seitens der Mutter gut unterstützte. Im Lateinischen aber ging es um so schlechter, sein »grammatischer Stumpfsinn«, wie er sich selbst ausdrückte, machte ihm sogar die theoretische Beherrschung seiner Muttersprache schwer, und sein sonst glänzendes Gedächtnis ließ ihn beim Rechnen völlig im Stich. Dazu war er kurzsichtig, was ihn in der Schule allenthalben behinderte, und er hatte eine Handschrift, die er mit Recht eine »Seltenheit der Entartung« nannte. Durch alles dies verbrachte Rellstab seine Schuljahre fast durchweg in einem Zustand der Entmutigung, Beschämung, ja des Lebensüberdrusses. Daß er durch seine Musikkenntnis seine Schulkameraden, allerdings auch mit einer Ausnahme, weit überragte und daher als williger Unterhalter, der nicht nur vom Blatt zu spielen, sondern auch auf dem Klavier frei zu phantasieren wußte, in jedem Hause gern gesehen war, gewährte ihm dann doch einige Stunden fröhlicher Erleichterung trotz der Qual, die ihm auch dieser unerbittlich durchgeführte Unterricht dauernd bereitete. Außerdem zeichnete sich Rellstab nur als Vorleser in der Klasse aus; diese Gabe hat ihm das erste Lob auf dem Gymnasium eingetragen; er dankte sie seiner Mutter, die das Talent des jungen Ludwig früh gepflegt hatte und auch sonst bestrebt war, seinen poetischen Sinn zu wecken.

Ostern 1810 ging er auf das Werdersche Gymnasium in Berlin über, mit den besten Vorsätzen zwar, ohne aber auch hier mehr als ein erträglicher Schüler zu werden. In allem, was allein geistige Fassungskraft voraussetzte, stand er, von seinem Gedächtnis unterstützt, seinen Mann. Fleiß konnte er sich aber auch jetzt nicht abgewinnen. Seine natürliche Begabung gewann ihm dennoch das Interesse seiner Lehrer, von denen er jetzt einige freundliche Eindrücke erhielt; die Namen eines Bernhardi, Spillecke, Zumpt nannte er später mit warmer Verehrung; teuer wurde ihm der berühmte Herodotübersetzer Lange, der ihn durch seine Verherrlichung des Altertums begeisterte und Vorstellungen in seine Seele senkte, die für den zukünftigen Dichter fruchtbar waren und zu denen Rellstab noch in seinem Alter immer mit pietätvoller Freude zurückkehrte. Der Schriftsteller begann sich in diesen Jahren schon zu regen. Im deutschen Aufsatz erwies sich Rellstab als einer der Besten. Außerdem pflegte er noch ein Fach mit besonderm Nachdruck, die Mathematik, und zwar die Geometrie, denn schon damals war es für ihn beschlossene Sache, daß er sich dem Soldatenstand widmen werde. Sein völliges Versagen in den alten Sprachen ließ den Gedanken, weiter zu studieren, gar nicht mehr aufkommen. Soldaten aber verlangte der Krieg; daß der Friede zu Tilsit nur ein trügerischer war und sein durfte, darin waren sich alle Preußen, auch in jener Zeit der Erniedrigung, einig. Kein Gedanke konnte daher für ein phantastisches Kind hinreißender sein als die Hoffnung, an der Wiederherstellung der preußischen Waffenehre dereinst mithelfen zu dürfen.

Noch lastete aber der Friede schwerer fast als der Krieg auf dem deutschen Leben. Das väterliche Geschäft war zerrüttet, die Einkünfte eines stattlichen Vermögens waren nur teilweise beizutreiben, und der Vater begann sich in dieser Verlegenheit als Schriftsteller zu betätigen. Er wurde Musikreferent der »Vossischen Zeitung«, also der Vorgänger seines eigenen Sohnes. Den Musikunterricht des letztern hatte er jetzt aufgegeben, voll Überdruß über das seinen Hoffnungen nicht entfernt entsprechende Resultat. Die so gewonnene Freiheit der Betätigung lockte aber den jungen Ludwig; er begann sich nun mit Eifer dieser so oft verwünschten Kunst hinzugeben und warf sich fast mit Leidenschaft auf die Tonschöpfungen Karl Maria von Webers; auch persönlich lernte er schon zu jener Zeit den Komponisten des »Freischütz« kennen. Hatten auch die großen Musikaufführungen seit 1806 aufhören müssen, so war das elterliche Haus doch immer noch das Ziel musikalischer Gäste. Auch gestalteten sich die äußern Verhältnisse immer noch so, daß neben den Bedürfnissen des Tages manches Vergnügen der Kinder bestritten werden konnte. In das Jahr 1811 fiel die erste größere Reise Rellstabs; sie führte ihn nach Dresden und der Sächsischen Schweiz und machte ihn mit der sächsischen Hauptstadt und ihrer Umgebung bekannt, die beide in seinem Roman »1812« die Schauplätze wichtiger Begebenheiten sind.

Auch an andern neuen Eindrücken waren diese letzten Jahre reich. Die Theaterwelt trat ihm zum ersten Male näher. In einem Flügel des väterlichen Hauses befand sich eine Bühne, die lange unbenutzt dastand, etwa 1808 aber von der Truppe des Schauspieldirektors Butenop einen Winter lang bezogen wurde. Man spielte meist Schau- und Lustspiele von Kotzebue, aber auch kleine Opern von Hiller u. a. Die Kinder des Hausherrn hatten natürlich freien Eintritt, und miteingeschwärzte Schulfreunde verschafften ihm dafür wieder Zugang zur Königlichen Oper. Das regte nun zu eigenem Theaterspiel an. Der Vetter Häring lebte nur in deutschen Ritterstücken wie »Götz von Berlichingen«, Rellstab dagegen wurde am stärksten durch griechische Tragödien gefesselt. Nach dem Abzug der Schauspieler bemächtigten sich die Kinder des Theaters, und der Vetter Wilhelm schrieb dafür ein eigenes Ritterschauspiel, dessen Vorbereitung und endliche Aufführung den kleinen Künstlern einen ganzen Winter lang Stoff zu eifrigster Beschäftigung gab. Das Auftreten eines Taschenspielers, dessen Künsten man durch eigene Versuche bald auf die Spur kam, führte dazu, daß der kleine Rellstab zum erstenmal als Journalist an die Öffentlichkeit trat. Sein Vater hatte ihm einen Aufsatz darüber abgefordert, und dieser gelang so gut, daß er mit etlichen Korrekturen in der »Vossischen Zeitung« erscheinen konnte. Von der Taschenspielerei kamen die Kinder auf chemische und physikalische Experimente; sogar mit Feuerwerk wurde leichtsinniger Unfug getrieben. Auch handwerksmäßige Kenntnisse wußten sich die Knaben zu erwerben; zur Buchbinderei und Tischlerei stellte sich der kleine Rellstab am geschicktesten an. Trotz dieser nützlichen und anregenden Beschäftigungen, die die meiste freie Zeit ausfüllten, war Ludwig, dieses Zeugnis gibt er sich selbst, »ein so vollständiger Berliner Gassenjunge wie nur einer« und in den Betätigungen übermütiger Kraft seinem sanftern Vetter weit überlegen. Als fleißiger Besucher der damals allenthalben errichteten Turnplätze erwarb er sich, obgleich an Gestalt kein Riese, eine körperliche Ausdauer, die noch dem spätern Soldaten sehr zustatten kam. Der geistigen Tyrannei, die sich auf den Turnplätzen hier und da breit machte, wußte er sich zu entziehen; Vaterlandsliebe und Franzosenhaß wurden aber durch den dort herrschenden Geist in dem künftigen Krieger mächtig angeregt, und die Gestalt eines Schill stand vor der jugendlichen Phantasie als die eines sagenhaften Helden der Vorzeit.

Dann kam das Jahr 1812. Die französischen Truppen brachen im Frühjahr nach Rußland auf und wurden, obgleich verbündet, auf ihrem Durchzug nach dem Osten doch mehr als Feinde betrachtet. Die Nachricht von dem Einzug des französischen Kaisers in Moskau erfüllte alles mit bewunderndem Grauen; jetzt war er am Ziel seiner Wünsche, das größte Reich der Welt schien zerstört, der letzte Thron des europäischen Festlandes gestürzt. Aber dann schlugen die Flammen des Moskauer Brandes über diesen Triumphen zusammen, und was noch eben unüberwindlich schien, zerstob plötzlich in alle Winde. Trotz der spärlichen Nachrichten, die über die Grenze drangen, empfand auch der Knabe, daß etwas Ungeheueres und Unermeßliches geschehen sei, ein Weltgericht der Geschichte, das ohnegleichen war. Die grauenerregende Wirklichkeit offenbarte sich aber erst, als die Trümmer des französischen Heeres in Berlin eintrafen. Die Bilder, die sich dem Kinde nun auf den Straßen Berlins zeigten, waren die ersten Vorstudien zu der grandiosen Schilderung des Rückzugs, die Rellstabs Meisterroman »1812« aufweist. Langten auch hinterher noch vereinzelte geordnete Truppenteile an, so war doch offenbar die Macht Napoleons gebrochen, und der Aufruf des preußischen Königs vom 3. Februar 1813 zur Bildung freiwilliger Jägerbataillone schuf die Gedanken und Gefühle aller Patrioten in die Tat um. Die Schulen leerten sich, die nächsten Freunde und Mitschüler rückten ins Feld und wurden Männer in ihren Jugendjahren. Der noch nicht vierzehnjährige Rellstab mußte alledem tatenlos zusehen. Immer dichter zogen sich die Trümmer des französischen Heeres in Berlin zusammen; die ersten am 20. Februar erscheinenden Kosaken erregten gespenstische Furcht unter den Resten der großen Armee, während die Bevölkerung Berlins ihnen als Befreiern zujubelte. Die Überreste eines getöteten Kosaken wurden vom Volke wie Reliquien behandelt. Wenige Tage mußten über das Schicksal der preußischen Hauptstadt entscheiden. Ein letzter erbitterter Kampf zwischen den Gegnern schien sich hier seinen Schauplatz zu suchen. Da zogen sich bie Franzosen zurück, und unter dem Jauchzen der Bewohner rückten die Russen in ihre Quartiere. Dann kam die Kriegserklärung Preußens an Frankreich und die monatelange Unsicherheit der wechselnden Kämpfe; noch einmal schien das Schicksal der Hauptstadt besiegelt. Die Schlacht bei Großbeeren setzte aber dem Vordringen des Feindes ein Ziel.

Am Tage dieser Schlacht, am 23. August 1813, wurde Rellstabs Vater begraben; auf einem Spaziergang hatte ihn der Schlag getroffen. Für des Sohnes Zukunft war dieser Unglücksfall entscheidend. Dem Wunsch, Soldat zu werden, war der Vater von vornherein ablehnend entgegengetreten; er sah, auch als sich das Glück den deutschen Waffen wieder zugesellte, die Ereignisse nicht in so leuchtenden Farben wie die Jugend, die sich an Theodor Körners Siegesliedern berauschte. Er hatte zuviel in seinem Vaterlande prächtig beginnen und traurig verkümmern sehen, er warnte vor Illusionen und sah mit Strenge darauf, daß das nächste Ziel, der Fortschritt in der Schule, nicht versäumt wurde. Mit dem Tode des Vaters fiel dieser Zwang. Als die Flucht Napoleons von Elba das deutsche Friedensgebäude abermals erschütterte, kam der neu entbrennende Krieg dem Jüngling wie eine Erlösung, als eine Erfüllung seiner sehnsüchtigsten Hoffnungen. Er war zwar noch nicht sechzehn Jahre, und das Gesetz erlaubte den Eintritt in das Heer erst mit dem siebzehnten. Dennoch meldete er sich am 1. April 1815 zum Dienst, wurde auch sofort angenommen, zunächst in der weniger ehrenvollen Rolle einer Ordonnanz, und dann als erster Freiwilliger in das neugebildete Freiwilligenbataillon des Majors von Colomb eingestellt. Aber er frohlockte zu früh. Sein jugendliches Alter und seine Kurzsichtigkeit machten ihn zum Felddienst untauglich, und die Mutter lehnte sich mit Recht dagegen auf, ihren einzigen Sohn, noch dazu als unbrauchbare Last, dem Heere zu übergeben. Major von Colomb, dem der Fall vorgetragen wurde, befahl ihm zurückzutreten. Diese Entscheidung war für den Knaben die schwerste aller seiner Jugenderfahrungen, sein Selbstvertrauen und starkes Selbstbewußtsein wurden dadurch bis zur Hoffnungslosigkeit erschüttert, und die Stunde, wo er seinen Vetter Häring mit zahlreichen Kollegen zum Abmarsch bis Potsdam begleitete und dann allein zurückkehren mußte, gehörte zu den schwersten seines Lebens. Ja, er gestand noch in seinem Alter, daß dieser Schlag das »Mark seines Lebens« geknickt und er sich nie davon habe erholen können.

Nun mußte er wieder zur Schulbank zurück. Seit Januar 1815, wo ihn ein Nervenfieber befallen hatte, war sie ihm fremd geworden. Besser als er gefürchtet hatte, gelang es ihm jetzt, sich wieder mit ihr zu befreunden. Die Ereignisse hatten ihn gereift, und er bewies in diesem Sommer einen solchen Fleiß, daß ihn die Mutter mit einer Ferienreise ins Riesengebirge belohnte. Von dieser Reise sollte er fast schon als Soldat zurückkehren. Ein Erlaß des Kriegsministeriums gestattete soeben Leuten seines Alters den Besuch der Kriegsschule, um sich schon in jungen Jahren auf den Soldatenberuf vorzubereiten. Sobald ihn die Nachricht erreichte, reiste er nach Berlin zurück, unterwarf sich der vorgeschriebenen Prüfung und wurde im September 1815 aufgenommen.

Damit war seine Knabenzeit abgeschlossen und sein Leben einem Berufe zugelenkt, zu dem ihn seine Fähigkeiten durchaus nicht bestimmten. Mit der Verbannung Napoleons nach St. Helena glaubte die damalige Jugend das Schicksal des Kaisers noch keineswegs erfüllt; sie erwartete, ja erhoffte neuen Krieg, und dieses Phantom gab bei der Berufswahl Rellstabs den Ausschlag.

Die Enttäuschung blieb natürlich nicht aus. Die militärische Wissenschaft erforderte nicht weniger Fleiß als die Aufgaben des Gymnasiums und war weit schwerer zu bewältigen, als sich der Schüler vorgestellt hatte. Dennoch behauptete er sich; noch vor Beginn seines siebzehnten Jahres leistete er seinen Eid als königlicher Artillerist und trat in die Brigade des Oberstleutnants von Bardeleben. Von der reitenden Artillerie versetzte man ihn aber sofort zur Garde-Fußartillerie, weil er ein unmöglicher Reiter war, und der tägliche Kasernendienst war alles eher denn eine Verwirklichung jugendlicher Heldenträume. Der Verkehr mit den neuen Lebensgenossen gestaltete sich auch zunächst wenig erfreulich. Die gleichalterigen waren ihm zu ungebildet, und die ältern, die es mit den wissenschaftlichen Ansprüchen eines Sekundaners aufnehmen konnten, hielten sich zurück. Es bedeutete daher für ihn ein Glück, daß er nach einiger Zeit als Lehrer der Mathematik, der deutschen Sprache und Geschichte zur Brigadeschule kommandiert wurde, und hier blieb er auch, nachdem er am 18. August 1818 Offizier geworden war. Dennoch reifte schon nach wenigen Jahren in ihm der Entschluß, dem militärischen Beruf zu entsagen.

In dieser ersten Zeit entmutigender Isolierung hatte er sich wieder dem zugewandt, was seine Jugend erfüllt hatte, und seine innersten Interessen hatten Zeit gehabt, sich zu entwickeln. Die Bekanntschaft mit dem Komponisten Ludwig Berger veranlaßte ihn zur Wiederaufnahme seiner musikalischen Studien. Die Freundschaft mit Berger und einem andern Komponisten, Bernhard Klein, führte zum Entwurf gemeinsamer Arbeiten; ein erster Operntext, »Orestes«, wurde für Berger gedichtet, ein zweiter, »Dido«, von Bernhard Klein komponiert. Erste Lieder entstanden und wurden in Musik gesetzt. Man begründete eine neue Liedertafel, die sich neben der alten Zelterschen ehrenvoll behauptete und viele wissenschaftlich interessierten Männer zu ihren Teilnehmern zählte. Sogar E. T. A. Hoffmann zeigte sich in diesem Kreise, und die Bekanntschaft mit ihm führte dann weiter zu einem angeregten literarisch-künstlerischen Verkehr. Selbst das Studium des Lateinischen wurde wieder aufgenommen. Mit Freunden, die sich jetzt auch aus der militärischen Umgebung hinzugefunden hatten, wurden philosophische Übungen und literarische Leseabende veranstaltet, und der spätere Musikkritiker versuchte sich gelegentlich als Gesanglehrer. Die Freundschaft mit Berger und Klein gab seiner ganzen literarischen Entwicklung die entscheidende Richtung nach der musikalischen Seite hin, und 1821 hatten diese Bestrebungen so fest in ihm Wurzel gefaßt, daß sich ein anderer Lebensplan in ihm festsetzte. Materielle Rücksichten beschränkten ihn nicht. Auch seine Mutter war 1820 gestorben, und das elterliche Vermögen sicherte den Kindern, Ludwig und drei Schwestern, ihre Selbständigkeit. Am 1. Mai 1821 nahm er seine Entlassung und begab sich zunächst nach Frankfurt a. O., wo sich Ludwig Berger zeitweilig aufhielt und andere intime Freunde wohnten. Sein Plan war, sich durch privates Studium für die Universität vorzubereiten und nach abgelegtem Examen als Lehrer der Ästhetik an der Berliner Universität zu habilitieren. Am meisten hoffte er aus dem persönlichen Verkehr mit den Männern zu lernen, die damals die Gipfel der deutschen Literatur bedeuteten, Tieck, Jean Paul und Goethe, und ihre Wohnorte Dresden, Bayreuth und Weimar setzte er als die wichtigsten Bildungsstätten in das Programm seiner nächsten akademischen Jahre.

Die Zeit in Frankfurt gehörte zu den schönsten Epochen seines Lebens. Er war jung, frei, hatte für die Notdurft des Lebens nicht zu sorgen und sah eine lockende Zukunft vor sich, die zwar erst nur aus guten Vorsätzen und kühnen Plänen bestand. Einer dieser Pläne wurde hier in Frankfurt emsig vorbereitet; er machte Studien zu einem Trauerspiel, das Karl den Kühnen zum Vorwurf hatte. Im übrigen suchte er mit Hilfe der dortigen Gymnasialbibliothek seine Schulkenntnisse zu erweitern und die übrige Zeit ging auf in der Pflege der Musik und Poesie. An die kleine Stadt fesselten ihn aber auch zartere Bande; hier lebte eine junge Witwe, die er schon schwärmerisch verehrt hatte, als sie noch unverheiratet war, eine Generalin von Zielinski; sie war der eigentliche Magnet, der ihn jetzt und auch später noch mehrfach dorthin zog. Ein gemeinsames, durch alle guten Genien der Poesie und Musik verschöntes Dasein verband sie, ohne daß die gegenseitige Neigung eine endgültige Entscheidung herbeigeführt hätte. Er stand ja erst am Beginn seiner Entwicklung, die den ganzen ungeteilten Menschen erforderte; das war ihnen beiden völlig bewußt und so überwanden sie. Aber in diesen Sommermonaten erwuchs ein ganzer Frühling von ersten Liedern und Gedichten, wobei Schiller des jungen Poeten Leitstern war; Schiller hat auf Rellstabs jugendliche Dichtungen den stärksten Einfluß geübt.

Seine Oper »Dido« hatte Rellstab dem verehrten Meister Jean Paul zugesandt und zugleich seinen Besuch angekündigt; unter dem 11 Juni 1821 antwortete ihm der Dichter in überaus liebenswürdiger Weise, und nun duldete es Rellstab in Frankfurt nicht mehr lange. Ende Juli begann er seine Weltreise wie ein fahrender Schüler. Zunächst wandte er sich nach Dresden um Karl Maria von Weber und Ludwig Tieck aufzusuchen. Den erstern kannte er ja schon flüchtig und er hatte keinen größern Wunsch, als für den Komponisten der »Euryanthe« ebenfalls eine Oper zu dichten. An der Hand dieses Meisters hoffte er der deutschen Oper ganz neue Wege zu bahnen. Sein jugendlicher Enthusiasmus verschaffte ihm denn auch bei Weber den besten Empfang, und zahlreiche gemeinsame Pläne wurden hin und her erwogen; der frühe Tod des Komponisten vereitelte sie alle. Auf die Textgestaltung der »Euryanthe«, mit deren Komposition Weber gerade beschäftigt war, haben aber die Ratschläge des Dichters der »Dido« einigen Einfluß ausgeübt. Auch Tieck nahm seinen Landsmann freundlich auf und gab ihm eine wertvolle Empfehlung an Jean Paul mit auf den Weg. Dann verlebte Rellstab in Teplitz mit seinen dort weilenden drei Schwestern einige Sommerwochen voll glücklichster Eindrücke, die so dauernd in ihm haften blieben, daß jene Landschaft in mehreren seiner Novellen wieder auftaucht, so auch in dem Roman »1812«. Über Franzensbad reiste er dann weiter nach Wunsiedel im Fichtelgebirge, dem Geburtsort Jean Pauls, und von hier zu Fuß nach Bayreuth, wo der Meister wohnte. Am 23. August 1821 langte er hier an, durchstreifte die Umgebung, deren bescheidene Wirklichkeit hinter dem Glanz, mit dem Jean Pauls Dichtungen sie umgeben hatten, weit zurückblieb, und wurde im Hause des Legationsrats Richter auf das freundlichste willkommen geheißen. Die Operndichtung »Dido« zeichnete Jean Paul mit dem Vermerk »Sub Apollinis auspiciis« aus, und auch seine ersten lyrischen Gedichte bedachte er mit manchem Lobe. Sogar in dem Häuschen der Frau Rollwenzel in der Eremitage, wo Jean Paul vormittags zu arbeiten pflegte, wurde der Fremdling vom Dichter selbst eingeführt.

Der Zweck des Bayreuther Aufenthalts hatte sich für den angehenden Schriftsteller also voll erfüllt, und er wandte sich nun nach Weimar. Am 3. September 1821, dem Geburtstag des Großherzogs Karl August, langte er dort an. Goethe war aber in Karlsbad und kehrte erst Anfang November nach Weimar zurück. Rellstab beschloß daher seine Übersiedlung nach Heidelberg aufzuschieben und sich in der weimarischen Residenz für den Winter häuslich einzurichten. Er setzte hier seine Privatstudien fort, nahm lateinische Stunden und trieb ausgedehnte Lektüre. Daneben pflegte er nach wie vor die Musik und gab hier und da Gesangunterricht. Außerdem begann und vollendete er hier sein erstes Trauerspiel »Karl der Kühne«. Ein Brief Zelters führte ihn in das Haus des Musikdirektors Eberwein ein und ebenso in das Goethesche Haus wo er durch seine Musikkenntnis bei der Goetheschen Familie beste Aufnahme fand. Er machte die Bekanntschaft des Komponisten Hummel, verkehrte mit der Schriftstellerin Johanna Schopenhauer, deren Empfehlung die Annahme seines Trauerspiels bei dem Dresdener Intendanten von Könneritz zur Folge hatte, und wurde auch in die Theaterkreise eingeführt. In einer Beziehung aber erlebte er eine arge Enttäuschung: Goethe selbst nahm ihn ziemlich kühl auf, und obgleich er durch die Gunst der Schwiegertochter des Dichters und durch Zelters Empfehlung zu manchen Gesellschaften zugezogen, auch von Goethe mancher Ansprache gewürdigt wurde, kam doch kein vertrauteres Verhältnis und kein intimeres Gespräch zustande, das dem jungen Menschen ein tieferes Erlebnis gewesen wäre. Rellstabs Gedichte zu lesen, lehnte Goethe ab. Einen starken Eindruck hinterließ das mehrfache Zusammentreffen mit dem Olympier dennoch, und Rellstab gewann im Goetheschen Hause manche Bereicherung seiner Erinnerungen; so war er Zeuge einer Begegnung zwischen Goethe und dem damals zwölfjährigen Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy, den Zelter persönlich nach Weimar gebracht hatte, und er erlebte auch ein Auftreten Bettinas in Goethes Salon. In den nächsten beiden Jahren durfte Rellstab dann noch zweimal Goethe sehen und sprechen.

Obige Enttäuschung und die geringe Befriedigung, die seine gesellschaftlichen Bedürfnisse in Weimar fanden, kürzten seinen dortigen Aufenthalt ab. Am 25. Februar 1822 reiste er wieder nach Berlin, doch auch hier duldete es ihn nicht lange. Nachdem er sein Trauerspiel am dortigen Hoftheater eingereicht hatte, wandte er sich zur eigentlichen Aufnahme seiner Studien nach Heidelberg. Auf der Reise dorthin durfte er sein neues Trauerspiel Ludwig Tieck vorlesen.

Das Jahr in Heidelberg brachte die endgültige Entscheidung über seine Zukunft. Völlig Student zu werden, dafür fehlte dem Offizier a. D. die richtige Vorbildung; auch war er dazu nicht mehr jung genug; er besuchte deshalb die Kollegien der Universität mehr als Hospitant. Die Bekanntschaft mit Gelehrten wie Thibaut, Creuzer, besonders der Verkehr mit Professor Gatterer bereicherte seine Menschenkenntnis mehr als die Vorlesungen sein Wissen, und die schöne Umgebung war zu verlockend, um eine pedantische Regelmäßigkeit der Studien aufkommen zu lassen. Reisen nach Baden, Stuttgart, Luxemburg, zur Oper in Mannheim, Touren den Rhein hinauf und hinab oder in den Schwarzwald und in die Rheinpfalz, zu denen er immer im Verein mit fröhlichen Kollegen gestimmt war, gewannen dem spätern Reiseschriftsteller den vielfältigsten Stoff an Erlebnissen und Szenerien. Eine große Ernte an lyrischen Gedichten war das Resultat des Heidelberger Sommers; er schrieb seine erste Novelle »Der Wolfsbrunnen« und entwarf ein Lustspiel »Der zerschlossene Knoten«. Der Hauptertrag aber war eine Sammlung von Gedichten, die der Freiheitskampf des geliebten Griechenvolkes in ihm hatte lebendig werden lassen. Unter dem Titel »Morgenröte Griechenlands in neun Gedichten. Ein Festgeschenk zum 18. Oktober« kam dies sein erstes Büchlein in Heidelberg (bei Oßwald) noch im selben Jahre heraus, und die freundliche Aufnahme, die es fand, zeitigte den endgültigen Entschluß in ihm, Schriftsteller zu werden.

Zunächst setzte er seine Studien im Frühjahr und Sommer 1823 in Bonn fort, hörte bei den Philologen Näke und Welcker, besuchte Ernst Moritz Arndt, dessen Vorlesungen infolge der Demagogenuntersuchungen von der Regierung suspendiert waren, und erhielt einen tiefen Eindruck von August Wilhelm von Schlegel, sowohl von seiner Vorlesung über das Nibelungenlied als auch von seiner Persönlichkeit; der alte Romantiker ließ den jungen Poeten sein Trauerspiel in seinem Hause vorlesen und war allenthalben freundschaftlichst um ihn besorgt. In dem Vertrauten Mozarts und Goethes, dem Professor D'Alton, gewann Rellstab hier einen seiner liebsten Freunde. Mit einer ausgedehnten Reise in die Schweiz und nach Oberitalien, wo er den Schauplatz der ersten Kapitel seines Romans »1812« kennen lernte, schloß dieser Sommer. Über München kehrte dann Rellstab nach Berlin zurück und kam gerade recht zur Aufführung seiner Oper »Dido« am 15. Oktober 1823; doch machte weder die Dichtung noch die Musik Bernhard Kleins ein besonderes Glück. Das Werk wurde noch zweimal wieder aufgenommen, 1827 und 1854, ohne sich aber auf dem Repertoir behaupten zu können. Rellstab kehrte nun wieder zu seinen selbstgewählten Studien zurück. Ein neues Trauerspiel »Bianca« nach einer altitalienischen Sage entstand; »Karl der Kühne« erschien im Druck und trug ihm von den Dichtern Fouqué und Houwald freundliche Aufmunterungen ein. Eine Annahme des Stückes seitens der Theater erzielte er aber nirgends weiter, und auch in Dresden unterblieb die Aufführung, obgleich schon ein Tag dafür angesetzt war; ein gleiches Mißgeschick hatte auch ein späteres Lustspiel Rellstabs mit dem Titel »1756«.

Der Reiz der Erinnerungen an das nahe Frankfurt brachte ihn aber noch nicht zur Ruhe; noch einmal siedelte er im Frühjahr 1824 auf kurze Zeit dahin über, machte dann mit seinen Schwestern eine Rheinreise, auf der er den Dichter der »Alemannischen Gedichte«, den alten Hebel, kennen lernte, und kehrte dann wieder heim, da geschäftliche Dinge seine Anwesenheit in Berlin notwendig machten.

Ein Freund von der Kriegsschule, namens Laue, hatte nach seinem Abschied vom Militär eine Buchhandlung begründet, und Rellstab war ihr Teilhaber geworden; zunächst wollte er dem Freunde behilflich sein zur Begründung einer Existenz, dann war er schon durch die Erbschaft seines Großvaters und den Verlag seines Vaters mit diesen Geschäften einigermaßen vertraut, und schließlich war dies der bequemste Weg, seine eigenen ersten Werke schnell zum Druck zu bringen. Diese Unternehmung fesselte ihn nun an Berlin, aber nebenbei begann er jetzt, sich als Musikschriftsteller mit Beiträgen für die »Berliner allgemeine musikalische Zeitung« die ersten kritischen Sporen zu verdienen. Damit begann eine Tätigkeit, die ihm zu einem Lebensberuf wurde, und dieses sein engeres Bündnis mit der Musik erhielt gewissermaßen seine Weihe durch die Bekanntschaft Rellstabs mit Beethoven. Im Frühjahr 1825 war er nach Wien gereist, hatte die Vertreter der dortigen Literatur, Friedrich Schlegel, Franz Grillparzer, Karoline Pichler, den Humoristen Castelli usw. besucht und war sogar in die berühmte Gesellschaft »Ludlamshöhle« unter dem Spitznamen »Spreesprung der Kühne, Ludlams Constabler« aufgenommen worden. Eine Empfehlung Zelters führte ihn bei Beethoven ein, und der große Komponist, dessen Kraft ein trübes Schicksal schon damals fast gebrochen hatte und der als menschenscheuer Einsiedler in Wien lebte, fühlte sich von der enthusiastischen Schwärmerei des jungen Berliners so angezogen, daß er ihn nach vielen Stunden gemeinsamer Unterhaltung über Opern und Gedichte, die Rellstab entwarf oder ihm vorlegte, mit Umarmung und Kuß entließ, ein Erlebnis, auf das dieser mit Recht stolz sein durfte. Aber auch diesmal machte der Tod allen Plänen ein Ende, Beethoven starb zwei Jahre später; ein Teil der ihm von Rellstab übersandten Gedichte gelangten später an Schubert, der auch eine Anzahl davon komponiert hat.

In Wien hörte Rellstab, zum erstenmal Henriette Sontag, deren Namen bald darauf so oft mit dem seinigen genannt werden sollte. Am 3. August 1825 trat die Sängerin in Berlin auf, auf dem Theater der Königsstadt, die sich zur Hebung ihrer schlechten Finanzen den eben neu aufgegangenen Stern durch die Gewandtheit ihres Theatersekretärs Karl von Holtei gesichert hatte, und nach wenigen Tagen war die preußische Hauptstadt der Schauplatz eines Theatertaumels, wie ihn die Geschichte nicht ähnlich wieder gesehen hat. Diese sprichwörtlich gewordene »Sontagzeit« war in der Tat ein historisches Ereignis; der Enthusiasmus des Volkes, der in jener Epoche der politischen Reaktion ohne jedes Ziel war, warf sich mit explosiver Wucht auf eine Erscheinung, die jenseit aller öden Wirklichkeit lag. Es blieb nicht bei den alles Dagewesene überschreitenden Ovationen im Theater- und Konzertsaal; die Begeisterung setzte sich auf die Straße fort; man bestreute den Weg der Sängerin bis zu ihrem Hause mit Blumen, die Regimentsmusikchöre spielten bis spät in die Nacht hinein vor ihren Fenstern, und ein königlich Preußischer Dichter, Friedrich Förster, ließ, mit Rücksicht auf ein von ihr beabsichtigtes Gastspiel in Paris, sogar ein Gedicht drucken, das mit der Drohung endete: wenn etwa die Franzosen die Sängerin in Paris zurückhalten wollten, würden die Preußen zeigen, daß sie ihre Viktoria nochmals von dort heimholen könnten. Dieser Sontagtaumel einigte hoch und niedrig, Adel und Bürgertum; selbst der König und sein Hof gaben sich ihm hin. Die Sängerin wurde mit kostbaren Geschenken überhäuft und durfte aus den Fenstern des königlichen Palais einer Parade zusehen, was höchstens fürstlichen Gästen geboten wurde. Von Berlin ist der Ruhm dieser Sängerin ausgegangen, und die dortige Begeisterung setzte sich wie ein nichts verschonender Brand durch Deutschland und Europa fort.

Dem Satiriker, der in Rellstab immer stark war, und besonders in jenen grünen, kritischen Jahren, war mit den Auswüchsen dieser Begeisterung natürlich ein dankbarer Stoff geboten. Er war musikverständig genug, um der Kunst des vergötterten Gastes auch seine Huldigung zu Füßen zu legen; er war keineswegs ihr Gegner, wenn er auch nicht blind gegen ihre Schwächen war; er hat ihr sogar begeisterte Verse der Verehrung gewidmet. Der maß- und kritiklose Taumel der ganzen Öffentlichkeit aber reizte seine Spottlust, und seine satirische Betrachtung verdichtete sich zu einem kleinen Roman, der 1826 unter dem Titel »Henriette, oder die schöne Sängerin. Eine Geschichte unserer Tage von Freimund Zuschauer«, in Leipzig bei F. L. Herbig erschien.

Über die sensationelle Wirkung dieser kecken und derben Satire berichtet ein Zeitgenosse, Varnhagen von Ense, in seinen Tagebuchaufzeichnungen, den »Blättern aus der Preußischen Geschichte«, unterm 31. März 1826: »Hier ist ein Buch angekommen «Henriette, die schöne Sängerin», worin mit Bezug auf die Mlle. Sontag eine Menge von hiesigen Persönlichkeiten und Ärgernissen oft sehr beißend vorgebracht werden. Die Anbeter der Mlle. Sontag, unter ihnen der alte Kommandant General von Brauchitsch und der englische Gesandte, Lord Clanwilliam, die Tagesschriftsteller und Rezensenten, die Schauspieler und Schauspielerinnen, sind nicht geschont. Von Clanwilliam werden die Geschichten mit dem Federbusche des Majors von Meiring, mit den Prügeln von den Kanonieren und anderes dergleichen, alles zwar mit verstellten Namen, aber doch unverkennbar, mitgeteilt. Das Buch ist in Leipzig gedruckt, mit dem Namen des Verlegers; es ist schon kein Abdruck davon mehr zu haben, man riß sich um die in den Buchläden angekommenen. Die ganze Stadt ist mit dieser Sache beschäftigt, man rät alle schlechten und gemeinen Schriftsteller durch, um den Verfasser ausfindig zu machen. Daß Clanwilliam endlich sein Teil bekommen hat, gereicht zum besten Vergnügen. Auch am Hofe macht das Buch Aufsehen, und wird mit gehöriger Schadenfreude gelesen. Der Kronprinz soll seine unerschöpfliche Lust daran finden, und das Buch sehr talentvoll und geistreich nennen. Andre, sonst ganz Unbeteiligte, sagen, es sei platt und gemein, und der Verfasser habe sich dem Teufel umsonst ergeben.«

Rellstabs »Henriette« ist noch heute lustig zu lesen, sie ist geschickt erfunden und mit Witz und Humor geschrieben. Varnhagens Bericht sagt schon, gegen wen sich die Satire darin richtet; die Sängerin selbst spielt in dem Roman eine durchaus sympathische Rolle, wenn ihr auch eine derartige Verherrlichung in Verbindung mit dem dadurch verursachten Skandal denkbar peinlich sein mußte. Die Einkleidung der satirischen Bosheiten war so dürftig wie nur möglich, über die Identität der gemeinten Personen konnte kein Zweifel bestehen, und außerdem waren sie mit nur leicht maskierten Namen bezeichnet: Ruhwitz ist Gubitz, der Herausgeber des »Gesellschafter«, Raupenbach der Dramatiker Ernst Raupach, Schillibold Arecca ist Wilibald Alexis, Puckbulz der Theaterkritiker Friedrich Schulz, der in Berlin allgemein »Spuckschulz« genannt wurde, usf. Schwer beleidigt fühlte sich von allen jedoch nur einer, der englische Gesandte, der eine Zeitlang für den Bräutigam der Sängerin galt, sich die derbe Züchtigung in Rellstabs Roman aber durch sein stadtbekanntes Benehmen völlig verdient hatte. Statt den Beleidiger vor die Pistole zu fordern, bearbeitete er das Ministerium des Auswärtigen, gegen Rellstab wegen Verletzung des Völkerrechts durch Beleidigung eines Gesandten gerichtlich vorzugehen, und nach eineinhalbjährigem Prozeß wurde der Verfasser der »Henriette« zu drei Monaten Festungshaft verurteilt, die er im Sommer 1828 in Spandau absaß.

Mittlerweile war Rellstab aber bereits eine kritische Macht in Berlin auf musikalischem Gebiete geworden. Mochte seine »Henriette« auch nicht gerade ein erfreuliches Produkt sein, so hatte sie doch bewiesen, daß ihm alle Waffen der Kritik und Satire zu Gebote standen, und da seine Musikkenntnis außer Zweifel war, übertrug ihm der Eigentümer der »Vossischen Zeitung« im Herbst 1826 das ständige Referat für die Oper und Musik. Das erste Jahr dieser seiner Wirksamkeit war an musikalischen Ereignissen ersten Ranges so überaus reich, daß sich ein geschickter Journalist, noch dazu mit einer solch plötzlichen Berühmtheit beglückt, bei dem allgemein gespannten Interesse im Flug einen großen Leserkreis erobern mußte. Ein »Jubeljahr des Gesanges« war mit 1827 eingezogen, denn die Namen einer Catalani, Nannette Schechner, Wilhelmine Schröder-Devrient, Anna Milder und Henriette Sontag prangten hintereinander auf den Theaterzetteln der Königlichen Bühne oder der Königsstadt, und der einmal entfachte musikalische Enthusiasmus der Berliner Bevölkerung kam kaum mehr zu Atem.

Das großstädtische Terrain war demnach für einen jungen Schriftsteller überaus günstig, und Rellstab versäumte auch nicht, mit allen Truppen ins Feld zu rücken. Neben seiner kritischen Berichterstattung begann er eine umfangreiche literarische Tätigkeit. 1825 hatte er zwei Bändchen »Sagen und romantische Erzählungen« erscheinen lassen, denen 1829 ein dritter Band folgte. 1826 übersetzte er das Werk von Walter Scott »Über das Leben und die Werke der berühmtesten englischen Romandichter«, und 1827 folgte eine Sammlung seiner »Gedichte«. Die Hochflut des Theaterinteresses, die hauptsächlich den musikalischen Leistungen zu danken war, hatte auch in die literarische Tagesliteratur der Hauptstadt eine lebhafte Bewegung gebracht. Die Journalgründungen des Humoristen Saphir bedeuteten den eigentlichen Beginn der Berliner Journalistik; er führte zum erstenmal die sogenannte Nachtkritik ein und brachte es fertig, seine kritischen Glossen über die abendlichen Vorgänge bereits am andern Morgen zum Frühstück aufzutischen, während sich bisher das kritische Echo über künstlerische Darstellungen in den schwerfälligen alten Zeitungen erst nach zwei bis drei Tagen vernehmen ließ. Sein immer schlagfertiger schonungsloser Witz machte ihn eine Zeitlang zum offiziellen Narren der ganzen Stadt, sogar des preußischen Hofes, denn der damalige König Friedrich Wilhelm III. wandte diesem Schalk seine besondere Gunst zu, und es gab Zeiten, wo Saphir von all dem Zensurzwang so gut wie befreit war, unter dem die ganze übrige Presse seufzte. Schon diese empfindliche Konkurrenz hatte zur Folge, daß Saphir bald mit der Mehrzahl der Berliner Schriftsteller in heller Fehde lag; jede Nummer seines »Berliner Courier« oder seiner »Berliner Schnellpost« brachte einen neuen Skandal, man bewarf sich gegenseitig mit Pamphleten in Prosa und Versen und schleppte die ganze schmutzige Wäsche der Literatur auf den Markt vor die Augen eines johlenden Publikums. Durch seinen zügellosen Witz hatte Saphir die Lacher doch schließlich immer auf seiner Seite, und die öffentliche Ruhe stellte sich erst wieder her, als er sich auch bei seinen mächtigen Gönnern unmöglich gemacht hatte und 1829 Berlin verlassen mußte. Um die bessern Elemente der Literatur zu sammeln, gründete Rellstab mit einem Freunde Coppenhagen das »Allgemeine Oppositionsblatt (Berliner Stafette), eine Zeitschrift für Literatur und Kunst«, das 1828 und 1829 erschien, ohne aber eine besondere literarische Mission durchführen zu können. Die Musik war Rellstabs Domäne, und um neben der »Vossischen Zeitung« noch ein eigenes Organ zu haben, wo er eingehender seinen Standpunkt verteidigen konnte, gründete er 1830 eine musikalische Zeitschrift »Iris im Gebiete der Tonkunst«, die sich bis zum Jahre 1841 behauptete.

Das Bleibende unter diesen mancherlei Unternehmungen wurde aber Rellstabs Stellung an der »Vossischen Zeitung«. Sein Leben hatte damit in eine Bahn gelenkt, die er nicht mehr verlassen sollte. Vom 3. November 1826 an, wo seine erste Kritik über die Aufführung von Webers »Euryanthe« im Königlichen Opernhaus am 31. Oktober erschien, bis zu seinem letzten Lebenstage hat er dieses Amt verwaltet und noch am Abend vor seinem Tode in der Nacht vom 27. bis 28. November 1860, also volle 32 Jahre, war er auf diesem Posten, auf dem er ungewöhnliche Erfolge erzielte. Für die Geschichte der Musik hat Rellstabs kritische Tätigkeit ihre anerkannte Bedeutung. Natürlich war sie nicht frei von Einseitigkeiten und Irrtümern, die zuzugeben er übrigens tapfer genug war, und wie schon Rellstabs Vater die Vorliebe seines Sohnes für Webers Kompositionen nicht begreifen konnte, so war auch Ludwig Rellstab nicht immer ein Freund der jungen Künstlergeneration, die in den dreißiger und vierziger Jahren auftrat. Rellstab war, wie sein Zeitgenosse und Landsmann Karl Gutzkow sich ausdrückte, der »Verteidiger des 24pfündigen, klassischen Kalibers«. Seine Ideale waren Gluck, Haydn, Mozart, Beethoven, auf der Bühne die Gestalten einer Iphigenie oder Alceste, eines Don Juan oder Fidelio. Seine musikalische Erziehung durch seinen Vater und durch seine Freunde Berger und Klein ist für sein Urteil allzeit bestimmend gewesen. Er hatte eine unbeschränkte Vorliebe für die ältere deutsche Musik, und seine Ablehnung so vieles Fremden beruhte auf einer warmen nationalen Empfindung. Er konnte sich mit Recht darüber empören, daß der deutschen Kunst meist die notwendigsten Mittel fehlten, um ins Leben zu treten, während der fremdländischen Produktion, besonders der Italiener und Franzosen, Tür und Tor geöffnet und jede Laune gewährt wurde. Aus diesem Gesichtspunkt ist auch sein leidenschaftlicher Kampf gegen Spontini zu betrachten. Gegen ihn schleuderte er 1827 eine heftige Broschüre »Über mein Verhältnis als Kritiker zu Herrn Spontini als ersten Komponisten usw. nebst einem vergnüglichen Anhang«,und er führte diesen Kampf als eine heilige Sache zum Schutz der deutschen Musik, die er von dem mächtigen Generalmusikdirektor auf dem hervorragendsten Posten Deutschlands ungebührlich vernachlässigt sah, mit hartnäckiger Konsequenz. »Meine Schrift gegen Spontini«, schrieb er am 12. November 1827 an seinen Verleger Brockhaus, »ist hier schon verboten noch ehe sie erschienen ist. Mir ist es lieb für die Sache, denn offenbar liegt darin das Bekenntnis, daß man mit Gründen nichts dagegen vermag. Aber es empört, daß die Schlechtigkeit so durch die Staatsgewalt beschützt wird. Trotz alledem bin ich überzeugt, daß die Schrift, da sie nur Wahrheit enthält und gegen alle Verbote erst desto mehr verbreitet werden wird, Spontini gewaltig schaden wird, selbst beim Könige.« So leicht war aber der Allgewaltige nicht aus dem Sattel zu heben; er hatte einen mächtigen Rückhalt an dem preußischen König, der für Spontinis Musik schwärmte. Rellstab ließ aber nicht nach, und schließlich holte auch Spontini zu einem Schlage aus: durch ein persönliches hartes Zusammentreffen erbittert, sammelte er alle Kritiken, die Rellstab gegen ihn geschrieben hatte, und strengte nicht weniger als fünfzehn Injurienklagen gegen ihn an. Das Kammergericht sah zwar darin nur ein einheitliches Vergehen, verurteilte aber den Kritiker zu sechs Wochen Haft. Die öffentliche Meinung stand hierbei durchaus auf Seite des letztern. Man wollte die Kosten des Spontini-Prozesses durch Subskription decken, und als kurz nach Rellstabs Freilassung sein Trauerspiel »Die Venetianer« auf dem Königlichen Theater am 13. Februar 1837 aufgeführt wurde, brachte das Publikum dem Dichter und unbestechlichen Kritiker eine ostentative Huldigung dar. War er auch in Wirklichkeit unterlegen, so war der moralische Sieg dennoch sein. Übrigens gab er später selbst zu, daß er »bei diesen redlichen Kämpfen für Kunst und wahres Recht der deutschen Künstler sich der Schuld zeihen müsse, mit unvorsichtig gebrauchten Waffen und zu leidenschaftlich gefochten zu haben«. Nicht vergessen soll es Rellstab schließlich werden, daß er ein unerbittlicher Feind aller künstlerischen Industrie und jedes reklamehaften Scharlatanismus gewesen ist. Auch war er bei aller Einseitigkeit bereit, sich belehren zu lassen und hat sich nicht eigensinnig an einem einmal ausgesprochenen Urteil festgeklammert; er hat seine Ansichten mehrfach gewechselt entsprechend dem Wort eines geistreichen Franzosen, daß der nie eine Ansicht besessen, der sie nie gewechselt.

Als Operndichter ist Rellstab nach seinen ersten jugendlichen Versuchen und trotz der aufmunternden Verheißungen von Weber, Beethoven und andern nicht weiter hervorgetreten. Sein späterer Text zu Meyerbeers »Feldlager in Schlesien«, das am 7. Dezember 1844 zur Eröffnung des neuen Opernhauses in Berlin aufgeführt wurde, kommt kaum in Betracht. Er war so sehr Gelegenheitsarbeit, daß man sogar wissen wollte, der Plan dazu stamme vom Könige selbst, und Tieck und Raupach hätten daran mitgearbeitet. Die Hauptsache dabei war die pomphafte Vorführung der historischen Kostüme aus dem Siebenjährigen Krieg. Nur insofern war diese Dichtung von Interesse, als sie ein Mitglied des preußischen Königshauses, Friedrich den Großen, flötespielend auf die Bühne bringen wollte, was bekanntlich noch heute verboten ist. Im letzten Augenblick schritt denn auch die Zensur ein, und der große König mußte seine Flöte hinter dem Vorhang blasen; die schlagfertigen Berliner fanden darauf sofort den Witz: »Der alte Fritz ist flöten gegangen.«

Rellstab hat daher der Musik keine neuen Ziele gesteckt, aber er hat mit redlichem Eifer dafür gekämpft, daß die großen klassischen Werke einer ältern deutschen Periode nicht in Vergessenheit gerieten und recht gewürdigt wurden. Seine historische Bedeutung liegt deshalb weniger in seinen kritischen und programmatischen Aufsätzen für die Zeitschrift »Iris«, als vielmehr gerade in seiner kritischen Tätigkeit für die »Vossische Zeitung«, wo er als populärer Berichterstatter durch Lebendigkeit des Stils, Wärme der Darstellung und Verständnis für künstlerische Persönlichkeiten das großstädtische Publikum musikalisch mit erzogen hat. Er verstand es meisterhaft, seine im Konzertsaal oder Theater gewonnenen Eindrücke wiederzugeben und mit allem Reiz des Augenblicks festzuhalten, so daß seine kritischen Berichte als lebendige Erinnerungen an das Erlebnis dieses oder jenes Abends haften blieben. In der kleinen Auswahl seiner »Musikalischen Beurtheilungen«, die als 20. Band seiner »Gesammelten Schriften« 1847 erschienen ist, zeigen sich alle Vorzüge seiner Darstellung; er hat die flüchtigen Bilder der Bühne oder des Podiums, die Darstellungen einer Henriette Sontag oder Nanette Schechner, Wilhelmine Schröder-Devrient oder Jenny Lind, Pauline Viardot oder Desirée Artôt, das Auftreten hervorragender Virtuosen wie Paganini, Bériot, Thalberg, oder Begebenheiten wie das Begräbnis Zelters mit der ganzen Vielseitigkeit ihrer Eindrücke und Stimmungen festzuhalten verstanden und Personlichkeiten wie seinen Freunden Berger und Klein, Mendelssohn und Liszt pietätvolle CharakteristikenBesonders erschienen: »Franz Liszt. Beurteilungen. – Berichte. – Lebensskizze.« Berlin, 1842. – »Ludwig Berger, ein Denkmal.« Berlin, 1846. von dauerndem Werte gewidmet. Diese Kunst der Berichterstattung verschaffte ihm eine ungewöhnliche Popularität. Es gab Zeiten, wo der rechte Berliner seinen eigenen Ohren nicht traute, ehe nicht die Chiffre L. R. seinen Eindruck bestätigt hatte; ja Rellstab wurde durch diese Popularität ein entscheidender Faktor für die Entwicklung des Blattes, an dem er wirkte. »Es ist nicht zuviel gesagt, wenn man die große zunehmende Popularität der Vossischen Zeitung ... auf Rellstabs mannigfaltige und in manchen Dingen maßgebende journalistische Wirksamkeit zurückführt« sagt der Chronist der »Vossischen Zeitung« (Arend Buchholz, »Die Vossische Zeitung«, Berlin, 1904, S. 98). Rellstab war der eigentliche Begründer des Feuilletons in jenem Blatte. Auf die Musikkritik war seine redaktionelle Wirkung an jener Zeitung keineswegs beschränkt; er führte viele Jahre hindurch auch einen Teil der politischen Redaktion, wie er überhaupt politisch stark interessiert war; das zeigt schon die eindringliche »Zueignung« seines Romans »1812«. Die tägliche Lektüre aller hervorragenden Erscheinungen auf dem Büchermarkt ließ zahllose literarische Aufsätze und Kritiken aus seiner rastlosen Feder fließen, und seine Popularität in der Berliner Bevölkerung machte ihn zum berufenen Berichterstatter über alle festlichen Ereignisse der Öffentlichkeit; seine alljährlichen Wanderungen durch den Weihnachtsmarkt besaßen eine gewisse Berühmtheit, und wer in Kunst und Industrie eine Neuigkeit zu bieten hatte, dessen Erfolg schien gesichert, wenn ihn Rellstab mit einigen Zeilen seinem Lesepublikum vorstellte. Auf diese seine Anhängerschaft in der breiten Masse gestützt, konnte er es auch wagen, eine eigene Wochenschrift herauszugeben, die sich neben der Belletristik lediglich lokalen Interessen widmete. Sie erschien 1835 unter dem Titel »Berlin«; ihre etwas allgemeiner gehaltene Fortsetzung von 1836 nannte sich »Berlin und Athen«. Er schrieb diese beiden Jahrgänge von 75 Druckbogen fast völlig allein; der einzige dauernde Mitarbeiter, den er hatte, war der Zensor; da dieser ihm aber sein Redaktionsprogramm regelmäßig durchkreuzte, wuchs ihm schließlich die Arbeit über den Kopf, und er gab das Unternehmen auf. Einige der darin enthaltenen Aufsätze erschienen gleichzeitig auch als Buch unter dem Titel »Genre- und Fresko-Skizzen aus Berlin und Athen«; in einer neuen Ausgabe 1838 erhielten sie den Titel »Scherz und Ernst. Zusammengenähete Schriften«.

Die Popularität Rellstabs war so groß, daß er in den Revolutionstagen des Jahres 1848 es wagen konnte, als Abgesandter der den Frieden ersehnenden Bürgerschaft über die Barrikaden weg und durch das Militär hindurch am 19. März zum Könige vorzudringen und ihm den Entwurf einer Proklamation vorzulegen, die den Frieden zwischen Bürgern und Militär wiederherstellen sollte und worin der König ankündigte, daß er ohne weitere Begleitung nach Entfernung des Militärs sich in den Straßen zeigen werde. Die Proklamation Friedrich Wilhelms IV. »An meine lieben Berliner«, die so viel böses Blut in der Bürgerschaft machte, war aber schon gedruckt, und der König ließ sich auch durch Rellstabs eindringliche Zureden nicht bewegen, sie zurückzunehmen. Der von Rellstab angeratene Ritt des Königs durch die Straßen der Stadt im Schutz einer Friedensfahne fand zwei Tage später aus eigener Initiative des Königs statt. Ein deutscher Journalist gewann mit diesem Vorgang eine öffentliche Bedeutung, wie sie wohl in Frankreich oder England an der Tagesordnung, in Deutschland jedoch noch heute völlig ungewöhnlich ist. Diese und eine frühere Begegnung mit dem Könige hat Rellstab in dem Schriftchen »Zwei Gespräche mit Sr. Majestät dem Könige Friedrich Wilhelm dem Vierten (am 23. Novbr. 1847, und am 19. März 1848) in geschichtlichen Rahmen gefaßt« (Berlin, 1849) geschildert.

Die Zahl der sonstigen journalistischen Aufsätze Rellstabs ist Legion. Er scherzte gelegentlich selbst darüber, daß er zu gleicher Zeit eine politische Zeitung redigierte, eine musikalische Zeitschrift schrieb und redigierte, für die »elegante Zeitung« korrespondierte und dazu noch »der maître de plaisir der Städte Berlin und Athen« sei. Dabei verfaßte er zahlreiche literarische Aufsätze für Unternehmungen des Brockhausschen Verlages, wie die »Blätter für literarische Unterhaltung«, korrespondierte eifrig für dessen »Leipziger Allgemeine Zeitung« – im Jahre 1837 schwebten zwischen ihm und dem Verleger sogar Verhandlungen über seine Übersiedlung von Berlin nach Leipzig als Redakteur dieses eben neu begründeten Blattes – und war ein besonders eifriger Mitarbeiter an Brockhaus' »Konversations-Lexikon der Gegenwart«. Außerdem korrespondierte er gelegentlich für die »Augsburger Allgemeine Zeitung«, für französische und holländische Blätter und war in allen möglichen Sammelwerken, die literarisches Interesse oder buchhändlerische Spekulation auf den Markt warf, z. B. im »Allgemeinen Theater- Lexikon von Blum, Herloßsohn und Marggraff« (1841) mit Beiträgen vertreten. In seine »Gesammelten Schriften«, deren erste Auflage 1843 – 1848 in 20 Bänden bei Brockhaus erschien, hat er von diesen journalistischen Arbeiten nur wenig aufgenommen. Von dauerndem Wert darunter sind die Charakteristiken des großen Schauspielers Ludwig Devrient und der berühmten Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient; die erstere erschien 1833 in der damals von Heinrich Laube redigierten »Zeitung für die elegante Welt«.

Einen großen Raum unter diesen Arbeiten Rellstabs nehmen seine Reisebeschreibungen in Anspruch. Die Reiseliteratur war eine Schöpfung jener Zeit der ersten freiheitlichen Regungen in Deutschland und ihrer Unterstützung durch die neu erfundenen Eisenbahnen. Heines »Reisebilder« hatten sie zur Mode des Tages gemacht, und kaum ein Schriftsteller dieser Epoche hat sich nicht in ihr versucht. Rellstab war zudem noch ein leidenschaftlicher Tourist; kein Sommer ging vorüber, den er nicht zu einem größern Ausflug benutzte. Der Schriftsteller bedurfte bei seiner starken Produktion dieser Anregung, und dem Publikum, das seiner in Berlin harrte, erzählte er dann seine Fahrten und Abenteuer. Seine »Empfindsamen Reisen«, »Reise-Berichte, –Skizzen, –Episteln, –Satiren, –Elegien, –Jeremiaden« und wie er sie alle benannte, zeigten nichts von dem scharfen Witz Heines oder Börnes. Er schrieb weder »Reisenovellen« wie Laube, noch kulturhistorische Reisebetrachtungen wie Gutzkow. Es sind durchweg humorvolle, hier und da den Verehrer Jean Pauls verratende Plaudereien zwischen Postwagen und Wirtsstube, die mit allerhand besonders für die Berliner verständlichen zeitgemäßen Anspielungen gespickt sind.

Diesen rein feuilletonistischen Skizzen stehen aber auch gehaltvollere Schilderungen seiner größern Reisen gegenüber, die ihn über Deutschlands Grenzen hinaus nach Österreich, Italien, Frankreich, England usw. führten. Auch Paris, das Mekka der damaligen deutschen Reisenden, hat er 1843 besucht, und seine Pariser Briefe sind das Beste, was an solchen Arbeiten von ihm vorliegt.»Reise-Berichte und –Gedichte. Erinnerungen aus den Sommerwandertagen 1841.« 2 Teile. Leipzig, 1842. – »Paris im Frühjahr 1843. Briefe, Berichte und Schilderungen.« 3 Bde. Leipzig, 1844. – »Sommermärchen in Reisebildern aus Deutschland, Belgien, Frankreich, England, Schottland im Jahre 1851.« 3 Teile. Darmstadt, 1852.

Rellstabs starke Reiselust hatte außerdem noch eine praktische Seite. Er war einer der journalistischen Pioniere der Eisenbahn und hat ihre Sache von Anfang an mit unermüdlichem Eifer verfochten, durch geistreiche und lebensvolle Darstellungen die Öffentlichkeit zuerst mit dem Institut ausführlich bekannt gemacht und selbst zu einer Zeit, da manche erst überschwenglichen Hoffnungen in Zweifel und Lauheit übergingen, die Vorteile und praktische Ausführbarkeit des ganzen Unternehmens mit schlagender Beredsamkeit dargelegt. Für die Förderung dieses nationalen Wesens hat er mit seiner gewandten Feder überaus heilsam gewirkt und er wurde später in Anerkennung dieser seiner Tätigkeit zum stellvertretenden Direktor mehrerer Bahnunternehmungen ernannt.

Seine überaus umfangreiche journalistische Produktion hatte übrigens auch sehr materielle Gründe. Die mit seinem Freund Laue gegründete Verlagsbuchhandlung, bei der auch ein Teil seiner ersten Schriften erschienen war, konnte sich nicht behaupten; Laue trat später in türkische Dienste und zeichnete sich als Kommandeur der türkischen Artillerie in der Schlacht gegen die Ägypter bei Nisib aus; aber Rellstab, dessen Vermögen mit jenem Geschäft verloren war, ruhte nicht eher, als bis durch den Ertrag seiner Feder alle Forderungen der Gläubiger beglichen waren.

Mit diesen Andeutungen über Rellstabs kritische und journalistische Tätigkeit ist jedoch nur eine Seite seiner Wirksamkeit bezeichnet. Viel mehr als diese Tagesschriftstellerei, zu der er nach seinem Geständnis nur halbe Kräfte und sein halbes Talent gebrauchte, galt ihm seine dichterische Produktion, der er mit einem staunenswerten Fleiß alle Mußestunden widmete. Er hat sich auf allen Gebieten der Dichtkunst versucht und besonders auf dem der Novelle und des Romans stattliche Erfolge erzielt. Durch die Musik erst war er zur Poesie vorgedrungen, und seine ganze Lyrik steht vorwiegend im Zeichen des Gesanges. Abgesehen von Gelegenheitsgedichten, die im Freundeskreise oder an festlicher Tafel, von Prologen und Festspielen, die bei besondern Ereignissen von der Bühne herab erklangen, haben viele seiner Lieder und Gedichte Komponisten gefunden, zu denen, außer den Jugendfreunden Ludwig Berger und Bernhard Klein, Franz Schubert und Wilhelm Taubert gehörten. Rellstabs Lieder zeichnen sich durch leichte Sangbarkeit und volksmäßigen Ton aus. Schubert hat deren acht in Musik gesetzt, und eines davon »Leise flehen meine Lieder« hat, auch von andern Komponisten wie F. Lachner vertont, die Verbreitung eines Volksliedes gewonnen. Dem Redakteur der »Vossischen Zeitung« lag auch das Amt ob, das neue Jahr oder den Geburtstag des Königs und ähnliche Ereignisse in Versen zu feiern, eine Aufgabe, die für einen liberal gesinnten Mann, und das war Rellstab, mancherlei Schwierigkeiten bot, wenn er nicht zum Schmeichler werden wollte. Er hat sie immer mit Geschick und Geist gelöst und sogar unter dem Mantel dieser Poesie manches freie Wort gewagt, was in der nackten Prosa eines Leitartikels vom Zensor niemals durchgelassen worden wäre. Von diesen Versen hat er 1840 ein besonderes Bändchen als »Erinnerungen an den 3. August in Gedichten« zusammengestellt (Berlin, T. Trautwein). –

Seines ersten Dramas »Karl der Kühne« ist schon gedacht und ebenso eines spätern Lustspiels »1756«, das im Druck nicht erschienen ist. Seine »Gesammelten Werke« enthalten im ganzen sechs Dramen; außer jenem Jugendwerk aus seiner ersten Periode noch »Bianca« und »Franz von Sickingen«, die bereits 1829 vollendet waren. Mit einem weitern Drama »Die Venetianer« fand er am 13. Februar 1837 auf dem Königlichen Theater in Berlin eine freundliche Aufnahme, die aber weniger dem Dramatiker als dem journalistischen Märtyrer galt, der eben von der Festung kam, auf die ihn der Ausgang seines Prozesses mit Spontini gebracht hatte. Denselben Stoff hat er auch zu einer Novelle verarbeitet.

Den stärksten Erfolg auf den Brettern fand er mit einer Dramatisierung des englischen Romans »Eugen Aram« von Bulwer, die Anfang Februar 1839 in Berlin ihre Uraufführung erlebte und über zahlreiche deutsche Bühnen ging. Über die Wirkung der ersten Aufführung schrieb er am 7. Februar 1839 an Brockhaus: »Wenn Sie über mein Trauerspiel und dessen Erfolg nach den Kritiken in den Zeitungen urteilen, so möchten Sie schwerlich einen andern als einen ganz umgekehrten Begriff von dem der Wahrheit erhalten. Er war so glänzend als ich ihn nur wünschen konnte; das Publikum saß in fast atemloser Spannung, die ich, so hoffe ich, nicht durch widerwärtige französische Mittel erregt habe, wie man mir vorwerfen will. Der Eifer war so groß, daß man gegen eine opponierende Clique bis zum Hinauswerfen und Arretieren scharf wieder opponierte, und diese führt das Regiment in unsern Zeitungen und Journalen – voilà tout. – Beiläufig war die Darstellung von einer solchen meisterhaften Vollendung, besonders E. Devrient, daß ich bloß deshalb es sehr bedaure, Sie nicht zum Zeugen derselben gehabt zu haben.« – Außerdem ist noch eine Posse in einem Aufzug von ihm zu nennen, »Die drei Tanzmeister«, die 1836 in Cosmars Theateralmanach erschienen ist.

Weitaus am umfangreichsten ist Rellstabs Tätigkeit auf novellistischem Gebiet. Die Zahl seiner kleinern und größern Novellen ist überaus groß, und es ist erstaunlich, daß ihm seine Tagesarbeit als Journalist noch so viel Ruhe und Erfindungskraft übrig gelassen hat. Rellstab produzierte ungewöhnlich leicht und schnell; er war sogar imstande, als Erzähler zu extemporieren und so lebhaft vorzutragen, daß er seiner Wirkung immer gewiß war. Als er 1822 mit Freunden den Mainzer Dom bestieg, erzählte er auf der Spitze des Turmes die noch ungeschriebene Novelle »Die Gewerke«, eine Geschichte vom Freiburger Dombau, und zwar so drastisch, daß seine Begleiter vom Schwindel erfaßt wurden und froh waren, als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatten. Diese Arbeiten erschienen meist in Almanachen, Taschenbüchern und Volkskalendern und wurden im Lauf der Jahre zu einer Reihe von Sammlungen»Erzählungen, Skizzen und Gedichte« 2 Bde. Berlin, 1833. – »Blumen- und Ährenlese aus meinem jüngsten Arbeitslustrum. Gesammelte Schriften.« 2 Bde. Leipzig, 1836. – »Sommerfrüchte, Gesammelte Erzählungen« 2 Bde. Leipzig, 1838. – »Sommerblumensträuße, den h«lden Frauen gewidmet« 2 Bde. Leipzig, 1842. – »Garten und Wald, Novellen und vermischte Schriften« 4 Bde. Leipzig, 1854. – »Fruchtstücke, Novellen.« 2 Bde. Berlin, 1861. vereinigt; ein großer Teil davon findet sich auch in seinen »Gesammelten Schriften«. Rellstabs Novellen beruhen hauptsächlich auf überraschender Kombination äußerer Begebenheiten und auf überaus phantastischer Erfindung. Er begibt sich mit Vorliebe in Zeiten kriegerischer Aufregung, wie er deren allerdings mehrere mit durchlebt hatte. Die Zeit des Krieges zwischen Deutschland und Frankreich und die Gegenden an der Rheingrenze bevorzugt er besonders; der Schatten des großen Kaisers taucht in mehrern seiner Novellen auf. Die spannende Verknüpfung der Begebenheiten hat seinerzeit diesen Novellen zahlreiche Leser gewonnen und reizt auch heute noch die Neugier, wie wohl der Erfinder die verzwickten Knoten auflösen möge. Die energische Bewegung der ganzen Komposition, gewissermaßen ein militärisches rücksichtsloses Draufgehen aufs Ziel, läßt für die feinere Charakteristik der Personen weniger Raum. Die Schilderung ist meist einfach, nicht übertrieben, stellenweise etwas nüchtern. Gelegentlich gerät ihm auch etwas in E.T.A. Hoffmanns Manier, z. B. »Eine Skizze aus Johannes Kreyßlers Tagebuch«, worin er sich sogar als den Besitzer von Kreyßlers Nachlaß bezeichnet, oder die andere Skizze »Nachbar Stalactitius«, worin das, was über die Vergangenheit des Virtuosen Paganini, über sein Bündnis mit dem Teufel usw. an geheimnisvollen Sagen umging, novellistisch behandelt ist; musikalische Motive sind hier ganz in der Art des Dichters der »Elixiere des Teufels« verwertet. In andern Novellen ist er lehrhaft und gibt warnende Exempel für die untern Volksklassen, z. B. in der »Leichtsinnigen Ehe«, die, wie viele seiner Novellen, für die Leser der Volkskalender berechnet war. Hier zeigt sich im Gegensatz zu den romantischen Flügen seiner Muse eine starke Neigung zu realistischer Darstellung, die dann in Rellstabs Meisterroman »1812« mit einer für die damalige Zeit ganz ungewöhnlichen Kraft und Kühnheit hervortrat. Dieses resolute Erfassen der Situation, die energische Pinselführung und beabsichtigte Grellheit mancher Farben ist Rellstabs allerpersönlichste Note. Das Leben der kleinen Leute, der Handwerker und Arbeiter, hat Rellstab offenbar mit Vorliebe studiert; in seiner Erzählung »Die Steinkohlengrube« hat er sogar eine detaillierte Kenntnis des Bergwerkbetriebes bewiesen. In andern Novellen, wie z. B. der »Badereise«, ist er wieder völlig der Schüler der deutschen Romantik; der Autor verspottet und ironisiert sich allenthalben selbst, tritt überall mit Zwischenreden aus der Handlung hervor, so daß diese Novelle an die romantischen Komödien Ludwig Tiecks erinnert.

Rellstabs Hauptwerke sind drei umfangreiche Romane, mit deren Schöpfung er bewies, daß er sich trotz der zersplitternden journalistischen Tätigkeit immer wieder auf ein größeres Werk zu konzentrieren verstand. Bei dem frühern Soldaten, der während der Freiheitskriege groß geworden war, kann es nicht wundernehmen, daß diese drei Schöpfungen gewaltige Kriegsbilder aufrollen. Die erste, »Algier und Paris« (1830/31), spielt in der Zeit vor der Julirevolution, wo die Eroberung Algiers durch die Franzosen dem König Karl X. den Mut gab, die berüchtigten »Juliordonnanzen« zu erlassen; ihre Folge war die französische Julirevolution. Der Krieg gegen Algier bildet den ersten, die Straßenkämpfe in Paris den zweiten Teil des Romans. Auf diesem stürmischen Hintergrund sind Begebenheiten aufgetragen, die an phantastisch kühner Erfindung nichts zu wünschen übrig lassen.

Einen weitaus glücklichern Griff machte Rellstab mit seinem zweiten Roman »1812«, von dem noch ausführlicher zu sprechen sein wird. Ihm folgte der »Wildschütz« (Berlin, 1835), der mehr seinen Novellen zuzuzählen ist. Dann dauerte es fünfzehn Jahre, ehe er wieder zur Sammlung kam; 1850 begann er die größte Begebenheit der deutschen Geschichte für ein Romangemälde von ungeheuren Dimensionen zu bearbeiten. Nach siebenjähriger Arbeit veröffentlichte er 1857 unter dem Titel »Drei Jahre von Dreißigen« in fünf starken Bänden den ersten Teil einer Romantrilogie, die nicht weniger als den ganzen Dreißigjährigen Krieg behandeln sollte. Dieses Werk ist jedoch Fragment geblieben; ehe er zum zweiten Teil ansetzen konnte, nahm ihm der Tod die Feder aus der Hand. Immerhin erlebte der in sich abgeschlossene erste Teil, noch ehe die letzten Bände erschienen waren, eine zweite Auflage. Der Roman ist das Resultat einer gewaltigen historischen Forscherarbeit. Die Ereignisse zwischen dem Fenstersturz in Prag und der Schlacht am Weißen Berge, die den Krieg Böhmens mit Österreich blutig beendete, hat Rellstab überaus gründlich studiert und die Hauptschauplätze der Begebenheiten auf vielen Reisen besucht. Seine Vorliebe für kriegerische Ereignisse und ungeheuerliche Vorgänge konnte sich auf diesem Felde nach Herzenslust ausleben. Die Begebenheiten sind auch hier der eigentliche Gegenstand des Romans; in der Verknüpfung historischer Fakta und der Deutung geschichtlicher Symptome hat der Verfasser eine staunenswerte Virtuosität entwickelt. Auch in der Charakteristik hat er hier sein Bestes getan; die Hauptgestalten der kriegführenden Parteien, der Kaiser Matthias und sein Neffe Ferdinand II., auf der Gegenseite im besondern die Führer Graf Thurn und Mansfeld, treten kräftig in den Vordergrund. Alles atmet Leben und Bewegung; das rastlose, lärmende Treiben des Krieges erfüllt das ganze Buch, und die Mannigfaltigkeit grandioser historischer Bilder ist überwältigend. Die Fortsetzungen im gleichen Fortissimo zu halten, dürfte aber selbst Rellstab schwer gefallen sein. Heinrich Laube ist ihm wenige Jahre später auf diesen Spuren mit seinem neunbändigen »Deutschen Krieg« gefolgt. l

Das reifste und abgerundetste der Werke Rellstabs wurde sein Roman »1812«; hier ist seine poetische Kraft zum erfolgreichsten Ausdruck gekommen. Dieses Werk steht seinem Erleben am nächsten, es wuchs aus den furchtbaren Eindrücken empor, die sich dem Knaben eingeprägt hatten. Seit 1823 schon trug er den Plan dazu ernstlich mit sich herum; nach reiflicher Vorbereitung ging er 1831 an die Niederschrift und vollendete diese im Juli 1833. »Es ist das Hauptwerk meines Lebens«, schrieb er am 3. August dieses Jahres an seinen Verleger Brockhaus, »ich werde vielleicht einzelnes Bessere noch liefern, aber nichts mehr in diesem großen Zuschnitt.« Die ursprüngliche Anlage des Romans war noch weit umfangreicher als die schließliche Ausführung; sie sollte, wie die Vorrede besagte, das ganze Europa umfassen, soweit es damals von Kampf und Krieg bewegt wurde. Die gigantische Masse des Stoffes wuchs ihm aber über den Kopf, er mußte sich auf die Hälfte beschränken, und auch diese war nur zu bewältigen, indem die ursprüngliche Dreiteilung des Ganzen auf vier Bände ausgedehnt wurde. Gründliche historische Studien waren natürlich vorhergegangen; die »Geschichte Napoleons und der großen Armee während des Jahres 1812« vom Grafen Philipp von Ségur, die 1824 in Paris erschienen war, bot ihm die reichste Ausbeute für die Darstellung der Kriegsereignisse und für die furchtbaren Szenen des Rückzugs der französischen Armee. Aus den Erinnerungen seiner Jugend aber schöpfte er die einheitliche Stimmung, die über dem ganzen Werke ruht und den Leser noch heute packt und mit sich fortreißt. In dieser Hinsicht hat Rellstabs Roman eine historische Bedeutung, er ist ein Denkmal seiner Zeit, ein gewaltiges Panorama einer Epoche, deren Perspektiven in der Tat unermeßlich waren, und schildert mit unparteiischer Wahrheit den Vulkan, dessen Ausbruch ganz Europa erzittern machte. Er ist kein Beitrag zu dem in den dreißiger Jahren übertriebenen Napoleon-Kultus in deutschen Landen, wenn er auch der überragenden Größe des neuen Cäsars alle Gerechtigkeit widerfahren läßt. Er zeigt das damalige Europa, wie es fast hilflos im Bann des Übergewaltigen lag, und erhöht dadurch nur unsere Bewunderung vor der Kraft, die schließlich jene Fesseln zu brechen vermochte. Kein anderes deutsches Literaturwerk in erzählender Form hat das mit gleicher Wirkung bisher versucht.

In dem Gefühl, sein Bestes getan zu haben, war Rellstab seines Erfolges ungewöhnlich sicher, und er hoffte sein Werk gleichzeitig auch in fremden Sprachen erscheinen zu sehen, wie schon sein »Algier und Paris« einen französischen, holländischen und schwedischen Übersetzer gefunden hatte. Diese Hoffnung erfüllte sich jedoch erst später, als der unleugbare Erfolg des Originalwerks auch die fremden Verleger ermutigt hatte. »1812« erschien im Frühjahr 1834. Bereits ein Jahr nach Erscheinen machte sich ein Neudruck nötig, 1843 erschien die dritte, 1854 die vierte, 1860 die fünfte und 1892 die sechste Auflage. Wie stark das Buch gelesen wurde, darüber enthalten die Tagebücher des Verlegers Heinrich Brockhaus eine interessante Notiz. Er besuchte im Oktober 1855 einen Geschäftsfreund in Lindau und berichtet von dort:

Der Buchhändler Stettner sagte, das noch immer am allermeisten gelesene Werk sei aus unserm Verlag, und wies mir dann einen Band von Rellstabs »1812«, in einer Weise zerlesen und zusammengeflickt, daß man kaum begreift, wie es noch jemand zum Lesen in die Hand nehmen mag. Ein Leihbibliothekar könnte eben manchen sehr interessanten Beitrag zur Statistik der deutschen Literatur liefern, und erst bei Vergleichung des Absatzes eines Buchs mit den Listen eines Bücherverleihers würde sich ein richtiges Urteil herausstellen über die Verbreitung der neuesten Unterhaltungsbücher und über den Beifall, den diese und jene Autoren im Publikum finden.

Bekanntlich ist diese schon hier vorgeschlagene Statistik zur Feststellung der gelesensten Bücher neuerdings regelmäßig im Schwange. Jenes Bibliotheksexemplar hat sich dann Brockhaus zur Erinnerung ausgebeten und gegen ein neues eingetauscht; zerlumpt und gebräunt steht es noch heute als Denkmal seiner selbst im Archiv des Verlages.

Abgesehen von Druckfehlerberichtigungen hat der Roman in seinen verschiedenen Auflagen keinerlei Veränderungen erlitten. Auch dieser Neudruck gibt daher den unveränderten und unverkürzten Text der Originalausgabe. Von den frühern Ausgaben unterscheidet sich diese neue nur durch andere Anordnung des Drucks und durch die Beigabe der Illustrationen. Rellstabs Roman behandelt weltgeschichtliche Ereignisse, die, wie kaum eine andere Epoche der Geschichte, der bildenden Kunst eines ganzen Jahrhunderts Anregung zu hervorragenden Werken der Malerei geboten haben. Rellstab selbst hat bei der Arbeit vielfach vorliegende Gemälde und Kupferstiche, bildliche Zeugen aus der Zeit des russischen Feldzugs benutzt, und Dichter und Künstler begegnen sich in vielen Punkten. Aus dem reichen Illustrationsmaterial, das die Ikonographie des Jahres 1812 bietet, wurde deshalb eine Auswahl getroffen, und so erstehen in dieser Neuausgabe die Hauptmomente und führenden Persönlichkeiten des Romans auch bildlich vor dem Auge des Lesers. Mit einer Ausnahme gehen die Illustrationen sämtlich auf Originalgemälde zurück.

Man wird angesichts dieser neuen Ausgabe mit Recht fragen: Was hat diesem Roman ein so ehrwürdiges und doch frisches Alter verliehen? Was hat ihn über siebeneinhalb Jahrzehnte siegreich hinweggetragen, daß er noch immer das Interesse der Leser fesselt, und die zahlreiche Nachfrage danach den Verleger zu einem Neudruck ermutigt? – Eine Antwort darauf läßt sich wohl geben. In der großen Masse der Lesewelt ruht tief eingewurzelt die Lust am Fabulieren, die Freude an phantasievoller Kombination, an bunten Ereignissen und abenteuerlichen Schicksalen, und für die Werke, die einmal dieser Lust volle Genüge getan haben – und das hat Rellstabs »1812« in ungewöhnlichem Maße – für diese Werke bewahrt das lesende Publikum eine unbestechliche Pietät. Die Entwicklung der modernen Literatur selbst hat dafür gesorgt, daß die ältere so leicht nicht ausstirbt; sie hat zeitweise die Kunst spannenden Erzählens in Mißkredit gebracht und doch durch alle Künste der Stimmungsmalerei und Psychologie das eigentliche Volk der Leser nicht zu fesseln vermocht. Sie trägt deshalb selbst einen Teil der Schuld, daß heute der Lesepöbel sich mit erschreckender Leidenschaft den Machwerken der üppig aufschießenden Schundliteratur zuwendet und letztere immer mehr an Boden gewinnt. Diese Zeitkrankheit ist durch kein besseres Mittel zu heilen als durch die Verschreibung der starken Erzählertalente, die die deutsche Literatur, wenn auch vorwiegend in einer ältern Periode, so gut aufzuweisen hat, wie die englische und französische. Eines von diesen deutschen Erzählertalenten war Ludwig Rellstab. An dem gerechten Feldzug gegen die Schundliteratur soll daher auch diese Neuausgabe von Rellstabs »1812« teilnehmen, und es ist zu hoffen, daß der altgediente Krieger auch jetzt noch seinen Posten tapfer ausfüllen wird. Die Gegenwart selbst tritt ihm ja wie eine schützende und mitkämpfende Göttin zur Seite. Bald rundet sich ein volles Jahrhundert nach den Ereignissen jener mächtigen Zeit; Tag für Tag richten sich unsere Blicke hundert Jahre zurück in eine Vergangenheit, die aus Blut und Zerstörung, aus dem langjährigen erbitterten Ringen der Völker eine neue, unsere jetzige Welt erstehen ließ. Als bescheidener Herold der glorreichen Jahrhundertfeier, die Deutschland erwartet, wünscht deshalb auch diese neue Ausgabe von Rellstabs »1812« empfangen zu werden.

Mit dieser Darstellung von Rellstabs literarischem Wirken ist auch die Schilderung seines Lebens so gut wie erschöpft. Als Journalist und Schriftsteller ging er völlig in seinem Berufe auf, nicht viele von den Gesandten der »Großmacht Presse« dürfen sich eines solchen Ansehens rühmen, dessen sich Rellstab erfreute, und mit der Feder in der Hand ist er am 28. November 1860 gestorben. Die beiden letzten Jahre waren infolge eines Schlaganfalls durch schwere Krankheit getrübt. Das stürmische Jahr 1848 bedeutete auch für sein Leben einen Grenzpunkt; die politische Entwicklung Deutschlands befriedigte ihn nicht, und die freudige Zuversicht, mit der er bisher der Zukunft seines Vaterlandes entgegengesehen und die seine Freude und Kraft zu vielseitigster Arbeit gesteigert hatte, war gemindert. Nach seinem 25jährigen Jubiläum an der »Vossischen Zeitung« wurde er von einem Teil der Redaktionsgeschäfte befreit und konnte sich jetzt mehr seinem literarischen Schaffen widmen. Er hatte noch die Freude, 1860 eine zweite Ausgabe seiner »Gesammelten Schriften« in 24 Bänden zu erleben. Sein letztes Werk war seine Autobiographie, die unter dem Titel »Aus meinem Leben« 1861 zu Berlin erschien und auch den obigen Ausführungen zugrunde gelegt wurde. Sie umfaßt jedoch nur seine Jugend und Militärzeit und bricht kurz vor Erscheinen seines Romans »Henriette« ab. Die Übersicht über seine literarische Wirksamkeit mußte deshalb aus andern Quellen zusammengestellt werden; ein kleiner literarischer Briefwechsel, der sich in seinem Nachlaß findet und von Rellstabs Sohn, Herrn Professor Dr. Ludwig Rellstab, in dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt wurde, hat mancherlei Anhaltspunkte für die obige Skizze geliefert. Rellstab verheiratete sich am 7. November 1834 mit Emma Henry aus Bromberg, mit der er in glücklicher, durch drei Kinder gesegneter Ehe lebte. Seine Gattin ist 1892 in Berlin gestorben; seine Tochter Henriette (geboren 1837) war mit dem Physiker W. Zenker verheiratet und starb schon 1880 in Berlin. Von den beiden Söhnen lebt der vorgenannte (1842 geboren) als Professor der Kaiserlichen Marineakademie und -schule in Kiel, der älteste, Ernst (geboren 1835), als früherer Versicherungsdirektor in Berlin.

Leipzig, am 1. September 1909
Dr. H. H. Honben


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