Ludwig Rellstab
1812 – Ein historischer Roman
Ludwig Rellstab

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Sechstes Kapiel

Jaromir war mit verhängtem Zügel durch die noch finstern Gassen dem Tore des Kreml zugesprengt. Ein eigenes Grauen beschlich seine Brust, als er allein durch die öde Stadt jagte. Noch hatte er keine zweite Feuersbrunst entdeckt, noch schlug keine Flamme aus dem Giebel fernerer Dächer empor, um die Nacht zu erleuchten. Dennoch hatte er eine dunkle Ahnung der Wahrheit, und die schwarzen Steinmassen der Stadt erschienen ihm wie ein erstarrtes, ausgebranntes, schroff geborstenes Lavameer, das plötzlich seine unterirdischen Schlünde aufreiße, um den ungebändigten Feuerströmen die Bahn zu öffnen. Er mußte durch eine enge, gewundene Gasse reiten, deren hohe Häuser ihm die Aussicht in die Ferne eine Zeitlang versperrten. Als er wieder einen freien Raum erreichte, sah er bereits an drei Stellen zugleich rötlichen Rauch aufsteigen, und plötzlich zuckte eine flackernde Helle durch die Nacht. Es waren die ersten Flammen, welche die Dächer des Basars durchbrachen. Bald rötete sich der Himmel an mehreren Orten, und noch bevor er den Kreml erreicht hatte, hörte er schon die Trommeln der Wachen daselbst. Adjutanten sprengten ihm entgegen; er rief sie an, um zu fragen, wohin er seine Meldung machen könne. »Es ist schon alles in Ordnung«, lautete die Antwort. »Der Kaiser ist benachrichtigt, der Marschall Mortier schon in voller Tätigkeit. Wir haben allen berittenen Truppenteilen und der Artillerie den Befehl zu bringen, schnell die Stadt zu verlassen. Dagegen sollen Sappeurs, Mineurs und Infanterie sich sammeln, um löschen zu helfen. Alle Meldungen gehen an den Marschall Mortier.«

Jaromir sah ein, daß er jetzt nichts Besseres tun könne als zurückreiten, um Rasinski diese Bestimmungen mitzuteilen. Er tat es im gestreckten Galopp; doch teils weil er nicht genau Bescheid wußte, teils weil die seltsame Beleuchtung ihn täuschte, und endlich weil eine ausrückende Kolonne Artillerie, die eine Querstraße sperrte und ihn so zu einem andern Wege zwang als der, den er gekommen war, verirrte er sich und konnte sich aus einem Gewinde kleiner, sich kreuzender Gassen gar nicht zurecht finden, weil sie immer an andern Punkten ausliefen, als wohin ihn die Richtung, nach der er sie wählte, zu leiten schien. Endlich erreichte er einen freien Raum, der schon fast tageshell von Flammen beleuchtet war, und glaubte nun sich links wenden zu müssen. Da erst erkannte er, daß er sich dicht bei seinem Biwaksplatz befand, aber von einer andern Seite auf denselben zurückgekehrt war, wodurch die Gegenstände ihm im ersten Augenblicke halb bekannt und doch fremd erschienen. Das brennende Gebäude zu seiner Rechten war eben das, in welchem Rasinski gewohnt hatte; die Flammen schlugen schon über den Giebel hinaus, und der Rauch wirbelte in einem breiten Strom über die gegenüberliegenden Giebel und Häuser hin, so daß er die Aussicht nach der Seite fast ganz verdeckte. Von Truppen war nichts mehr zu bemerken, doch sah Jaromir aus den noch brennenden Biwaksfeuern, daß der Abmarsch sehr eilig gewesen sein mußte. Sie werden den Befehl, den du bringen solltest, bereits anderweitig erhalten haben, dachte Jaromir, war aber unschlüssig, wohin er selbst sich nunmehr wenden sollte, um die Freunde rasch aufzufinden. Die düstere Stimmung, in der er sich befand, war durch das wichtige Ereignis für den Augenblick einigermaßen abgeleitet worden; jetzt aber, da die Feuersbrünste sich vervielfältigten und die Flammen vielleicht schon von zwanzig verschiedenen Orten her leuchteten, überkam ihn plötzlich eine dunkle Unruhe um Alisetten. Wird sie gewarnt, geweckt sein? Wird sie wissen, wohin sie sich wenden soll in einer so rauhen Nacht des Schreckens? Und wenn sie aufgestört wird von dem tobenden Lärm, wohin wird die Einsame, Verlassene fluchten? In vielen Stadtteilen, wo keine Truppen lagen, oder wo das Übermaß der Müdigkeit alles in festen Schlaf gestreckt hatte, war es noch nicht einmal unruhig geworden, sondern das Verderben brach während der Ruhe des Schlummers herein. Wie, wenn sie in ihrem nach dem Gartenhaus abgelegenen Gemach den Trommelschlag nicht hörte, wenn das Feuer auch diesen Palast ergriff, wenn sie entsetzlich aufgestört –

Er durfte nicht weiter denken; sein Entschluß war gefaßt, zu der Geliebten zu eilen, sie zu wecken, zu warnen, zu beschützen. Indem teilte der Sturm die breiten Wolkenzüge des Dampfes, die sich bis jetzt nach der Gegend, wo Alisette wohnte, gewälzt und sie dem Auge entzogen hatten. Da sah er rote Flammenspitzen über die Bäume des Gartens emporzucken; der Palast mußte schon brennen, wo sie wohnte. Eine ungeheuere Angst überfiel ihn. Er sprengte nach der Gartenpforte; sie war zu eng, um hindurchzureiten. Rasch warf er sich vom Pferde und öffnete das Pförtchen. Jetzt sah er es deutlich, daß der Palast schon in Flammen stand, obwohl dieselben noch nicht ganz ausgebrochen waren. Ohne sich um sein Roß zu kümmern, eilte er im vollen Lauf durch die Gebüsche, um die große Allee zu gewinnen, welche mitten durch den Park führte. »Welch eine Fügung des Himmels, die dir diesen geheimen Pfad gezeigt hat, auf dem du jetzt das teuere, holde Wesen retten kannst!« – Atemlos erreichte er das Ende des Gartens. Der Palast stand still, einsam vor ihm; niemand in seinen weitläufigen Räumen schien erwacht zu sein, niemand die Nähe der Gefahr zu ahnen. Entweder die Bewohner waren schon geflüchtet und gerettet, oder der Schlaf hielt sie noch in dichten Banden und überlieferte die gefesselten, betäubten Opfer stumm dem Verderben. Noch stand das Gebäude nicht in hellen Flammen; aber sie leckten doch schon mit züngelnden Spitzen aus den Öffnungen des Daches und des Erdgeschosses und blitzten durch die schweren, langsam wogenden Dampfmassen, welche sich auf den Zinnen lagerten und das Gemäuer wie ein düsterer Trauerschleier umwallten. Der ganze innere Raum des Gebäudes schien mit Glut und Rauch so gefüllt, als bedürfe es nur noch eines Hauchs, um die Flammen übermächtig nach allen Seiten hinauszuspeien und das Ganze mit ihren brausenden Wogen zu überfluten.

Ohne sich zu bedenken, doch mit angstvoll um die Geliebte pochendem Herzen drang Jaromir in diesen Krater des Todes ein, stürzte die Treppe hinan und stand jetzt vor der Tür ihres Gemachs. Sie war verschlossen. Er pochte, man antwortete nicht. Alisette konnte in einem Nebengemach schlafen und ihn nicht hören; mit einem starken Fußstoß sprengte er daher die Tür auf und stand im Gemach. »Alisette!« rief er, »Alisette! Wo bist du?«

Alles blieb still. War sie schon geflüchtet, oder mußte er sie in einem andern Gemach aufsuchen? – Beim Schein des Feuers, der, durch die hohen Bäume vor den Fenstern verdunkelt, nur matt hereinfiel, suchte und fand er die Tür des Nebenzimmers. Er ging hinein; auch hier war alles still, doch brannte eine Lampe auf einem Tische in der Ecke. Diese ergriff er und schritt weiter. Es war hier weder von Rauch etwas zu spüren, noch fiel der Schein der Flammen hell genug herein, um jemand zu erwecken; auch war alles totenstill, und von dem mehr und mehr wachsenden Lärmen auf der Straße vernahm man hier nichts. Jaromirs Vermutung, daß Alisette noch schlummern möge, wurde ihm fast zur Gewißheit; hastig warf er daher seine Blicke durch das Gemach und schritt, da er keine Spur, daß dasselbe bewohnt sein möchte, erblickte, hindurch. Er öffnete die Tür des zweiten Zimmers und lauschte hinein. Hier sah er ein Bett mit zugezogenen seidenen Vorhängen stehen. Ein heiliger Schauer durchzuckte ihn. »Alisette! Alisette!« rief er. – »Wer ist da?« antwortete ihre Stimme mit ängstlichem Ton. – »Alisette, ich komme, dich zu retten, das Schloß steht in Flammen!« Mit diesen Worten eilte er auf das Bett zu, woher ihre Stimme tönte, um die Geliebte in seinen Armen aus dem Palast zu tragen. »Zurück, zurück!« rief sie ihm zu, indem sie die Vorhänge mit der einen Hand zusammenhielt und ihm mit der andern winkte, sich zu entfernen. »Um des Himmels willen zurück!« Jaromir glaubte, ein Gefühl der Verschämung gebe ihr diese Angst. Doch es blieb ihm nicht Zeit, dasselbe zu bekämpfen, denn eine männliche Stimme rief: »Zum Teufel, was gibt's denn!«

Jaromir erstarrte. Alisette stieß einen lauten Schrei aus. Im gleichen Augenblicke sprang ein Mann von dem Lager auf. »Wer bricht hier herein?« fragte er mit entschlossener Stimme; doch ehe Jaromir antworten konnte, war auch Alisette aufgesprungen, hatte sich ihm zu Füßen geworfen, umklammerte seine Knie und rief: »Verdamme mich nicht, ich bin schuldlos.«

Jaromir stand betäubt, entsetzt, vernichtet. Er sah so viele Schreckensgestalten des Unheils zugleich auf sich einstürzen, daß sein Blick sie nicht mehr unterschied. Er warf die Lampe von sich, und indem er sich die Hände verhüllend vor die Stirn legte, rief er aus: »O, ich Elender!« Alisette hatte seine Knie mit beiden Armen krampfhaft umschlungen. Das aufgelöste Haar wallte ihr über die entblößten Schultern und den hervorquellenden Busen. »Ich stehe nicht eher auf, bis du mir vergeben hast!« rief sie und drückte das Angesicht gegen den Boden. »Und willst du nicht, so zertritt mich; ich will zu deinen Füßen sterben.« Jaromir hörte und sah nicht.

Eine rauhe Hand faßte ihn jetzt beim Arm und rüttelte ihn heftig. »Ich fordere eine Erklärung, Herr Graf, mit welchem Rechte Sie sich unterfangen hier einzudringen.« Jaromir sah sich halb bewußtlos um. Eben brach draußen eine rote Flammenwoge durch das Dach eines unfern stehenden Gebäudes, so daß das Gemach rötlich beleuchtet wurde. Bei diesem Schimmer erkannte er den Obersten Regnard, der im rasch übergeworfenen Mantel vor ihm stand.

Erstaunt fuhr dieser zurück; Alisette, die sich eben aufrichten wollte, schrie laut auf und sank halb ohnmächtig wieder auf den Boden. Jaromir war so betäubt, daß er die Frage des Obersten nicht sogleich fassen konnte. In diesem hatte der unvermutete Schreck mit dem Zorn zu kämpfen; so blieb es einige Sekunden totenstill. »Teufel! Ich frage, was Ihr Eindringen hier bedeuten soll!« rief der Oberst, jetzt wütend ausbrechend; »antworten Sie, wenn Sie ein Mann von Ehre sind.«

Regnard glaubte die Gefahr nicht nahe, und über die benachbarte Feuersbrunst hatte er sich mit dem Mut eines alten Soldaten sogleich wieder gefaßt. Alisette war jetzt angstvoll aufgesprungen. Sie warf sich zwischen Jaromir und den Obersten und rief, indem sie die Hände rang: »Um des Himmels willen, laßt uns flüchten, flüchten! Ich will ja alles bekennen und gestehen!«

Doch mit entsetzlich ausbrechendem Zorn faßte Jaromir den nackten Arm der Flehenden, schüttelte sie, wie der Löwe ein Reh packt, und rief: »Bekenne, Elende! Hast du Lodoiska verleumdet?« – »Vergebung! Gnade!« wimmerte die Entsetzte und wollte vor ihm auf die Knie sinken. Doch Jaromir schleuderte sie grimmig hinweg, daß sie auf das Lager niederstürzte, und rief: »Lügenzüngige Natter! Fliehe, damit ich nicht an dir zum Mörder werde!«

Regnard fiel ihm in den Arm, doch die überlegene Jugendkraft Jaromirs stieß auch ihn zurück: »Wir treffen uns noch; jetzt retten Sie sich, denn der Palast brennt.«

Ein dumpfer Donnerschlag, der aus der Tiefe des Bodens heraufklang, verschlang die letzten Worte. Der Palast bebte, die Fenster sprangen klirrend entzwei, Steine stürzten von der erschütterten, geborstenen Decke herab. »Hölle und Teufel! Was ist das?« fuhr Regnard auf. – »Allbarmherziger Gott!« schrie Alisette und rang die Hände. – »Von dir weiß die Barmherzigkeit nichts«, rrief Jaromir ihr mit dumpfer Stimme und drohend gehobener Hand zu. »Diese Gewölbe stürzen ein über deinen Freveln, und dich verschlingen die Flammen der Hölle.« – »Gnade! Erbarmen! Rettet mich!« jammerte die Unglückselige und schwankte auf Jaromir zu; aber sie vermochte sich nicht mehr auf den Füßen zu erhalten, sondern fiel betäubt, regungslos auf den Boden nieder.

»Wir dürfen sie nicht umkommen lassen,« sprach Regnard entschlossen; »helfen Sie mir sie hinabtragen.« Er suchte sie emporzuheben; Jaromir stand wie eine eherne Bildsäule und starrte das reizende Bild der Ohnmächtigen an. Indem öffnete sich die angelehnte Tür des Nebengemachs, und das Pflegekind Alisettens, die kleine dreijährige Tochter ihrer Schwester, kam herein und stammelte weinend: »Ich fürchte mich so!« Beim Anblick dieses hilflosen Wesens kehrte das Bewußtsein in Jaromirs Brust zurück und mit ihm sein weiches Mitgefühl. Eine tiefe Scham befiel ihn. »Nein! du sollst nicht umkommen, kleines, holdes Wesen,« sprach er sanft, »du nicht und auch nicht diese Verbrecherin.« Er nahm das Kind in seine Arme und hüllte es in einen Schal Alisettens ein. Dieser hatte Regnard bereits einen Mantel übergeworfen, doch vermochte er nicht sie emporzuheben, weil seine Wunde ihn noch hinderte. Jaromir reichte ihm das Kind und sprach: »Nehmen Sie die Kleine!« Dann ergriff er Alisetten, hob sie mit rüstiger Jugendkraft empor und schritt nach der Tür zu. »Mir nach! den Garten können wir noch erreichen«, sprach er. Regnard folgte ihm.

Schon drang dichter Dampf und Schwefelgeruch in die Gemächer ein; doch leuchtete die Flamme von außen her so hell, daß man den Weg nicht verfehlen konnte. Die kleine Treppe, die zum Garten führte, war ganz in Rauch gehüllt, und die Flammen schlugen schon hell von unten herauf. Ohne Zaudern warf sich Jaromir hinein; in drei Sprüngen war er unten und erreichte mitten durch die Flamme das Freie. Regnard war ihm ebenso entschlossen gefolgt. Atemlos, mit versengtem Haar, gewannen sie einen sichern Platz im Garten. Dort setzten sie die Bürden nieder und schöpften Atem. »Wir sind in Sicherheit,« sprach Jaromir mit stumpfem Ton erstarrter Gleichgültigkeit; »durch die Gartenmauer führt eine Pforte, wenn das Tor des Palastes schon in Flammen stehen sollte. Was uns anlangt, Herr Oberst, so werden wir uns wohl wiedersehen!«

Regnard erwiderte nichts. Er ahnte jetzt den Zusammenhang und fühlte, daß er von dem Unglücklichen keine Erklärungen zu fordern hatte. Dieser aber schritt hastig durch den Garten, um sich zu Pferd zu werfen und die Seinigen aufzusuchen. Der treue Rappe stand, obwohl er nicht angebunden war, geduldig an der Pforte des Gartens und schien seinen Herrn zu erwarten. Jaromir schwang sich hinauf und sprengte mit verhängtem Zügel durch die Gassen.

Von allen Seiten standen schon die Gebäude in Flammen; die Nacht war heller als der Tag. Nur wo der verfangene Rauch und Qualm oder der dichte Aschenregen die Luft verdunkelten, war es finster. Die brennenden Straßen schienen ausgestorben; alles war geflüchtet. Die Rettungsmittel wandte man nur an, um die noch unversehrten Teile zu schützen, denn wo einmal das Feuer loderte, war jeder Kampf mit dem übermächtigen Elemente vergeblich. Die Flamme knisterte ringsumher; es schien Jaromir, als seien es die Furien der Hölle, die ihn verfolgten. Sein Roß wurde durch den Sporn und die Angst zugleich getrieben; es flog wie ein Pfeil mit ihm dahin. Doch der Betäubte suchte keinen Ausweg, er führte die Zügel nicht, er achtete auf kein Zeichen, nicht auf die Richtung des Windes; dem Pferde bewußtlos die freie Wahl lassend, geriet er immer tiefer in das labyrinthische Gewinde der brennenden Gassen hinein. Erst als das scheue Tier sich plötzlich wie in einer Flammenhöhle sah und stutzte und umwenden wollte und wieder stutzte, indem es sich scheu aufbäumte und geängstigt die Funken und Feuerflocken aus den Mähnen zu schütteln suchte, da sah er, wohin er geraten war. Die durchglühte Luft war kaum noch zu atmen; das Auge brannte und schloß sich geblendet, ein durchbohrender Schmerz zuckte durch das Gehirn. »Also hier soll ich enden? – Sind es die Flammen der Hölle, die meinen Frevel so schnell bestrafen?«

Das Leben war ihm verhaßt; doch die Natur wehrte sich gegen diese qualvolle Vernichtung. Gewaltsam riß er die geblendeten Augen auf und starrte in das prasselnde Feuermeer, ob sich nirgends ein Ausweg auftue. Ein Windstoß fuhr brausend durch die Flammen, drückte sie mächtig herab und spaltete sie dann, die glühende Mauer gewaltsam mit seinem Strom durchbrechend. Jaromir sprengte in die offene Kluft hinein; einen Augenblick lang teilten sich die Feuerwogen weithin, so daß der Blick bis zu dem Punkte, wo die Rettung winkte, hindurchdringen konnte. Doch schon schlugen die Wellen wieder über seinem Haupte zusammen; plötzlich donnerte und krachte es furchtbar über ihm; ein Dachstuhl stürzte ein, glühende Balken und Steine prasselten herab, Jaromirs Pferd, von einem mächtigen Quader im Kreuz getroffen, brach unter ihm zusammen. Betäubt lag er am Boden; doch raffte er sich wieder auf und drang zu Fuß vorwärts. Schon gab er sich verloren; fast mit geschlossenen Augen, weil sie die Glut nicht mehr ertragen konnten, drang er vorwärts, der Gegend zu, wo er einen Augenblick lang freie Räume gesehen hatte. Da traf plötzlich in dieser Flammenöde eine ernste männliche Stimme sein Ohr: »Wißt ihr uns den Ausweg aus den brennenden Gassen zu zeigen?« rief es ihn von der Seite her an.

Freudig durchschauert, nur einen Todesgefährten aufgefunden zu haben, wandte er sich nach der Seite, woher der Ruf kam. Doch von Ehrfurcht und Schrecken gefesselt, blieb er erstarrt stehen, als er den Kaiser, der mit einigen Begleitern aus einer engen, gewundenen Seitengasse kam, vor sich sah. »Wie? Er selbst? Er, an dessen Haupt das Verhängnis aller hängt, hier in diesem brandenden Feuermeer, wo nirgends mehr ein Rettungsweg zu entdecken ist? Nein, er kann so nicht verloren sein!« Dieses lebendig prophetische Bewußtsein gab ihm Kraft und Besinnung wieder. An der ruhigen Entschlossenheit des unerschütterlichen Mannes, der ihn mit denselben unveränderten Zügen, wie er im Sturm der Schlacht das Steuer lenkte, anblickte, richtete sich sein eigener Mut empor. Er wuchs ihm durch einen Blick auf die verstörten Begleiter und Führer des Feldherrn, die, vom Entsetzen verwirrt, in den wogenden Flammen die alten Spuren der Straßen nicht mehr aufzufinden vermochten. Mächtig durchdrang ihn das Gefühl, daß sein kleines Dasein diesem unermeßlich großen gegenüber nichts gelte, und darum betäubte es ihn nicht mehr, daß es von tausend Schmerzen zerrissen und jetzt von unrettbarem Verderben bedroht war. Ehre und Männerpflicht richteten sich edel in ihm auf.

»Wißt ihr keinen Ausweg?« erneuerte der Kaiser die Frage. »Ja, ich hoffe es,« antwortete Jaromir fest; »doch der Weg geht durch die lodernden Flammen dort.«

»Gut denn! Wir haben nicht Zeit uns zu besinnen«, erwiderte der Kaiser und schritt dahin, wo Jaromirs Hand deutete. Dieser eilte voran, stolz entschlossen, sich mitten in die Glut zu werfen. Doch als trügen die empörten Elemente eine heilige Scheu, den Gewaltigen anzutasten, so erhob sich jetzt der Sturmwind stärker als zuvor und brach eine Gasse durch die Flammen. Jaromir stürzte voran; der Weg ging durch Aschen- und Feuerregen über qualmende Trümmer hinweg. Man atmete Glut; das Auge brannte bis ins Gehirn, Lippe und Zunge verdorrten. Da wehte ein frischerer Lufthauch kühlend über Jaromirs glühendes Angesicht. Das Freie war erreicht; die Rettung gewonnen!


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