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Ich habe den Auftrag übernommen, die nachgelassenen Gedichte eines jungen Mannes herauszugeben, der mir vor Vielen theuer war. Sein würdiger Vater wünschte es. Der Unvergeßliche selbst würde mir, glaube ich, dieselbe Pflicht auferlegen, wenn unsre irdischen Angelegenheiten ihn noch kümmerten; denn seine Muse ist unter meinen Augen aufgewachsen, und das Zutrauen, das er zu mir hatte, ist unverändert geblieben von der Zeit seines ersten Aufenthalts in Göttingen an bis zu dem Augenblicke, da er mir zum letzten Male die Hand drückte. Ein Urtheil über seine Poesie, ihren hohen Werth und ihre Mängel zu fällen, ist hier nicht der Ort; aber ein Theil der Lebensgeschichte des jungen Dichters steht in so enger Verbindung mit der Cäcilie, die in den beiden ersten Bänden dieser nachgelassenen Gedichte zum ersten Male gedruckt erscheint, daß ich schon aus diesem Grunde eine biographische Vorrede, statt jeder andern, für zweckmäßig halten würde, wenn auch sonst dem Publicum nicht daran gelegen seyn müßte, auch von der Seite des wirklichen Lebens einen Dichter näher kennen zu lernen, dessen Name, wenn mich nicht Alles trügt, so lange mit Auszeichnung genannt werden wird, als unsre Sprache lebt. Die meisten der Notizen, die ich über ihn mitzutheilen habe, verdanke ich der genauen Bekanntschaft mit ihm selbst, die übrigen, die seine Kindheit und seine ersten Jünglingsjahre betreffen, hat mir sein Vater, der Hr. Bürgermeister D. Schulze zu Celle, schriftlich zukommen lassen.
Ernst Schulze, mit seinem vollständigen Taufnamen Ernst Conrad Friedrich, geboren zu Celle am 22sten März 1789, schien in seinem Knabenalter mehr Anlage als Neigung zu wissenschaftlichen Studien zu haben. Zu den Arbeiten, die seine Lehrer ihm aufgaben, mußte er angehalten werden. Er verschob sie gewöhnlich bis auf den letzten Augenblick, und that sie dann im Fluge ab. Aber zu drolligen Streichen und zu allen Arten von Leibesübungen war er immer bereit, und deswegen auch unter seinen Bekannten sehr beliebt. Wo die Flucht ergriffen werden mußte, war er unter den Fliehenden der letzte. Im väterlichen Hause ließ Jedermann seiner Herzensgüte Gerechtigkeit widerfahren; aber man versprach sich nicht viel von ihm, weil er zur Besorgung von Aufträgen nicht zu gebrauchen war, seine Bücher verlor, keine Art von Ordnung zu lieben schien. Seine Kleider waren in wenigen Tagen, nachdem sie neu gewesen, beschmuzt und zerrissen. Der Director von dem Gymnasium tröstete den besorgten Vater damit, daß es dem Knaben nur an Fleiße, nicht an Talenten, fehle. Beharrlichkeit zeigte er bei kleinen Liebhabereien, die er eifrig so lange fortsetzte, bis er sie nicht mehr nach seinem Geschmacke befriedigen konnte. Er studirte z. B. die Wappenbücher, mit solchem Fleiße, daß er in seinem vierzehnten Jahre von Malern bei der Verzierung von Särgen zu Rathe gezogen wurde. Aber er verschenkte seine Wappensammlung, wie eine ähnliche Sammlung von kleinen Münzen, als er ein gewisses Ziel erreicht hatte.
Die erste Veranlassung zur Entwickelung der Dichtertalente Ernst Schulzens gab sein vertrauter Umgang mit den Söhnen eines geschätzten Oberappellationsraths, der bald nachher die hannoverischen Dienste verließ. In Verbindung mit diesen lebhaften und geistvollen Knaben schrieb er kleine Aufsätze und eine Art von Zeitung, in welcher Familiengeschichten als Hof- und Staatsangelegenheiten behandelt wurden. Seinen Schmerz über die Trennung von diesen Freunden, an denen er enthusiastisch hing, drückte er in einem Gedichte aus, dem ersten von seiner Hand, dessen sein Vater sich erinnert. Jetzt fing er auch fleißiger zu lesen an. Seine Lieblingslectüre wurden Rittergeschichten und Feenmährchen. Ein ansehnlicher Vorrath solcher Bücher fand sich in einer alten Bibliothek auf einem Landgute nicht weit von Celle. Ein Ritterzimmer in dem verfallenen Wohnhause war so ganz nach dem Geschmacke des jungen Dichters, daß er seinen Vater um Erlaubniß bat, dort bei der Pachterfamilie einige Zeit sich aufzuhalten. Unter diesen Umgebungen entwickelte sich seine Phantasie. Der Pachter äußerte die Besorgniß, der junge Mann scheine sich überzustudiren und tiefsinnig zu werden, aber er lobte doch die Hülfe, die ihm der fleißige Bücherleser als Dolmetscher und auf andere Art bei den Durchmärschen der Franzosen leistete, die im Jahre 1803 das hannöverische Land besetzten. Man liebte ihn als einen munteren und herzhaften Burschen. Von einer Reise in das Bad nach Rehburg, wo besonders die jungen Damen ihn sehr interessirt zu haben schienen, kam er noch heiterer zurück. Nun beschäftigte er sich auch ernstlicher mit den gelehrten Studien, durch die er sich auf die Universität vorbereitete. Aber Rechnen zu lernen, wollte er sich nie bequemen. Als die Zeit heranrückte, da er sich zu einem bestimmten Fache entschließen mußte, wählte er die Theologie, wahrscheinlich nur, um doch etwas zu wählen, das zu einem Amte führte, denn gegen die Jurisprudenz hatte er eine eben so entschiedene Abneigung, wie gegen die Medicin.
Im Herbste des Jahres 1806 fingen die Universitätsstudien des jungen Dichters, der damals nur eine dunkle Ahnung von seiner natürlichen Bestimmung hatte, in Göttingen an. Ich sah ihn zum ersten Male, als er sich bei mir zu einem Collegium meldete. Sein Aeußeres nahm bei'm ersten Anblicke weder für noch gegen ihn ein. Sein gut gebaueter Körper, von mittlerer Größe, hatte eine feste Haltung, sein regelmäßig gebildetes Gesicht hatte edle Züge, aber sein geistvolles Auge war unstät. In seinem einfachen, geraden und anspruchlosen Betragen lag nichts, das ungewöhnliche Erwartungen hätte erregen können. Aufmerksam wurde ich auf ihn zuerst, als er in einem Practicum, dessen Zweck war, den schriftlichen Styl der Theilnehmer zu bilden, durch Ausarbeitungen sich auszeichnete, in denen Gefühl und Phantasie so zart und so correct sich ausdrückten, wie es sich von einem jungen Mann von achtzehn Jahren kaum erwarten ließ. Das verdiente Lob, das ich ihm öffentlich ertheilte, veranlaßte ihn, nach einiger Zeit mich zu besuchen, um mir einige seiner Gedichte zur Beurtheilung vorzulegen. Es waren Sonette, Episteln und Elegien, mangelhaft von mehreren Seiten, aber an einigen Stellen unübertrefflich, und im Ganzen unbezweifelbare Beweise von wahrem Dichtertalent. Mit dem lebhaftesten Danke nahm er meine Zurechtweisungen an, wo ihre Gründe ihm einleuchteten. Wo das Gefühl entscheiden mußte, vertheidigte er seine Ansichten. Auch dies gefiel mir. Wir wurden immer näher mit einander bekannt. Wieland war damals besonders nach seinem Geschmack, obgleich seine eigne Poesie keinen Zug von der Satyre der Wielandischen hatte. Die Heiterkeit der Wielandischen Poesie, versicherte er mir, habe auf seinen Geist den glücklichsten Einfluß gehabt. Ein strenger Ernst scheine ihm das Leben und die Kunst zu verderben. Er glaube, diese Meinung auch vor einem Professor der Philosophie nicht verbergen zu dürfen, weil er sich nichts vorzuwerfen habe, das eine vernünftige Moral tadeln könne. Auch von Andern erfuhr ich, daß an seinen Sitten nichts zu tadeln sey, außer einem kleinen Leichtsinne, der aber nie leidenschaftlich wurde, und nie die Grenzen des Anstandes und der strengsten Redlichkeit übersprang. Es war ihm nur um eine ganz ästhetische Lösung der Aufgabe des menschlichen Lebens zu thun. Heiter, wie sein Geist, waren alle seine Gedichte. Einer Schwermuth, wie diejenige, in die er nachher versunken war, als er seine Cäcilie schrieb, schien er in den ersten Jahre seines Aufenthalts zu Göttingen gar nicht fähig zu seyn. Ich suchte einiges Interesse für Philosophie in ihm zu wecken. Er hörte die Logik bei mir, aber dabei blieb es; das eigentliche Philosophiren war und wurde nie seine Sache. Desto eifriger legte er sich auf die alte Literatur, da er einsah, daß es für die Theologie nicht passe. Sein Vater hatte nichts dagegen, daß er bald die theologischen Studien ganz aufgab, um sich zum Lehrer der alten Sprachen und der schönen Literatur zu bilden. Aber auch nach dieser Veränderung seines Studienplans interessirte er sich für die Vorlesungen, die er besuchte, nur wenig. Was er lernte, verdankte er fast ganz seinem Privatfleiße. Ein erzählendes Gedicht, Psyche, das er mir stückweise mittheilte, bewies die Fortschritte, die er in der poetischen Behandlung der Sprache und in der Kunst des Styls machte. Von seinen Herzensangelegenheiten vertraute er mir damals noch nichts an, aber nach einem Jahre bemerkte ich, daß er immer ernsthafter wurde. Auch seinem Vater fiel diese Veränderung auf. Er sprach wenig, las viel, schien an den Dingen, die ihn vorher interessierten, wenig Antheil zu nehmen, und erwiderte auf die Frage, was ihm fehle, er sey in seinem Leben nicht glücklicher gewesen. Von Natur ein wenig verschlossen, verhehlte er auch seinen Freunden leicht, was ein Geheimniß seines Herzens bleiben sollte. Aber es verrieth durch die Umstände sich selbst. Seine Phantasie suchte einen Gegenstand, in dem ihm die Idee des Schönen verkörpert erschien. Ernsthafter und in sich gekehrter wurde er schon lange vorher, ehe er die Cäcilie gefunden hatte, die an Leib und Seele seinem Ideale von weiblicher Liebenswürdigkeit entsprach. Indem er bald hier, bald dort, sich näher anzuschließen strebte, war für ihn schon die Lebensperiode vorüber, von der er in einer seiner Elegien sagt:
Wahrlich ich habe gelebt! Nicht reut mich die fröhliche Wildheit. »Fest an die feurige Brust drückt' ich das blühende Seyn, »Küßte die scheidende Lust, und der nahenden lacht' ich entgegen, »Und zur geliebtesten Braut ward die Minute mir stets.« |
Während dieser Zeit des Suchens einer Liebe, die sein Herz ausfüllen sollte, bereitete er sich auch mit ernstlichem Fleiße in seinen philologischen Studien auf die Stelle vor, die er in der Reihe der akademischen Privatdocenten einzunehmen wünschte. Unter seinen Bekannten fand er Freunde, die sich in Verbindung mit ihm eben so thätig als er mit der alten Literatur beschäftigten. Mit entschiedener Vorliebe studirte er die Homerischen Gedichte. Einer seiner literarischen Plane war, eine Geschichte der lyrischen Poesie der Griechen zu schreiben. Alle diese Studien trugen nicht wenig dazu bei, seinen Geschmack für das Classische zu bilden, und seine Phantasie vor den gewöhnlichen Verirrungen im Gebiete der Romantik zu sichern. Die echte Romantik wußte er nach ihrem ganzen Werthe zu schätzen. Die Wiedererweckung der deutschen Poesie des Mittelalters freute ihn ungemein. Unter den englischen Dichtern waren ihm Shakspeare und Spencer die liebsten, unter den italienischen Ariost. Auf diese Art erweiterten sich seine Kenntnisse zugleich mit seinem poetischen Gesichtskreise, als er die Cäcilie kennen lernte, die in der Geschichte seines Geistes Epoche macht.
Cäcilie, die Tochter eines göttingischen Gelehrten, hatte alle Eigenschaften, die einen jungen Dichter von Ernst Schulzens Denk- und Sinnesart bezaubern mußten. In der vollen Blüthe der Jugend, reizend vor Vielen ihres Geschlechts, von zarter Sittsamkeit, empfänglich für alles Schöne, geistvoll, von hinreißender Lebendigkeit in ihrem ganzen Wesen, zeichnete sie sich auch durch ihren feinen Kunstsinn und ihre Talente aus. Im Zeichnen und Malen hatte sie es schon weit gebracht. Mit Fertigkeit und Ausdruck spielte sie das Clavier und die Harfe. Ihr und ihrer eben so liebenswürdigen Schwester Adelheid sich nähern zu dürfen, wurde des jungen Dichters höchstes Glück. Bald verdunkelte seine Liebe zu Cäcilien alles Irdische in seinen Gedanken. Cäcilie erwiderte seine schwärmerische Zuneigung mit freundlichem Wohlwollen, und mehr bedurfte er nicht; denn eine poetischere und den gewöhnlichen Forderungen der Leidenschaft williger entsagende Liebe kann es nicht wohl geben. Seine Episteln an die Geliebte in der Sammlung seiner Gedichte, die er im Jahr 1813 herausgegeben hat, durften unbedenklich sein Gefühl der ganzen Welt verrathen. Die schöne Schwärmerei, der er sich ganz hingab, verleitete ihn auch zu keinen Thorheiten im wirklichen Leben. Er benahm sich äußerlich, wie vorher, setzte fleißig seine philologischen Studien fort, und wurde nach vorhergegangenem Examen in der philosophischen Facultät zum Doctor und Magister promovirt. Sein Geist blieb heiter auch in seiner Schwärmerei. Was aus seiner Liebe, die gar kein irdisches Ziel hatte, unter glücklichen Umständen auf die Länge geworden seyn würde, ließ sich nicht voraussehen. Aber die schöne Gegenwart, in der er sich so glücklich fühlte, dauerte nicht lange. Die reizende Cäcilie zog sich durch eine Erkältung eine Krankheit zu, die ihrem zarten Körper bald tödtlich zu werden drohte. Die Krankheit nagte beinahe ein Jahr an ihrem Leben. Während dieser Zeit erreichte Schulze's Enthusiasmus für sie seine äußerste Höhe. Die Bewunderung der Seelengröße, die die Kranke bei ihrem Leiden zeigte, machte sie in seinen Augen schon vor ihrem Tode zu einer Heiligen. Sie starb, noch nicht völlig achtzehn Jahr alt.
Seit dem Tode Cäciliens ist keine dauernde Heiterkeit wieder in die Seele ihres Dichters gekommen. Aber ein Dichter blieb er auch im Gefühle des tiefsten Schmerzes. In starrer Verzweiflung die schöne Leiche betrachtend, gerieth er auf die erste Idee zu dem Werke, das ihren Namen trägt. Sie zu verherrlichen durch ein Gedicht, auf das er alle geistigen Kräfte wenden wollte, die ihm die Natur verliehen hatte, sollte das größte Geschäft seines Lebens seyn. Er theilte mir seine kühne Idee mit, sobald sein Schmerz ihm erlaubte, davon zu reden. Schon in den Grundzügen der romantischen Erfindung erkannte ich den Dichter nicht wieder, der bis dahin allen Dingen eine erheiternde Seite abzusehen gewußt, mit dem Mysticismus des Christentums sich nie befaßt, überhaupt zur religiösen Poesie weder Anlage noch Neigung zu haben geschienen hatte. Aber er war auch nicht der Vorige mehr. Der Uebergang vom schwärmerischen Glücke zu einem Schmerze, von dem er sich bis dahin keine Vorstellung machen konnte, hatte allen seinen Gedanken eine andere Richtung gegeben. Das Liebliche, an dem seine Phantasie hing, kleidete sich in die Farben der Schwermuth. Der Kampf des freien Gemüths mit dem Schicksale und die religiöse Hingebung des Glaubens an das Göttliche wurden seine Lieblingsideen. Düster und grauenvoll sollte der Hintergrund des großen Gemäldes seyn, an dem seine Phantasie rastlos arbeitete. Das Furchtbare und Schauderhafte sollte im Contraste mit dem Milden und Edeln recht stark hervorstechen. So verlangte es das Gefühl, aus dem das Gedicht hervorging. Die Heftigkeit dieses Gefühls ließ auch keine langsame Ausführung zu. Im Januar 1813 wurde der erste Gesang angefangen. Nicht lange darauf theilte mir der Dichter schon den zweiten mit. Vieles wurde seitdem über Plan und Ausführung unter uns gesprochen. Ich gestand ihm offen, daß ich mit der Erfindung nicht sympathisiren könne. Ich fragte ihn, ob er nicht lieber noch einmal umlenken sollte, um anstatt der seltsamen, von ihm erfundenen Legende eine zu wählen, die vormals Glauben gefunden, aber er hielt fest an seiner Erfindung, besonders um der Rose willen, die für ihn ein Sinnbild des Köstlichsten in der Welt geworden war. Ich glaubte ihm rathen zu müssen, seine Poesie überhaupt ein wenig zusammen zu halten; sich von der Leichtigkeit, mit der er Verse machte, nicht über die Grenzen des inneren Interesse der Dichtung hinreißen zu lassen; besonders die langen Reden und die Gebete abzukürzen; mit dem Wunderbaren nicht so verschwenderisch zu seyn, und der prosaischen Wahrscheinlichkeit schon deswegen, damit nicht auch das Wunderbare sich selbst entkräfte, ein wenig mehr Antheil an der Erfindung zu gönnen. Aber Alles in diesem Gedichte, das unaufhaltbar sich immer umständlicher entwickelte, hing so fest mit dem Gefühle zusammen, das ihm zum Grunde lag, daß dem Dichter, der sonst so gern Belehrung annahm, kein Theil diesem Ganzen unwesentlich und keine Stanze überflüssig schien. Zusätze zu liefern, war er immer bereit. Sprache und Styl unterwarf er der strengsten Kritik, um nöthige Aenderungen zu machen. Aber mit jedem Gesange wurde er immer mehr Meister der Form. In der Kunst der poetischen Beschreibung erreichte er bald die ersten Muster des Alterthums und der neueren Zeiten. Sein Widerwille gegen alles Gezierte und Manierirte war so groß, daß er auch jede Eigenthümlichkeit des Styls verschmähte, sobald ihm etwas Gesuchtes in ihr zu liegen schien. Der einzige Dichter, den er an mehreren Stellen, besonders in den Schlachtgemälden, geflissentlich nachgeahmt hat, ist Homer. Einen Theil dieser Nachahmungen hat er selbst in den Anmerkungen angezeigt. Als die ersten Gesänge vollendet waren, bedauerte er sehr, daß er sich durch Wieland's Beispiel zu den unregelmäßigen Stanzen habe verführen lassen, da ihm die Ausführung des ganzen Gedichts in echten Octaven nicht schwer gefallen seyn würde. Aber die vollendeten Gesänge durch Umarbeitung in regelmäßige Stanzen umzugießen, schien ihm eine frostige Künstelei. Er behielt also, wenn gleich ungern, die metrische Freiheit bei, die er sich einmal genommen hatte. Binnen einem Jahre war das Gedicht bis zum Schlusse des siebenten Gesanges vorgerückt. Nebenher waren ihm noch eine Menge kleinerer Gedichte aus der Feder geflossen. Mehrere der älteren gab er noch in demselben Jahre 1813 in der mir zugeeigneten Sammlung heraus. Während eben dieser Zeit hatte er die alte Literatur nicht vernachlässigt, und mehrere Stunden täglich Privatunterricht im Griechischen und Lateinischen gegeben. Seine Melancholie, die er aber tief in seinem Innern verschloß, wurde noch vermehrt durch Mißverhältnisse, in die er gerieth, als er im Umgange mit gebildeten Frauenzimmern bei der Freundschaft eine Entschädigung suchte, die nirgends in der wirklichen Welt für ihn zu finden war. Seine bis dahin feste Gesundheit fing an zu wanken. Brustschmerzen, zu denen er immer eine Anlage gehabt hatte, machten seine Unpäßlichkeit bedenklich. Ihm selbst schien das Leben fast gleichgültig geworden zu seyn. Aber es war auch nicht etwa der Wunsch, auf eine ehrenvolle Art zu sterben, was ihn gegen das Ende des Jahrs 1813 bestimmte, alle Hindernisse zu überwinden, um als freiwilliger Jäger an der Befreiung Deutschlands Theil zu nehmen. Das Leben verlassen zu müssen, ehe er seine Cäcilie vollendet habe, war ihm ein niederschlagender Gedanke. Aber er sey, meinte er, nicht werth, das Gedicht zu vollenden, wenn er nicht bereit sey, es einem höhern Interesse aufzuopfern. Ungern gab sein besorgter Vater einem Wunsche nach, der den jungen Mann aus seiner natürlichen Bestimmung herausriß.
Sobald das Grubenhagische Jägerbataillon unter dem Obersten, damals Oberstlieutenant und Oberforstmeister, von Beaulieu in Göttingen sich bildete, ließ Ernst Schulze als freiwilliger Jäger sich einschreiben. Die völlige Ausrüstung dieses Bataillons zog sich hin bis gegen das Frühjahr 1814. Der treffliche Beaulieu bemerkte bald, daß der Dichter in der Jägeruniform dem Vaterlande auch im Kriege mit der Feder nützen könnte. Er bediente sich seiner in Secretariatsgeschäften, gewann ihn sehr lieb und nahm ihn mit besonderer Auszeichnung in seinen Familienkreis auf. Da die freiwilligen Jäger schon vor dem Ausmarsche wie die übrigen Soldaten des Bataillons einquartirt wurden, ließ es sich einrichten, daß Schulze sein Quartier bei mir erhielt und aus diese Art beinahe zwei Monat mein Haus- und Tischgenoß wurde. Als das Bataillon in's Feld rückte, ging der Marsch zu der alliirten Nordarmee, die den furchtbaren Davoust aus Hamburg und der Gegend vertreiben sollte. Schulze'n begleitete in seiner Jagdtasche eine Handausgabe der Iliade. Er blieb in engerer Verbindung mit seinem verehrten Oberstlieutenant; aber ganz durfte er sich dem gewöhnlichen Soldatendienste nicht entziehen, obgleich seine Kurzsichtigkeit ihn mehr Gefahren als Andere aussetzte. Einen komischen Brief schrieb er mir, als er des Nachts auf einem Vorposten unweit einer französischen Schanze Betrachtungen über Dichter- und Soldatenglück angestellt hatte. Sein Geist erheiterte, seine Gesundheit stärkte sich unter den militärischen Beschwerden und Entbehrungen. Nach dem Abzuge der französischen Armee unter Davoust hatte er das Vergnügen, mit seinem Bataillon in das befreiete Hamburg einzurücken. Aber mit dem Frieden kehrte sein Trübsinn zurück. Wer seine Verhältnisse näher kannte, mußte wünschen, daß er Göttingen so bald noch nicht wiedersähe. Aber er war nicht zu bewegen, einen andern Ort zu wählen, um eine künftige Bestimmung abzuwarten. In Göttingen wollte er seine Cäcilie vollenden und seine philologischen Studien so lange fortsetzen, bis er eine Professur erhielte.
Ungern sah ich meinen jungen Freund wieder, so lieb mir auch seine Gegenwart war. Die alten Mißverhältnisse, in die er wieder gerieth, setzten ihn in eine peinliche Spannung. Was er von Gesundheit und Heiterkeit aus dem Feldzuge mitgebracht hatte, ging bald wieder verloren. In seiner düstern Stimmung glaubte er verkannt und geringgeschätzt zu werden, wo er Liebe und Vertrauen erwartete. Gram und Mißmuth bemächtigten sich seines ganzen Gemüths. Er zog sich immer mehr von den Gesellschaften zurück, um ungestört zu arbeiten und zu dichten. Die öffentlichen Vorlesungen, die er über alte Autoren zu halten anfing, schienen wenig Beifall zu finden, weil ihm das Talent des freien Vortrags fehlte. Desto mehr wurde sein Privatunterricht im Griechischen und Lateinischen von den Studirenden gesucht und geschätzt. Die Cäcilie rückte mit unglaublicher Schnelligkeit vor. Da ihm ein guter Vers wenig Mühe kostete, ließ er sich zuweilen auch ohne Weigerung zu Gelegenheitsgedichten, um die er oft angesprochen wurde, bereit finden, sobald er glaubte Jemandem eine Freude damit zu machen. Als er einmal ein solches versprochenes Gelegenheitsgedicht bis auf den letzten Augenblick verschoben hatte, und ihm nichts in den Sinn kommen wollte, was er in Reime bringen mochte, fiel ihm plötzlich ein, aus dem Gedichte ein Akrostichon zu machen und auf diese Art einem schon theuern Namen zu huldigen, wovon der Mann, dem das Gedicht bestimmt war, nichts ahnen durfte. Sogleich stellten sich die nöthigen Gedanken ein. In einer halben Stunde war das Geschäft beendigt. Zu den vorzüglichsten der kleinern Gedichte Schulzes gehören mehrere lyrische aus dieser Periode. Die Cäcilie wurde mit dem zwanzigsten Gesange vollendet im December 1815. Das ganze Gedicht ist also in drei Jahren entstanden, von denen der Feldzug über sechs Monate weggenommen hat. Seit dieser Zeit fing der Dichter, dessen Herz so fest an Göttingen hing, selbst einzusehen an, daß er andere Luft athmen müsse, um sich an Leib und Seele zu erholen. Einige seiner Freunde, die ein glückliches Zusammentreffen von Umständen nach Rom geführt hatte, luden ihn zu sich ein. Italien wurde nun das nächste Ziel seiner Wünsche. Vieles, in Beziehung auf sein bürgerliches Glück, ließ sich gegen diese Reise einwenden, aber sein liberaler Vater, der ihm die nöthigen Vorstellungen darüber machte, trug zuletzt auch kein Bedenken mehr, ihm die Reisekosten zu bewilligen. Unterdessen arbeitete seine Phantasie schon an einem zweiten romantischen Gedichte, das von nicht kleinerem Umfange, als die Cäcilie, aber durchaus heiter seyn und mit Ariost's Roland eine gewisse Aehnlichkeit haben sollte. Dieses Gedicht, meinte er, könne ihm nirgends besser als in Italien gelingen. Während des Sommers 1816 beschäftigte er sich mit Vorbereitungen auf die Reise und mit fleißiger Fortsetzung seiner philologischen Studien. Im Herbste 1816 machte er noch eine Wanderung zu Fuß durch die Rhein- und Main-Gegenden. Aber diese Reise, auf der er, wie immer, um seine Gesundheit wenig bekümmert war, beschleunigte wahrscheinlich die Auflösung seines Körpers. Bald nach seiner Zurückkunft nahmen seine Brustschmerzen zu, seine Kräfte ab. Dessen ungeachtet arbeitete er eben so fleißig, wie vorher. Schon sehr erschöpft, schrieb er noch das Gedichte Die bezauberte Rose, durch das er das Höchste leisten wollte, was er in der Kunst des Styls und des Versbaues vermöchte. Sobald es vollendet war, schickte er es anonymisch nach Leipzig zur Concurrenz um den Preis, der auf die beste poetische Erzählung gesetzt war. Im Frühling 1817 wollte er die Reise nach Italien antreten. Wie alle Schwindsüchtigen, ahnete er nicht die Nähe seines Todes. Seine Krankheit nahm so schnell zu, daß er den Frühling nicht erleben zu können schien. Als der Frühling kam, erholte sich der Kranke gegen alle Erwartung seiner trauernden Freunde noch einmal so weit, daß er, obgleich mit großer Beschwerde, die Abreise nach Celle in das väterliche Haus ertragen konnte. Ich sah ihn zum letzten Male. Keine Pflege und keine ärztliche Hülfe konnte ihn retten. Als er den Preis für die bezauberte Rose erhielt, freuete er sich zwar, sagte aber dabei, daß er an dem Gedichte nichts als die Verse hübsch finde. Er starb in Celle am 26sten Juni 1817, im neun und zwanzigsten Jahre seines Alters. Was die an ihm verloren haben, die ihn näher kannten, kann ihnen die Ehre, die seinem poetischen Nachlasse zu Theil werden wird, nicht ersetzen. Ernst Schulze war ein Mann von edler Seele, voll männlichen Selbstgefühls, aber nie sich selbst, am wenigsten seine Talente überschätzend, verschlossen, aber unverstellt, kein philosophischer Geist, aber wahr in seinem Innersten, ein Todfeind der Lüge, des Trugs, der Schmeichelei und der Zweideutigkeit im Reden und Handeln, freigesinnt und ohne Furcht, fest und treu in der Freundschaft, standhaft bis zum Eigensinn in seinen Entschlüssen und verständig in allen gewöhnlichen Verhältnissen des Lebens, sehr empfindlich gegen Beleidigungen, aber jede Rache in eigenen Angelegenheiten verachtend, überhaupt wenig besorgt um sich selbst, zu wenig um sein äußeres Glück, desto bereitwilliger zu Aufopferungen und Entbehrungen, wo es galt, ein Ziel zu erreichen, das ihm eines liberalen Mannes würdig schien.
Dem Abdrucke der Cäcilie ist die Handschrift zum Grunde gelegt, die der Dichter selbst den Aeltern der Geliebten, deren Namen das Gedicht trägt, übergeben hatte. Veränderungen, die er nachher noch mit dem Werke vorgenommen hätte, haben sich unter seinen Papieren nicht gefunden, zwei Stanzen zum letzten Gesange abgerechnet, die am rechten Orte eingeschaltet worden sind.
Göttingen am 20sten März 1818.
Bouterwek.