Henryk Sienkiewicz
Auf dem Felde der Ehre
Henryk Sienkiewicz

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8. Kapitel. Eifersucht

Der Kampf begann. Cypryanowicz verfügte nicht über die gleiche Muskelkraft wie die Bukojemski, aber er übertraf sie bei weitem an Geschicklichkeit. Er hatte eine gute Schule gehabt und seine Kunst nicht nur bei den Raufereien auf Jahrmärkten und in Schänken ausgeübt. Er griff mit größerer Vorsicht und mit mehr Scharfblick an, und es lag Methode in der Art, wie er den Säbel handhabte.

Jakob grollte ihm überdies nicht mehr und hätte es weit lieber bei der den vier Bukojemski erteilten Lektion bewenden lassen. Während er Hiebe parierte und erwiderte, begann er mit lauter Stimme die Fechtweise seines Gegners zu loben.

»Potzblitz! Mit Euch ist es ein ganz ander Werk. Man merkt genau, Ihr seid keiner, der gleich mit all und jedem Händel anfängt!«

»Ich bedaure nur, nicht öfter die Klinge mit Euch gekreuzt zu haben,« versetzte Stanislaus, dem das Kompliment schmeichelte, aber doch auch zufrieden, daß er eine Antwort zu geben wußte. Denn nur die ersten Fechter erlaubten sich, ein paar Worte während des Kampfes zu wechseln, und größte Höflichkeit in der Redeweise angesichts ernster Gefahr galt mit gutem Recht als der Höhepunkt der Vornehmheit und guter Lebensart.

Der Kampf wurde mit neuem Eifer fortgesetzt. Aber die Ueberlegenheit Taczewskis machte sich geltend. Wie spielend parierte er die gefährlichsten Hiebe. Man hätte meinen mögen, es handelte sich für ihn nicht um ein Duell, sondern um eine bloße Waffenübung. Er hatte die Kraft und die Taktik seines Gegners durchschaut und war seiner nun völlig sicher.

Stanislaus sah das ein. Er verlor die Ruhe und griff mit Ungestüm an. Da warf Taczewski geringschätzig die Lippen auf. Genug jetzt der Spielerei! Er parierte eine Finte, fiel aus und sprang blitzschnell zur Seite.

»Getroffen!« rief er.

Cypryanowicz fühlte einen leichten Schauer in der Achsel. Aber er raffte sich auf und rief: »Es ist nichts. Weiter!«

Von neuem klirrten die Klingen aneinander. Mit einem furchtbar raschen Streiche ritzte Taczewski ihm jetzt mit der Spitze des Säbels Unterlippe und Kinn auf.

»Ihr blutet.«

»Noch nicht von Bedeutung!«

»Um so besser. Aber ich habe jetzt genug davon. Als erster strecke ich Euch die Hand hin. Ihr habt Euch wie ein echter Edelmann geschlagen.«

Sehr aufgeregt, dabei aber doch von diesen Worten beschwichtigt, zauderte Cypryanowicz ein Weilchen. Sollte er den Kampf fortsetzen? Endlich aber stieß er den Säbel in die Scheide und legte die Hand in die, die Taczewski ihm anbot.

»Wie Ihr wollt,« sagte er, »und es ist auch wahr – ich triefe von Blut.«

Mit diesen Worten berührte er mit der Linken das Kinn und betrachtete verwundert das Rot, das alsbald Handfläche und Finger befleckte.

»Schneekompressen auf die Wunde hemmen den Erguß,« sagte Jakob, »und dann zum Schlitten.«

Er schob den Arm unter den seines Nebenbuhlers und führte ihn. Finster und verblüfft betrachteten die Bukojemski ihren Sieger. Pan Jakob begann ihnen nämlich Respekt einzuflößen. Donnerwetter, was war er für ein Fechter! Und diese vornehmen Manieren, die ihnen ganz und gar abgingen! Sie stellten im stillen allerlei Betrachtungen an. Endlich richtete Matthäus das Wort an Cypryanowicz.

»Wie steht es denn?«

»Nicht schlecht. Im Notfall könnte ich sogar zu Fuß heimkehren. Aber da wir einen Schlitten haben, so kann man sich das ja zunutze machen.«

Taczewski setzte sich ihm gegenüber.

»Nach Wyremby!« rief er dem Kutscher zu.

»Wohin sagt Ihr?« fragte Cypryanowicz erstaunt.

»Zu mir selbstverständlich! Ihr werdet dort nicht alle Bequemlichkeiten finden, deren Ihr bedürft; aber im Kriege geht's manchmal drunter und drüber. Wollt Ihr Euch etwa in solchem Zustande nach Belczonka begeben? Wie würden die Damen erschrecken! Unter meinem bescheidenen Dach wird Euch Abt Wonowski sogleich den ersten Verband anlegen. Ist dies geschehen, wird man nach Euren Leuten schicken, und dann mögt Ihr Euch hinbringen lassen, wohin Ihr immer wollt. Der Abt wird es auf sich nehmen, die Herrschaft von Belczonka zu benachrichtigen.«

Nach einer Weile setzte er nachdenklich hinzu: »Denn nun wird es mancherlei Verdruß geben. Warum habt Ihr auch durchaus dieses Duell gewollt?«

»Ich räume es ein. Wir haben es so haben wollen. Das werde ich nicht bestreiten, und diese Herren werden meine Worte bestätigen, dessen bin ich gewiß.«

»Zweifelt nicht daran,« stöhnte Matthäus. »Ach, mein Herr, Ihr könnt Euch rühmen, uns allen den Mund gehörig gestopft zu haben. Mein Arm bereitet mir furchtbare Schmerzen . . .«

Man näherte sich Wyremby. Der Priester wartete schon vor dem Zaune und trat unruhig hin und her. Bei seinem Anblick sprang Taczewski vom Schlitten, und der Priester trat lebhaft auf ihn zu.

»Nun, mein Sohn?«

»Mein Vater, ich bringe Euch die Herren her.«

Als der Greis Jakob unverletzt sah, strahlte sein Gesicht vor Freude; doch gleich darauf sah er finster drein, denn er erblickte die Verwundeten.

»Was? Alle fünf?« schrie er, in die Hände schlagend.

»Alle fünf.«

»Das heißt Gott beleidigen!«

Und sich zu den Verwundeten wendend, fragte er: »Es ist doch wohl aber nichts Ernstes, meine Herren? Habt ihr sehr heftige Schmerzen, sagt an?«

Sie hatten vor dem Priester die Mütze abgenommen, bis auf Markus, dem das zerschlagene Schlüsselbein nicht erlaubte, die Hand zu erheben. Er stöhnte nur: »Wir wollen es nur eingestehen, er hat uns weidlich in die Pfanne gehauen.«

»Bah, es hat nichts auf sich,« erklärten die anderen.

»Gott möge euch erhören!« antwortete der Greis. »Und nun müßt ihr verbunden werden. Rasch, ins Haus! Vorwärts!«

Er eilte voraus, Jakob neben ihm. Da vergaß er auf einen Moment im Ueberschwang seiner Freude und Zärtlichkeit die christliche Nächstenliebe. Er nahm Jakob in beide Arme.

»Laß mich dich küssen, mein Sohn! Bei Gott, du bringst sie mir da wie ein Bündel Heu!«

»Sie haben es so gewollt,« entschuldigte sich der junge Mann.

Der Schlitten hielt vor der bescheidenen Wohnung. Jakob, der Kutscher und der einzige Diener nahmen sich der Verletzten an.

Diese aber stiegen aus, ohne von der Hilfe Gebrauch zu machen, Markus ausgenommen, der gestützt werden mußte. In der nächsten Minute waren sie unter Dach. Alles war schon vorbereitet. Stroh auf dem Fußboden sollte ihnen zur Lagerstatt dienen.

Jakobs Bett mit der Decke aus Pferdehaut und dem harten Kopfkissen war in die Mitte der Stube gezogen worden. Auf dem Tische lag schon Brotteig, mit Spinngewebe durchknetet. Um bequemer arbeiten zu können, zog der Priester die Soutane aus. Und nun legte er auf die Wunden Pflaster und verband sie, mit einer Geschicklichkeit, die er sich im Kriege erworben hatte. Die meisten Schwierigkeiten machte ihm die Schulter des Markus. Als endlich alles fertig war, atmete er tief auf und rieb sich die Hände.

»Gott sei gelobt,« sagte er. »Ihr seid wenigstens nicht allzusehr zu Schaden gekommen. Ich hoffe, Ihr empfindet schon gelinde Erleichterung.«

»Ich habe vor allen Dingen einen ungeheuern Durst,« erklärte Matthäus Bukojemski.

»Dem soll abgeholfen werden. Jakob, rasch! laß ein Glas Wasser bringen!«

Bei diesen Worten gelang es Matthäus, sich auf dem Lager aufzurichten.

»Wie? Wasser?« stöhnte er.

Nun ließ sich von der Stelle her, wo Markus lag, eine schmerzliche Stimme vernehmen.

»Der Herr Abt will sich wahrscheinlich die Hände waschen.«

»Alle Wetter, das ist Soldatenblut,« antwortete lachend der Abt. »Gut, sei es denn! ich werde ein wenig Wein erlauben. Aber nicht zu viel!«

Doch Jakob zupfte den braven Mann am Aermel.

»So Ihr Gott lieb habt, Herr Abt,« flüsterte er ihm abseits zu, »meine Vorratskammer und mein Keller sind leer. Ich selbst schnalle den Gurt immer enger. Woher soll ich Wein nehmen?«

Der gute Pfarrer beruhigte ihn mit leiser Stimme: »Sei ohne Sorge! Es ist dafür gesorgt. Wenn mein Vorrat nicht ausreicht, so gibt es eine Brauerei in der Nähe. Dort gewährt man mir Kredit. Jetzt geh und fülle die Gläser. Die Herren sollen sich über ihr Mißgeschick trösten.«

Die vier Brüder trösteten sich denn auch wirklich. Je mehr sie tranken, um so mehr schwand ihre Feindseligkeit gegen Jakob.

»Wir haben uns geschlagen,« sagte Matthäus. »Das kommt überall vor, ist's nicht so? Deshalb seid Ihr, Herr Jakob, doch ein würdiger Edelmann. Das habe ich übrigens immer gedacht.«

»Das ist nicht wahr, ich habe es zuerst gedacht,« rief Lukas dazwischen.

»Du? Bist du etwa allein fähig, einen Gedanken zu hegen?«

»Augenscheinlich, da ich jetzt auch denke, daß du ein ausgemachter Esel bist.«

Sie fingen schon wieder ihren gewohnheitsmäßigen Zank an, als der Schatten eines Reiters sich auf den Glasscheiben abzeichnete.

»Es kommt jemand,« sagte der Priester.

Jakob ging fragen und kehrte nach wenigen Augenblicken mit betrübter Miene wieder.

»Pan Pongowski schickt einen Diener,« sagte er, »und lädt uns alle zu Tische.«

»Gut, so soll er seine Mahlzeit selbst verzehren,« meinte Johannes.

»Es ist schade, daß wir nicht hin können,« setzte Matthäus hinzu, »denn er führt eine gute Küche.«

»Ja, aber was sollen wir ihm denn antworten?« fragte Jakob, mit einem Blick auf den Geistlichen.

»Die Wahrheit!« erklärte der Priester, »doch wartet! Ich selbst werde mit dem Manne sprechen.« Und er ging hinaus. Draußen hörte man ihn mit lauter Stimme sagen: »Melde deinem Herrn, weder Herr Cypryanowicz noch die Herren Bukojemski seien imstande, ihm bei Tische Bescheid zu tun, denn sie seien alle fünf verwundet worden von dem hier wohnenden Herrn Taczewski, den sie selbst zum Zweikampf gefordert haben. Hörst du wohl? Sie selbst haben ihn gefordert. Ihre Wunden seien im übrigen leicht; vergiß ja nicht, das hinzuzusetzen. Rechter Hand geht dein Weg – und spute dich!«

Der Knecht ritt davon, und der Abt beruhigte Jakob, der sehr besorgt war. Fünf Gegnern die Stirn zu bieten, das war eine Kleinigkeit, aber dem Zorn Pongowskis standzuhalten, und, was noch schlimmer, den Vorwurf des Fräuleins Siëninska hinzunehmen – o, davor zitterte er schon jetzt.

»Was ist denn dabei?« redete der Geistliche auf ihn ein. »Erfahren werden sie es ja doch. Da ist es immer das beste, selbst den Anfang zu machen und gleich von vornherein festzustellen, daß es nicht deine Schuld gewesen ist.«

»Ihr werdet zu meinen Gunsten zeugen, meine Herren, nicht wahr?« fragte Jakob, sich an die Verwundeten wendend.

»Gewiß, wir werden für Euch reden wie ein Mann,« versicherte Matthäus, »aber unser guter Wille scheint uns von neuem Durst zu machen . . .«

Jakobs Unruhe wurde immer größer. Plötzlich hielt ein Schlitten vor der Tür. Der Herr Pongowski kam in Gesellschaft des Starosten. Jakob hatte das Gefühl, als wenn sein Herz stillstände. Er eilte jedoch hinaus, sie zu bewillkommnen. Respektvoll und zitternd vor Erregung, verneigte er sich vor ihnen. Aber der Gutsherr von Belczonka schritt über die Schwelle und schien ihn gar nicht zu bemerken.

Mit düsterem, strengem Antlitz trat er ein. In der Stube begrüßte er sehr oberflächlich den Priester, denn seit dieser sich von der Kanzel herab über Pongowskis große Strenge gegen seine Leibeigenen aufgehalten hatte, war der Alte nicht gut auf ihn zu sprechen.

Er wandte sich an die Verwundeten und betrachtete sie schweigend ein Weilchen.

»Meine Herren,« sagte er endlich, »nach dem, was vorgefallen, hätte ich gewiß nicht die Schwelle dieses Hauses betreten, allein es treibt mich, die Entrüstung auszusprechen über die niederträchtige Unbill, die euch zugefügt worden ist. Das ist also der Lohn, den meine edlen Retter unter meinem Dache finden mußten! Ich kann euch jedoch eins versichern: wer euch beleidigt und mißhandelt hat, der wird mir Rechenschaft darüber geben, genauere, strengere Rechenschaft, als wenn er mein eigenes Blut vergossen hätte! Wer euch als Gäste meines Hauses gefordert hat, der hat mir Schmach angetan!«

Matthäus unterbrach die Ansprache mit dem Rufe: »Wir haben ihn gefordert, nicht er uns!«

»Dies ist die reine Wahrheit,« bestätigte Cypryanowicz. »Den Tadel, den Ihr gegen Pan Jakob aussprecht, haben wir verdient. Und wir haben Euch um Entschuldigung zu bitten.«

Und Abt Wonowski setzte hinzu: »Jeder Richter pflegt, ehe er ein Urteil fällt, die Zeugen zu vernehmen.«

Nun glaubte auch Lukas ein Wort beifügen zu müssen.

»Zum Teufel mit allen Urteilen und Richtern!« fluchte er, »und mit meiner Kinnlade dazu, denn ich kann sie ohne wahre Höllenschmerzen nicht auseinanderbringen.«

Herr Pongowski ließ sich von diesen Aussagen weder beeinflussen noch etwa gar überzeugen. Er warf einen strengen Blick auf die Verteidiger Jakobs.

»Es ist nicht meine Sache, die Leute, die mich gerettet haben, freizusprechen oder zu verurteilen,« fuhr er fort. »Daher seid ihr, meine Herren, in meinen Augen auch keine Schuldige. Ich habe wohl die Verachtung bemerkt, mit der Ihr behandelt worden seid. Erst war es der Neid, der diesen Herrn dazu getrieben hat, auf einem räudigen Pferde wider die Wölfe zu reiten, und nun hat derselbe Neid ihn die Arbeit eines Fleischers verrichten lassen. Uebrigens ist nicht mir allein das Verhalten dieses stolzen Herrn aufgefallen, zu dessen Gunsten ihr euch jetzt so großmütig zeigt. Vom ersten Augenblick an hatte er sich's in den Kopf gesetzt, sich mit euch zu zanken. Ich hatte unrecht, mich nicht ins Mittel zu legen. Ich hatte unrecht, daß ich ihm nicht gesagt habe, er täte besser daran, seine Sporen in einem Wirtshause klirren zu lassen zum Vergnügen von Maulaffen.«

Eine Blutwelle färbte das Antlitz des Priesters purpurrot.

»Er ist gefordert worden, Herr!« rief er. »Wie konnte er da anders handeln?«

Aber Pongowski blickte ihn von oben herab an und fuhr fort:

»Das sind Fragen, in denen wir Laien ein richtigeres Urteil haben als Männer der Kirche. Aber auch auf diesen Einwand werde ich antworten, damit man mir nicht Einseitigkeit vorwerfen kann. Ob er anders handeln konnte? Seine große Jugend, seine Pflichten als Gast und, was mehr ist, die Aufnahme, die er in meinem Hause gefunden, wo er gar viele Male mein Brot gegessen hat, hätten ihm gebieten sollen, mir den Streitfall mitzuteilen. Wenn ich darum gewußt hätte, würde ich es nicht soweit haben kommen lassen. Nun liegen meine Retter hier in dieser Hütte wie Schweine auf Stroh, gebadet in Blut!«

»Haltet Ihr mich denn für eine Memme?« rief Jakob dagegen, indem er mit einer Gebärde der Verzweiflung die Hände rang.

Herr Gideon erwies ihm nicht die Ehre zu antworten. Seiner Taktik getreu, fuhr er fort, ihn völlig zu ignorieren.

»Mein Herr,« sagte er, zu Cypryanowicz gewandt, »der Starost und ich werden auf der Stelle zu Euerm Herrn Vater fahren und ihm unser Beileid aussprechen. Ich hoffe, er wird mich mit seinem Besuche in Belczonka beehren, wo Ihr Euch auch binnen kurzem befinden werdet. Denn ich muß Euch erst daran erinnern, daß ich euch als meine Gäste ansehe, Euch und Eure Freunde, als Gäste, denen ich mich von ganzem Herzen dankbar erzeigen möchte? Bei mir werdet Ihr übrigens auch bequemer, behaglicher untergebracht werden. Wenigstens werdet Ihr nicht in Gefahr sein, Hungers zu sterben, wie hier.«

Cypryanowicz schwieg zuerst. Er fürchtete, den ohnehin schon zu Unrecht gekränkten Taczewski noch mehr zu kränken durch eine allzu bereitwillige Annahme dieser Einladung. Und wie sollte er sich auch in so jämmerlichem Zustande vor den Damen zeigen, Lippen und Kinn mit einem Pflaster bedeckt, welches die Anschwellung nicht verbergen konnte?

»Hunger und Durst hätten wir auch unter diesem Dache nicht zu leiden,« versetzte er nach kurzem Schweigen, »das haben wir schon erfahren. Dennoch haben Euer Gnaden recht. Auch wir betrachten uns noch als Eure Gäste, und in der Tat könnte wohl mein Vater Bedenken tragen, uns von hier abzuholen. Aber eine Befürchtung hält uns zurück. Wie wir jetzt aussehen, könnten die Damen doch nur mit Abscheu auf uns blicken.«

»Verbannet diese Sorge,« beschwichtigte ihn Pan Pongowski, »nicht Eure Wunden, sondern vielmehr die empörende Handlungsweise, die sie Euch zugefügt hat, wird meinen Verwandten Abscheu einflößen. Sind diese Wunden verheilt, wird auch die frühere Schönheit zurückkehren. Wir, der Starost und ich, müssen nun nach Jedlinka aufbrechen, denn es ist hohe Zeit.«

Er verneigte sich vor dem Priester und grüßte mit der Hand Cypryanowicz und die Bukojemski. Dann schritt er zur Tür, noch immer ohne Jakob eines Blickes zu würdigen.

Als er über die Schwelle schreiten wollte, rief der Abt ihm zu: »Pan, Ihr besitzet weder Mitleid noch Gerechtigkeit.«

»Meiner Sünden zeihe ich mich nur in der Beichte,« versetzte der alte Brausekopf, den Starosten hinter sich herziehend.

Jakob wußte nicht, was er tun sollte. Ihm war, als läge er in der Tortur. Sollte er sich Herrn Pongowski zu Füßen werfen, um seine Verzeihung zu erflehen, oder ihn vielmehr an der Gurgel packen? Doch ach, dieser Mann war der Vormund seiner Geliebten!

Ganz außer Fassung, begleitete er die Gäste bis zum Schlitten, mechanisch oder vielleicht in der geheimen Hoffnung, der Herr von Belczonka werde ihn im letzten Augenblick noch mit einem Kopfnicken beehren. Allein der Alte tat nichts dergleichen. Nur der Starost drückte ihm beide Hände.

»Nur Mut, junger Mann!« flüsterte er ihm ins Ohr. »Laßt nur den ersten Zorn verrauchen! Schließlich wird noch alles nach Wunsch gehen.«

Herr Grothus war offenbar ein guter, billig denkender Mensch. Allein Jakob glaubte alles verloren. Wie hätte er auch ahnen sollen, daß Pongowski – obwohl aufrichtig erzürnt – aus gewissen Gründen einen größern Zorn, als er empfand, erheuchelte?

Cypryanowicz und die Bukojemski waren allerdings seine Retter, aber schließlich hatte Taczewski sie ja doch nicht ermordet, und ein Duell war etwas zu Alltägliches, um einen so unversöhnlichen Grimm zu rechtfertigen. Nein, die Sache lag tiefer. Seit der Starost Pan Gideon vorgestellt hatte, daß weit ältere Leute als er noch einmal geheiratet, ja sogar noch Kinder bekommen hätten, begann der Greis Fräulein Siëninska mehr und mehr mit dem Auge der Liebe anzuschauen. Der Gedanke an eine solche Vereinigung tat seinem Herzen wohl und befriedigte auch seinen Stolz. War doch das Mädchen schön wie eine Rose und dabei von höchst edlem Geschlecht. Der alte Stamm derer von Pongowski würde von frischem Grün prangen und obendrein durch eine Patrizierin, durch eine Siëninska, die mit den ruhmreichsten, höchsten Familien der Republik verwandt war, mit den Zolkiewski, den Danilowicz, den Sobieski und vielen andern, welche alle durch die Siëninska reich geworden waren. Es war ein Gedanke, der Herrn Pongowski Schwindel verursachte.

Nach seiner Meinung mußte nicht ihm allein, sondern auch der Republik an solchen Nachkommen eines Pongowski viel gelegen sein.

Nun erwachte jedoch eine Furcht in seiner Seele. Wenn daraus deshalb nichts würde, weil das Fräulein einem andern ihr Herz geschenkt? Wenn sie einen andern als ihn zum Lebensgefährten erkor? Gewiß gab es keinen, der würdiger gewesen wäre als er, ein Pongowski! Aber es gab jüngere. O ja, und zwar eine ganze Menge! Zunächst war da Cypryanowicz, jung, tapfer, reich – aber von armenischer Abstammung und kaum erst seit Generationen adelig.

Daß dieser »neue Mann«, dieser homo novus, die Kühnheit haben könnte, nach der Hand einer Siëninska zu trachten, nein, das konnte er nicht annehmen!

Was gar die Bukojemski anbetraf, die im übrigen ja ganz ausgezeichnete Herren waren, so erschien der Gedanke an eine solche Ehe ihm geradezu lächerlich.

Es blieb also nur Taczewski übrig. Der war arm wie Hiob, nackt wie eine Kirchenmaus, freilich, aber er war der letzte Abkömmling der berühmten Ritter von Powala, deren AhnherrGemeint ist Powala von Taczew, ein Held des Romans »Die Kreuzritter« von H. Sienkiewicz; in ähnlicher Ausstattung im selben Verlag erschienen. bei der Vernichtung der Deutschen sich nicht nur in Polen, sondern, soweit die Christenheit reichte, unvergleichlichen und unvergänglichen Ruhm erworben hatte. Nur die Taczewski standen mit den Siëninski auf gleicher Stufe.

Und dieser Jakob Taczewski war jung, schön wie der Tag und tapfer. Dabei auch sanftmütig und zu jenen melancholischen Träumereien geneigt, für die das weibliche Herz besonders empfänglich und zugänglich ist. Außerdem war er für das Fräulein ein Freund aus der Kindheit, fast ein Bruder. Mein Gott ja, Pongowski erinnerte sich jetzt plötzlich einer Menge vielsagender Vorfälle und Einzelheiten.

Sie hatten sich beide oft ganz plötzlich, entzweit und dann in rührender Weise versöhnt; sie vertrauten einander ihre Freuden und Kümmernisse an; bald waren sie lustig miteinander, bald traurig, bald lachten sie, bald schwiegen sie. Kurz, es waren da tausend Anzeichen, die der alte Herr noch gestern nicht im mindesten beachtet hatte. Heute erschienen sie ihm verdächtig.

Und nun schoß ihm dazu noch der Argwohn in den Sinn, ob nicht gar Fräulein Siëninska der Beweggrund und der Gegenstand dieses Duells gewesen sei. Er zitterte vor Angst.

Was sollte er tun, um diese Gefahr zu beschwören? Vor allem mußte er Sorge tragen, daß dem Mädchen die Handlungsweise Jakobs im denkbar schlechtesten Lichte erschiene. Er mußte ihr eine schlimme Meinung von ihm einflößen und anderseits Jakob durch verächtliche Behandlung alle Lust benehmen, noch einmal die Schwelle von Belczonka zu überschreiten. Die Brücke zwischen hier und dort mußte zerstört werden.

Man hätte glauben können, er habe das nun auch erreicht. Jakob hatte ihn hinausbegleitet und ließ sich, wieder hereintretend, auf eine Bank fallen. Er stemmte die Ellbogen auf den Tisch, vergrub das Gesicht in den Händen, wühlte mit den Fingern in dem Haarschopf und gab sich so ganz seinem tiefen Schmerze hin.

Der Abt trat auf ihn zu und klopfte ihm sanft auf die Schulter.

»Jakob, mein Junge, sei tapfer. Leide, da gelitten sein muß, aber versprich mir, nicht mehr zu deinen Nachbarsleuten zu gehen.«

»Es ist versprochen,« antwortete Jakob mit erstickter Stimme.

»Und hoch das Herz! Laß dich nicht vom Gram niederwerfen. Denke dran, welchen Namen du trägst!«

Der junge Mann preßte die Zähne zusammen.

»Ich denke daran,« murmelte er, »und um so bitterer schmerzt die Beleidigung.«

Da sagte Cypryanowicz: »Niemand von uns billigt das Verhalten des Herrn Pongowski. Es ist ein großer Unterschied, ob man jemand zu Recht tadelt, oder ob man ihn grundlos beleidigt.«

Darauf ließen sich die Bukojemski im Chor vernehmen, und selbst Matthäus, dem jedes Wort einen Schmerzensschrei entlockte, sagte: »Unter seinem Dache werde ich keinen Zank mit ihm suchen, aber wenn ich ihm jemals draußen begegne, so will ich ihm die Wahrheit nicht vorenthalten. Ich werde ihm sagen, er möge eine Hundenase küssen.«

Und Markus setzte hinzu: »Solch wackern Kavalier beleidigen! Das wird ihm noch im Paradiese angerechnet werden.«

Doch schon trafen, wie Pongowski gesagt hatte, drei mit Decken ausgelegte Schlitten ein, von drei Dienern gefahren und zur Aufnahme der Verwundeten aufs beste hergerichtet.

Taczewski wagte nicht, die neuen Freunde länger zurückzuhalten, die ja wirklich noch Gäste von Belczonka waren. Uebrigens hätten sie auch, aus Furcht, ihm zur Last zu sein, seine Gastfreundschaft nicht mehr angenommen, nachdem sie von seiner großen Armut gehört hatten. Sie begannen daher Abschied voneinander zu nehmen unter Umarmungen, Danksagungen und Versicherungen der Freundschaft. Es war, als trennten sich alte Waffengeführten, und als sei gar nichts zwischen ihnen vorgefallen.

Als Cypryanowicz sich im dritten Gespann niedergelassen hatte, ließ Jakob sich von der Gewalt seiner Leidenschaft hinreißen.

»Komme, was wolle! Ich fahre mit euch!« schrie er. »Ich will sie noch einmal sehen, ehe ihr Vormund zurückkommt.«

Nur der Form halber – denn er wußte, daß alle Ermahnungen fruchtlos bleiben würden, begann der Pfarrer: »Wiederum das Weib, Jakob – mulier, Jakob, Jakob! Erinnere dich doch der Worte des Predigers Salomo: Virum de mille unum reperi, mulierem ex omnibus non inveni. Unter tausenden fand ich doch einen Mann, aber nicht eine Frau unter ihnen allen. Habe doch mit dir selber Mitleid. Möge Gott verhüten, daß dir dort unten noch eine weit schmerzlichere Enttäuschung zuteil wird!«

Das war wie ein Predigen in der Wüste. Taczewski saß schon neben Cypryanowicz. Der Schlitten glitt über den Schnee. Der Ostwind hatte den Nebel verscheucht, und die Sonne strahlte.



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