Henryk Sienkiewicz
Auf dem Felde der Ehre
Henryk Sienkiewicz

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29. Kapitel. Das Geschenk

»Wie?« sprach Abt Wonowski bei einem Festessen, das die Gefährten Jakob zu Ehren veranstalteten, »spätestens in fünf oder sechs Tagen geht's in den Krieg. Du kannst als einer der ersten im Felde fallen. Lohnt es da, sich vorher zu verheiraten? Ist's nicht viel besser, die glückliche Rückkehr abzuwarten und dann das Fest in Sicherheit und Frieden zu vollziehen?«

Aber diese vernünftigen Worte erregten allgemeine Heiterkeit, und man antwortete: »Gewiß ist das von Wichtigkeit und lohnt der Mühe, Herr Abt, gerade deshalb, weil Jakob, der letzte Taczewski, auf dem Schlachtfelde fallen kann!«

Der Geistliche schien sich ein wenig zu ärgern, als aber dreihundert Waffengefährten, mitsamt Herrn Cypryanowicz, ungestüm darauf bestanden und auch Jakob um keinen Preis von einem Aufschub wissen wollte, da mußte er wohl oder übel nachgeben. Die hohe Wertschätzung, die man bei Hofe dem Namen Taczewski erwies, die ganz besondere Gunst, die Ihre Majestäten den Verlobten erzeigten, beseitigten die letzten Hindernisse. Die Königin erklärte, die zukünftige Frau Taczewski sollte während der Dauer des Feldzuges ihrer Person attachiert sein. Der König versprach, der Hochzeit beizuwohnen, und seiner jungen Verwandten, sobald er nur an Privatsachen denken konnte, eine Morgengabe zu verschreiben. Er erinnerte sich noch, wieviel Landgüter seinerzeit von den Siëninska auf die Sobieski übergingen und wie groß danach das Ansehen seiner Vorfahren geworden war. Deshalb fühlte er sich verpflichtet, der Waise zu helfen, die außerdem durch ihre Schönheit sein Gefallen, durch ihr Mißgeschick sein Mitleid erweckte.

Herr Matczynski, von früher her ein Freund des Geistlichen Wonowski und ein Günstling des Königs, versprach, das Mädchen häufig gegen den König zu erwähnen, doch erst nach dem Kriege; denn jetzt, wo das Schicksal ganz Europas und der Christenheit auf Johanns III. Schultern ruhte, dürfe man ihn durch keine private Angelegenheit ablenken. Der Abt aber freute sich über dieses Versprechen so sehr, als hätte Jakob schon eine stattliche Starostei erhalten; wußte man doch, daß man auf jedes Wort des Herrn Matczynski felsenfest bauen könne. Er war denn eigentlich auch der Urheber all des Guten gewesen, das Fräulein Siëninska in Krakau erfuhr. Er hatte das Königspaar auf sie aufmerksam gemacht und die in ihrer Gunst sehr kapriziöse Königin für sie interessiert.

Bei der Protektion des Hofes und dank der Gunst des Bischofs von Krakau war es ein leichtes, einen Erlaß des Aufgebots zu erlangen. Herr Seraphin mietete für das zukünftige Ehepaar eine schöne Wohnung bei einem Krakauer Kaufmann, dessen Vater in Lemberg gewohnt und seine orientalischen Seidenstoffe von den Cypryanowicz bezogen hatte. Mancher Wojwode hatte kein schöneres Quartier aufzuweisen. Stanislaus, der sich vorgenommen hatte, seinem Freunde Jakob die paar Tage vorm Feldzuge noch zu einem Himmel auf Erden zu machen, schmückte die Räume mit Teppichen und Blumen. Alle Kameraden halfen eifrig mit und liehen das Beste, was ein jeder an Teppichen oder anderm kostbaren Zierat, besaß, wie er vielfach bei den reichen Husarenregimentern zur Ausschmückung der Zelte auf dem Marsche mitgenommen wurde. Kurz, man bemühte sich nach Kräften, den zukünftigen Vermählten den Aufenthalt in Krakau so angenehm wie möglich zu machen.

So sah sich das junge Paar ringsum von warmer Freundschaft umschlossen. Von allen Seiten begegnete man ihm mit Wohlwollen. Nur die Bukojemski fehlten noch dabei. Man hatte sie kurz nach der Ankunft in der Residenz täglich ein paarmal gesehen, bald bei Pan Cypryanowicz, bald bei Jakob, bald in einem Gasthofe, wo sich vor Humpen voll Bier, Wein oder Met die Waffengefährten vom Regiment des Prinzen Alexander zusammenfanden. Plötzlich waren sie verschwunden, wie ein Stein im Wasser. Wonowski glaubte zuerst, sie gingen in den Vorstadtkneipen zechen, weil dort Wein und Met billiger waren. Aber bald ward er ärgerlich. »In solcher Weise auf und davonzugehen,« dachte er. »Wo Herr Seraphin sie mit Wohltaten überhäuft hat!«

»Sie mögen tapfere Soldaten sein, zugegeben,« sagte er, »aber es sind leichtsinnige Kerle, auf die man sich nicht verlassen kann. Sicherlich haben sie irgendwo liederliche Gesellschaft gefunden, die ihnen bester zusagt als die unserige.«

Doch das war ein ungerechter Verdacht. Am Tage vor der Hochzeitsfeier, als alle Bekannten und Freunde in Jakobs Wohnung strömten, um Geschenke und Glückwünsche zu überbringen, erschienen plötzlich auch die vier Brüder in ihren besten Kleidern, ernst, feierlich, geheimnisvoll.

»Da seid ihr ja endlich wieder! Was war aus euch geworden?« fragte Pan Seraphin.

»Wir haben auf Wild gepirscht,« antwortete Lukas.

Matthäus gab ihm einen Rippenstoß. »Still! Schwatze nicht vor der Zeit!« Gleichzeitig ließ er seine großen Augen in der Runde schweifen, über den Abt und die beiden Cypryanowicz hin, dann starrte er Jakob an und hustete mehrmals wie jemand, der eine lange Rede halten will.

»Los! fang an!« ermutigten ihn seine Brüder.

»Wie war denn der Anfang?«

»Du hast wohl wieder alles vergessen?«

»Nein, bloß die ersten Worte.«

»Warte, ich weiß sie noch.« Und Johannes flüsterte ihm ins Ohr: »Unser lieber – unser lieber –«

»Unser lieber Pilatus –« sprach Markus.

»Pilatus? Warum das? Ihr meint wohl Pylades?« unterbrach ihn der Abt.

»So ist es auch, mein Wohltäter,« rief Johannes. »Es soll Pylades heißen – Pylades.«

»Lieber, hochgeehrter Pylades!« fing Matthäus, jetzt zuversichtlicher, wieder an. »Und wenn auch die Fluten des goldhaltigen Taxus statt derjenigen des düstern Borystenes unsere heimischen Ebenen umspülten, so könnten wir doch gleich Verbannten, die vor den barbarischen Horden – barbarorum – flüchten, außer unsern in Freundschaft und Hingebung erglühenden Herzen Euch kein Angebinde darbringen an diesem Tage . . . an diesem . . .«

»Sapristi! Die Worte kommen so markig heraus, als wenn er Nüsse zwischen den Zähnen knackte,« rief Lukas begeistert.

Aber Matthäus wiederholte: »An diesem Tage – an diesem Tage – an diesem Tage –« und verstummte dann. Er richtete flehentliche Blicke auf seine Brüder, daß sie ihm helfen sollten, aber das Gedächtnis ließ sie ebenso im Stich wie ihn.

Unter den Kameraden wurde gelacht. Da runzelten die Bukojemski drohend die Brauen. Endlich sprang Cypryanowicz der Vater ihnen bei. »Wer hat euch denn diese Rede ausgearbeitet?« fragte er.

»Ein Leutnant vom Fähnlein des Wojwoden von Wolhynien, Herr Grompka,« antwortete Matthäus.

»Na ja! ein geborgtes Pferd läuft nicht weit. Frisch drauf los, Kinder, umarmt Jakob und sagt ihm, wie euch der Schnabel gewachsen ist, was ihr ihm zu sagen habt.«

»Meiner Treu, das ist jetzt auch das beste, was wir tun können.«

Nun traten sie der Reihe nach herzu und drückten Taczewski an die Brust.

»Lieber Jakob!« sagte Matthäus. »Wir wissen recht gut, du bist kein Pilatus und auch kein Pylades, und du selbst weißt, seit wir unsere Güter in der Ukraine verloren haben, sind wir arme Teufel. Aber wir bitten dich, diese Gabe hier anzunehmen, die wir dir von Herzen darbringen.«

Mit diesen Worten überreichte er ihm einen Gegenstand, der in ein Stück roten Atlas gewickelt war, und die drei andern Brüder setzten hinzu: »Ja, nimm es an, Jakob, nimm es an!«

»Ich nehme es an und danke euch, meine Freunde!« antwortete Taczewski. Er wickelte den Atlas auf, und plötzlich trat er zurück und schrie: »Herrgott, das ist ja ein Menschenohr!«

»Und weißt du, wessen?« riefen die vier einstimmig. »Martin Krepeckis.«

Schrecken und Staunen ergriff alle Versammelten. Abt Wonowski fand zuerst die Sprache wieder. »Pfui!« rief er aus. Und sie mit strengen Blicken musternd, donnerte er ihnen zu: »Schämt ihr euch denn gar nicht? Seid ihr Türken, daß ihr euern Freunden Ohren bringt, die ihr den Leichen eurer Feinde abgeschnitten habt? Es ist eine Schande, eine Schande, sage ich euch, für die christliche Armee und für alle Edelleute dieses Königreichs! Hätte Krepecki hundertfach den Tod verdient, wäre er ein Ketzer, ja noch schlimmer, ein Heide – was ihr getan habt, würde trotzdem eine schmachvolle Handlung bleiben. Meiner Treu, ein hübsches Hochzeitsangebinde für Jakob! Der Ekel packt ihn. Die Verachtung aller müßte euch treffen. Furchtbare Sünde habt ihr auf euch geladen. Kein Reiterfähnlein, ja nicht einmal ein Infanterieregiment müßte solche Wilden in seine Reihen aufnehmen.«

Da trat Matthäus mit blitzenden Augen vor. »Das ist nun Dankbarkeit, das menschliche Gerechtigkeit!« rief er in flammendem Zorn. »Wenn ein Weltlicher es gewagt hätte, so zu mir zu sprechen, so würde zu diesem Ohre Krepeckis noch eins von den seinigen hinzukommen. Aber es ist ein Priester, der so sprach! So möge Gott ihn richten, Gott möge sich unserer Unschuld annehmen! Ihr fragt uns, Herr Abt, ob wir zum Islam übergetreten wären? Glaubt ihr denn wirklich, wir hätten dieses Ohr einem Leichnam abgeschnitten? O meine unglücklichen Brüder, o ihr bedauernswerten Waisen! So weit ist es mit uns gekommen, daß man uns schon zu ungläubigen Türken stempelt!«

Schmerz und Wut verzerrten sein einfältiges Gesicht, und seine Stimme brach. Nun stimmten auch die andern drei Bukojemski ihre Klagen an. »Man hat uns Türken genannt!« – »Feinde des wahren Glaubens!« – »Schnöde Heiden!«

»Nun, so rechtfertigt euch doch!« rief der Priester. »Erklärt uns, wie es gewesen ist!«

»Lukas hat Martin das Ohr im Zweikampf abgeschlagen.«

»Wo ist er mit Krepecki zusammengetroffen?«

»Krepecki war schon fünf Tage in Krakau gewesen. Er ist uns auf Schritt und Tritt gefolgt.«

»Laßt einen von euch sprechen,« sagte der Priester. »Johannes, rede du!«

Johannes gehorchte. »Ein Freund von uns,« begann er, »der beim Fähnlein des Bischofs von Sandomir steht, teilte uns mit, er habe vor kurzem in einer Vorstadtkneipe einen ganz absonderlichen Menschen, ein leibhaftiges Ungeheuer, gesehen. ›Sicher war's ein Adeliger‹, sprach er, ›aber ein richtiger Vierkant, mit einem riesigen Schädel, der ganz zwischen den Schultern steckt, mit kurzen, krummen Beinen, und trinken konnte er wie ein Loch.‹ – Wir, durch Gottes Gnade von Geburt an mit raschem Verstand begabt, wußten gleich, was wir davon zu halten hatten. Wir sagten uns sofort: Wenn das Martin wäre! Und nun baten wir unsern Freund, uns in jene Kneipe zu führen. Er war damit einverstanden, und fort ging's. Wir kamen bei Einbruch der Nacht an. Die Gaststube war finster. In einem Winkel erblickten wir jedoch vor einem Tische eine unförmige Masse. Lukas trat auf den Menschen zu und schlug dicht vor seinen Augen Feuer. ›He, Krepecki!‹ und damit packte er ihn auch gleich bei der Kehle. Wir zogen blank. Ihr könnt euch denken, der Kerl versuchte uns zu entschlüpfen. Aber wir versperrten ihm die Tür. Da hättet ihr sehen sollen, wie er sich gebärdete, wie er von einem Bein auf das andere hüpfte. Hahaha! wie ein richtiger Hahn! ›Was denn?‹ fauchte er, ›glaubt ihr alten Wölfe, ich fürchtete mich vor euch? Ein Zweikampf? So viel als ihr wollt! Aber nun fallt nicht alle zusammen über mich her, ihr müßtet denn feige Mörder sein und keine Edelleute!‹«

»Der Feigling!« rief der Priester. »Er aber konnte uns einen ganzen Haufen von Räubern auf den Hals schicken!«

»Das sagte ihm Lukas auch. ›Ha, du räudiger Hund,‹ sprach er, ›und wer hat denn eine ganze Bande von Meuchelmördern hinter uns hergehetzt? Wir sollten dich dem Henker überliefern. Nur geht es auf diese Weise schneller. Aufgepaßt!‹ Die Säbel kreuzten sich. Beim dritten oder vierten Gange sahen wir Lukas Klinge wie einen Blitz über den Schädel des Affen hinsausen. Plauz, da lag eins seiner Ohren am Boden. Matthäus sprang gleich hin und hob es auf. ›Das andere laß für uns übrig!‹ rief er Lukas zu, ›das erste wollen wir Jakob bringen, das zweite Fräulein Annette.‹ Aber der Klotz schwamm in Blut und ließ den Säbel fallen. Er wurde ohnmächtig. Wir gossen ihm Wasser über den Kopf und Wein in die Kehle, in der Hoffnung, er werde zu sich kommen und sich uns nochmals stellen. Er wurde zwar wieder wach, aber da konnte er uns nur zwischen den Zähnen zuröcheln: ›Ihr habt euch selbst Genugtuung verschafft, nun habt ihr kein Recht mehr, vor Gericht zu gehn!‹ Schwapp! da war er wieder alle. So mußten wir leider ohne das zweite Ohr abziehen. Lukas versicherte uns, er hätte ihn totschlagen können, aber er habe sich dessen enthalten, damit wir andern oder Jakob bei Gelegenheit das Geschäft beenden könnten. Ich denke doch, höflicher und ritterlicher konnte man nicht verfahren. Oder ist es etwa eine Sünde, eine Natter totzutreten? Heute aber sind wir mit unserer Ritterlichkeit schlecht gefahren, das beweisen die Vorwürfe, mit denen man uns überhäuft hat.«

»Ja, ja, er hat recht!« riefen die andern Brüder.

»Wenn es sich so verhält, dann ist es etwas anderes,« entschied der Abt. »Dennoch ist es ein recht unappetitliches Angebinde.«

Die Brüder Bukojemski sahen sich verwundert an. – »Wie? Unappetitlich?« fragte Markus. »Wir haben es Jakob ja auch nicht zum Essen mitgebracht.«

»Ich danke euch von ganzem Herzen für eure gute Absicht,« sagte Taczewski, »aber ich denke doch, ihr mutet mir nicht zu, daß ich dieses Ohr aufbewahre.«

»Freilich, es ist schon ein bißchen angegangen. Wie, wenn man es räucherte?«

»Man soll es vielmehr auf der Stelle verscharren!« befahl der Priester mit strenger Stimme. »Es ist immerhin das Ohr eines Christen.«

»Wir haben in der Ukraine noch ganz andere gesehen,« brummte Matthäus.

»Der junge Krepecki ist sicher nur zu dem Zweck hierher gekommen,« bemerkte Jakob, »um einen Handstreich gegen Annette zu versuchen.«

»Im Palast der Königin ist sie sicher vor ihm,« erwiderte Pan Seraphin. »Außerdem glaube ich gar nicht, daß er deshalb nach Krakau gekommen ist. Nachdem sein Anschlag mißglückt, hat er gewiß persönlich auskundschaften wollen, ob wir ihn der Urheberschaft verdächtigen oder etwa gar schon Klage gegen ihn erhoben hätten. Vielleicht hat der alte Krepecki von dem Bubenstück seines Sohnes nichts gewußt, und wenn doch, so müssen jetzt beide in Sorge sein, und es wundert mich deshalb gar nicht, daß Martin hier war.«

Stanislaus lachte. »Jedenfalls kann man sagen, er hat mit unsern Freunden, den Brüdern Bukojemski, just kein Glück.«

»Möge Gott ihn richten!« antwortete Jakob. »Ich für mein Teil will ihm verzeihen.«

Stanislaus und die Brüder Bukojemski waren erstaunt, doch als hätte er ihre Gedanken erraten, setzte er hinzu: »Die liebe Annette wird morgen die meinige, und gleich darauf ziehe ich als christlicher Soldat aus, unsern heiligen Glauben zu verteidigen. Muß sich da nicht mein Herz von allem Haß, von allem persönlichen Groll reinigen?«

»Gott wird dich dafür segnen!« rief der Priester und machte das Zeichen des Kreuzes über ihm.



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