Henryk Sienkiewicz
Auf dem Felde der Ehre
Henryk Sienkiewicz

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16. Kapitel. Die Werbung

Man konnte am selben Tage noch nicht die Reise nach Belczonka antreten, denn als Pongowski den Prälaten verlassen und zum Aderlaß gegangen war, fühlte er sich zuerst doch ein wenig angegriffen. Als er aber am nächsten Tage die Fahrt nach seinem Heim antrat, war er gut gelaunt, in bestem Wohlsein und voll Hoffnung. Bald aber bedrückte ihn eine gewisse Unruhe, die rasch zunahm, und als er jetzt ganz in Gedanken versunken war, schien er sogar die Anwesenheit des Prälaten zu vergessen. Als man sich dem Dorfe näherte, stand er noch im Bann dieser Beklommenheit und wandte sich an seinen Gefährten mit den Worten: »Seltsam! Sonst kehrte ich immer heim mit dem Gefühl eines Mannes, der sich dort Herr weiß. Heute frage ich mich mit Zittern, wie man mich empfangen wird.«

»Virgil,« antwortete der Mann der Kirche, »hat gesagt, die Liebe sei unüberwindlich – amor omnia vincit.Die Liebe besiegt alles. Er hätte hinzusetzen sollen: et omnia mutat.und verwandelt alles. Delila wird sich wenigstens nicht an Euerm Haar vergreifen, Pan, weil das Alter Euch kahl gemacht hat; aber ich werde Euch wohl noch zu Füßen dieser Schönheit sitzen und die Kunkeln halten sehen, wie Herkules zu Füßen der Omphale.«

»Ein süßes Joch,« meinte Pongowski, mit einer Fröhlichkeit, die sonst nicht seine Art war. »Aber die Unterwürfigkeit liegt mir nicht im Blute. Ich habe es stets verstanden, Hausgesinde und Familie im Zaume zu halten.«

»Man sagt so. Um so mehr ist es an der Zeit, daß nun auch Euch mal jemand den Zaum anlegt.«

Der Wagen kam nur langsam vorwärts, denn das Dorf war eine einzige Schlammpfütze, und da sie von Radom erst gegen Mitte des Tages abgefahren waren, so brach jetzt schon die Nacht an. Hier und dort erhob sich bei einer Hecke eine menschliche Gestalt, die sich beim Anblick des herrschaftlichen Wagens geschwind bis zur Erde verneigte. Diese übermäßige Ehrfurcht war der beste Beweis für die Angst, in der alle Leute schwebten, wenn der Gebieter sich sehen ließ. Diesmal aber fühlte sich der alte Herr von weicher Stimmung ergriffen. Diese furchtsamen Gestalten, diese kläglichen Behausungen erweckten in ihm etwas wie Mitleid.

»Wir werden unsern Leibeigenen die Arbeit leichter machen,« murmelte er. »Hat Annette nicht immer ein gutes Wort für sie bei mir eingelegt?«

»Das wäre sehr gut,« beeilte sich der Prälat Beifall zu pflichten.

Dann schwiegen sie, indes Herr Gideon wieder mit seinen Gedanken Zwiesprach hielt. Nach einer Weile sagte er: »Weiß Gott, ich will Eurer Eminenz keine Vorschriften machen. Nichts liegt mir ferner. Aber sagt ihr nur, Eminenz, es handele sich um ihr Bestes, und es sei mein stetes Bestreben, für ihr Glück zu sorgen. Sollte sie sich weigern – ein Fall, der übrigens nicht anzunehmen ist – so wird es gut sein, ein wenig streng mit ihr zu sein – –«

»Euer Gnaden hat mir versichert, Ihr wolltet keinen Zwang ausüben . . .«

»Das habe ich gesagt . . . allein mit Unterscheidung. Es würde mir nicht zukommen, persönlich sie zu zwingen oder ihr zu drohen. Aber es ist doch etwas anderes, wenn ein dritter, obendrein ein Mann von heiligem Beruf, ihr die Pflichten vorstellt, die die Erkenntlichkeit ihr auferlegt.«

»Verlaßt Euch auf mich. Da ich mich einmal bereit erklärt habe zu vermitteln, so werde ich meine ganze Geschicklichkeit anwenden. Wisset jedoch, daß ich nur Ueberredungskünste ins Feld führen werde. Es gilt hier, delicatissime zu verfahren.«

»Vollauf einverstanden! Doch ein letztes Wort. Ich habe Euch erzählt, sie verabscheue Jakob. Wenn Ihr auf ihn zu sprechen kommt, so würde es sich vielleicht empfehlen, dieser ungünstigen Meinung von neuem Nahrung zu geben.«

»Wenn er so gehandelt hat, wie Ihr sagt, so verdient er keine Nachsicht.«

»Wir sind angelangt. Im Namen des Vaters und des Sohnes . . .«

»Und des Heiligen Geistes, Amen!«

Der Wagen machte Halt. Indessen eilte ihnen niemand entgegen. Der tiefe Schlamm hatte das Geräusch der Räder gedämpft, und die Hunde bellten nur, wenn Fremde kamen. Die Dienstleute waren jedenfalls alle in der Küche, um sich zu wärmen. Im Vestibül war es finster. Pongowski mußte zweimal rufen, und die niedliche Annette erschien schließlich selbst im schwankenden Schein des Leuchters, den sie hochhob. Die Herren im Wagen verhielten sich ein kleines Weilchen still; sie erblickten in dem Umstand, daß sie selbst ihnen zuerst gegenübertrat, sie willkommen zu heißen, eine günstige Vorbedeutung, und außerdem waren beide wie geblendet von ihrer Schönheit.

Die Finger, die das Licht hielten, waren von rosigem Schimmer durchleuchtet; die Helligkeit lag auf ihrer Brust, auf ihrem Mündchen und auf ihrem kleinen Gesicht, das ein wenig schläfrig und traurig dreinschaute. Die Augen lagen im Schatten, aber die Stirn und das herrliche Blondhaar darum her waren von Glanz übergossen, als hätte sie eine Krone getragen. Von Dunkel umgeben, selbst aber lichtvoll und still, stand sie vor ihnen wie ein von einer rosigen Glorie umflossener Engel.

»Eine göttliche Erscheinung,« murmelte der Prälat.

»Annette!« rief Pongowski mit vor Erregung zitternder Stimme.

Nun lief sie herzu, stellte den Leuchter auf den Kaminvorsprung und begrüßte sie mit großer Freude. Pongowski zog sie zärtlich an sich: »Mein Püppchen,« sprach er, »freue dich, ich führe dir einen ausgezeichneten Gast zu, einen wackern Freund und einen höchst weisen Berater.«

Nach beendeter Begrüßung fragte er: »Ihr habt wohl schon zu Abend gespeist?«

»Nein. Die Dienerschaft sollte eben auftragen, und deshalb war niemand im Hausflur.«

Der Geistliche sah den alten Edelmann an und fragte: »Sollte man nicht doch warten?«

»Nein, nein,« antwortete Pongowski schnell. »Frau Winnicka wird gleich das Nötige besorgen.«

Frau Winnicka tummelte sich denn auch. Eine Viertelstunde später saßen sie bei Tische. Der Prälat aß und trank mit Appetit. Doch gegen Ende der Mahlzeit nahm sein Antlitz einen ernsten Ausdruck an, und sich an Annette wendend, sprach er: »Mein Kind, Gott weiß, warum die Menschen mich einen Ratgeber nennen und oft bei mir Zuflucht suchen. Wie dem aber auch sei, Euer Vormund hat mich beauftragt, mit Euch über gewisse, die Zukunft betreffende Pläne zu sprechen, und dies möge denn nun vor sich gehen.«

Annette erhob sich sehr blaß. Sie glaubte, der Priester wolle mit ihr von Jakob sprechen.

»Komm mit mir, mein Kind. Wir werden am besten unter vier Augen plaudern.«

Sie gingen beide hinaus.

Herr Pongowski atmete zweimal tief auf. Er trommelte mit den Fingern auf dem Tische. Dann stand er auf, und um seiner innern Unruhe Luft zu schaffen, wandte er sich an Frau Winnicka: »Ist es Euch auch schon aufgefallen, daß alle Verwandten meiner weiland Gemahlin die arme Annette hassen?«

»O gewiß. In erster Linie die Krepecki.«

»Nicht wahr. Sie fletschen die Zähne, wenn sie sie nur sehen. Sie werden bald noch mehr in Wut geraten, dafür bürge ich.«

»Was wird es denn geben?«

»Ihr werdet es in kurzem erfahren. Einstweilen tragt Sorge, daß für den Prälaten ein Zimmer hergerichtet wird.«

Pongowski blieb nun allein. Zwei Diener kamen herein, um den Tisch abzuräumen. Wütend schrie er ihnen zu, sie sollten verschwinden. In dem tiefen Schweigen vernahm man nichts mehr als das eintönige Ticktack der Danziger Uhr.

Pongowski näherte sich der Tür, hinter welcher der Prälat mit Annette verhandelte, und horchte. Er unterschied zwar die Stimme des Priesters, aber einzelne Worte konnte er nicht verstehen. Er strich sich mit der Hand über die Glatze und schritt im Zimmer auf und nieder. Ab und zu stand er wieder still. Endlich machte er vorm Fenster Halt und starrte mit gedankenlosem Blick in die Nacht hinaus. Der Mond verschwand in den Wolken, die der Wind vor sich hintrieb, tauchte auf, tauchte wieder unter. Und jedesmal, wenn er verschwand, betrachtete Pongowski dies als ein böses Vorzeichen und zitterte. Seine Gedanken wogten dann auf und ab wie die kahlen Zweige, die der Sturm schüttelte. Er fühlte Gewissensbisse und dumpfe Ahnungen, als wenn etwas Böses geschähe, wofür er Strafe erleiden würde. Von neuem erfüllte das Mondlicht den weiten Himmel, und von neuem erwachte Zuversicht in der Brust des Greises.

Jedermann hat ja das Recht, sein Glück zu erbauen. Und was ging ihn Jakob an? War das denn eine so große Sache? Um was handelte es sich denn im Grunde? Nur darum, die Zukunft einer Waise zu sichern. Und wenn den alten Tagen Pongowskis eine letzte Freude beschieden war, lag darin ein Verstoß gegen das Gesetz? Verdiente er das etwa nicht? »In den Wind also mit allen Skrupeln – in den Wind damit!«

Schwindel befiel ihn. Schwarze Flocken tanzten ihm vor den Augen. Er schritt wieder hin und her und näherte sich abermals der Tür, hinter der sich jetzt sein Schicksal entschied. Zeitweilig erklang die Stimme des Predigers lauter, und er würde gewiß einige Worte verstanden haben, wenn nicht die Uhr so betäubend getickt hätte. Obwohl es nur natürlich war, daß eine so wichtige Unterredung lange dauerte, stieg Pan Gideons Unruhe von Minute zu Minute, je mehr die Erinnerung an eine Vergangenheit erwachte, in der die bösen Taten nicht eben selten waren.

Und sein Gewissen sprach zu ihm: »Wodurch hast du es verdient, noch einmal glücklich zu sein?«

Wenn wenigstens Frau Winnicka wiederkäme, wenn sie ihn aus dieser qualvollen Unruhe, aus diesem Alleinsein mit seinen Gewissensbissen befreite.

Aber Frau Winnicka widmete sich Haushaltungssorgen. Die Uhr maß mit unerträglicher Ruhe die Minuten – tick-tack – tick-tack! Und das unerbittliche Gewissen fragte von neuem: »Wofür soll dich Gott noch belohnen?«

Pan Pongowski fühlte recht wohl, wenn das junge Mädchen nicht die Seine wurde, so war er fortan von Nacht umgeben bis zu der Stunde, wo die Schatten des Todes ihn umfangen würden.

Plötzlich öffnete sich die Tür. In Tränen gebadet, mit bleichem Gesicht, trat Annette ein. Der Priester folgte ihr.

»Du weinst?« fragte Herr Pongowski mit erstickter Stimme.

»Aus Dankbarkeit,« antwortete sie, ihm die Hände entgegenstreckend.

Und sie sank vor ihm in die Knie.



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