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Ein paar Stunden später brachte der alte Krepecki seinen Sohn nach Belczonka zurück, obwohl Martin sich noch nicht auf den Beinen halten konnte und in einen an Bewußtlosigkeit grenzenden Zustand verfallen war, so daß er nur eine unklare Erkenntnis von allem hatte, was um ihn her vorging. Die Dienerschaft hatte ihn völlig von Federn und Pech gereinigt und ihm ein Bad bereitet. Darauf war er in frische Leinwand eingewickelt worden. Aber diese Verrichtungen erschöpften ihn, und er fiel dabei mehrmals in Ohnmacht. Der vorzügliche Likör der Frau Dzwonkowska, welcher mit Fruchtsäften und Ingwer angesetzt war, brachte ihn wieder zu sich. Cypryanowicz wünschte ihn in seinem Hause zu behalten, bis er sich wenigstens einigermaßen erholt hätte; aber der alte Krepecki, der vor Wut außer sich war, wollte davon nichts hören. Er mochte einem Manne, gegen den er einen Prozeß anzustrengen entschlossen war, nicht zu Dank verpflichtet sein. Er ließ den Wagen mit Heu auspolstern und einen Teppich hineinlegen, auf den man Martin bettete. Dann fuhr er ab, unter wilden Drohungen gegen die Bukojemski und Cypryanowicz. Das Lächerliche dabei war nur, daß er die Hilfeleistungen seines Wirts annahm und trotz all seiner Schmähungen sich Wäsche, Lappen und Heu von ihm borgen mußte, worüber er sich allerdings in seiner blinden Wut gar nicht klar zu sein schien. Uebrigens war Herr Cypryanowicz auch keineswegs in der Stimmung, daß er hätte lachen mögen. Der böse Streich der vier unverbesserlichen Brüder bereitete ihm große Unruhe.
Abt Wonowski war herbeigerufen worden und inzwischen auch angekommen. Die Bukojemski hielten sich reumütig auf ihrer Stube und kamen gar nicht zum Vorschein. Also mußte Herr Seraphin selbst dem Geistlichen alles erzählen. Der Abt hörte aufmerksam zu. Manchmal strich er mit den Händen die Soutane glatt. Er schien aber in keine allzu große Entrüstung zu geraten.
»Wenn Martin daran stirbt,« sagte er schließlich, »dann wird es den Bukojemski schlecht ergehen. Aber wenn er davonkommt, was ich annehme, dann wird er sich persönlich an ihnen rächen, statt einen Prozeß anhängig zu machen.«
»Weshalb vermutet Ihr das?«
»Man hütet sich immer, sich dem öffentlichen Gelächter auszusetzen. Und dann wäre bei einem Prozeß auch seine schändliche Handlungsweise gegen Fräulein Siëninska ans Tageslicht gekommen, coram publico,vor der Oeffentlichkeit und dabei könnte er sich denn doch böse blamieren. Man weiß außerdem, was für eine Lebensweise er an sich hat, und deshalb ist es für ihn besser, es nicht dahin kommen zu lassen, daß vor Gericht alles ausgekramt wird, was die Leute von ihm wissen.«
»Da könnt Ihr recht haben,« versetzte Cypryanowicz. »Dennoch darf man das Bubenstück der Bukojemski nicht ungestraft hingehen lassen.«
Der Priester machte eine entschuldigende Gebärde. »Die Bukojemski sind nun einmal so – und das darf man nicht zu teuer kaufen.«
»Was?« rief Herr Seraphin erstaunt. »Ich glaubte, Ihr würdet über die Narrheit dieser Burschen entrüsteter sein.«
»Lieber Herr,« versetzte der Abt, »Ihr seid Soldat gewesen, aber nicht so lange wie ich. Ich habe mein Leben lang so schreckliche Greuel und Missetaten vor Augen gehabt, daß mich nichts mehr wundernimmt. Gewiß, die Bukojemski haben schändlich gehandelt; aber es gibt noch weit schlimmere Taten. Und schließlich hatten sie bei dem allen doch die lobenswerte Absicht, auf ihre Weise die Mißhandlung einer Waise zu rächen. Potzblitz ja, ich hätte mich sicherlich weit mehr geärgert, wenn Martin ungestraft davongekommen wäre. Das Alter hat unser Blut abgekühlt, Pan; bedenkt aber, als wir noch jung waren, würden wir darüber auch vor Wut außer uns geraten sein?«
»Ohne Zweifel, ohne Zweifel. Das hindert jedoch nicht, daß Martin vielleicht die nächste Morgenröte nicht mehr sieht.«
»Unser aller Leben ist in Gottes Hand. Ihr sagtet doch aber, er sei nicht verwundet.«
»Dennoch ist er am ganzen Leibe zerschunden und zerquetscht. Und alle Augenblicke wird er bewußtlos.«
»Bah, das kommt von Erschöpfung. Das wilde Reiten hat ihn mitgenommen. Na gut! wir werden diesen Schlingeln die Ohren zausen. Sie sollen die Wahrheit bekennen.«
Bei diesen Worten ging der Abt hinaus. Die Brüder hießen ihn freudig willkommen. Sie hofften, er werde ein gutes Wort für sie bei ihrem Wirt einlegen.
Da sie sich alle zu gleicher Zeit rechtfertigen wollten, so entstand unter ihnen alsbald ein Streit darüber, welcher von ihnen das Wort führen sollte. Sie hörten erst auf, als der Geistliche erklärte, Johannes als der älteste solle sprechen. Dieser begann nun den Sachverhalt in folgender Weise darzustellen: »Mein Wohltäter, unser Herrgott ist Zeuge unserer Unschuld. Als Frau Dzwonkowska uns mitgeteilt hatte, der zarte Körper des armen Mädchens sei eine einzige Wunde und Schwiele, da wären unsere Herzen gebrochen, hätten wir nicht zur Stärkung einen guten, starken Wein gehabt. Wir tranken und weinten, wir weinten und tranken. Aber wie sollten wir darüber hinwegkommen, daß Fräulein Siëninska, eine Dame von höchster Abkunft, deren Ahnen im Senat des Reichs gesessen haben, so unmenschlich mißhandelt worden war? Denn um nur ein Beispiel anzuführen, auch mit den Pferden ist es so; die Vollblutpferde, die rassereinen, sind viel zarter und edler, ihre Haut selbst ist glatter. Peitscht man eine alte Schindmähre, die fühlt es kaum; aber schlägt man einen edeln Renner, so zittert er, und alsbald sieht man eine Strieme. Und nun stellt Euch erst den zarten Körper, die feine Haut dieses Engelchens, dieses Lämmchens vor! Sie muß ja weich und weiß sein wie geweihtes Brot!«
»Was geht mich ihre Haut an?« versetzte der Abt barsch. »Erzählt lieber, wie ihr Martin in den Hinterhalt gelockt habt.«
»Wir hatten Pan Cypryanowicz gelobt, ihn nicht niederzumetzeln. Wir erfuhren aber, der alte Krepecki werde nach Jedlinka kommen. Dies ging uns durch den Kopf, und wir sagten uns, der Klotz würde auf halbem Wege seinen Vater erwarten. Gut! Nun füllten also zwei von uns ein Faß ganz mit Federn, die wir uns von der Frau eines Försters geben ließen; die zwei andern schafften eine Tonne herbei, die wir voll Pech gossen. In der Nähe der Teersiederei stellten wir uns auf und sahen hier den alten Krepecki vorüberfahren. Schön! er war also gekommen. Nun galt es zu warten. Und wir warteten. Stunden verstrichen. Schon wollten wir einfach selbst nach Belczonka gehen, da gab uns der Siedeknecht ein Zeichen, der Klotz käme heran. In der Tat, es war Martin. Wir pflanzten uns quer auf der Straße auf. ›Gott zum Gruß, Gott zum Gruß!‹ riefen wir ihm zu. ›Wohin des Wegs?‹ – ›Immer der Nase entlang, mitten durch den Wald,‹ antwortete er. – ›Und welche Schändlichkeit habt Ihr jetzt wieder vor?‹ fragten wir weiter. – ›Ob eine Schändlichkeit, ob eine gute Tat, was geht das euch an? Macht Platz!‹ schrie er, und das Großmaul zog blank. Nun sprangen wir auf ihn los. Im Handumdrehn hatten wir ihn vom Pferde gezogen und schleppten ihn mit uns. Er schrie aus Leibeskräften, biß und knirschte mit den Zähnen. Aber statt aller Antwort tunkten wir ihn erst mal köpflings in das Teerfaß. ›Ha, Hundesohn,‹ schrien wir ihm dabei zu, ›du stellst verwaisten Mädchen nach, du mißhandelst hochgeborne Damen! Du schlägst sie und bildest dir ein, deine Schandtaten würden ungestraft bleiben? Erfahre, es gibt noch mitfühlende Seelen!‹ Und plautz, hinein in die Federn! ›Erfahre, es gibt noch Ritter, die die Ehre von Damen verteidigen!‹ Plautz, in den Teer! ›Lerne die Brüder Bukojemski kennen!‹ Plautz, noch einmal in die Federn! Wir wollten das noch ein paarmal so machen, aber der Teersieder bekam es mit der Angst zu tun. ›Er erstickt!‹ schrie er uns zu. Und wirklich war sein Kopf schon eine Kugel von Federn, und man sah von den Augen, von der Nase, von den Lippen nichts mehr. Nun stülpten wir ihn auf seine Mähre und banden ihm die Beine unter dem Bauch des Tieres zusammen, damit er nicht aus dem Sattel purzle. Darauf überschütteten wir auch das Pferd mit Teer und Federn, ganz wie seinen Herrn, nahmen ihm den Zaum ab und trieben es, hui! mit Peitschenhieben vor uns her!«
»Und so habt ihr ihn auf dem Rosse hierher gehetzt?«
»Ja, gleich einem Ungetüm, wie ein solches noch nie auf Erden gesehen worden ist. Auf diese Weise gedachten wir das gnädige Fräulein zu trösten und ihr unsere brüderliche Anteilnahme und Zuneigung zu beweisen.«
»Meiner Treu! schön habt ihr sie getröstet. Als sie euern Aufzug sah, hätte sie vor Schreck fast den Geist aufgegeben.«
»Ja, aber als sie sich von ihrem Schreck erholte, wird sie sich doch über unsern Beistand gefreut haben. Es ist süß, Beschützer um sich zu wissen.«
»Ihr habt ihr dadurch mehr geschadet als genützt. Denn wenn sie je wieder den Krepecki in die Hände fällt . . .«
»Donnerwetter! da sind wir doch noch da!«
»Was? und wenn man euch ins Gefängnis gesteckt hat?«
Die Bukojemski warfen einander besorgte Blicke zu. Aber Lukas schlug sich mit der hohlen Hand auf die Stirn. »Wie kann man uns denn ins Gefängnis stecken?« rief er. »Wir werden dann ja längst bei unserm Fähnlein sein. Und auch sonst – wenn sich's drum handelt, Fräulein Siëninska zu beschützen, so werden wir stets Mittel und Wege finden.«
»Was für Mittel denn?«
»Sobald Martin wieder gesund ist, werden wir ihm eine Forderung schicken, und dann soll er uns nicht entwischen.«
»Und wenn er nicht wieder gesund wird?«
»Dann wird Gott helfen.«
»Ja, aber einstweilen werdet ihr diesen Bubenstreich mit dem Kopfe bezahlen müssen.«
»Vorher werden wir so viele Türken niedergemacht haben, daß Jesus uns lossprechen wird. Sprecht Ihr nur bei Herrn Cypryanowicz für uns, denn wenn Stach hier gewesen wäre, er hätte Martin auch nicht ungestraft gelassen.«
»Und Jakob erst? Zählt er etwa nicht mit?« setzte Matthäus hinzu.
»Jakob wird ihn noch ganz anders züchtigen,« rief der Priester unwillkürlich.
Doch jetzt trat Cypryanowicz mit ernster Miene herein.
»Ich habe mir's überlegt, was wohl hier zu tun wäre,« sagte er. »Und folgendes will mir als das Klügste erscheinen. Wir wollen alle zusammen nach Krakau fahren und Annette mit uns nehmen. Ich weiß nicht, ob wir unsere lieben Jungen noch in dieser Stadt antreffen werden; ihr Fähnlein ist vielleicht schon in ein anderes Quartier gerückt; aber unbedingt nötig ist es, Fräulein Siëninska dem Schutze des Königs oder der Königin anzuvertrauen. Wenn das unmöglich ist, dann wollen wir sie zunächst in einem Kloster unterbringen. Ihr wißt ja, ich will selbst auf einige Zeit Kriegsdienste nehmen, um den Feldzug an der Seite meines Sohnes mitzumachen oder, wenn es Gottes Wille ist, mit ihm zu fallen. Wenn wir nicht mehr hier sind, wäre Annette selbst in Radom, obwohl Eminenz Tworkowski dort über sie wachen würde, nicht mehr ihres Lebens sicher. Auch diese Herren hier –« dabei deutete er mit dem Daumen auf die Brüder Bukojemski – »werden es eilig haben, sich der Autorität und Gerechtigkeit des Großhetmans zur Verfügung zu stellen, um sich vor der Gewalttätigkeit der Krepecki zu sichern, die bald in all ihrer Hinterlist ihnen nach dem Leben trachten werden. Gott sei Dank! ich habe bei Hofe noch einflußreiche Freunde, zum Beispiel Herrn Maczynski, Herrn Gninski, Herrn Grothus. Ich hoffe, sie werden der Waise ihren Beistand nicht verweigern. Bin ich erst über Annettens Zukunft beruhigt, werde ich mich dem Regiment meines Sohnes anschließen, wo ich ja auch Jakob finden werde. Wie denkt Ihr dazu, Abt?«
»Bei Gott, eine vortreffliche Eingebung! Und ich ziehe mit Euch. Dann werde auch ich bei meinem Jakob sein. Auch was Ihr von Annette spracht, ist ein ausgezeichneter Gedanke. Die Sobieski verdanken einen großen Teil ihres Vermögens den Ahnen des Mädchens. Auf alle Fälle wird sie in Krakau sicher sein. Sie kommt dort überdies in Jakobs Nähe, der sie nicht vergessen haben wird, dafür stehe ich. Ist der Krieg ruhmreich beendet, wird Gott schon die beste Weise finden, unser aller Hoffnungen zu erfüllen. Für meine Pfarre werde ich einen Stellvertreter erbitten . . . dann ziehe ich mit euch!«
»Vorwärts! Allesamt nach Krakau!« riefen die Brüder Bukojemski, trunken vor Freude.
»Und auf das Feld der Ehre!« schloß der Priester.
Die folgenden Tage waren ganz den Vorbereitungen zur Abreise gewidmet. Cypryanowicz sah voraus, daß es schwer halten würde, den König für private Interessen zu gewinnen, da jetzt gerade die wichtigsten Fragen des Staates seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen. Aber es war ja noch die Königin da, zu welcher er Zutritt zu finden hoffte, durch Vermittlung der einflußreichen Freunde, deren er Erwähnung getan, und die alle mit den Siëninski oder den Taczewski verwandt waren. Abt Wonowski begab sich persönlich nach Radom, um sich dort wegen eines Stellvertreters zu bemühen. Den Vorsatz, von seiner Pfarre einmal eine Zeitlang Urlaub zu nehmen, hegte er schon lange; er kam jetzt nur insofern in anderer Form zur Ausführung, als sich dazu die Absicht gesellte, Fräulein Siëninska nach Krakau zu bringen und sie vor der Verfolgung der Krepecki zu schützen.
Man befürchtete auch, die Krepecki würden die Abwesenheit des Hausherrn benutzen, um Jedlinka zu überfallen, sich des Viehs bemächtigen, die Speicher plündern und Teppiche, Möbel, Waffen, Silbergeschirr stehlen, ganz zu schweigen von dem ringsum berühmten Weinkeller. Der Verwalter behauptete allerdings, er könnte sich auf seine Leute verlassen und mit Unterstützung der Bauern und der Waldhüter würde er das Gut zu verteidigen wissen. Allein der alte Herr zog es doch vor, das Silberzeug bei den Bernhardinern in Radom zu deponieren, in deren Kloster er auch schon beträchtliche Summen Geldes geborgen hatte, welche er in seinem mitten zwischen tiefen Waldungen gelegenen Hause nicht sicher genug glaubte.
Inzwischen gab er wohl acht auf alles, was von Belczonka her verlautete. Durch den Kellermeister erfuhr er, Krepecki-Vater sei, allerdings nur auf ganz kurze Zeit, in Radom und dann in Lublin gewesen, wo der oberste Gerichtshof seinen Sitz hatte. Martin schwebte acht Tage lang in Lebensgefahr. Man hatte befürchtet, das Pech, das er verschluckt, würde ihm die Gedärme verstopfen oder gar zerstören. Seine kräftige Natur siegte jedoch. Wenn er auch noch nicht aufstehen konnte, so war er doch schon imstande, Verwünschungen gegen die Bukojemski auszustoßen und sich an Rachegedanken zu ergötzen. Seine Radomer Sippschaft war jetzt oft bei ihm – Gesindel von der schlimmsten Sorte, stets durstig und hungrig, in schlechten Stiefeln, den Säbel an einem Wehrgehenk aus Strick. Sie sprachen leise miteinander, schmiedeten Komplotte, heckten unheimliche, lichtscheue Pläne aus, die sich nicht nur gegen Cypryanowicz und die Bukojemski, sondern auch gegen Annette richteten. Dabei überhäufte er das Mädchen mit so schändlichen Schimpfworten und Verleumdungen, daß sein Vater ihm Einhalt gebieten mußte, denn der Alte vergaß nicht, daß das Gesetz diejenigen, die ihre Nächsten in falschen Leumund brachten, mit ehrverletzenden Strafen belegte.
Das Gerücht von diesen Drohungen machte auf die Bewohner von Jedlinka verschiedenen Eindruck. Pan Cypryanowicz, ein ebenso kluger wie tapferer Mann, sah mit gewisser Sorge in die Zukunft; er befürchtete, die Feindseligkeit dieser zu allem entschlossenen Menschen würde auch seinen Sohn nicht verschonen. Abt Wonowski, der heißeres Blut in den Adern hatte, machte seiner Entrüstung Luft und prophezeite, es werde mit allen Krepecki ein schlimmes Ende nehmen, und obwohl er mit Annette völlig ausgesöhnt war, hörten die Brüder Bukojemski und Pan Cypryanowicz ihn doch oftmals zu sich selbst also sprechen: »Wer hat den trojanischen Krieg verursacht? Ein Weib – mulier. Wer veranlaßt unsern Hader, wer zwingt uns zum Blutvergießen? – mulier. Und ob nun mit oder ohne Schuld, die Ursache zu allem Widerwärtigen bleibt doch immer das Weib – mulier!«
Nur Matthäus, Markus, Lukas und Johannes lachten über die Gefahr. Martin sollte nur kommen! Sie meinten sogar, das würde die köstlichste Kurzweil geben. Dennoch wurden sie von vielen Seiten gewarnt. Die Sulgostowski, die Silnicki, die Kechanowski, die alle schlecht auf Martin zu sprechen waren, kamen nach Jedlinka und brachten allerlei Nachrichten. Es hieß, Martin versammle eine wirkliche Bande um sich her und ziehe sogar die gefürchteten Räuber des Waldes heran. Die besorgten Nachbarn erboten sich, ihnen mit bewaffneter Hand zu Hilfe zu kommen, aber die Brüder wollten davon nichts wissen. Lukas, der für gewöhnlich Wortführer war, antwortete auf alle klugen Ratschläge: »Ei, um so besser, wenn wir vor dem Kriege Gelegenheit haben, uns ein wenig zu üben. Belczonka ist auch keine Festung. Ich rate daher Freund Martin, lieber auf seine eigene Sicherheit bedacht zu sein. Wer weiß, was ihm noch widerfahren kann? Und wenn er uns mit Undank lohnen will, so soll es ihm schlecht bekommen!«
Herr Silnicki sah die Brüder erstaunt an und fragte: »Euch mit Undank lohnen? Unter uns, er hat doch wirklich keine Ursache, Euch dankbar zu sein.«
Lukas antwortete im Tone ehrlicher Entrüstung: »Wieso denn nicht? Hätten wir ihn denn nicht töten können? Wem also verdankt er's, daß er lebt? Einmal der seligen Frau Krepecka, seiner Mutter, dann aber unserer Mäßigung und Schonung. Doch wenn er darauf ein für alle Mal rechnen sollte, meiner Treu, so sagt ihm, daß er im Irrtum sei, und setzt noch hinzu, er werde Fräulein Annette ebensowenig wiedersehen, wie er seine eignen Ohren sehen kann.«
»Die könnte er vielleicht doch zu sehen bekommen, denn wir brauchten sie ihm bloß abzuschneiden,« bemerkte Johannes.
Sehr mit sich selbst zufrieden, hatten die Bukojemski nichts Eiligeres zu tun, als dieses Gespräch Annette zu erzählen. Sie gedachten sie auf diese Weise zu beruhigen. Das war freilich eine überflüssige Sorge. Annette war von Natur eigentlich nicht furchtsam. So sehr sie sich vor den Krepecki gefürchtet hatte, als sie noch in Belczonka in ihrer Gewalt gewesen, so war sie doch jetzt fest davon überzeugt, daß sie in Jedlinka vor aller Gefahr sicher sei. Als sie am zweiten Tage ihres Aufenthalts bei Cypryanowicz Martin mit angeklebten Federn, gleich einem absurden Vogel, durchs offene Fenster erblickt hatte, war sie wohl heftig erschrocken; dann aber mischte sich in ihre Verwunderung und in das Mitleid, das sie mit dem Gepeitschten empfand, so schlecht dieser auch zu ihr gewesen war, eine Art Ehrfurcht und Vertrauen zu der großen Stärke dieser vier Männer. Wer so mit einem Martin Krepecki umgehen konnte, der mußte selber stark und todesmutig sein, und sie konnte sich gar nicht vorstellen, daß es jemand geben könne, der diese Brüder anzugreifen wagen würde. Sie glaubte, die ganze Welt müsse vor ihnen zittern. Allerdings hatte Jakob sie alle vier kampfunfähig gemacht, aber Jakob stand in ihren Augen eben noch über allen andern Sterblichen. In der Abschiedsstunde war ihr dieser Jüngling, über dessen Schüchternheit sie sich oftmals lustig gemacht hatte, so erhaben, so großartig erschienen, daß sie nun gar nicht mehr den richtigen Maßstab anzulegen wußte. Was Cypryanowicz und der Abt von ihm sagten, erhöhte noch ihre Bewunderung für diesen Freund aus ihrer Kindheit, der ihr einst so nahe gewesen und der jetzt so fern weilte. Ja, er war für sie ein anderer als bisher. Das alles bestärkte nun in ihrem Innern die Sehnsucht nach ihm und jenes noch süßere Gefühl, das sie, seit sie einmal in einem Moment der Rührung dem Geistlichen Wonowski gebeichtet hatte, jetzt wieder in ihr Herz einschloß, wie eine Perle in einer Muschel eingeschlossen ist.
Gleichzeitig hoffte sie auch, ihn bald wiederzusehen. Seit es ihr gelungen, den Krepecki zu entrinnen, seit sie den Schutz wohlwollender Menschen über sich wußte, wurde diese Gewißheit zur Zuversicht und erweckte neue Lebensfreude. Die Gesundheit und mit ihr die Heiterkeit stellten sich wieder ein. Sie blühte auf wie eine Blume im Lenz. Und ihre strahlende Jugend erhellte das alte, stets ein wenig düstere Haus von Jedlinka. Alle Welt vergötterte sie, das Gesinde, Frau Dzwonkowska, Pan Seraphin und die Brüder Bukojemski. Wo sich die Spitze ihres kecken Näschens zeigte, wo ihre klaren Augen lächelten, da ergoß sich Freude über die Gesichter und in die Herzen. Nur vor Abt Wonowski fürchtete sie sich ein wenig. Es sah so aus, als wenn von ihm vor allem die Zukunft abhänge. Und doch liebte er sie jetzt fast. Je näher er sie kennen lernte, um so mehr schätzte er die Reinheit ihrer Seele, wie er ja überhaupt für alle Kreatur Gottes ein mitfühlendes Herz hatte. Im Scherz verglich er sie bald mit einem Eichkätzchen, bald mit einem Wiesel – »so hurtig,« sagte er, »huscht sie bald hierhin, bald dorthin.«
Aber als hätten sie sich im stillen verabredet, brachte er nach jenem ersten Geständnis Annettens das Gespräch nie wieder auf Jakob. Wahrscheinlich erschien ihm das Thema zu heikel. Cypryanowicz dagegen trug ein solches Bedenken nicht. Eines Tages, als sie ihn fragte, ob er denn seinen Sohn noch in Krakau anzutreffen hoffe, antwortete der Greis, dem Kopf schüttelnd: »Und wünscht Ihr nicht auch einen gewissen jungen Mann meiner Bekanntschaft wiederzusehen?«
Ein Schatten der Melancholie verschleierte ihr anmutiges Gesicht, und sie antwortete ernst: »Ich möchte ihn allerdings sehr bald wiedersehen, um abzubitten, was ich ihm Uebles getan habe.«
Cypryanowicz sah sie ein Weilchen stumm an, dann huschte ein Lächeln über seine Lippen. »Ei, ei, mein Kind,« sagte er, »die Belohnung, die Ihr erteilen werdet, wird köstlicher sein, als alle Auszeichnung, die der König selbst gewähren könnte.«
Annette schlug die Augen nieder, rosig gleich der Morgenröte.
Die Vorbereitungen gingen flott vonstatten. Zur Begleitmannschaft der Reisegesellschaft wurden die stärksten und zuverlässigsten Burschen unter der Dienerschaft ausgesucht, Waffen, Pferde, Gepäck, Wagen, Hunde – alles war bereit. Verwundert und beunruhigt über so langwierige und vielseitige Veranstaltungen, die, wie sie glaubte, zu einem gewissen Teile lediglich ihrer Person wegen geschahen, fragte Annette darüber ihren Wirt aus.
»Gewiß liegt Eure Sicherheit uns vor allem am Herzen,« antwortete er. »Denn wir müssen noch immer auf eine Gewalttat von Martins Seite gefaßt sein. Ihr wißt doch, er hat eine ganze Bande von Abenteurern um sich geschart. Und es wäre doch eine Schande, wenn wir Euch wieder in seine Hände fallen ließen. Und sollten alle andern den Tod erleiden müssen, ich schwöre Euch, ich bringe Euch nach Krakau.«
Das junge Mädchen führte die Hände des Greises an die Lippen. »Bin ich es denn wert, daß Ihr Euch um meinetwillen in so große Gefahr stürzt?«
Er umarmte sie väterlich. »Gewiß. Aber anderseits würden wir, auch wenn Ihr nicht bei uns wäret, dieselben Vorkehrungen treffen müssen, denn es handelt sich doch darum, sich zu einem nahe bevorstehenden Kriege zu rüsten. Ihr wundert Euch vielleicht, daß ein jeder von uns zu seinem persönlichen Gebrauche drei bis vier Pferde mit sich führt, und ebenso viele noch für die Diener. Aber Ihr müßt wissen, mein liebes Kind, im Kriege ist das Pferd von der größten Wichtigkeit. Auf dem Marsche, beim Ritt durch Flüsse, im Handgemenge geht gar bald mal eins drauf. Und was dann? Man kauft in aller Eile ein Streitroß, und zu spät bemerkt man, daß es Fehler hat, daß es unbrauchbar ist. Daher sollen auch Jakob und mein Sohn, obwohl sie reichlich ausgerüstet worden sind, von diesen Pferden je eins bekommen. Außerdem hat Abt Wonowski, der sich auf Pferde versteht, zu einem lächerlich billigen Preise für Jakob einen prachtvollen arabischen Hengst erstanden. Um den würde ihn der Großhetman in Person beneiden.«
»Welches von diesen Pferden soll denn Euer Sohn erhalten?«
Cypryanowicz sah sie spöttisch an. »Wahrhaftiger Gott, der Abt hat recht – mulier insidiosa – selbst das offenherzigste Mägdlein hat es hinter den Ohren. Welches Pferd für meinen Sohn bestimmt ist? Und so antworte ich Euch denn: Der Fuchs mit der Blässe an der Stirn und einem weißen Fleck am linken Hinterbein ist Jakobs Pferd.«
»Wie Ihr mich neckt!« rief sie aus. Dabei schmollte sie wie ein Kätzchen, drehte sich auf dem Absatz um und lief fort.
Aber am selben Tage noch verschwanden alle Brotreste vom Tische und das Salz aus den Näpfchen. Und Lukas Bukojemski sah etwas Absonderliches mit an. Beim Brunnen stand der Fuchs mit der Blässe und hatte die Nüstern in die hohlen Hände des Fräuleins Siëninska gelegt, und als ein Knecht kam, um ihn in den Stall zurückzuführen, drehte er seinen schönen Kopf nach dem Mädchen herum und wieherte noch einmal kurz und lustig zum Zeichen der Dankbarkeit. Lukas hatte alle Hände voll zu tun, einen Gepäckwagen vollzuladen, daher fand er nicht Zeit, das Mädchen zu fragen, doch am Abend trat er auf sie zu und fragte mit strahlenden Augen: »Ist Euch etwas aufgefallen, edle Dame?«
»Was denn?«
»Daß selbst ein Tier einen Leckerbissen zu schätzen weiß.«
Sie dachte gar nicht mehr daran, daß sie dem Pferde zu fressen gegeben, und erwiderte: »Wovon sprecht Ihr denn?«
»Ich meine das Pferd – Jakobs Pferd.«
»Ach so, das Pferd!«
Und laut lachend lief sie davon. Lukas blieb verblüfft stehen. Er begriff nicht, weshalb sie weggerannt war und weshalb sie plötzlich so laut gelacht hatte.
Alles war zur Abreise bereit. Dennoch bekundete Herr Cypryanowicz gar keine Eile, den Marsch anzutreten. Er schob den Aufbruch von Tag zu Tag auf, nahm noch verschiedene Kleinigkeiten vor, beklagte sich über die Hitze und wurde sogar besorgt und traurig. Annette war unruhig; die Brüder Bukojemski machten kein Hehl aus ihrer Unzufriedenheit; der Abt erklärte, man vergeude kostbare Zeit.
Auf diese Vorstellungen mußte Pan Seraphin antworten. »Ich habe erfahren,« sagte er, »der König befinde sich nicht in Krakau, und er werde auch so bald nicht dorthin kommen. Die Regimenter werden nämlich eben erst zusammengezogen. Ich hatte Stanislaus ans Herz gelegt, mir alle Monate einen Boten mit einem Briefe zu schicken, durch den er mir die Bewegungen seines Fähnleins mitteilen sollte. Ueber sechs Wochen sind nun verflossen, und ich bin noch ohne Nachricht. Ich warte von einem Tag zum andern darauf. Das ist der Grund meiner Unschlüssigkeit. Ich gebe zu, ich bin sehr besorgt. Vielleicht finden wir in Krakau weder den König noch das Heer.«
»Aber weshalb denn?« fragte Annette traurig.
»Weil die Regimenter ja nicht durch Krakau durch müssen. Jedes kann von seinem Standort geradeswegs drauf los marschieren. In welcher Stadt sich nun jetzt das Fähnlein des Kronprinzen Alexander befindet, das von Oberst Zbierchowski geführt wird, das weiß ich gar nicht. Vielleicht ist es nach Schlesien entsendet worden, vielleicht ist es zu dem Gros des Heers gestoßen, das der Großhetman befehligt und das an den Grenzen der Ukraine steht. Solche Truppenverschiebungen sind zu Kriegszeiten nichts Seltenes. Manchmal haben sie nur den Zweck, die Mannschaften in Atem zu erhalten und an Gewaltmärsche zu gewöhnen. Und wieviel neue Befehle können nicht in sechs Wochen gegeben worden sein! Stanislaus hätte mich benachrichtigen sollen. Da er es nicht getan hat, hege ich große Besorgnis. Zweikämpfe, waghalsige Stücklein sind im Felde an der Tagesordnung. Vielleicht ist ihm ein Unglück zugestoßen. Und wenn er noch gesund und munter ist, so möchte ich doch erst wissen, wo sein Regiment steht.«
Diese Worte stimmten alle traurig, aber der Abt Wonowski beruhigte sie. »Ein Regiment,« sagte er, »ist keine Stecknadel, kein Hosenknopf, der, vom Rock gerissen und ins Gras gefallen, schwer wiederzufinden ist. Nur unbesorgt! Wir werden in Krakau rascher etwas hören als hier in Jedlinka.«
»Ja, aber wenn der erwartete Brief hier ankommt, während wir unterwegs sind?«
»So hinterlaßt Wilczopolski die nötigen Weisungen. Er wird dann den Boten hinter Euch herschicken. Sind wir erst in Krakau, so bringen wir unsere Waise in Sicherheit, und dann gehen wir zu unserm Fähnlein.«
»Gut sei es so,« sagte Pan Seraphin.
»Schön! Wenn also morgen noch kein Brief ankommt, so werden wir noch am Abend, sobald es dämmert, gen Radom aufbrechen, und von dort geht es dann nach Kielce – nach Miechow – nach Krakau!«
»Wäre es nicht doch klüger, bis übermorgen früh zu warten?« meinte Herr Cypryanowicz. »Es scheint mir nicht gut, des Nachts durch den Wald zu ziehen. Die Krepecki führen etwas gegen uns im Schilde, davon bin ich überzeugt.«
»Das tut nichts! Besser in der Abendkühle!« rief Matthäus Bukojemski. »Wenn sie uns überfallen wollen, so tun sie das bei Tage ebenso wie in der Nacht. Und die Nächte sind jetzt sehr hell.«
Er rieb sich vor Vergnügen die Hände, und die drei andern Brüder folgten seinem Beispiel.
Der Geistliche Wonowski war anderer Meinung. Er glaubte nicht daran, daß die Krepecki einen Ueberfall auf offener Straße wagen würden. »Martin vielleicht, aber der Alte ist viel zu klug und weiß, wie viele schon einen Mädchenraub schwer haben büßen müssen. Ueberdies kann er nicht darauf zählen, etwas gegen uns auszurichten, stark bemannt wie wir sind. Dagegen muß er bestimmt darauf rechnen, sich dann der blutigen Rache Jakobs und Stanislaus' auszusetzen.«
Diese Worte des Geistlichen nahmen den Bukojemski alle Freude, aber Wilczopolski tröstete sie; er bestritt die Behauptung des Abts, schüttelte den Kopf und setzte hinzu: »Selbst wenn ihr unangefochten bis nach Radom, ja bis nach Kielce oder Miechow kommt, meine Herren, so seid doch bis nach Krakau hinein stets sorgsam auf der Hut. Unterwegs gibt es überall Wälder. Ich weiß am besten, was von dem jungen Krepecki zu halten ist. Und ich lege meine Hand ins Feuer, dieser Teufel hat alle Zurüstungen getroffen, euch eins auszuwischen.«