Henryk Sienkiewicz
Auf dem Felde der Ehre
Henryk Sienkiewicz

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26. Kapitel. Das Zusammentreffen

Am folgenden Tage verließ die Gesellschaft beim Morgengrauen Jedlinka. Das Wetter war herrlich. Der Zug von Menschen und Pferden nahm sich sehr stattlich aus. An der Spitze fuhr der mit Leder und Blech ausgeschlagene Wagen, der für Fräulein Siëninska und Frau Dzwonkowska bestimmt war. Auch für Abt Wonowski war ein Platz darin vorgesehen, für den Fall, daß die alte Schußwunde ihn hindern sollte, lange im Sattel zu bleiben. Drei Bagagewagen folgten, jeder bespannt mit vier starken Pferden und bewacht von drei Dienern außer dem Kutscher. Die Leibwache des Herrn Cypryanowicz bestand aus sechs Bewaffneten in blauer Livree. Der Abt und ein jeder der vier Brüder Bukojemski hatten je zwei Diener zu ihrer Verfügung. Ein Waldhüter zu Pferde begleitete einen mit Pelzen und Tierhäuten beladenen Wagen. Es waren also im ganzen 34 Mann, alle mit Säbeln und Büchsen bewaffnet, die an diesem schönen Morgen voll Mut und Hoffnung Jedlinka verließen. Im Falle eines Angriffs konnten zwar nicht alle am Kampfe teilnehmen, weil einige als Wache für die Wagen zurückbleiben mußten, dennoch meinten die Herren Bukojemski, sie könnten mit dieser Mannschaft die ganze Welt durchreisen und selbst eine drei- oder vierfache Uebermacht würde nichts gegen sie ausrichten.

Die Brüder waren vor Freude ganz aus dem Häuschen. Früher hatten sie sich wohl hin und wieder mit Kosaken und Tataren gemessen, aber das waren nur kleine Streifzüge gewesen; dann hatten sie ihre schönsten Jahre als Waldhüter in einsamen Forsten verlebt, wo sie die Knechte überwachen mußten, manchmal wohl Bären jagen durften, die sie jedoch im allgemeinen schonen mußten, damit der König nicht um seinen Zeitvertreib käme, und im übrigen sich höchstens mal in Radom und in Prytyk betrinken konnten. Jetzt aber klirrten endlich die Steigbügel, sie ritten Seite an Seite in den Kampf gegen die Türken, sie zogen in einen wirklichen großen Krieg, sie fühlten, daß dies erst ihre eigentliche Bestimmung sei. Ach, wie niedrig und erbärmlich erschien ihnen das Leben, das sie bisher geführt! Jetzt ging erst das wahre Leben an, das Leben, zu dem Gott Vater den polnischen Edelmann erschaffen, Gott Sohn ihn erlöst und der Heilige Geist ihn erleuchtet hatte! Sie konnten ihre Freude nicht in Worte fassen, denn die schönen Reden waren nie ihre starke Seite gewesen, aber das Geschrei, das sie ausstießen, bekundete deutlich den Jubel, von dem ihre Brust erfüllt war. Die Fahrt ging ihnen viel zu langsam vonstatten. Sie hätten am liebsten den Pferden die Zügel schießen lassen, um mit dem Winde um die Wette der großen Bestimmung, der gewaltigen Schlacht der Polen gegen die Heiden, dem hehren Siege des Kreuzes über den Halbmond und einem glorreichen Tode, einem ewigen Ruhme entgegenzujagen. Sie kamen sich nun selbst besser, reiner, würdiger vor. Sie meinten, mit noch größerem Recht auf ihren Adel stolz sein zu dürfen. An Martin, an dessen Bande und den Hinterhalt, der von ihrer Seite befürchtet wurde, dachten sie schon gar nicht mehr. Das erschien ihnen jetzt so kleinlich, so nebensächlich, so niedrig, daß es keiner Aufmerksamkeit wert sei. Und wenn ganze Legionen vor ihnen auftauchten, sie würden sie in Grund und Boden reiten und ihren Triumphzug fortsetzen. Wilde Kampfeslust, heißes Kriegerblut kochte in ihren Adern, und sie hätten gewiß keinen Augenblick gezaudert, sich zu viert gesenkten Hauptes der gesamten Janitscharenwache des Sultans entgegenzuwerfen.

Aehnliche, doch an Erinnerungen reichere Gedanken erfüllten die Seele des Herrn Cypryanowicz und des Abts Wonowski. Der Priester hatte seine Jugend verbracht, den Säbel in der Faust. Er dachte an all die Siege und auch an einige Niederlagen, die er mit erlebt hatte: an Chmielnickis furchtbare Rebellion, an Zolte, an Wody, Korfu, Pilawce, an das glorreiche Zbaraz und an die Riesenschlacht bei Berestecki. Er wußte von dem Einfall der Schweden mit seiner endlosen Reihe von Schlachten und Gefechten zu erzählen, von Rakoczys Invasion in Polen. Er war mit in Dänemark gewesen, als die siegreiche Nation, nicht zufrieden damit, die Schweden aus dem Lande gejagt zu haben, ihnen noch Czarnieckis unbesiegbare Regimenter übers Meer nachschickte; er war mit dabei gewesen, als Choranski und Dolgoruki bezwungen wurden. Er hatte die größten Männer und Ritter jener Zeiten kennengelernt, war ein Schüler des unsterblichen Wolodyjowski gewesen und kannte damals kein größeres Wohlgefallen als Schlachten, Metzeleien, Blutvergießen; doch dies nahm ein jähes Ende, als privates Unglück ihm das Herz brach und er ein Geistlicher wurde.

Seit dieser Zeit hatte er sich sehr geändert. »Friede sei mit euch!« predigte er von der Kanzel herab, und darin erblickte er nun das größte Gebot Christi, so daß ihm jeglicher Krieg ein Verstoß gegen Gottes Weisungen zu sein schien, eine Sünde wider die Barmherzigkeit, eine Schmach für christliche Völker. Ausgenommen davon schien ihm nur der Krieg wider die Heiden, wider die Türken. »Gott hat die polnische Nation aufs Pferd gesetzt und mit dem Antlitz gen Osten gewendet,« pflegte er zu sagen. »Damit hat er kundgetan, was er von ihr erwarte, wozu er sie bestimmte. Wir sind der Fels, der allzeit gegen das Meer des Unglaubens aufragen und die Brandung des Heidentums zurückschleudern soll!« Er war auch der Ueberzeugung, Gott habe mit Absicht einen König über Polen gesetzt, der schon als Hetman viel Heidenblut vergossen hatte. Durch dessen Hand nun sollte diesem Feinde der Todesstoß gegeben werden, um ein für alle Mal das Verderben von der christlichen Welt abzuwenden. Jetzt, meinte er, sei die große Stunde herangekommen, da der göttliche Wille sich vollziehen sollte. Daher erschien ihm dieser Krieg als ein heiliger Kreuzzug, und er freute sich, daß er trotz seines Alters und seiner Narben noch daran teilnehmen könne.

O ja, er war noch imstande, an der Spitze eines Fähnleins zu reiten, er, der Soldat Christi, sich als erster ins Handgemenge zu stürzen. Konnte man doch in der einen Hand das Kreuz, in der andern den Säbel halten! So konnte man den nachfolgenden tausend Lanzen und Schwertern den Weg weisen, hinein in die heidnischen Leiber, hin auf die türkischen Schädel! Gegen keine christliche Nation hätte er Kreuz und Säbel fortan geschwungen, aber gegen den Islam – o, das war noch immer ein höchst verdienstvolles Beginnen. Ja, er wollte den jungen Kriegern zeigen, wie man Ungläubigen das Lebenslicht ausblasen, sie rasieren und niedermähen müsse, wie man zu seiner Zeit zu kämpfen pflegte! Früher war er seines Mutes wegen auf mehr als einem Schlachtfelde bewundert worden – jetzt würde vielleicht der König selbst sich noch über ihn wundern, über einen alten Mann von solchem Mut und solcher Stärke! Dieser Gedanke bereitete ihm solches Entzücken, daß er ganz konfus wurde, als er seinen Rosenkranz abbetete: Ave Maria – vorwärts! dreingehauen! totgeschlagen! – Dominus tecum!Sei gegrüßt, Maria – du gnadenreiche – der Herr mit dir! – Keinen Pardon geben!« Verwirrt hielt er inne. »O pfui doch! Versucht mich der Böse? Der Ruhm ist eitler Dunst. Non nobis, non nobis, domine, sed nomini tuo.«Nicht für uns, sondern für deinen Namen, o Herr Und mit größerer Aufmerksamkeit vollendete er seine Andacht.

Auch Cypryanowicz sprach sein Morgengebet. Von Zeit zu Zeit fiel dabei sein Blick bald auf die Waise, bald auf die Brüder Bukojemski. Dann sah er wieder auf die taubedeckten Bäume und Wiesen und ließ den Reiz dieses frischen Morgens auf sich einwirken. Als er endlich das letzte Ave gesprochen, wandte er sich an seinen Freund: »Ihr scheint mir froh gestimmt, Herr Abt?«

»Wie Ihr, Pan.«

»Ei, gewiß. Solange man nicht den Fuß im Steigbügel hat, härmt man sich ab, hat Befürchtungen aller Art und findet nichts wie Schwierigkeiten. Aber sobald man einmal die Luft des freien Feldes atmet, sobald man einmal auf dem Marsche ist, so wird einem leicht ums Herz. Als wir vor zehn Jahren gen Chocim zogen, da waren alle Leute so von Kampfeslust beseelt, daß, obwohl es ein ganz elender Novembertag war, viele die Mäntel ablegten, so große Wärme strömte die Brust aus. Gott hat uns damals einen großen Sieg beschert – er wird auch heute mit uns sein. Der Heerführer ist ja noch derselbe, und die Tapferkeit, die Manneszucht sind nicht geringer. Ich weiß, man lobt auch die deutschen, die schwedischen Streiter, aber gegen die Türken gibt es keine besseren Soldaten als die unsern.«

»Das soll der König selbst einmal gesagt haben,« antwortete der Geistliche. »Die Deutschen halten wacker im Feuer aus, sprach er, aber wenn sie attackieren, zwinkern sie mit den Augen; wenn ich aber die Meinen dicht herangeführt habe, dann kann ich ruhig sein, denn sie mähen so nieder, wie keine andere Reiterei es vermag. Und das ist auch wahr. Da hat unser Herr Jesus uns ja hinreichend mit Kraft begabt, und zwar nicht bloß die Adeligen, sondern auch die Bauern. Nehmt nur unsere Infanterie, die aus Landleuten besteht! Wenn die in die Hände spucken und mit den Musketen vorrücken, dann können die tüchtigsten Janitscharen ihnen nicht standhalten. Das haben wir beide mehrmals mit angesehen.«

»Möge nur Gott meinen Stach und Jakob gesund erhalten. Was meint Ihr aber, Hochwürden, gegen wen wird wohl der Türke die größte Heeresmacht aufbieten?«

»Meiner Meinung nach gegen den Kaiser, denn mit dem steht er schon in Fehde, da er die ungarischen Rebellen unterstützt, aber die Türken können zwei und drei Heere ausstellen, deshalb kann man nicht wissen, wo wir es mit ihnen zu tun bekommen werden.«

»Daher haben wir wahrscheinlich auch noch kein Hauptlager, denn die Regimenter ziehen immer noch von einem Ort zum andern, je nach den eintreffenden Nachrichten. Einige Regimenter stehen unter Herrn Jablonski bei Tremborla, andere ziehen auf Krakau zu, wieder andere liegen da und dort. Ich weiß nicht, wo sich in diesem Augenblick die Truppe des Herrn Zbierchowski befindet. Manchmal denke ich, Stach hat vielleicht deshalb nicht geschrieben, weil das Regiment hierher marschiert und er persönlich zu kommen gedenkt.«

»Wenn es nach Krakau marschiert, so kommt es sicherlich durch diese Gegend. Es kommt nur darauf an, wo es bisher gelegen hat und von woher der Marsch geschieht. Vielleicht hören wir etwas Näheres in Radom. Dort werden wir doch zum erstenmal übernachten.«

»Ja; denn ich wünsche, daß Prälat Tworkowski das Mädchen sähe und mir einen Rat erteile. Er soll uns Empfehlungsbriefe für sie nach Krakau mitgeben.«

Das Gespräch kam ins Stocken. Nach einer Weile fragte Cypryanowicz wieder: »Wie wird es wohl kommen, wenn Annette und Jakob sich in Krakau wiedersehen? Was meint Ihr dazu?«

»Ich weiß nicht. Es geschehe, was Gott will. Jakob könnte eine reiche Heirat machen und dadurch den Glanz seines Hauses wiederherstellen. Annette hat nichts als ihre Schönheit. Gewiß, Geld allein macht nicht glücklich; aber wenn man damit ein altes Geschlecht wieder auf die Beine bringen könnte –«

»Annette ist doch auch von sehr hoher Abkunft, ganz davon zu schweigen, daß Schönheit und Tugend auch etwas wert sind. Und dann lieben sie sich doch über die Maßen.«

»O ja, das ist richtig.« Ein wenig verdrossen, begann der Abt von etwas anderem zu sprechen. »Wir wollen lieber daran denken,« sagte er, »daß ein Räuber, den wir beide sehr gut kennen, uns diesen kostbaren Schatz rauben möchte. Ich muß noch immer dran denken, was Euer Verwalter gesagt hat.«

Cypryanowicz schaute forschend in den dichten Wald hinein. »Sie werden es nicht wagen,« sagte er. »Sie werden es nicht wagen. Seht, wie ruhig alles ist! Uebrigens würden wir ihnen auch einen heißen Empfang bereiten. Ei, Annette hat es im Wagen nicht länger ausgehalten. Sie ist ein wenig zu Pferde gestiegen.«

»Ja, edles Blut fließt in ihren Adern,« stimmte der Abt bei. »Sie hat es verstanden, Euch für sich zu gewinnen, Pan.«

»Nun, Euch auch ein wenig, Hochwürden. Ich meines Teils mache gar kein Hehl daraus. Wenn sie lächelt oder einen bittend ansieht, potzblitz! dann fühlt man sich ganz wehrlos. Jede Evastochter hat ihre Schliche. Habt Ihr auch schon bemerkt, was für eine reizende Manier sie hat, die langen Wimpern niederzuschlagen und die Hände zu falten? Wenn wir in die Nähe von Belczonka kommen, werde ich sie aber zwingen, wieder in den Wagen zu steigen. Seht nur, wie rosig sie aussieht! Wie ein Pfirsich!«

»Was frage ich danach, ob sie rosig aussieht oder nicht. Wenn es etwas zu bewundern gilt, so bewundere ich lieber diesen schönen Morgen.«

In der Tat war herrliches Wetter. Die Fichten funkelten von Tau. Im Dunkel des Waldes leuchteten hier und dort die lichten, von den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne durchschimmerten Blätter der Haselnußsträucher. Amseln, Pirole und Stieglitze sangen um die Wette. Harziger Wohlgeruch zog durch die Luft, und während das Tagesgestirn sein Licht weit und breit durch den Azur fluten ließ und ein leiser Wind aufsprang, schien die Luft vor Freude zu zittern.

Die Gesellschaft gelangte so zu jener Teersiederei, wo vor kurzem die Brüder Bukojemski Martin Krepecki abgefangen hatten. Die Befürchtung, an dieser selben Stelle könne ein Hinterhalt gelegt worden sein, erfüllte sich nicht. Beim Brunnen hielten zwei Karren. Die davor gespannten Klepper steckten die Köpfe in Hafersäcke. Tonnen voll Teer, zum Verladen bereit, standen in einer Reihe da. Die Kärrner aßen in aller Eile Brot und Käse. Sie zogen die Mützen beim Anblick einer so vornehmen Reisegesellschaft. Man fragte sie, ob eine bewaffnete Bande in dieser Gegend gesehen worden sei. Nein, aber ein einzelner Reiter habe lange Zeit hier gewartet und sich eben erst, als die Wagen und Pferde in der Ferne zum Vorschein gekommen, in entgegengesetzter Richtung mit verhängten Zügeln entfernt.

Alle Befürchtungen erwachten nun wieder in Cypryanowicz. Ganz gewiß war das ein von den Krepecki aufgestellter Kundschafter gewesen. Also mußte man doppelt auf der Hut sein. Zwei Knappen wurden als Seitendeckung in die Waldungen rechts und links geschickt, zwei andere ritten zur Aufklärung voran. Wenn sie irgendeine Schar von Menschen erblickten, sollten sie sofort durch einen Schuß Alarm geben und so schnell wie möglich zurückreiten. Eine Stunde verfloß, ohne daß das verabredete Signal erklungen wäre. Der Zug rückte Schritt vor Schritt weiter, stets mit größter Vorsicht. Noch immer herrschte tiefes Schweigen im Walde. Pirole und Finken pfiffen ununterbrochen. Man hörte die Spechte mit den Schnäbelchen an den alten Baumstämmen hämmern.

Nun kam man auf eine weite Lichtung. Annette mußte jetzt vom Pferde steigen und wieder in der Kutsche Platz nehmen. Belczonka war in der Nähe. Schon ließen sich die Hütten und die Hecken, die Pfähle der Einfriedigung erkennen, und dann kam das alte Herrenhaus zum Vorschein. Fräulein Siëninska betrachtete gerührt die Mauern, in deren Schutze die sorglosen Tage ihrer Kindheit, aber auch die traurigsten Stunden ihrer Jugend verflossen waren. Vielleicht würde sie diese Stätte nie wiedersehen. Und ein tiefer Seufzer hob ihre Brust. Sie sah sich um, ob sie auch Wyremby erblicken könne, aber die hohen Linden von Belczonka verdeckten es, so daß man es vom Wagen aus nicht sehen konnte.

Die Brüder Bukojemski warfen spähende Blicke nach dem alten Hause, nach dem Dorfe und über die ganze Umgebung. Doch überall herrschte tiefstes Schweigen. Auf den weiten, von der Sonne beschienenen Brachfeldern weideten Schafe und junge Kühe, behütet von Kindern und Hunden. Scharen von Gänsen bildeten mit ihrem schneeigen Gefieder weiße Flecke auf den grünen Wiesen. Pan Cypryanowicz, der Geistesgegenwart besaß und sich darauf verstand, Gefahren die Stirn zu bieten, gab Befehl, die Pferde verschnaufen zu lassen. Dieser Halt auf feindlichem Boden sollte den Krepecki zeigen, wie wenig sie sich aus ihnen machten. Mitten auf dem Felde wurde gerastet. Weithin schlugen die Roggenfelder im Winde leichte Wellen. Nur das Wiehern und Schnauben der Rosse unterbrach die Stille.

Jan Bukojemski aber wandte sich nach der Seite, wo der Gutshof lag, schüttelte die Faust und rief: »Komm nur heran, Klotz! Zeig uns deine Hundeschnauze, und wir wollen unsere Säbel daran versuchen.« Dann ritt er neben die Kalesche und sprach: »Seht Ihr, Fräulein, weder Martin noch die Buschklepper zeigen sich.«

»Also werden Reisende auch von den Räubern des Waldes überfallen?« fragte das Mädchen.

»Erst recht – aber an uns getrauen sie sich nicht heran. In diesen Waldungen und um Krakau herum wimmelt es von solchem Gesindel. Wenn der König ihnen Amnestie erteilte, würden ihrer so viele ans Tageslicht kommen, daß man von ihnen zwei Regimenter bilden könnte.«

»Lieber sollten uns diese Buschklepper überfallen, als daß wir mit der Bande Martin Krepeckis zusammenträfen, von der die Leute in Belczonka so schreckliche Dinge erzählten. Ich habe noch nie gehört, daß die Buschklepper einen Gutshof überfallen hätten.«

»Ein Räuber hat denselben Verstand wie ein Wolf. Ein Wolf zerfleischt nie ein Schaf oder ein Vieh in demselben Dorfe, wo er sein Versteck hat, und ein Räuber überfällt nie die Gutshöfe der Gegend, wo er haust, weil die dort Ansässigen, aller Schlupfwinkel kundig, ihn leicht aufstöbern könnten. Deshalb unternehmen die Buschklepper Diebesfahrten nach entfernteren Gegenden, oder fallen über Reisende her, die von fernher durch ihre Reviere kommen.«

»Fürchten sie denn nichts?«

»Nicht einmal Gott! Wie sollten sie also Menschen fürchten.«

Aber Fräulein Siëninska dachte schon an etwas anderes, und als Herr Seraphin sich der Kutsche näherte, fragte sie ihn, mit den Augen zwinkernd, warum sie im Wagen sitzen müßte, statt im Sattel, da doch alle Gefahr vorüber sei. Er aber antwortete, es sei schon sehr heiß, und sie könnte Sonnenbrand bekommen. »Ist es nicht so?« rief er den Brüdern zu, während das Mädchen sich zurücklehnte. Die Bukojemski aber, um deren Scharfsinn es schwach bestellt war, verstanden nicht recht und fragten: »Wer? wer?«

Herr Cypryanowicz zuckte die Achseln und antwortete: »Der Bischof von Krakau, der deutsche Kaiser und der König von Frankreich.«

Auf ein Zeichen des Herrn Cypryanowicz setzte sich der Zug wieder in Bewegung. Wieder dehnten sich, soweit das Auge reichte, Roggen- und Brachfelder aus; am fernen Horizont blauten die Wälder. In Jedlinka wurde abermals Halt gemacht. Brauer, Dörfler und Landleute umringten den Abt, um ihm Lebewohl zu sagen. Endlich – schon brach die Nacht herein – erreichte man die Tore von Radom.

Sie erfuhren hier, Martin Krepecki sei am vergangenen Tage an der Spitze seiner Sippschaft durch die Stadt geritten, dann aber nach Belczonka zurückgekehrt. Der Abt und Cypryanowicz atmeten erleichtert auf. Sie glaubten, nun sei alle Gefahr vorüber. In Radom versah Prälat Tworkowski sie mit Briefen an hohe Persönlichkeiten des Hofes. Er richtete klug gesetzte Schmeicheleien an Fräulein Siëninska, und dabei machte es ihm besonders Spaß, Herrn Cypryanowicz, der ein kundiger Lateiner war, durch die Zahl und Mannigfaltigkeit der in seinen Reden angeführten Zitate in Erstaunen zu setzen. Von Martin Krepeckis Drohungen hatte er auch gehört, legte ihnen aber keine Bedeutung bei, da er meinte, wenn ein Ueberfall geplant sei, so wäre er schon auf der Heide von Kozienice geschehen, die sich für solche Unternehmungen besser eigne, als die Wälder zwischen Radom und Kielce. »Der Junge wird euch nichts tun,« erklärte er, »und der Alte wird euch auch in Ruhe lassen; denn er weiß, daß er es dann mit mir zu tun bekäme, und daß ich nicht bloß über kirchliche Strafmittel, sondern über noch ganz andere verfüge.« Gastfreundlich, wie er war, hielt er den Besuch noch während des ganzen folgenden Tages zurück und ließ sie erst am Abend fort. Da nun alle Gefahr vorüber zu sein schien, willigte Pan Cypryanowicz ein, zur Nachtzeit zu reisen. So ging man der immer steigenden Hitze aus dem Wege.

Die erste Meile wurde aber noch bei Tageslicht zurückgelegt. Beim Flusse Oranka, der stellenweis weite Sümpfe bildete, lagen damals große Kiefernforste, um die Ortschaften Oronsk, Sucha, Krogulcza und Sydlowiec herum bis gegen Kielce hin. Sie zogen mit Vorsicht weiter. Der sandige Weg war reichlich mit Wasserlachen durchsetzt. Weiterhin zeigten sich gar Sümpfe, die die Wagen und Pferde nur unter großen Schwierigkeiten überwanden. Auch galt dieser Landstrich nicht für allzu sicher. Doch auf ihre Tapferkeit und ihre Zahl vertrauend, zog die Truppe fröhlich ihres Weges. Man war froh, am kühlen Abend zu reisen, die Menschen litten nicht unter der Hitze, die Pferde nicht durch die Bremsfliegen.

Wie eine große, rote Scheibe stieg der Vollmond über dem Walde auf. Er wurde kleiner und bleicher, als er höher stand, und bald wiegte er sich wie ein Schwan von Silber in der schwarzen Tiefe des Firmaments. Kein Luftzug war mehr zu spüren. Der Wald schlummerte, in lautlose Stille getaucht. Nur hin und wieder erklang von einem nahen Teiche her der dumpfe Ruf der Rohrdommel.

Der Abt stimmte den Gesang an: »Gegrüßt sei, o kluge Jungfrau, im teuern Gotteshaus.« Mit ihrem tiefen Baß fielen die Brüder Bukojemski, mit seiner Falsettstimme Pan Cypryanowicz ein: »Geschmückt mit sieben Säulen und einer Halle von Gold.« Annette ließ ihr Stimmchen im Chor erschallen; die Knappen folgten ihrem Beispiel; der ganze Wald hallte wider vom Gesang. Darauf unterhielten sich die Leute noch ein Weilchen, und dann begannen sie auf den Sätteln einzuschlafen. Sie hörten nicht mehr das »Hü! Hü!« der Kärrner, nicht mehr das Schnauben der Pferde, nicht mehr das Klappern der Hufe auf dem festen Boden des Dammes, der zwischen den Schilf und Röhricht dahinführte.

Ein Alarmruf des an der Spitze reitenden Mannes weckte sie jäh auf. »Halt! Halt!« – Alle erschraken, und die Brüder Bukojemski richteten sich in den Steigbügeln empor. »Was gibt's?«

»Der Weg ist durch einen breiten Graben gesperrt. Jenseits des Grabens ist eine Barrikade aus gefällten Fichtenstämmen.«

Sie zogen alle die Säbel, deren Klingen im Mondlicht blitzten. – »Zu den Waffen! das ist ein Hinterhalt!«

Cypryanowicz trieb sein Pferd zu dem unerwarteten Hindernis heran. Da war keine Täuschung möglich; der Weg war versperrt. Durch einen Graben hatte man den Damm mitten zerrissen, und auf der andern Seite lagen ganze Kiefern mitsamt den Aesten zu einem undurchdringlichen Verhau aufgetürmt. Die Leute, die auf diese Weise den Weg verrammelt hatten, wollten wahrscheinlich an dieser Stelle, wo es kein Weiterkommen gab, den Zug von hinten angreifen.

»Die Büchsen laden!« befahl Abt Wonowski. »Der Feind ist nahe!«

Tatsächlich tauchten in der Entfernung von etwa hundert Schritten seltsame, viereckige Gestalten auf, die nichts Menschliches an sich zu haben schienen. Sie eilten herbei.

»Feuer!« schrie der Priester.

Eine Salve knallte. Rötliche Flammen zuckten durch die Finsternis. Nur eine der geheimnisvollen Gestalten kollerte zu Boden, die andern rückten weiter vor. Der Abt, der sich auf alle Kriegslisten verstand, erkannte, daß die Angreifer Bündel aus Weidenruten oder Stroh vor sich trugen, die ihnen dieses absonderliche Aussehen verliehen und zugleich als Kugelfang dienten.

»Schießt, Kinder!« schrie der Geistliche. »Der Reihe nach – immer nur vier Schüsse auf einmal – und zielt auf die Beine!«

Diesmal erklang ein langgezogenes Schmerzensgeheul. Die erste Reihe der Feinde sank wie niedergemäht in den Schlamm, aber die folgenden Reihen setzten, über die Gefallenen hinwegspringend, den Lauf fort.

»Feuer!« befahl der Abt zum dritten Male.

Eine neue Salve knallte, die noch mörderischer wirkte. Die Angreifer wichen in Unordnung zurück. Der Priester überschaute jetzt die Situation und schöpfte Mut. Die Räuber hatten ihren Platz gut gewählt; aber gerade diese gute Auswahl konnte ihnen verhängnisvoll werden. Wenn sie den Sieg errangen, so entschlüpfte – das stand fest – nicht einer der Reisenden. Aber da die Feinde die Gesellschaft nicht von allen Seiten umschließen konnten, so mußten sie auf dem engen Dammwege zum Angriff schreiten, was wiederum ein großer Vorteil für die Abwehr war. Auf diese Weise konnten wirklich fünf oder sechs gut bewaffnete Männer, die den Tod nicht fürchteten, sich an dieser Stelle eine ganze Nacht hindurch verteidigen.

Die Angreifer hatten die Flintenschüsse erwidert. Doch richtete ihre Salve keinen großen Schaden an. Wahrscheinlich taugten ihre Waffen nicht viel. Nur ein Diener wurde in den Schenkel getroffen, und ein Pferd erhielt einen Streifschuß. Daraufhin baten die Brüder Bukojemski den Abt, er möge sie auf den Feind losreiten lassen. Sie machten sich anheischig, diese Kerle nach rechts und links in den Sumpf zu werfen oder sie in Grund und Boden zu reiten. Aber zu diesem Mittel wollte der Priester erst im äußersten Notfall greifen. Dagegen befahl er ihnen, da er ihre Treffsicherheit kannte, fernerstehende Feinde aufs Korn zu nehmen, und Herrn Cypryanowicz empfahl er, nach der Seite des Grabens hin aufzupassen.

»Wenn sie von dieser Seite herankommen,« sagte er, »so können sie uns nicht viel anhaben. Vielmehr werden wir dafür sorgen, daß sie dann ihre Kühnheit teuer bezahlen.« Dann trat er zu dem Wagen, in welchem Fräulein Annette und Frau Dzwonkowska beteten. »Es hat nichts auf sich! Ihr braucht keine Angst zu haben.«

»Ich fürchte mich gar nicht,« antwortete das junge Mädchen. »Ich würde am liebsten zu Pferde steigen.«

Flintenschüsse übertönten ihre Worte. Die Räuber, kaum zurückgetrieben, stürzten abermals vorwärts, mit wahrhaft blinder Wut. Es war schon jetzt unschwer zu erkennen, daß ihr Eifer rasch wieder nachlassen würde.

»Hm!« dachte der Abt. »Hätten wir nicht für diese beiden Evastöchter zu sorgen, so könnten wir kurzerhand über sie herfallen. Wie aber, wenn wir ihnen jetzt die vier Bukojemski und deren Diener in die Flanken schickten?«

Als er aber jetzt scharf nach beiden Seiten blickte, erschrak er plötzlich. Rechts und links von der Straße tauchten mitten aus den Sümpfen neue Feinde auf. Sie sprangen von einem trocknen Fleck zum andern, und dann auf fest miteinander verknotete Bündel aus Rohr, die offenbar vorher hingelegt worden waren. Nun fielen sie über die Bagagewagen der kleinen Truppe her. Der Priester stellte ihnen sofort zwei Reihen von Reisigen entgegen, aber er verkannte die Größe der Gefahr nicht, von der sie nun bedroht waren. Die Leute waren zwar sorgsam ausgewählt worden, und es waren alles solche, die schon einen Feldzug mitgemacht und Proben ihres Muts und ihrer Ergebenheit abgelegt hatten; aber ihre Zahl war doch zu gering. Wonowski erkannte, daß, ehe sie nach der ersten Salve die Musketen wieder laden konnten, die Feinde schon so nahe heran sein würden, daß man zum Säbel greifen müßte.

Es blieb ein letztes Mittel: den Rückzug anzutreten, das heißt, sich mit dem Säbel in der Faust Bahn zu brechen. Das konnte natürlich nur auf dem Damme versucht werden, und zwar in der Weise, daß die Bukojemski vorausgeschickt wurden, um alles niederzuhauen oder vor sich herzujagen. Die andern würden folgen und wie ein lebendiger Wall die Frauen umschließen. Während von zwei Seiten Schüsse gewechselt wurden, ließ der Priester denn auch jetzt schon Annette und Frau Dzwonkowska zu Pferde steigen und stellte seine Truppe in Schlachtordnung auf. Die erste Reihe bildeten die Brüder Bukojemski und deren Knappen; die zweite sechs Diener; Annette und die Wirtschafterin nahmen die Mitte ein zwischen dem Abt und Cypryanowicz, und der Nachtrab bestand aus ihren acht Leibdienern. Hatten sie sich einmal durchgeschlagen, so hoffte der Abt, das nächste Dorf zu erreichen, wo er Bauern zusammenrufen wollte, um mit dieser Verstärkung wieder auf dem Kampfplatze zu erscheinen und Wagen und Gepäck zurückzuerobern.

Es war keine Minute zu verlieren. Die Angreifer kamen heran. Kaum noch zwanzig Schritte trennten sie von dem Damme. – »Vorwärts! Los auf sie! Dreingehauen!« schrie Wonowski.

»Los!« wiederholten die Bukojemski mit fürchterlichen Flüchen. Und wie ein Wirbelsturm jagten sie dahin. Als sie den Feind erreicht hatten, gaben sie ihren Pferden die Sporen. Die Tiere bäumten sich wild empor und traten die ersten Reihen einfach nieder. Die andern drängten sie gegen die Sümpfe und schlugen mit den Säbeln drauf los, ohne Erbarmen, ohne Unterlaß, ohne Bedenken. Schreckliches Wehgeschrei erscholl, Flüche und Rufe gellten ringsum, dazwischen klatschte es dumpf, wenn die Körper in den Sumpf fielen oder in den Schlamm stürzten. Die vier Brüder verrichteten furchtbare Arbeit, ihre Arme sausten auf und nieder wie Windmühlenflügel. Einige sprangen, um ihren Hieben zu entrinnen, ins Wasser; andere versuchten sich mit den Waffen, die sie hatten, mit Mistgabeln, Stangen und Sensen zur Wehr zu setzen. Wäre der Weg nicht so eng gewesen, hätten die Leute entfliehen können, wären neue Feinde nicht immer wieder von hinten nachgedrängt, so würden die Bukojemski freie Bahn geschafft haben. Da aber immer mehr von den Banditen sich lieber verteidigten, als im Moor zu ertrinken, so wurde der Widerstand immer geschlossener, immer erbitterter. Todesverachtung ergriff auch die Feinde. Und immer neue Haufen drängten heran. Sie fochten jetzt nicht mehr, um reiche Beute zu gewinnen oder ein Weib zu rauben, sondern aus Wut. Und nun begann der wilde Grimm der Bukojemski nachzulassen. Der Gedanke, die Stunde des Todes habe geschlagen, beschlich sie plötzlich. Als sie nun gar das Getrappel von Pferden hörten und von vorn her überall Geschrei und weithin hallendes Geklirr und Getöse ihnen entgegendröhnte, da zweifelten sie nicht länger dran, daß es zum Sterben ginge. Aufs neue begannen sie mit aller Wut dreinzuschlagen, um ihr Leben teuer zu verkaufen.

Doch da vollzog sich ein Wunder. Im Rücken der Räuber erscholl derselbe furchtbare Schrei, den die Bukojemski noch immer ausstießen: »Schlagt zu! schlagt zu!«, und wie ein Bündel von Strahlen sah man blanke, hochgeschwungene Säbel im Mondlicht aufblitzen. Unbekannte Reiter stürmten von jener Seite auf die Banditen ein. Sie wichen gegen die Bukojemski zurück, die ihnen hier jeden Durchgang unbarmherzig versperrten. Ganz außer Fassung, suchten sie Rettung im Sumpfe. Aber auch dort harrte ihrer das Verhängnis. Sie versanken im Schlamm, gingen unter, zogen sich am Schilf wieder empor, klammerten sich am Rohr, am Grase fest, an allem, was ihnen in die Hände kam, wälzten sich auf dem Bauche herum und entgingen schließlich doch nicht dem schrecklichen Tode des Ertrinkens.

Nur ein Häuflein, mit Sensen bewaffnet, verteidigte sich noch hartnäckig; aber als sie sich von allen Seiten umzingelt sahen und keine Rettung mehr erhoffen konnten, streckten sie die Waffen, fielen auf die Kniee und baten die Sieger um Gnade. Man nahm sie gefangen, um sie einem Verhör zu unterziehen. Nun standen sich die zwei siegreichen Truppen gegenüber, und der Ruf erscholl: »Wer seid ihr?«

»Und wer seid ihr?«

»Die Leute des Herrn Cypryanowicz aus Jedlinka.«

»Beim lebendigen Gott! es sind die Unserigen!«

Alsbald kamen zwei Reiter aus der Schwadron hervorgeritten. Der eine hielt vor Pan Seraphin an, verneigte sich, ergriff die Hand des alten Herrn und küßte sie mehrmals. Der andere umarmte den Priester. – »Stanislaus!« – »Jakob!« erklang es. Und von neuem begannen die Umarmungen, die Freudenrufe. Cypryanowicz gewann als erster Ruhe und Fassung wieder.

»Sprecht! Wie kommt ihr hierher?«

Stanislaus ergriff das Wort. »Unser Fähnlein ist auf dem Marsche nach Krakau. Jakob und ich erhielten einen kurzen Urlaub nach Jedlinka. Inzwischen erfuhren wir in Radom, Ihr, mein Vater, hättet mit dem Abt und unsern Freunden, den Bukojemski, vor kaum einer Stunde in der Richtung auf Kielce diese Stadt verlassen.«

»Hat der Prälat euch das mitgeteilt?«

»Nein, ein paar Juden. Den Prälaten haben wir gar nicht gesehen. Nun verzichteten wir auf den Abstecher nach Jedlinka und blieben beim Regiment, weil wir annahmen, wir würden euch unterwegs treffen. Kurz nach Mitternacht hörten wir Gewehrfeuer. Sofort ritten wir im Galopp dem Schalle nach, denn wir sagten uns, sicherlich hätten Räuber, die in diesen Waldungen hausen, Reisende überfallen. Wir ahnten freilich nicht, daß ihr es wäret. Gott sei gelobt! Wir sind zur rechten Zeit gekommen.«

»Wisse, die Räuber sind die Herren Krepecki, Vater und Sohn . . . sie beabsichtigten, Annette zu rauben.«

»Beim lebendigen Gott, dem armen Jakob wird das Herz brechen!«

»Ich hatte dir geschrieben, um dir alles mitzuteilen. Anscheinend hat der Brief dich nicht erreicht.«

»Nein. Wir sind nämlich schon seit drei Wochen auf dem Marsche. Und weil ich binnen kurzem selbst in Jedlinka zu sein gedachte, habe ich auch an Euch in der letzten Zeit nicht mehr geschrieben.«

Freudengeschrei und Jubel unterbrach dieses Gespräch. Die Diener hatten Fackeln angesteckt, in deren Schein man wie bei hellem Tage sah. Jakob erkannte nun plötzlich inmitten der Truppe die zu Pferde sitzende Annette. Er verstummte. Abt Wonowski sah sein Erstaunen und sagte: »Ja, sie ist mit uns.«

Jakob trieb sein Roß dicht an das junge Mädchen heran. Entblößten Hauptes betrachtete er sie – er fand kein Wort, er atmete kaum, er war blaß wie der Tod. Plötzlich entglitt sein Hut den Händen und fiel zu Boden. Seine Augen schlossen sich, und sein Kopf sank auf die Mähne des Pferdes.

»Aber er ist ja verwundet!« rief Lukas Bukojemski.



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