Henryk Sienkiewicz
Auf dem Felde der Ehre
Henryk Sienkiewicz

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23. Kapitel. Erwägungen

Es dauerte lange, bis Pan Seraphin die empörten Brüder beschwichtigt hatte. Er hielt ihnen vor, daß es ein räuberisches Beginnen sei, wenn sie den kranken Martin Krepecki niedermetzelten, und daß Edelleute so nicht handeln dürften. – »Zuerst,« sagte er, »muß man den Vorfall den Adeligen der Nachbarschaft unterbreiten, mit dem Prälaten verhandeln und sich den Rückhalt der öffentlichen Meinung sichern, um erfolgreich gegen den Schuldigen Klage zu führen. Wenn ihr heute schon euch an Martin vergriffet, so würde sein Vater euch beschuldigen, ihr hättet auf Betreiben des Fräuleins Siëninska so gehandelt. Es ist klar, darunter würde ihr Ruf leiden. Der Alte würde euch einen Prozeß an den Hals hängen, und was wäre das Ende davon? Statt an dem bevorstehenden Feldzuge teilzunehmen, würdet ihr von einem Gerichtshof zum andern ziehen.«

»Was?« protestierte Johannes. »Ihr ratet uns, die Unbill ungestraft zu lassen, die dieser Unschuldigen widerfahren ist?«

Nun mischte sich Abt Wonowski drein. »Glaubt Ihr denn, das Los Martin Krepeckis werde beneidenswert sein? Der Notzucht beschuldigt, wird das Beil des Henkers über seinem Haupte schweben, und zum mindesten wird er der öffentlichen Verachtung anheimfallen. Von aller Welt geächtet zu sein, ist aber ein schlimmeres Los als selbst der Tod! Um alles Silber in den Minen von Olkusz möchte ich jetzt nicht in seiner Haut stecken.«

»Und wenn es ihm gelingt, sich herauszuschwindeln?« deutete Markus an. »Sein Vater ist ein schlauer Fuchs.«

»Wenn er sich herausschwindelt, wird Jakob, sobald er heimkehrt, ihm ein Wörtlein ins Ohr flüstern. Ihr kennt ihn noch nicht genug. Augen und Gesicht wie ein Mädchen, aber Hand und Herz eines Löwen! Ihn in seinen heiligsten Gefühlen zu verletzen, das ist noch gefährlicher, als einer Bärin ihr Junges zu nehmen.«

Wilczopolski, der bisher geschwiegen hatte, ließ sich nun mit düsterer Stimme vernehmen: »Wer weiß, ob Herr Jakob ihn bei seiner Rückkehr noch lebend antrifft? Krepeckis Urteil ist gesprochen. Ich glaube zudem, er wird versuchen, uns das Mädchen zu entreißen, sei es auch mit bewaffneter Hand.«

»Wir werden ja sehen,« unterbrach ihn Cypryanowicz. »Er soll es nur versuchen.«

»Jawohl! Soll er's nur versuchen!« riefen die Brüder im Chor. »Darauf warten wir bloß.«

»Ihr vergeßt nur eins, meine Herren,« bemerkte der Verwalter. »Ihr wollt doch alle zu Felde ziehen, nicht wahr?«

»Man wird vorher schon die nötigen Vorsichtsmaßregeln treffen,« erklärte der Abt.

Das Gespräch wurde hier abgebrochen, denn von Belczonka kam der Kellermeister an, der Annettens Sachen brachte. Es war keine Kleinigkeit gewesen, sie der Habsucht der Megären zu entreißen; sie hatten ein großes Geschrei erhoben und ihren Bruder wecken wollen; zum Glück war sein Rausch noch immer zu schwer. Der Kellermeister machte ihnen dann auch begreiflich, daß es für sie nur vorteilhaft sei, wenn diese Gegenstände nicht bei ihnen betroffen würden, weil sie sonst Gefahr liefen, der widerrechtlichen Aneignung fremden Besitzes beschuldigt zu werden. Das könnte ihnen und Martin schlecht bekommen und zum mindesten eine Tortur nach sich ziehen. Durch diese Drohung eingeschüchtert, gaben die Jungfern nach, denn sie waren des Gesetzes gar nicht kundig. Auch der Kellermeister äußerte sich dahin, daß Martin alle Anstrengungen machen werde, Annette nach Belczonka zurückzuholen, ohne jedoch weitere Gewalt anzuwenden.

»Sein Vater wird ihn bewegen, Maß zu halten, denn der Alte weiß genau, daß raptus puellae dasjenige Verbrechen ist, das unsere Gesetze am strengsten bestrafen. Er weiß noch nicht, was sein Sohn sich jetzt geleistet hat, aber ich gedenke auf dem Rückweg zu ihm heranzufahren und ihm die ganze Sache auseinanderzusetzen. Aus zwei Gründen erscheint mir dies tunlich: erstens, damit er seinen Jungen zur Vernunft bringe; zweitens weil ich nicht gern in Belczonka sein möchte, wenn er munter wird. Martin wird erfahren, daß ich dem Mädchen zur Flucht verholfen habe. Er ist jähzornig, und dann würde wohl einer von uns beiden dran glauben müssen.«

Herr Seraphin und Pater Wonowski lobten den Kellermeister wegen seiner Besonnenheit, und da sie gemerkt hatten, daß er ein sehr erfahrener, sogar mit dem Gesetz vertrauter Mann war, so forderten sie ihn auf, an ihrer Beratung über die ganze Angelegenheit teilzunehmen. Die unerschütterliche Sachlichkeit dieser ältlichen Herren aber war nichts für die Brüder Bukojemski. Sie begaben sich in das ihnen bestimmte Zimmer und hielten dort nach ihrer Weise eine eigene Ratssitzung ab. Ihr Wirt hatte, um ihre totschlägerischen Gelüste zu beschwichtigen, stattliche Flaschen dorthin bringen lassen. Sie setzten sich im Kreise, und während unten die ernsten Männer ihre Meinungen austauschten, tranken sie.

Es war ihnen allen traurig zumute. Sie erinnerten sich an die einzelnen Vorfälle jener Nacht, wo die Göttin zum ersten Male die Schwelle dieses Hauses überschritten. Sie dachten daran, wie sie um die Wette sich verliebt in sie bekannten, und dann der Freundschaft das Opfer des Verzichts brachten, indem sie sich dahin entschieden, daß Stanislaus Cypryanowicz allein würdig sei, Annette heimzuführen.

Matthäus leerte sein Glas, stützte den Kopf in die hohle Hand und sagte: »Denkt ihr noch dran? Jakob brachte diese Nacht auf einem Aste zu, wie ein Eichhörnchen. Wer hätte damals vorausgesehen, daß Gott sie ihm bestimmt habe?«

»Und daß er uns zu der ewigen Freudlosigkeit des Zölibats verurteilte?«

»Denkt ihr noch dran,« rief Lukas, »wie ihre Gegenwart damals alle Stuben erhellte? Von hundert Kerzen wäre es nicht heller geworden. Bald setzte sie sich, bald stand sie auf, bald lächelte sie. Und wenn sie einen anblickte, wurde das Herz warm, als hätte man Glühwein getrunken. Laßt uns trinken, Brüder, zur Linderung unseres Grames!«

Neu belebt durch einen gewaltigen Schluck, ließ Matthäus die Faust auf den Tisch niederfallen, daß alles krachte. »Ach, wenn ihr Herz nicht Jakob gehörte!« rief er aus.

»Was dann?« fragte Johannes bissig. »Meinst du etwa, sie würde sich in dich verlieben? Schaut doch nur diesen Hansnarren!«

»Und bist du etwa ein Phöbus?« versetzte Matthäus.

Sie warfen sich feindselige Blicke zu. Seltsamerweise ermahnte Lukas, der sonst sehr zum Streiten aufgelegt war, heute zur Eintracht. »Von uns wird keiner sie je besitzen,« sagte er. »Ein anderer wird sie zum Altar führen.«

»Uns bleibt nichts als Kummer und Tränen,« meinte Markus.

»Dann wollen wir uns wenigstens untereinander lieben. Keine andere Liebe ist uns auf dieser Welt vergönnt.«

»Keine! keine!« wiederholten die drei andern wie ein Echo, den Wein mit Tränen vermengend.

»Und dort unten schläft sie, die Arme,« sagte Johannes in rührseligem Tone.

»Gleich einer geknickten Blume,« jammerte Lukas, »gleich dem Schäflein, das der Zahn des Wolfs zerrissen hat! Brüder, sollen wir denn wirklich diesem Wolf nicht die Haut abziehen?«

»Los auf den Wolf!« schrien zu gleicher Zeit Matthäus, Markus und Johannes.

Und je leerer der Krug wurde, um so höher stieg ihre kriegerische Stimmung. Immer wieder knirschte einer von ihnen mit den Zähnen, immer wieder schlug der oder jener wild auf den Tisch.

»Ich habe einen Einfall,« sprach Johannes.

»Rede! Hab' Gott im Herzen!«

»Hört! Wir haben Herrn Cypryanowicz versprochen, den ›Klotz‹ nicht niederzumetzeln, nicht wahr?«

»Das stimmt, aber rede du und stelle keine Fragen!«

»Dennoch müssen wir Rache für das gnädige Fräulein nehmen. Der alte Krepecki wird zu Pan Seraphin kommen und ihn auffordern, das Fräulein gutwillig herauszugeben. Selbstverständlich wird Pan Seraphin ihm das abschlagen.«

»Er wird es abschlagen, so sicher, wie zweimal zwei vier ist.«

»Und nun folgt meinem Gedankengange! Martin wird, verzehrt von Ungeduld, seinem Vater entgegeneilen und ihn irgendwo an der Straße erwarten.«

»Er wird ihn erwarten, so wahr es einen Gott gibt!«

»Halbwegs zwischen Jedlinka und Belczonka liegt hart am Wege eine Pechsiederei. Was meint ihr? Wenn wir nun Martin in der Nähe dieser Pechsiederei auflauerten?«

»Ja, aber zu welchem Zwecke denn?«

»Schwört mir, daß ihr's geheim halten wollt!«

»Geheim wie das Grab!«

Ihre unruhigen Blicke spähten im Zimmer hin und her. Endlich beruhigt, daß niemand sie hören könne, flüsterten sie lange untereinander. Dann sahen sie mit strahlenden Gesichtern auf. Ein letzter Humpen wurde mit einem Zuge geleert, sie warfen sich einer in des andern Arme und machten sich, in der Dunkelheit tastend, auf den Weg nach dem Stalle. Noch immer darauf bedacht, ja keinen Lärm zu machen, sattelten sie ihre Pferde und führten sie am Zaum, die größte Vorsicht beobachtend, bis jenseits des Hoftors. Sobald sie auf der Straße waren, befahl Johannes, der den Oberbefehl übernommen hatte: »Markus und ich, wir beide reiten gleich nach der Teersiederei, und ihr andern zwei seht zu, daß ihr uns vor Tagesanbruch ein Faß beschaffen könnt.«



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