Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

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Vorwort

Unter allen Spielarten der Satire ist keine so ergötzlich und von allgemeinem Nutzen wie jene, die gleichsam beiläufig in den Ablauf einer fesselnden Geschichte eingefügt ist, die jeden Vorfall auf das Leben zurückführt und alltägliche Szenen mit allen Reizen der Neuheit ausstattet, indem sie sie von einem ungewöhnlichen und amüsanten Gesichtspunkt aus darstellt, während sie sich doch in jeder Einzelheit an das natürliche Empfinden wendet.

Des Lesers Neugier wird befriedigt, wenn er die Abenteuer einer Person verfolgt, zu deren Gunsten er voreingenommen ist; er nimmt Partei für ihre Sache, er fühlt mit ihr im Unglück; gegen die Urheber ihres Elends wird Empörung in ihm erweckt, die menschlichen Leidenschaften werden entflammt, der Gegensatz zwischen entmutigter Tugend und übermütigem Laster tritt aufreizender in Erscheinung, und indem jeder Eindruck mit doppelter Kraft auf die Vorstellung wirkt, behält das Gedächtnis den Sachverhalt, und das Herz bessert sich durch das Beispiel. Die Aufmerksamkeit wird nicht durch ein bloßes Verzeichnis von Charakteren ermüdet, sondern angenehm zerstreut durch die ganze Vielseitigkeit der Phantasie, und die Wechselfälle des Lebens treten unter ihren besonderen Umständen auf und öffnen so dem Witz und Humor ein weites Feld.

Der Roman verdankt seinen Ursprung zweifellos der Unwissenheit, der Eitelkeit und dem Aberglauben. Hatte sich in den finsteren Zeiten der Welt ein Mann durch Weisheit oder Tapferkeit Ruhm erworben, so zogen Familie und Anhänger ihren Nutzen aus seinen vortrefflichen Eigenschaften, priesen seine Tugenden und schilderten seinen Charakter und seine Person als heilig und übernatürlich. Das gemeine Volk schluckte den Köder mit Leichtigkeit, flehte um seinen Schutz und zollte den Tribut der Huldigung und Lobpreisung sogar bis zur Anbetung; seine Heldentaten wurden der Nachwelt mit tausend Übertreibungen überliefert, wurden als Ansporn zur Tugend wiedererzählt; seinem Andenken wurden göttliche Ehren erwiesen und Altäre errichtet, um jene zu ermutigen, die seinem Beispiel nachzuahmen suchten; und daraus entstand die heidnische Mythologie, die nichts anderes ist als eine Sammlung überspannter Romane. Als Wissen und Geistesbildung zunahmen, wurden diese Geschichten mit den Schönheiten der Dichtkunst ausgeschmückt; damit sie sich der Aufmerksamkeit besser empfahlen, wurden sie in der Öffentlichkeit, bei Festen, zur Belehrung und Freude der Zuhörer gesungen und als Ansporn zu Ruhmestaten vor Beginn einer Schlacht erzählt. So wurden die Tragödie und die epische Muse geboren und gelangten mit zunehmendem Geschmack für das Schöne zur Vollkommenheit. Es ist kein Wunder, daß die alten Römer und Griechen an einer Prosadichtung keinen Gefallen finden konnten, nachdem sie so viele bemerkenswerte Ereignisse in der von ihren besten Dichtern in Versen abgefaßten Verherrlichung kennengelernt hatten; deshalb finden wir bei ihnen zur Zeit ihrer Blüte keinen Roman, es sei denn, man wolle die ›Cyropädie‹ von Xenophon so bezeichnen; und erst als nach dem Einfall der Barbaren in Europa die Künste und Wissenschaften wieder auflebten, trat etwas dieser Art in Erscheinung. Als jedoch die Gemüter der Menschen durch Pfaffenlist und -trug zum vernunftwidrigsten Grad der Leichtgläubigkeit verleitet wurden, tauchten die Romanschriftsteller auf und füllten, ohne Rücksicht auf Wahrscheinlichkeit, ihre Werke mit den ungeheuerlichsten Übertreibungen. Wenn sie es mit den alten Dichtern schon nicht an Genie aufnehmen konnten, so waren sie doch entschlossen, sie an Erfindungsgabe zu übertreffen und sich mehr an die Wundergläubigkeit als an die Urteilskraft ihrer Leser zu wenden. Also nahmen sie die Schwarze Kunst zu Hilfe, und statt den Charakter ihrer Helden durch den Adel der Gesinnung und des Handelns zu stützen, statteten sie dieselben mit körperlicher Kraft, Gewandtheit und einem extravaganten Benehmen aus. Obgleich es nichts Lächerlicheres und Unnatürlicheres geben konnte als die von ihnen gezeichneten Gestalten, fehlte es ihnen nicht an Gönnern und Bewunderern, und tatsächlich begann die Welt bereits vom Geist der fahrenden Ritterschaft vergiftet zu werden, als Cervantes durch ein unnachahmliches Spottwerk den Geschmack der Menschen besserte, indem er die Ritterschaft vom rechten Gesichtspunkt aus darstellte und den Roman auf weitaus nützlichere und unterhaltsamere Zwecke hinlenkte, indem er ihn den Soccus anlegen und auf die Torheiten des alltäglichen Lebens hinweisen ließ.

Die gleiche Methode wurde von anderen spanischen und von französischen Schriftstellern angewandt, und von niemandem erfolgreicher als von Monsieur Lesage, der in seinem ›Gil Blas‹ mit unendlichem Humor und Scharfsinn die Bübereien und Schwächen des Lebens geschildert hat. Ich habe mein vorliegendes Buch nach seinem Verfahren gestaltet, wobei ich mir allerdings die Freiheit nahm, von ihm abzuweichen, wo mir seine besonderen Umstände ungewöhnlich, verstiegen oder für jenes Land eigentümlich erschienen, in dem der Schauplatz liegt. Die Mißgeschicke Gil Blas' sind größtenteils dergestalt, daß sie eher Heiterkeit als Mitleid erregen: er selbst lacht über sie; und die Übergänge von Unglück zu Glück oder zumindest Wohlsein sind bei ihm so jäh, daß weder dem Leser die Zeit bleibt, ihn zu bemitleiden, noch ihm selbst, mit dem Ungemach vertraut zu werden. Dies Verhalten weicht meiner Meinung nach nicht nur von der Wahrscheinlichkeit ab, sondern verhütet jene edle Entrüstung gegen die schmutzige und lasterhafte Gesinnung der Welt, die den Leser beseelen sollte.

Ich habe versucht, bescheidenen Wert im Kampf mit jeder Schwierigkeit darzustellen, der ein freundloser Waisenknabe preisgegeben ist, sowohl aus dem eigenen Mangel an Erfahrung als auf Grund der Selbstsucht, Mißgunst, Bosheit und niederträchtigen Gleichgültigkeit der Welt. Um ihm eine günstige Voreingenommenheit zu sichern, habe ich ihm die Vorteile von Geburt und Erziehung zugestanden, die, wie ich hoffe, im Laufe seiner Mißgeschicke den Freigeborenen wärmer für ihn einnehmen werden, und obgleich ich voraussehe, daß manche Leute Anstoß nehmen werden an den niedrigen Handlungen, in die er verwickelt ist, bilde ich mir ein, der Einsichtsvolle wird nicht allein die Notwendigkeit spüren, jene Situation zu beschreiben, auf die er in seiner erbärmlichen Lage natürlich beschränkt werden muß, sondern wird es auch unterhaltsam finden, jene Bezirke des Lebens zu betrachten, in denen die Stimmungen und Leidenschaften nicht verhüllt sind durch Verstellung, Förmlichkeit oder Erziehung und in denen die sonderbaren Eigentümlichkeiten der Veranlagung so in Erscheinung treten, wie die Natur sie eingab. Ich brauche mir aber, glaube ich, nicht die Mühe zu machen, ein Verfahren zu rechtfertigen, das solchermaßen von den besten Schriftstellern, deren ich bereits einige erwähnte, gutgeheißen wurde.

Jeder intelligente Leser wird auf den ersten Blick wahrnehmen, daß ich in den Tatsachen nicht von der Natur abgewichen bin, im wesentlichen sind sie alle wahr, obgleich die äußeren Umstände verändert und entstellt wurden, um zu vermeiden, daß die Satire persönlich wird.

So bleibt mir nur noch, meine Gründe darzulegen, warum ich einen Nordbriten zur Hauptperson dieses Werkes machte; es sind vornehmlich folgende: Ich konnte ihm um ein Geringes eine solche Erziehung zuteil werden lassen, wie sie mir der Adel seiner Geburt und seines Charakters zu verlangen schien und wie sie durch so spärliche Mittel, wie mein Romanentwurf sie vorsah, in England wahrscheinlich nicht erlangt werden könnte. Ferner konnte ich unbefangenes Benehmen in einem entlegenen Teil des Königreiches zutreffender schildern als an jedem anderen Ort in der Nähe der Hauptstadt, und schließlich rechtfertigt die Reiselust der Schotten mein Verhalten, einen Abenteurer aus dieser Gegend stammen zu lassen.

Damit der zartfühlende Leser nicht Anstoß nehme an den bedeutungslosen Flüchen aus dem Munde einiger Personen in diesen Memoiren, erlaube ich mir vorauszuschicken, daß ich mir einbildete, nichts könne wirkungsvoller die Unsinnigkeit solch nichtswürdiger Verwünschungen bloßstellen als eine naturgetreue und wörtliche Wiedergabe der Unterhaltung, in der sie auftauchen.


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