Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

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Achtundvierzigstes Kapitel

Medlar wird im Kaffeehaus von Banter gar übel mitgespielt

 

Wir fanden an diesem Ort Medlar mit Wagtail in Streit. Sie disputierten über das Wort Custard. Der Doktor behauptete, man müsse es mit G schreiben, weil es von dem lateinischen Wort gustare, kosten, abgeleitet würde. Allein Medlar führte zum Behufe des C an, daß jene Schreibart einmal so hergebracht sei, und bemerkte zugleich, nach des Doktors Regel müßten wir das Wort Pudding in Budding verwandeln, weil es von dem französischen boudin herkäme. Sonach müßten wir die ursprüngliche Orthographie und Aussprache aller der fremden eingebürgerten Wörter beibehalten; alsdann aber würde unsre Sprache ein übeltönender Jargon werden, der keine fixierten Regeln und nichts Eigenes hätte.

Man legte uns den Streit zur Entscheidung vor, und Banter tat den Ausspruch für den Arzt, ungeachtet er im Grunde der gegenteiligen Meinung war.

Darüber stand der mürrische Leibrentier auf, stieß mit großem Nachdruck ein »Pah!« aus und begab sich an einen anderen Tisch.

Wir erkundigten uns nun beim Doktor, wie weit er mit seinem Versuch, Zunderwasser zu destillieren, gekommen sei. Er erzählte uns, er wäre in allen Glashütten der Umgebung gewesen, aber kein Mensch wolle es übernehmen, eine Retorte zu blasen, die nur groß genug wäre, den dritten Teil der vorgeschriebenen Zundermasse einzuschließen. Doch sei er gesonnen, den Prozeß mit so viel Zunder zu versuchen, als erforderlich wäre, fünf Tropfen zu liefern. Dies würde hinlänglich sein, die Güte dieses Spezifikums zu bewähren, und dann wolle er die Sache dem Parlament vorlegen. Er habe bereits wirklich eine beträchtliche Quantität Lumpen gekauft, allein wie er sie zu Zunder brennen wollte, sei ihm ein Unfall begegnet, der ihn genötigt habe, sein Logis zu verlassen.

»Ich hatte diese Kollektion«, fuhr er fort, »auf dem Boden meiner Stube angehäuft und zündete sie nun mit einem Licht an, weil ich vermutete, die Dielen würden davon keinen Schaden leiden, da die Flamme ihrer Natur nach aufwärts steigt. Allein durch einen sonderbaren Zufall ging das Holz an, und es schlug eine helle, starke Flamme auf. Dies machte mich so bestürzt, daß ich alle Geistesgegenwart verlor und nicht einmal imstande war, um Hilfe zu rufen. Das ganze Haus würde samt mir niedergebrannt sein, wenn nicht der dicke Qualm, der aus den Fenstern drang, die Nachbarn in Alarm gesetzt hätte. Sie eilten zum Beistande herzu. Ich habe bei dem Tumult ein Paar schwarze Beinkleider und eine Allongeperücke verloren und dazu, was mich die Lumpen kosten, die durch das Wasser, dessen man sich zum Löschen bediente, völlig unbrauchbar geworden sind. Ferner habe ich den beschädigten Fußboden auf meine Kosten müssen reparieren lassen. Der Wirt, der mich für verrückt hielt, nötigte mich, sein Logis auf der Stelle zu räumen.

Dies«, schloß er seine Erzählung, »setzte mich in keine geringe Verlegenheit. Doch habe ich jetzt schon wieder ein anderes bei recht ehrbaren Leuten, und dabei einen großen gepflasterten Hof, wo ich meinen Zunder präparieren kann. Ich hoffe daher, in kurzem die Früchte meiner Arbeit zu ernten.«

Wir wünschten Wagtail zu dieser angenehmen Aussicht Glück, lasen sodann die Zeitungen und gingen darauf in eine Gemäldeversteigerung, wo wir uns eine oder zwei Stunden die Zeit vertrieben. Von da begaben wir uns nach dem Sankt-James-Park und kehrten nach einer zwei- oder dreimaligen Promenade in unser Speisehaus zurück. Banter versicherte uns, er sei gesonnen, heute mittag Medlar wie gewöhnlich auf die Folter zu spannen. Und in der Tat hatten wir uns kaum gesetzt, als der arge Vogel seinen Plan ausführte und dem alten Herrn sagte, in Betracht des wenigen Schlafes, den er vergangne Nacht genossen habe, sähe er außerordentlich wohl aus.

Auf dies Kompliment antwortete Medlar nichts, sondern starrte ihn an und grinste bedeutungsvoll; Banter fuhr fort: »Ich weiß nicht, was ich mehr bewundern soll, ob Ihr gutes Herz oder Ihren rüstigen Körper. Bei meiner Seele, Mister Medlar, ich kenne niemanden, der sich auf eine so edle Art großmütig erweist. Sie erstrecken Ihr Mitleid auf reelle Gegenstände und verlangen von ihnen nicht mehr Erkenntlichkeit, als man von ihnen fordern kann.

Sie müssen wissen, meine Herren«, wandte er sich nun zur Gesellschaft, »ich war beinahe die ganze Nacht bei einem Freunde gewesen, der am Fieber krank liegt. Wie ich heute früh nach Hause gehe, komm ich bei einer Bierschenke vorbei, die von ungefähr offensteht. Ein verworrnes Juchhei und Hallo erscholl darin. Darüber steck ich den Kopf hinein, und siehe, Mister Medlar tanzt mit bloßem Haupt unter zehn oder zwanzig zerlumpten Dirnen von der niedrigsten Klasse, die sich auf seine Kosten weidlich lustig machten. Sie sollten Ihre Gesundheit nicht Ihrer Gutherzigkeit aufopfern. Bedenken Sie, daß Sie langsam alt werden, und sorgen Sie mehr für Ihre Gesundheit. Diese nächtlichen Streifzüge nehmen Sie in der Tat zu sehr mit.«

Der alte Murrkopf konnte sich nicht enthalten, hastig auszurufen: »Man weiß, daß Sie eine abscheuliche Lästerzunge haben.« – »Ich dächte«, versetzte der andre, »Sie hätten diese Anmerkung sparen können. Sie wissen wohl, daß meine Zunge Ihnen bei vielen Gelegenheiten keine unwichtigen Dienste geleistet hat. Wissen Sie wohl noch, wie Sie sich um die dicke Witwe bewarben, die zu Islington einen Gasthof hat? Damals ging ein Gerücht von Ihnen, das Ihnen die wesentlichste Eigenschaft zum Ehemann absprach. Wie das Ihrer Gebieterin zu Ohren kam, erteilte sie Ihnen sogleich den Abschied. Ich brachte es dann wieder ins reine, indem ich ihr sagte, Sie hätten drei Bastarde auf dem Lande in Kost gegeben. Wie Sie nachher wieder den ganzen Kram verdarben, das zu erzählen, hab ich weder Beruf noch Lust.«

Diese Anekdote, die lediglich Banters Erfindungskraft ihre Entstehung verdankte, machte uns alle recht lachen und brachte Medlar ganz außer sich. Er sprang auf, und da er vergessen hatte, daß sein Mund voll war, litten die Umsitzenden nicht wenig von ihm. Durch eine Ladung von Flüchen und Schmähungen machte er seinem Unwillen Luft und erzählte der Gesellschaft, Banter, der Gelbschnabel, der dummdreiste Maulaffe, und wie er ihn weiter beehrentitelte, habe diese boshaften Verleumdungen nur darum erfunden, weil er ihm nicht Geld hätte leihen wollen, um es mit schlechten Kerlen und Weibern durchzubringen.

»Das klingt sehr wahrscheinlich«, sagte Banter, »daß ich Geld von einem Mann zu borgen versuchen sollte, der tausenderlei Kunstgriffe anwendet, um mit dem, was er wöchentlich zu verzehren hat, bis zum Sonnabendabend zu reichen. Manchmal schläft er vierundzwanzig Stunden in einem Strich fort und spart dadurch drei Mahlzeiten, und was ihn sonst das Kaffeehaus kostet. Bisweilen muß er sich mit Brot, Käse und Dünnbier statt des Mittagessens behelfen, und manchmal traktiert er sich mit zwei Pence Ochsenmaul in einem Garkeller.«

Medlar (ganz außer sich vor Wut): »Ihr seid ein Erzlügenmaul! Ich habe noch immer Geld genug, um die Rechnungen Eures Schneiders zu bezahlen, die gewiß ganz ansehnlich sein werden, und ich bin nicht übel willens, Euch dadurch einen überzeugenden Beweis von meinen Umständen zu geben, daß ich Euch, Bürschchen, als einen Ehrenschänder verklage.«

Sein Zorn war jetzt so hoch gestiegen, daß ihm der Appetit völlig verging und er ganz still dasaß, ohne einen Mundvoll herunterbringen zu können. Sein Quälgeist freute sich indes, ihn so mürbe gemacht zu haben, und vermehrte seinen Ärger noch durch den Rat, sich nur brav voll zu essen, weil morgen doch Fasttag bei ihm wäre.

Nach dem Essen gingen wir ins Kaffeezimmer hinunter, und Banter, der sich irgendwo verabredet hatte, entfernte sich mit den Worten, er hoffe, heute abend mich und Wagtail im Bedford-Kaffeehaus anzutreffen. Kaum war er weggegangen, so nahm mich der alte Herr beiseite und sagte, es ginge ihm recht nahe, mich mit diesem Menschen auf einem so vertrauten Fuß zu sehen. Er wäre einer der liederlichsten und ärgsten Gesellen in der Stadt; er habe bereits sein Geld und seine Gesundheit, die beide recht gut gewesen wären, mit liederlichen Weibern vertan. Schon manchen jungen Menschen hätte er durch die nichtswürdigen Gesellschaften zugrunde gerichtet, worein er ihn geschleppt, und durch sein schändliches Beispiel zu allen Arten von Schelmerei verführt. Wofern ich nun nicht auf meiner Hut wäre, würde er mich in kurzem sowohl um mein Geld als um meinen guten Namen bringen.

Ich dankte ihm für diese Nachricht und versprach, mich danach zu richten; doch wäre es mir lieber gewesen, diese Warnung vor einigen Stunden erhalten zu haben, weil ich alsdann meine fünf Guineen gerettet hätte.

Ungeachtet des Wohlwollens, das Medlar bei diesen Äußerungen vorschützte, war ich nicht abgeneigt zu glauben, ein Teil dieser Beschuldigungen rühre aus Groll gegen Banter wegen der Freiheiten her, die dieser sich mit ihm bei Tisch genommen hatte. Daher ging ich, sobald ich mich von dem Alten losmachen konnte, zu Wagtail und fragte ihn, was er von dem besagten Mann dächte. Ich war nämlich gesonnen, die Berichte dieser beiden Leute zusammenzuhalten, ihre Vorurteile in Anschlag zu bringen und dann, ohne mich genau an das Gutachten eines jeden zu binden, mein Urteil selbst über ihn zu fällen.

Der Doktor versicherte mir, Banter sei ein Mann von anständiger Herkunft und gutem Vermögen; er besäße Gelehrsamkeit, Witz, Kritik und die besten Bekanntschaften in der Stadt. Sein Mut und seine Ehrliebe wären gar keinem Zweifel unterworfen. Freilich habe er sich einiger Ausschweifungen schuldig und durch seine satirische Ader viele Leute zu seinen Feinden und andere schüchtern gemacht, seinen Umgang zu suchen.

Aus diesen verschiedenen Schilderungen schloß ich, Banter sei ein junger Mann von einigen Talenten, der sein Vermögen durchgebracht, seine alten Neigungen aber beibehalten habe und nur deshalb mit der Welt zerfallen wäre, weil er ihrer nicht mehr nach Wunsch genießen konnte.

Gegen Abend begab ich mich in das Bedford-Kaffeehaus, wo ich meine beiden guten Freunde antraf. Wir gingen von da in die Komödie und anschließend nach meinem Hause, wo wir in voller Lustigkeit zusammen speisten.


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