Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Erfolg meiner Bemühungen beim Schiffsamt. Ich lerne meinen Schuldner näher kennen; wie er sich gegen mich benimmt
Den folgenden Morgen begab ich mich zu dem vereinbarten Rendezvous. Ich wartete zwei Stunden auf meinen neuen Freund, aber vergebens. Dies verdroß mich außerordentlich, und ich verfügte mich nach der City, in der Hoffnung, da den jungen Herrn anzutreffen, der so fein Wort hielt, und ihm derb darüber den Text zu lesen. Nach vielem Herumstreifen kam ich endlich vor das Schiffsamt. Am Eingang sah ich eine Menge junger Leute, von denen manche keine bessere Figur machten als ich. Nachdem ich die Physiognomie eines jeden untersucht hatte, wandte ich mich an einen, dessen Bildung mir das meiste Zutrauen einflößte, und fragte ihn, ob er mir nicht sagen könne, wie die Bittschrift an das Schiffsamt eingerichtet sein müsse, wenn man von diesem einen Befehl, examiniert zu werden, erhalten wolle.
Dieser Mann entgegnete mir in breitem schottischem Dialekt, er wolle mir die Kopie von der Supplik zeigen, die er unter Anweisung einer Person aufgesetzt habe, die sich auf die Formalien verstände. Zugleich zog er die Schrift aus der Tasche und reichte sie mir zum beliebigen Gebrauch. »Sie müssen sie«, sagte er, »noch heute vormittag einreichen, weil am Nachmittag keine Geschäfte vorgenommen werden.«
Wir gingen sodann in ein nahegelegenes Kaffeehaus, wo ich meine Bittschrift verfertigte und sie sofort dem Kanzleiboten des Schiffsamtes einhändigte. Dieser sagte mir, morgens um ebendiese Zeit könnte ich mir die Order abholen. Wie ich dies Geschäft abgemacht hatte, war ich wieder ziemlich ruhig; und nun wünschte ich, mit dem Fremden, der mich so sehr höflich behandelt hatte, nähere Bekanntschaft zu machen. Doch beschloß ich dabei, mich nicht wieder so anführen zu lassen wie durch den schöngeputzten Herrn von gestern.
Mein neuer Freund ließ es sich gefallen, mit in der Garküche zu speisen, wo ich gewöhnlich aß. Unser Weg dahin führte uns über die Börse. Ich hoffte, hier den Mann zu finden, der seinem Versprechen nicht nachgekommen war. Mein Suchen war vergebens. Kein Jackson (so hieß er) war zu sehen. Nun entdeckte ich meinem Gefährten auf dem langen Wege nach dem Speisehaus, das am anderen Ende der Stadt lag, wie jener mich behandelt hatte. Er kannte ihn nur dem Namen nach und wußte, daß man ihn im Schiffsamt Jackson, den Jungfernknecht, nannte. Es wäre ein ganz braver Kerl, wie man sagte, meldete er mir, aber auch ein ›Bruder Sorglos‹, der überall borgte, wo er etwas geliehen bekommen könne. Seine meisten Bekannten wären der Meinung, sein Herz wäre gut, aber auch, er würde schwerlich je in den Stand gelangen, zu zeigen, daß er's ehrlich und redlich meinte.
Dieser Bericht preßte mir Angstschweiß wegen meiner fünf Schillinge aus; doch gab ich dessenungeachtet noch nicht alle Hoffnung auf, sie wiederzubekommen, wenn ich meinen Schuldner ausfindig machte. Mein neuer Bekannter erzählte mir ferner, wie es Squire Jackson ergangen war, als er seine letzte Bestallung erhielt. Er hatte ganz und gar kein Geld, sich zu equipieren. Man wies ihn an einen Mann, der ihm eine kleine Summe Geldes vorstreckte, nachdem er ein Testament und eine Vollmacht hatte aufsetzen müssen. Jenes berechtigte den Verleiher, im Todesfall alle Habseligkeiten des Schuldners an sich zu nehmen; diese aber, sein Gehalt zu beheben, sobald es fällig sei. Unter der Vormundschaft dieses Herrn stehe er noch, der ihm von Zeit zu Zeit auf die in seinen Händen befindliche Sicherheit kleine Summen für fünfzig Prozent vorschieße. »Allein sein Kredit geht jetzt sehr auf die Neige«, setzte der Erzähler hinzu, »weil sein Kapital kaum zureicht, die erhaltenen Vorschüsse, diese mäßigen Zinsen mitgerechnet, abzutragen.«
Von Jackson kam der Fremde, der Thompson hieß, auf seine eigene Lage. »Seit ungefähr vier Monaten«, sagte er, »hat man mich für tauglich erklärt, dritter Unterchirurgus auf einem Kriegsschiff vom dritten Range zu werden. Die ganze Zeit über bin ich immer auf dem Schiffsamt gewesen, um eine Bestallung zu erhalten. Ein schottisches Parlamentsmitglied und einer von den Kommissarien haben mich auch vertröstet, ich soll die erste ledige Stelle bekommen. Ungeachtet dieser Versprechungen hab ich zu meinem äußersten Verdruß fast wöchentlich sechs oder sieben einen solchen Posten bekommen sehen. Jetzt bin ich mit meinem Gelde beinahe ganz zu Rande und setze meine Hoffnung bloß auf das Versprechen eines Freundes, der vor kurzem hier angekommen ist. Er will mir so viel Geld geben, daß ich dem Sekretär ein Präsent zu machen imstande bin, sonst kann ich wohl noch tausend Jahre vergebens lauern.«
Ich wurde dem jungen Mann sehr gut, vermutlich wegen der Gleichheit unserer Schicksale. Wir verbrachten den ganzen Tag miteinander; und da er in einem weitentlegenen Stadtviertel wohnte, so bat ich ihn, die Nacht mit meinem Bette vorliebzunehmen. Den folgenden Morgen begaben wir uns wieder nach dem Schiffsamt. Ich wurde vorgefordert, um meine Vaterstadt und Erziehung befragt und erhielt sodann meine Ausfertigung, wofür ich dem Kanzlisten eine halbe Krone zahlen mußte. Diesen Befehl händigte ich dem Schreiber im Collegium chirurgicum samt einem Schilling für seine Bemühung ein, meinen Namen zu registrieren. Dadurch war mein Kapital bis auf zwei Schillinge geschmolzen, und ich hatte keine Aussichten, es im geringsten zu vermehren. Weit entfernt, dem Kollegium der Wundärzte die Kosten für das Examen bezahlen zu können, das in vierzehn Tagen sein sollte, fehlte es mir schon jetzt am notdürftigen Unterhalt.
In dieser großen Verlegenheit fragte ich Strap um Rat. Dieser versicherte mir, er wolle lieber alles, was er auf der Welt besitze, versetzen, selbst seine Schermesser nicht ausgenommen, ehe ich Mangel leiden sollte. Allein diesen Ausweg verwarf ich gänzlich. Tausendmal lieber, sagte ich zu ihm, wollte ich Soldat werden als ihm weiter zur Last fallen. Bei dem Worte ›Soldat‹ wurde er blaß wie die Wand und bat mich auf den Knien, dies Vorhaben aufzugeben.
»Gott erhalt uns allen unsern Verstand!« rief er. »Soldat wollt Ihr werden und Euch vielleicht gar gegen die Spanier schicken lassen, daß die Euch wie eine Schnepfe in den Kopf schießen? Gott bewahre mich vor kaltem Blei im Leibe und lasse mich, wie alle meine Vorfahren, auf dem Bett fein christlich sterben! Was helfen alle Reichtümer und Ehrenstellen in diesem Leben, wenn man nicht zufrieden ist, und in jenem gilt ja kein Ansehen der Person. Lieber ein armer, ehrlicher Barbier geblieben, mit gutem Gewissen! Da hab ich doch noch Zeit, auf dem Totenbett meine Sünden zu bereuen! Weit gescheiter, als sich, Gott behüt und bewahr uns dafür, 'ne Musketenkugel wohl gar in der Blüte der Jahre durch den Brägen schießen zu lassen, derweile man Reichtümern und einem großen Namen nachjagt. Was nützen Reichtümer, liebster Freund? Sie kriegen Flügel und flattern fort, wie der Weise sagt. Macht nicht Horaz die Anmerkung:
Non domus et fundus, non aeris acervus et auri
Aegroto domini deduxit corpore febres
Non animo curas.
Ich könnte Euch aus der Bibel sowohl als aus andern guten Büchern Stellen genug vorsagen, um Euch den Reichtum verachten zu lehren. Aber ich kenne Euch, Ihr könnt dergleichen nicht allzugut leiden. Also von was anderm! Wollt Ihr durchaus und durchum Soldat werden, nu, mein Seel, so werd ich's auch. Werden wir nachher beide erschlagen, so werdet Ihr mein Blut so gut zu verantworten haben wie Euer eigenes, ja sogar vielleicht auch das Blut aller derer, die wir in der Schlacht umbringen. Drum bitt ich Euch, bedenkt recht, was Ihr tun wollt, ob Euch mit wenigem behelfen und die Früchte meines Fleißes in Frieden mit mir teilen, bis die Vorsicht bessere Zeiten beschert, oder durch Eure Verzweiflung unsere Seelen und Leiber ins ewige Verderben stürzen, wovor uns der grundgütige Gott in allen Gnaden bewahren wolle.«
Bei dieser Rede, die mit großer Ernsthaftigkeit gehalten wurde und wobei ihm zugleich die Tränen in den Augen standen, konnte ich mich des Lächelns nicht erwehren. Inzwischen versprach ich ihm, ohne sein Gutachten und seine Einwilligung kein Vorhaben von der Art auszuführen. Diese Erklärung war sehr beruhigend für ihn. Er sagte mir darauf, in wenigen Tagen würde er seinen Wochenlohn erhalten, der mir ganz zu Diensten stünde. Mittlerweile riete er mir, Jackson auszuforschen und mein Darlehn wieder von ihm herauszupressen.
Demzufolge durchtrabte ich die Stadt etliche Tage lang, von einem Ende zum andern, ohne etwas von ihm in Erfahrung bringen zu können. Eines Mittags, da ich vom Herumlaufen recht hungrig geworden war, folgte ich den lockenden Dünsten, womit ein Garkochkeller meinen Geruch ergötzte, und stieg hinab, des Vorsatzes, meinem Appetit mit zwei Pence Ochsenfleisch gar gütlich zu tun. Hier fand ich, zu meinem nicht geringen Erstaunen, den feinen Jackson in der Gesellschaft eines Lakaien beim Essen.
Kaum erblickte er mich, so stand er auf, ging auf mich zu, schüttelte mir die Hand und sagte, er freue sich, mich zu sehen, denn er sei willens gewesen, mich noch heute nachmittag in meinem Logis aufzusuchen. Ich war über diese Zusammenkunft so erfreut und seine Entschuldigungen, daß er neulich nicht Wort gehalten habe, hatten einen so guten Anstrich, daß sich mein Zorn völlig legte.
In der fröhlichen Erwartung, ehe wir auseinandergingen, nicht nur mein Geld wiederzuerhalten, sondern auch, seinem Versprechen gemäß, die zum Examen erforderlichen Kosten von ihm vorgeschossen zu bekommen, setzte ich mich zu Tisch. Die Nachricht, die mir Thompson von ihm gegeben, hätte freilich die Hoffnungen mäßigen sollen, die mir mein lebhaftes Temperament einflößte.
Als wir unser köstliches Mahl geendigt hatten, nahm er von dem Lakaien Abschied und führte mich in ein nahegelegenes Bierhaus. »Mister Random«, sagte er und schüttelte mir wieder die Hand, »Sie werden mich für einen schlechten Kerl halten, und ich muß gestehen, der Schein ist gegen mich. Aber ich darf hoffen, daß Sie mir verzeihen werden, wenn Sie erfahren, weshalb ich nicht Wort gehalten habe. Ich bekam gerade um die Zeit unseres Rendezvous eine dringende Einladung von einer Dame, die – ganz im Vertrauen gesagt, denn es ist ein Geheimnis – ich in kurzem heiraten werde. Dies kommt Ihnen vielleicht sonderbar vor, allein es ist trotzdem wahr. Sie hat fünftausend Pfund, das ist ausgemacht, und noch überdies verschiedene ansehnliche Erbschaften zu erwarten. Mich soll der Teufel holen, wenn ich weiß, was irgendein Mädchen Liebenswürdiges an mir finden kann. Aber die Weiber haben einmal ihre Launen. Der Bursch, den Sie heute mittag haben mit uns essen sehen – einer der bravsten Jungen, die je Livree getragen haben –, hat mich zuerst mit dem Mädchen jener Dame, seiner Liebsten, bekannt gemacht. Er und sein Schätzchen haben manche Krone von mir bezogen. Doch was tut das? Nun ist es bald in dem Topf, worin es kochen soll. Ich habe – kommen Sie ein wenig beiseite –, ich habe, müssen Sie wissen, um sie angehalten, und der Tag zum Verlöbnis ist schon festgesetzt. Es ist ein ganz allerliebstes Geschöpf! Sie schreibt wie ein Engel! So wahr Gott lebt, Herr! Sie kann alle englischen Tragödien Ihnen so gut herdeklamieren wie nur immer ein Schauspieler im Drury Lane. Sie liebt das Schauspiel recht leidenschaftlich und hat, um dem Theater recht nahe zu sein, ein Logis bei dem Komödienhause genommen. – Sie sollen selbst urteilen, wie geistreich sie ist. Diesen Brief habe ich ganz kürzlich von ihr erhalten.«
Mit diesen Worten steckte er mir ein Papier in die Hand, das, soviel ich mich erinnern kann, folgenden Inhalts und höchst sonderbar orthographiert war, so daß man ihn nur mit Mühe herausbrachte.
»Holdestes aller Geschöpfe!
Da Sie das animalische Triprat aller meiner Kontemplationen sind, so schwimmt Ihr reizendes Bild stets im untern Behälter meiner schimärischen Fantasie, sowohl wenn Morfeus seine Schlummerkörner über die Augen der Sterblichen streut, oder wenn Febus von seinem helstralenden Tron Schimmer oder Licht über das Weltal ergießt. Übrigens werd ich glauben, daß der alte eisgraue Saturn sein Gefieder, oder der lose Götterknabe seine Feile ferloren hat, so lange Du nicht der süßen Ruhe genießest in den liebeschmachtenden Armen Deiner Dir
Ewig geweihten Ciarinde.
Den zwölften des Jänners, aus meiner Behausung.
Indes ich las, schien er in Ekstase zu sein; er rieb die Hände und brach in ein helles Gelächter aus. Endlich ergriff er meine Hand, drückte sie mit der größten Lebhaftigkeit und rief: »Das ist doch noch ein Stil! Was sagen Sie zu einem solchen Billetdoux?« – »Es ist so erhaben«, versetzte ich, »daß ich davon ganz und gar nichts verstehe.« – »Oho!« sagte er, »das glaub ich. Das Briefchen ist zärtlich und erhaben zugleich. Sie ist ein göttliches Geschöpf – und ich bin ihr Abgott. – Aber sagen Sie mir, was soll ich mit all dem Gelde anfangen, das ich nun in die Hände bekommen werde? Zuerst sorge ich für Sie, liebster, bester Freund. Ich bin ein Mann von wenig Worten. Dabei bleibt's einmal, und nun nichts mehr davon! Rieten Sie mir wohl, mir eine Zivilbedienung zu kaufen, die mir einigen Einfluß im Staate verschafft, oder meiner Frau Geld in Grundstücke zu verwandeln und aufs Land zu ziehen?«
Ich riet ihm, ohne Bedenken sich ein Gut zu kaufen und darauf einträgliche Veränderungen vorzunehmen, zumal da er sich schon soviel in der Welt umgesehen habe. Sodann schweifte ich in Lobeserhebungen des Landlebens aus und malte es so wie die Dichter, welche ich gelesen hatte. Er schien meinen Rat gut zu finden; doch sagte er mir, wiewohl er bereits einen großen Teil der Welt, sowohl zu Wasser als zu Lande, gesehen habe, indem er drei ganze Monate im Kanal herumgekreuzt wäre, so könne er sich doch nicht eher zufriedengeben, als bis er noch Frankreich durchreist hätte. Dies wolle er nach seiner Heirat mit seiner Frau tun, ehe er sich zur Ruhe setzte.
Ich hatte gegen dies Projekt nichts einzuwenden und fragte ihn, wie bald er denn glücklich zu werden gedenke. »Es stößt sich«, erwiderte er, »nur noch an ein paar Handvoll Moneten. Mein Freund in der City, müssen Sie wissen, ist auf acht oder vierzehn Tage verreist, und unglücklicherweise ist mir mein Geld in Broadstreet nicht ausgezahlt worden, weil ich mich bei meinem lieben Engel zu lange aufgehalten habe. Inzwischen werden wir künftige Woche nach Chatham gefordert werden, wo man die Schiffsrechnungen hinverlangt hat, und da hab ich meinem guten Freunde aufgetragen, das Geld für mich zu beheben.«
»Nun, wenn das ist«, sagte ich, »so ist es ja kein großes Unglück, wenn Sie die Hochzeit einige Tage aufschieben.« – »Ei ja doch«, versetzte er, »Sie wissen nicht, wie viele Rivalen ich habe, die daraus Vorteil ziehen würden. Überdies möchte ich um alles in der Welt die feurige Ungeduld meiner Geliebten nicht täuschen. Der geringste Anschein von Kälte und Gleichgültigkeit würde alles verderben. So gut wird's einem nicht alle Tage geboten.« Ich konnte dagegen nichts einwenden und fragte ihn bloß, was er nun anzufangen gedenke.
Auf meine Frage rieb er sich das Kinn und sagte: »Ich werde wahrhaftig einen oder den andern Freund bitten müssen, daß er mir aushilft. Kennen Sie niemanden, der mir auf ein oder ein paar Tage eine kleine Summe liehe?«
Ich versicherte ihm, daß ich selbst in London gänzlich unbekannt sei und niemand mir eine Guinee borgen würde, selbst wenn's um mein Leben ginge. »Nicht?« entgegnete Jackson, »das ist schlimm! sehr schlimm! Ich wollte, ich hätte was zu versetzen. – Meiner Treu, Sie haben vortreffliche Wäsche (meinen Hemdärmel anfühlend); wieviel Hemden von der Art haben Sie?« Ich antwortete: »Ein halb Dutzend mit und ebensoviel ohne Manschetten.« Worauf er sehr überrascht tat und mir versicherte, kein rechtlicher Mensch brauche mehr als vier. »Wissen Sie, wieviel ich habe? So wahr ich selig werden will, nur dies und noch eins. Aus Ihrem Überflusse, darf ich wohl sagen, werden wir ein hübsches Sümmchen zusammenschlagen. Laß sehen! Jedes von den Hemden ist, schlecht gerechnet, sechzehn Schillinge wert. Gesetzt, wir versetzten sie nur für die Hälfte. Acht mal acht ist vierundsechzig, das sind drei Pfund und vier Schillinge. Potztausend! das reicht gerade aus. Geben Sie mir Ihre Hand.«
»Sachte, sachte, Herr Jackson«, antwortete ich. »Disponieren Sie nicht eher über meine Wäsche, als bis Sie meine Einwilligung haben. Erst bezahlen Sie die Krone, die Sie mir schuldig sind, dann wollen wir von anderen Dingen sprechen.«
Er vermaß sich hoch und teuer, er habe keinen Schilling in der Tasche, aber er wolle mich gleich von dem Gelde befriedigen, das er aus den Hemden lösen würde. Diese Dreistigkeit brachte mich so auf, daß ich ihm zuschwor, ich wiche nicht eher von ihm, als bis er mir bezahlt habe, was ich ihm geliehen; und was die Hemden anlangte, so würde ich nicht eins davon versetzen, und wenn ich ihn auch vom Galgen retten könnte.
Anfänglich lachte er über diese Versicherung laut auf, sodann beklagte er sich, ich sei verteufelt hartherzig, daß ich ihm eine solche Kleinigkeit abschlagen könne, wodurch ich nicht nur sein, sondern auch mein Glück zu machen imstande wäre. »Sie sprechen vom Versetzen meiner Hemden«, sagte ich, »wie wenn Sie Ihren Hirschfänger verkauften, Mister Jackson. Ich dächte, Sie sollten dafür ein hübsches rundes Sümmchen bekommen.« – »Das geht, Gott strafe mich, nicht«, versetzte er. »Könnte ich mich ohne Hirschfänger füglich sehen lassen, so sollte es ohne Widerrede geschehen.« Als er mich aber in betreff meiner Wäsche unbeweglich fand, schnallte er endlich seinen Hirschfänger ab, wies mir ein Schild mit drei blauen Kugeln und bat mich, dort hinzugehen und ihn für zwei Guineen zu versetzen.
Hätte ich irgendeine Wahrscheinlichkeit vor mir gesehen, auf eine andere Art zu meinem Gelde zu kommen, so würde ich dies Geschäft nicht übernommen haben; doch jetzt wollte ich nicht aus falschem Zartgefühl die einzige gute Gelegenheit, es je wiederzuerlangen, versäumen. Daher wagte ich mich in den Laden des Pfandleihers und verlangte unter dem Namen Thomas Williams zwei Guineen für mein Unterpfand. »Zwei Guineen?« fragte der Mann. »Dich kenne ich«, fuhr er mit einem Blick auf den Hirschfänger fort; »du bist schon verschiedene Male für dreißig Schillinge hier gewesen; doch wenn der Herr, dem er gehört, ihn wieder einlösen will, so soll er dafür kriegen, was er verlangt.« Hierauf zahlte er mir das Geld aus.
Ich eilte damit, sowie ich es in einem andern Laden gewechselt hatte, nach dem Hause, wo ich Jackson gelassen hatte, zahlte ihm siebenunddreißig Schillinge und behielt die anderen fünf für mich. Nachdem er das Geld eine Weile angesehen hatte, sagte er: »Verdammt! was soll das bedeuten? Damit komme ich nicht aus. Ebensogut hätten Sie eine halbe, ja eine ganze Guinee behalten können als die fünf Schillinge, die Sie davon genommen haben.«
Ich dankte ihm gar höflich, weigerte mich aber, mehr zu nehmen als mir gebühre, weil ich keine Aussichten habe, ihm diese Summe wiederzuerstatten. Er sah mich bei dieser Erklärung starr an und sagte: »Sie sind ein rechter Guckindiewelt, sonst würden Sie mir so etwas nicht sagen. Ich halte von dem jungen Mann nicht viel, der in der Not von seinem Freunde nichts borgen will. Das ist ein schüchterner Knauser! – Geben Sie mir die fünf Schillinge, Random, und nehmen Sie die halbe Guinee. Sie mögen sie mir wiedergeben, wenn Sie können. Ein Schurke, der Sie darum mahnt!«
Meine üble Lage stellte sich mir jetzt lebhaft dar und zwang mich, das Dargebotene anzunehmen. Ich sagte Jackson meinen verbindlichsten Dank. Dieser machte sich noch anheischig, mich einmal in der Komödie freizuhalten. Ich kehrte nach meinem Logis mit einer weit besseren Meinung von diesem Mann zurück, als ich sie am Morgen gehabt hatte.
Noch am selben Abend machte ich Strap mit den mir am Tage zugestoßenen Abenteuern bekannt. Er freute sich über mein gutes Glück und hub an: »Sagte ich Euch nicht, Ihr seid geborgen, wenn er ein Schotte ist. Wer weiß, ob wir durch seine Heirat nicht noch alle drei unser Glück machen können! Besinnt Ihr Euch wohl noch auf den Bäckergesellen, unsern Landsmann, der mit 'ner vornehmen Dame hier aus der Stadt durchging? Der soll Euch jetzt Kutsch und Pferde halten. – Na, ich sage nichts, aber gestern früh, als ich einen gewissen Herrn in seinem Hause rasierte, war ein junges Frauenzimmer in der Stube – Hol mich! Straf mich! Ein hübsches, munteres Ding! Die mit 'nem gewissen Menschen, den ich nicht nennen mag, was Ehrliches scharmierte. – Mein Herz ging wie eine Walkmühle, und meine Hand flog wie Espenlaub. Ich schlitzte daher dem Herrn ein bißchen Haut von der Nase ab. Er fluchte, daß sich die Balken hätten biegen mögen, und griff nach der Hetzpeitsche; aber sie legte sich drein und wußte ihn wieder gut zu machen. Omen haud malum, dachte ich! Ein Barbiergesell ist wohl so gut wie 'n Bäckergesell. Der einzige Unterschied zwischen ihnen ist der, der Bäcker bedient den Bauch mit Weizenmehl und der Barbier den Kopf. Nun ist letzterer ein weit edleres Glied als der Bauch, folglich auch der Barbier vornehmer als der Bäcker. Denn was ist ein Bauch ohne Kopf? Überdies, habe ich mir sagen lassen, kann der Bursch, der nun so vornehm ist, weder lesen noch schreiben, und Ihr wißt, daß ich beides kann und noch obendrein Lateinisch rede. – Doch mehr will ich nicht sagen, denn Großtun ist mir gar fatal. Nichts Erbärmlicheres als ein Mensch, der sich dicktut!«
Nach diesen Worten zog er ein Ende Wachslicht aus der Tasche und bestrich damit die Stirn. Bei näherer Besichtigung fand sich, daß er sein eigenes Haar über das Toupet seiner Perücke gekämmt hatte und daß er in der Tat in seinem ganzen Anzuge einen wahren Stutzer von Barbiergesellen vorstellte. Mit einem satirischen Lächeln, das er genau verstand, gratulierte ich ihm zu seinen guten Aussichten. Er schüttelte den Kopf und sagte, ich wäre sehr kleingläubig, allein die Wahrheit würde, trotz meinem Unglauben, doch endlich an den Tag kommen.