Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

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Achtundsechzigstes Kapitel

Der Squire verweigert seine Einwilligung zu unserer Heirat, die dessenungeachtet vollzogen wird

 

Auf mein Ersuchen setzte sich mein Vater sogleich hin, schrieb den Brief an den Squire, und er wurde durch einen Expressen nach Sussex geschickt. Während der Zeit traf Don Rodrigo die zu meiner Hochzeit erforderlichen Anstalten, mietete ein vollständig eingerichtetes Haus und schaffte uns eine recht artige Equipage an.

Wiewohl ich den größten Teil des Tages bei dem Lieblinge meiner Seele zubrachte, so fand ich doch dann und wann soviel Zeit, meine alten Bekannten zu besuchen. Sie erstaunten insgesamt über mein prächtiges Auftreten. Vor allen anderen war Banter über den sonderbaren Glückswechsel betroffen, der sich mit mir zugetragen hatte. Vergebens bemühte er sich, hinter den Zusammenhang zu kommen, bis ich es endlich für gut fand, ihm das Geheimnis meiner letzten Reise zu erschließen. Teils tat ich dies wegen unserer ehemaligen innigen Freundschaft, teils um den ungünstigen Mutmaßungen zuvorzukommen, die er und andere höchstwahrscheinlich über meine so sehr veränderten Umstände anstellten.

Banter legte über diese Nachricht große Zufriedenheit an den Tag, und ich hatte keine Ursache, sie für erheuchelt zu halten, wenn ich erwog, daß er nun meine Schuldforderung an ihn nicht nur für getilgt ansehen, sondern sich auch zugleich mit der Hoffnung schmeicheln würde, mehr von mir borgen zu können. Ich nahm ihn mit nach Hause, daß er bei uns speise. Mein Vater fand an seiner Unterhaltung so viel Behagen, daß er, als er seine bedrängte Lage erfuhr, mich bat, ihm für jetzt durch ein Darlehen zu helfen. Zugleich sollte ich ihn fragen, ob er Lust hätte, eine Stelle in der Armee anzunehmen; in dem Fall wolle er ihm das dazu erforderliche Geld gern vorstrecken.

Diesem Verlangen gemäß suchte ich eine Gelegenheit, mit meinem Freunde allein zu sein. Wie ich erwartet hatte, erzählte er mir sogleich, er stände im Begriff, sich mit einem alten reichen Oheim auszusöhnen, dessen Erbe er wäre, allein er brauche jetzt einiges Geld zu verschiedenen dringenden Ausgaben und bitte mich daher, es ihm zu leihen. Er wolle mir über die ganze mir schuldige Summe eine gerichtliche Obligation geben. Seine Forderung erstreckte sich nur auf zehn Guineen. Als ich ihm noch einmal soviel zuschob, sah er mich einige Minuten ganz starr an und sagte, indem er das Geld in seine Börse schüttete: »Nun, es kommt auf eins; Sie sollen alles miteinander in sehr kurzem wiederhaben.«

Nachdem ich, um ihm die Kosten einer gerichtlichen Obligation zu ersparen, mir eine bloße Handschrift von ihm hatte geben lassen, äußerte ich einiges Erstaunen gegen ihn, daß ein Mann von seinem Kopfe seine Zeit so in Müßiggang verbringen könnte, und fragte ihn, ob er nicht in Kriegsdiensten sein Glück zu machen geneigt sei. »Wie?« sagte er, »ich sollte mein Geld für eine Subalternstelle wegwerfen, um unter dem Kommando einer Partie Schufte zu stehen, die sich durch die ehrlosesten Kniffe und Griffe über mich hinweggeschwungen hätten? Nein, ich liebe meine Unabhängigkeit zu sehr, um Leben, Gesundheit und Vergnügen so einem armseligen Posten aufzuopfern.«

Da ich ihn so abgeneigt gegen diese Lebensart fand, brach ich dieses Thema ab und kehrte zu Don Rodrigo zurück, der eben vom Squire folgendes Schreiben erhalten hatte:

›Sir!

Was den Brief anlangt, den ich mit der Unterschrift R. Random bekommen habe, darauf dient zur Antwort: Ich kenne Sie Ihres Parts nicht – Ihren Sohn oder Ihren vorgeblichen Sohn hab ich gesehn. Heiratet er meine Schwester, so geschieht das auf sein Risiko. Nicht einen Farthing von ihrem Vermögen soll er in die Hände kriegen, daß Sie's nur wissen. Das wird mein, sobald sich das Mädel einen Mann ohne meine Einwilligung nimmt. – Was Sie da von standesgemäßem Unterhalt und Wittum und Versorgung des Windpatrons schreiben, halt ich für Schwindel und Sie selbst für nicht ein Haar besser als den klaren Kern, Ihren Sohn. Hätten Sie aber auch alle Schätze Indiens, so soll Ihr Sohn doch nicht in unsre Familie einheiraten, wenigstens nicht mit Genehmigung dessen, der sich nennt

Orson Topehall.‹

Mein Vater, der mit dem Charakter des Verfassers bekannt war, wunderte sich über diesen höflichen Brief nicht sehr. Ich meinerseits freute mich sogar über die abschlägige Antwort des Wilden, weil ich dadurch eine gute Gelegenheit bekam, meine uneigennützige Liebe zu beweisen. Der Erlaubnis meines Vaters zufolge machte ich sogleich meiner Geliebten die Aufwartung und teilte ihr den Inhalt von dem Brief ihres Bruders mit. Trotz aller meiner Tröstungen und Liebkosungen weinte sie darüber bitterlich.

Unsere Heirat ward innerhalb zwei Tagen festgesetzt. Während dieser Zeit, worin meine Seele sich auf dem höchsten Gipfel entzückender Erwartungen befand, gab Narzissa sich die ersinnlichste Mühe, einige Anverwandte, die sie in der Stadt hatte, für ihre Heirat mit mir günstig zu stimmen. Allein sie fand diese, entweder aus Neid oder aus Vorurteil, gegen alle ihre Vorstellungen taub. Dies erzählte sie mir mit der liebenswürdigsten Anmut, wobei Tränen ihre schönen Wangen netzten. »Nunmehr«, setzte sie hinzu, »wird wahrlich die Welt Ihre Großmut nicht mehr in Zweifel ziehen, da Sie eine arme, verlassene Bettlerin in Ihre Arme aufnehmen.« Ihr Kummer rührte mich sehr, ich drückte die schöne Betrübte an meine Brust und schwor, da sie Freunde und Glück ihrer Liebe zu mir aufgeopfert habe, sei sie mir um so teurer.

Mein Oheim, für dessen Charakter sie große Ehrfurcht hegte, war um die Zeit in der Stadt eingetroffen. Ich führte ihn zu meiner Braut. Wiewohl ein feines Gefühl nicht zu den Geschenken gehörte, die ihm die Natur gemacht hatte, so blieb er doch vor Erstaunen über ihre Schönheit stumm. Nachdem er sie geküßt und eine Zeitlang angestarrt hatte, wandte er sich folgendermaßen an mich: »Potztausend, Rory! Das ist wirklich eine prächtige Prise, schön gebaut und prachtvoll aufgetakelt! Bei meiner Treu, wenn sie nicht wohlbemannt ist, wenn Ihr erst das Kommando habt, so verdient Ihr, in einer Muschelschale zur See zu fahren. Nichts für ungut, liebe Nichte. Nehmen Sie nicht übel, was ich sage; ich bin doch bloß ein einfacher Seemann, wie man zu sagen pflegt. Doch ich halte genauso große Stücke auf Sie wie ein anderer.«

Narzissa empfing ihn mit ungemeiner Höflichkeit und sagte, sie habe sich schon lange gesehnt, einen Mann kennenzulernen, dessen Schuldnerin sie längst wegen der großmütigen Behandlung wäre, die er mir habe widerfahren lassen. Von nun an sähe sie ihn als ihren Oheim an und bitte ihn um die Erlaubnis, ihn künftig bei diesem Namen nennen zu dürfen. Sie sei übrigens völlig gewiß, er könne nichts sagen, was imstande wäre, sie nur im geringsten zu beleidigen.

Dies artige Benehmen machte dem biederen Kapitän ungemeine Freude. Er drang darauf, bei der Trauung den Brautpaten vorzustellen. Er liebte sie, schwor er ihr zu, wie sein eigenes Kind und versicherte, er wolle der ersten Frucht unserer Liebe, sobald die ›Göre man quarren‹ könne, zweitausend Guineen schenken.

Die Zeit zur Hochzeitsfeier, für die alle Anstalten getroffen waren und die insgeheim in meines Vaters Hause sollte vollzogen werden, war nun da. Don Rodrigo und mein Oheim fuhren zur Braut und holten sie samt der Williams ab. Ich blieb indessen mit dem Geistlichen, Banter und Strap in unserem Logis. Keiner von ihnen hatte bis jetzt die liebenswürdige Narzissa schon gesehen. Mein treuer Diener, der vor Ungeduld brannte, ein Frauenzimmer zu erblicken, von dem er soviel vernommen, hörte kaum den Wagen anrollen, als er ans Fenster stürzte, um sie aussteigen zu sehen. Als er ihrer ansichtig ward, schlug er die Hände zusammen, glotzte sie an, hielt den Mund weit offen, blieb in einer Art von Ekstase und brach endlich in folgende Exklamation aus:

»›– O Dea certe!
– – –
Qualis in Eurotae ripis, aut per juga Cynthi
Exercet Diana chors
‹«

Der Doktor und Banter erstaunten, als sie meinen Bedienten lateinisch sprechen hörten; allein der Gegenstand ihrer Bewunderung änderte sich, wie man deutlich an ihrem Gesicht wahrnahm, als mein Vater Narzissa ins Zimmer führte. Und sie müßten in der Tat Stöcke und Klötze gewesen sein, wenn sie dieses göttliche Geschöpf hätten näher kommen sehen, ohne erschüttert zu werden.

Meine Geliebte hatte ein weißatlassenes Kleid an, um die Brust herum mit Gold bestickt. Ihren Kopf schmückte ein kleines Bonnet à la française; ihre schönen Haare flossen in geringelten Locken auf ihren schneeweißen Hals, den das von mir erhaltene Halsband zierte. Ihre Wangen glühten vor Bescheidenheit und Liebe, und ihr Busen, den eine leichte Gaze überschattete, gewährte eine elysische Aussicht.

Mit der mir ziemenden Ehrerbietung empfing ich dieses unschätzbare Geschenk der Vorsehung. Kurz darauf verrichtete der Geistliche die Zeremonie. Mein Oheim stellte auf sein ernstliches Ansuchen den Vater meiner teuren Narzissa vor. Das liebenswürdige Mädchen zitterte über alle Maßen und hatte kaum soviel Kräfte, diese Veränderung ihres Zustandes auszuhalten.

Sobald sie durch himmlische und irdische Gesetze mein war, drückte ich einen brennenden Kuß auf ihre Lippen; mein Vater umarmte sie zärtlich, und mein Oheim schloß sie mit vielem Wohlwollen in seine Arme. Darauf stellte ich sie meinem Freunde Banter vor, der ihr auf eine sehr höfliche Art Glück wünschte. Miß Williams umarmte sie und vergoß reichlich Tränen. Strap fiel inzwischen auf seine Knie und verlangte die Hand seiner Gebieterin zu küssen, die sie ihm mit vieler Leutseligkeit hinreichte.

Ich wage es nicht, meine eigenen Gefühle zu beschreiben. Daher mag folgendes genug sein: Nachdem wir bis um zehn Uhr gegessen und geplaudert hatten, warnte ich Narzissa, durch zu langes Aufbleiben ihre Gesundheit in Gefahr zu setzen, und bewog sie endlich, sich mit ihrem Mädchen in das für uns bestimmte Gemach zu begeben.

Als sie von uns ging, ergoß sich über ihr Gesicht eine Röte, die mein ganzes Blut in wilde Gärung versetzte und jeden Puls mit tausendfacher Stärke schlagen machte. Sie war so grausam, mich eine volle halbe Stunde in diesem Zustande zu lassen. Nun konnte ich meine Ungeduld nicht länger bemeistern. Ich brach von der Gesellschaft auf, drang in ihre Stube, schob die Vertraute aus der Tür, verriegelte diese und – – – Himmel und Erde! schwelgte an einem Mahl, das tausendmal leckrer war, als die feurigste Hoffnung mir es vorgeschildert hatte. Doch ich will Hymens keusche Geheimnisse nicht entweihen, deshalb nur soviel: Ich war der glücklichste aller Menschen.

Den Morgen wachte ich durch drei oder vier Trommelschläger auf, die Banter unter mein Fenster gestellt hatte. Ich zog darauf den Bettvorhang zurück und weidete mich unaussprechlich durch das Anschauen der Götterreize, in deren Besitz ich nun war durch den Augengenuß einer Schönheit, die schlafend oder wachend ganz eigentümliche Grazie ausstrahlte. Die hereinbrechenden Lichtstrahlen störten Narzissas Schlummer. Als sie sich ihres jetzigen Standes erinnerte, flog eine reizende Röte ihr Gesicht an, das sie an meinem Busen verbarg. Ich war ganz außer mir vor Freude. Kaum konnte ich dem Zeugnis meiner Sinne trauen, und ich hielt alles, was vorgegangen war, für ein Traumgespinst.

Mittlerweile klopfte mein Oheim an die Tür und rief mir zu, ich möchte auslaufen; ich hätte lange genug vor Anker gelegen. Sogleich stand ich auf und schickte die Williams zu ihrer Gebieterin. Sodann nahm ich die Glückwünsche des Kapitäns Bowling entgegen, der mich mit seinen Seephrasen gar weidlich aufzog.

Nach weniger als einer Stunde wurde meine Frau von Don Rodrigo zum Frühstück in das Zimmer geführt. Die Gesellschaft sprach ihre Glückwünsche aus und sagte, wenn ihre Reize ja noch hätten erhöht werden können, so wäre dies zuverlässig durch den Ehestand geschehen. Da ihre zarten Ohren nicht durch jene unanständigen Zweideutigkeiten beleidigt wurden, die oft bei solchen Gelegenheiten vorgebracht werden, so benahm sie sich mit Würde, ungeheuchelter Bescheidenheit und der größten Ungezwungenheit.

Noch denselben Morgen überreichte ich ihr in Gesellschaft aller zum Zeichen meiner Zuneigung und Achtung eine Schrift, wodurch ich mein sämtliches Vermögen ihr und ihren Erben zusicherte. Sie nahm dies mit dem Blick der zärtlichsten Erkenntlichkeit an und fügte die Anmerkung hinzu, nach den vielen Beweisen meiner Großmut gegen sie wundere sie sich nicht mehr über dergleichen Handlungen von mir. Zugleich bat sie meinen Vater, ihr dies Papier aufzuheben. »Nach meinem Gatten, Sir«, setzte sie hinzu, »sind Sie die einzige Person, in die ich mein größtes Zutrauen setze.« Dies kluge und edle Verfahren gefiel dem alten Manne nicht wenig; er nahm das Papier an sich und versprach ihr, es auf das sorgfältigste aufzubewahren.

Da wir nicht viele Besuche abzustatten und zu empfangen hatten, brachten wir die kurze Zeit, die wir in der Stadt blieben, damit zu, daß wir die öffentlichen Lustbarkeiten besuchten. Wie sehr ward meine Eitelkeit befriedigt, wenn ich dort nur selten meine Narzissa durch andere Schönheiten verdunkelt fand. Eines Abends, als wir ins Schauspielhaus gingen, sahen wir unserer Loge gerade gegenüber den Squire und seine Gemahlin. Beide schienen sich über unseren Anblick nicht wenig zu wundern. Mir war es recht lieb, daß das Ungefähr uns einander unter die Augen führte, und dies um so mehr, da Melinden alle ihre Bewunderer durch meine Frau geraubt wurden, die an diesem Abend ihre Schwägerin bei weitem an Schönheit und an Staat übertraf.

Mistreß Topehall wurmte Narzissas Sieg nicht wenig; sie warf den Kopf bald so, bald anders, rauschte den Fächer auf und zu, blickte mit Geringschätzung auf uns hin, wisperte dann und wann ihrem Mann etwas zu und brach in ein erzwungenes Kichern aus. Doch alle diese Künste blieben fruchtlos; sie war weder imstande, meine Frau außer Fassung zu bringen, noch ihre Kränkung dadurch zu verstecken. Ihr Unmut zwang sie endlich, das Schauspielhaus noch lange vor Beendigung des Stückes zu verlassen.

Da durch das eifrige Bemühen dieses boshaften Geschöpfs sich die Nachricht von unserer Heirat mit verschiedenen für uns nachteiligen Zusätzen verbreitet hatte, so begann eine gewisse Klasse von Leuten, die auf bösen Leumund sehr erpicht ist, sich nach unseren Vermögensumständen genau zu erkundigen. Kaum hatten sie in Erfahrung gebracht, daß diese beträchtlich wären, so wandte sich das Blatt, und sie buhlten um unsere Bekanntschaft, die sie vorher verschmäht hatten. Allein Narzissa besaß zuviel edlen Stolz, um an dem veränderten Benehmen dieser Personen, zumal ihrer Verwandten, Behagen zu finden. Sie vermochte es nie über sich, letztere, die so boshafte Gerüchte von ihr ausgesprengt hatten, wiederzusehen.


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