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Geschichte der Miß Williams
»Mein Vater war ein angesehener Kaufmann in der City. Häufiger und beträchtlicher Verlust bewog ihn, sich in seinem Alter mit seiner Frau auf ein kleines Gütchen zurückzuziehen, das er von dem Überrest seines Vermögens gekauft hatte. Ich befand mich damals in meinem achten Jahre und wurde besserer Erziehung wegen in der Stadt gelassen. Man tat mich bei meiner Tante in Kost, die eine strenge Presbyterianerin war. Sie hielt mich zu dem, was sie Religionspflichten nannte, so scharf an, daß ich ihrer Lehren überdrüssig ward und allmählich einen Widerwillen gegen die Bücher bekam, die sie mir zum Lesen anpries.
Als ich älter wurde, erwarb ich mir unter den Personen meines Geschlechts einen großen Bekanntenkreis. Eine von ihnen beklagte mich, daß ich unter der Abgeschlossenheit einer so beschränkten Frau wie meiner Tante leben müßte. Es wäre nun hohe Zeit, stellte sie mir vor, die Vorurteile abzulegen, die ich durch deren Unterricht und Beispiel eingesogen hätte, und selbst denken zu lernen. Zu dem Zweck riet sie mir, den Shaftesbury, Tindal, Hobbes und alle die Bücher zu lesen, die durch ihre Abweichung von der alten Denkweise merkwürdig sind, und sie miteinander zu vergleichen; alsdann würd ich bald imstande sein, mir mein eigenes System zu bilden.
Ich befolgte ihren Rat; und ich weiß nicht, kam es aus Abneigung gegen das bisher Gelesene oder waren die lichtvollen Beweisgründe meiner Führer daran schuld, genug, ich studierte sie mit Vergnügen und ward in kurzem eine erklärte Freidenkerin.
Stolz auf meine neuen Kenntnisse, warf ich in allen Gesellschaften Streitfragen auf und erörterte sie mit solchem Erfolge, daß ich bald den Ruf einer Philosophin erlangte und daß nur wenige wagten, es im Disputieren mit mir aufzunehmen. Meine Siege machten mich so eitel, daß ich mich endlich unterfing, meine Tante zu meinen Glaubensmeinungen bekehren zu wollen. Kaum merkte sie meine Absicht, als sie in Angst und Schreck geriet, meinem Vater meine Ketzereien meldete und ihm schrieb, wenn ihm am Heil meiner Seele etwas läge, mich ja sogleich aus diesem Schlangennest wegzunehmen, wo ich so sündliche Grundsätze eingesogen habe.
Ich war fünfzehn Jahre alt, als ich auf meines Vaters Befehl mich auf unserm Gütchen einfand. Sogleich mußt ich ihm einen genauen Abriß meines Glaubensbekenntnisses vorlegen, das er gar nicht so unvernünftig fand, wie man es ihm vorgestellt hatte. Inzwischen ward ich melancholisch, da ich so plötzlich aller Gesellschaft und aller Vergnügungen der Stadt war beraubt worden. Es dauerte eine geraume Zeit, eh ich meiner gegenwärtigen Lage Geschmack abgewinnen konnte. Endlich ward mir die Einsamkeit von Tag zu Tag lieber, und ich tröstete mich in den Stunden, wo ich nicht mit Haushaltungsgeschäften zu tun hatte – denn meine Mutter war schon seit drei Jahren tot –, durch eine gute Büchersammlung, durch Besuche und verschiedene ländliche Lustbarkeiten.
Da ich mehr Einbildungskraft als Urteilsfähigkeit besaß, beschäftigte ich mich sehr mit Poesie, und in kurzem wurde ich von jedermann in der Gegend, wo ich mich aufhielt, für eine ganz außerordentliche Person angesehen. Eines Abends streifte ich mit einem Buche in der Hand in dem Gehölz herum, das nicht weit von meines Vaters Haus lag und an die Landstraße stieß. Ein betrunkener Landjunker kam vorbeigeritten. ›Potz Element! Ein charmantes Geschöpf!‹ rief er, wie er mich gewahr wurde. In einem Augenblick war er vom Pferde, hatte mich in seine Arme gefaßt und behandelte mich so grob, daß ich laut aufschreien mußte. Ich widersetzte mich seiner Gewalttätigkeit mit allem Nachdruck, den Empörung und Rachgier einflößen können.
Während dieses Kampfes kam ein anderer Reiter dazu. Da dieser sah, daß man einem Frauenzimmer so unwürdig begegnete, sprang er vom Pferde ab und eilte zu meinem Schutze herbei. Der Unhold, der über seine fehlgeschlagene Erwartung und die Verweise des andern Herrn halb wahnsinnig war, verließ mich, rannte nach seinem Pferde, riß eine von seinen Pistolen aus den Halftern hervor und feuerte sie auf meinen Beschützer ab. Zum Glück wurde dieser gar nicht verletzt und schlug seinen Gegner mit dem Peitschenstiel zu Boden, eh der sich der anderen Pistole bedienen konnte, entriß ihm diese, setzte sie ihm auf die Brust und drohte, ihn für sein niederträchtiges Benehmen zu erschießen. Ich trat für ihn ein und bat um sein Leben. Auf mein dringendes Bitten wurde es ihm geschenkt, nachdem er um Verzeihung gebeten und versichert hatte, er sei nur willens gewesen, einen Kuß zu rauben. Jedoch hielt mein Verteidiger es für gut, die andere Pistole zu entladen und die Feuersteine abzuschrauben, eh er dem Junker die Freiheit wiedergab.
Der höfliche Fremde brachte mich nach Hause. Als mein Vater den ausgezeichneten Dienst erfuhr, den er mir geleistet, überhäufte er ihn mit Liebkosungen und nötigte ihn, die Nacht bei uns zu bleiben. Wenn die Verbindlichkeit, die mir sein Beistand auflegte, mir mit Fug und Recht Empfindungen der Dankbarkeit einflößte, so schienen seine Figur und seine Unterhaltung ihn zu etwas mehr zu berechtigen. Er war ungefähr zweiundzwanzig Jahre alt, von mittlerem Wuchs, sein kastanienbraunes Haar mit einem Band gebunden, seine Stirn hoch und glänzend, seine Nase etwas gebogen, sein Auge lebhaft blau, die Lippen rot und aufgeworfen, die Zähne weiß wie Schnee, und in seinem ganzen Benehmen lag eine gewisse Offenheit.
Was soll ich diesen Mann noch weiter beschreiben? Ich hoffe, Sie werden mir die Gerechtigkeit widerfahren lassen, zu glauben, daß ich nicht schmeichle, wenn ich Ihnen sage, er hatte die vollkommenste Ähnlichkeit mit Ihnen. Wäre mir seine Familie und Herkunft nicht genau bekannt, so würde ich Sie ohne Bedenken für seinen Bruder halten. Er redete nur wenig, doch schien dies keine Zurückhaltung zu sein; denn was er sprach, war freimütig, geistreich und nicht alltäglich. Mit einem Worte«, fuhr Miß Williams fort und brach in Tränen aus, »er schien zum Verderben unsres Geschlechts geschaffen zu sein. Sein Betragen war bescheiden und ehrerbietig, allein seine Blicke so bedeutsam, daß ich gar leicht einsah, er segnete insgeheim die Gelegenheit, die ihm zu meiner Bekanntschaft verholfen hatte.
Wir erfuhren von ihm, er wäre der älteste Sohn eines reichen Herrn aus der Nachbarschaft, den wir dem Namen nach kannten, und sei von dem Besuch bei einem guten Freunde in dieser Gegend eben zurück nach Hause gekehrt, als ihn mein Geschrei zu meiner Rettung herbeigezogen habe.
Die ganze Nacht hindurch spiegelte mir meine Einbildungskraft tausenderlei lächerliche Erwartungen vor. In dem Herbeieilen dieses Herrn zur Rettung einer ›hochbedrängten Jungfrau‹, für die er sogleich Feuer fing, war so viel Ähnlichkeit mit den Abenteuern in den Ritterromanen, daß meine Phantasie mir alles vorgaukelte, was ich jemals von Liebe und Rittertaten gelesen hatte. Ich sah mich selbst als eine Prinzessin aus irgendeinem Roman an, die aus der Gewalt eines ›ungeschlachten‹ Riesen oder Satyrs durch einen hochherzigen Oroondates befreit wird und, durch Dankbarkeit bestrickt und Neigung geleitet, sich gemüßigt sieht, ihm ohne Rückhalt ihre ganze Gewogenheit zu schenken.
Vergebens bemühte ich mich, diese törichten Vorstellungen durch vernünftigere und ernstere Betrachtungen zu vertreiben. Jene belustigenden Bilder nahmen meine Seele gänzlich ein, und meine Träume stellten mir meinen Helden zu meinen Füßen vor, wie er seufzend die Sprache eines verzweiflungsvollen Liebhabers führte.
Den folgenden Morgen, nach dem Frühstück, beurlaubte er sich. Mein Vater bat ihn, uns ferner mit seiner Bekanntschaft zu beehren. Dies Ansuchen erwiderte er mit einem Kompliment gegen jenen und einem Blick auf mich, der so voller Beredsamkeit und Zärtlichkeit war, daß ich dadurch ganz durchglüht wurde. Nicht lange darauf machte er wieder einen Besuch bei uns. Doch wozu eine umständliche Erzählung, wie er mich nach und nach ins Verderben führte? Die ist ebenso unnötig als langweilig! Es wird hinlänglich sein, wenn ich Ihnen sage, er gewann meine Achtung dadurch, daß er mich von seinem Verstande überführte und zugleich dem meinigen schmeichelte. Letzteres fing er gar listig an. Er schien mir oft aus Mißverstand zu widersprechen, damit ich Gelegenheit bekäme, mich zu rechtfertigen, was denn immer zu meiner größren Ehre gereichte. Nachdem er sich auf die Art meiner guten Meinung bemächtigt hatte, begann er unterweilen etwas von seiner Leidenschaft für mich zu äußern, die auf die Verehrung meiner Geisteseigenschaften gegründet war, und bewunderte meine körperlichen Schönheiten als zufällige Vorzüge. Endlich, wie er seines Sieges über mich völlig gewiß war, eröffnete er mir seine Liebe in so feurigen und aufrichtigen Ausdrücken, daß ich meine Herzensgesinnungen nicht länger verhehlen konnte und ihm den lebhaftesten Beifall gab.
Nach dieser gegenseitigen Erklärung hatten wir öfters geheime Zusammenkünfte. Voll von brennender Sehnsucht spiegelten wir uns darin die phantastischsten Aussichten vor. Er beteuerte mir die Rechtschaffenheit seiner Absichten, woran ich gar keinen Zweifel hatte, beklagte sich über die geizige Gemütsart seines Vaters, der ihn für eine andere bestimmt habe, und gelobte mir mit so anscheinender Redlichkeit und Anhänglichkeit ewige Treue, daß ich mich dadurch hintergehen ließ. In einer unglücklichen Stunde krönte ich seine ungestümen Wünsche.
Verflucht sei der Tag, wo ich meine Unschuld und Ruhe für ein augenblickliches Vergnügen hingab, das so viel Elend und solche Schrecknisse über mich gebracht hat! Verflucht meine Schönheit, die zuerst des Verführers Aufmerksamkeit an sich zog! Verflucht meine Erziehung, die meine Empfindungen verfeinerte und dadurch mein Herz empfänglicher machte! Verflucht mein Verstand, der mich an einen einzigen Gegenstand fesselte und mir sagte, der Vorzug, den man mir gewährte, sei ein Zoll, der mir von Rechts wegen gebühre. Wäre ich häßlich gewesen, so hätte mich niemand zu erobern gesucht; oder unwissend, so hätten meine persönlichen Reize nicht für meine elende Unterhaltung entschädigt. Wäre ich leichtsinnig gewesen, so würde ich aus Eitelkeit meine Neigungen geteilt haben und meine Gedanken wären zu zerstreut gewesen, um mich von den Zauberstricken eines einzigen umschlingen zu lassen.
Doch wieder zurück auf meine unglückliche Geschichte! Wir überließen uns nun sträflichen Vergnügungen, die einige Monate hindurch alle anderen Betrachtungen verbannten. Endlich wurden seine Besuche immer seltener und sein Betragen immer kälter. Ich bemerkte dies und ward sehr unruhig. Mit Tränen machte ich ihm Vorwürfe und bestand darauf, er solle sein Heiratsversprechen erfüllen, damit mein guter Name auf jeden Fall gesichert würde. Er schien den Vorschlag zu billigen und ging fort unter dem Vorwande, einen Geistlichen aufzusuchen, der sich dazu verstände, uns durch das Band der Ehe zu vereinigen.
Aber ach! Der Unbeständige war nicht willens zurückzukehren. Ich wartete eine ganze Woche mit der größten Ungeduld auf ihn. Zuweilen zweifelte ich an seiner Treue; dann fand ich wieder Entschuldigungen für ihn und machte mir Vorwürfe, daß ich nur den geringsten Verdacht gegen seine Treue gehegt habe. Endlich erfuhr ich von einem Herrn, der bei uns speiste, der treulose Bube sei im Begriff, mit seiner Braut nach London zu gehen, um Kleider zur bevorstehenden Hochzeit einzukaufen.
Diese Nachricht machte mich halb wahnsinnig, und das um so mehr, da ich seit einigen Monaten eine Frucht unseres unerlaubten Umgangs unter meinem Herzen trug, da mein Unglück nicht länger zu verheimlichen war, mein bisheriger guter Ruf ein fürchterliches Brandmal bekam und ich erwarten mußte, das graue Haupt eines gütigen Vaters vor Leid in die Grube zu bringen. Heftige Wut bemächtigte sich meiner; ich stieß tausend Verwünschungen aus, entwarf unzählige Projekte der Rache gegen den Verräter, der mich so elend gemacht hatte.
Mein heißer Unwille legte sich endlich und verwandelte sich in stillen Gram. Ich suchte die verlorene Ruhe wieder und weinte über meine Betörung. Zuweilen drang ein Strahl von Hoffnung in meine mutlose Seele und stärkte sie für einen Augenblick. Alsdann rief ich alle schönen Eigenschaften meines Geliebten wieder in mein Gedächtnis zurück, wiederholte mir alle die Gelübde, die er mir getan hatte, schrieb seine Abwesenheit der Wachsamkeit eines argwöhnischen Vaters zu, der ihn zu einer Heirat nötigte, die sein Herz verabscheute, und tröstete mich durch die Erwartung, ihn zu sehen, ehe die Sache zustande gebracht wäre.
Aber ach! Wie sehr hatten mich meine Vorstellungen getäuscht! Der Nichtswürdige verließ mich ohne Gewissensbisse, und wenige Tage darauf war die Nachricht von seiner Heirat in der ganzen Gegend bekannt. Mein Schreck hierüber war unbeschreiblich; und hätte nicht Begierde zur Rache mich zurückgehalten, so würde ich meinem elenden Leben unfehlbar ein Ende gemacht haben. Mein Vater merkte meine Verzweiflung und auch – wie ich Grund habe, zu vermuten – deren Veranlassung; doch gab er sich alle Mühe, sich zu stellen, als wisse er nichts davon. Zugleich suchte er meinen Gram durch echte väterliche Zärtlichkeit zu lindern. Ich ward seine eifrige Teilnahme gewahr, dies vermehrte meinen Kummer, und meine Wut gegen den Urheber meines Elends war unversöhnlich.
Ich steckte etwas Geld zu mir und entwischte in der Nacht von diesem unglücklichen Vater. Mit Tagesanbruch kam ich in einem kleinen Flecken an, von dem eine Postkutsche nach London ging. Ich setzte mich in diese und war den folgenden Tag in der Stadt. Der Geist der Rache hatte mich unterwegs gegen alle anderen Betrachtungen geschützt. Mein erstes war nunmehr, mir ein Logis zu mieten, wo ich mich sehr verborgen hielt und mir einen fremden Namen gab, um desto leichter unentdeckt zu bleiben.
Nicht lange, so hatte ich das Haus meines Verführers ausfindig gemacht. Sogleich eilte ich voller Wut dahin, mit dem Entschluß, eine rasche Tat zu verüben, die meiner Verzweiflung Genüge täte. Einen eigentlichen Plan hatte ich mir zwar bei der Zerrüttung meines Geistes nicht gemacht.
Als ich vor Lothario – so will ich ihn nennen – gelassen zu werden begehrte, wollte man meinen Namen und mein Anliegen wissen. Ich weigerte mich dessen und sagte dem Türsteher, ich hätte den Herrn wegen einer wichtigen Sache ganz allein zu sprechen. Darauf führte man mich in ein Zimmer, um es Lothario zu melden. Hier hatte ich ungefähr eine Viertelstunde gewartet, als der Bediente mit der Antwort zurückkam, der Herr habe Gesellschaft und bitte, ihn für diesmal zu entschuldigen.
Jetzt war ich meiner Wut nicht länger Meister. Ich zog einen Dolch aus meinem Busen, stürzte aus dem Zimmer, flog wie eine Furie die Treppe hinauf und rief: ›Wo ist der treulose Bösewicht? Könnt ich doch diesen Stahl in sein meineidiges Herz senken, dann würde ich befriedigt sterben.‹
Über dieses Geschrei gerieten nicht nur die Bedienten, sondern auch die Gesellschaft in Unruhe. Sie nahten sich, als sie meine Drohungen hörten, der Treppe, um zu hören, was es gäbe. Ich wurde ergriffen, entwaffnet und durch zwei Bediente festgehalten. Qualen der Hölle empfand ich in dem Zustande, als ich meinen Verderber mit seinem jungen Weibe sich mir nähern sah. Ich konnte den Anblick nicht aushalten, alle meine Sinne schwanden, ich sank in eine tiefe Ohnmacht, während welcher ich nicht weiß, was mit mir vorgegangen ist.
Als ich den Gebrauch meiner Sinne wieder hatte, fand ich mich auf einem Bett in einem armseligen Stübchen. Eine alte Frau, die unzählige unbescheidene Fragen wegen meines Zustandes an mich tat, wartete meiner. Sie erzählte mir sodann, die ganze Familie sei durch meine Handlung in Unruhe und Schreck gesetzt; und Lothario habe versichert, ich wäre wahnsinnig, und zugleich den Vorschlag getan, mich nach Bedlam zu schaffen. Allein seine Frau habe vermutet, daß dahinter etwas mehr stecke, was er nur nicht wolle bekannt werden lassen. Dieser Verdacht habe auf sie solchen Eindruck gemacht, daß sie sich krank zu Bett gelegt und zuvor befohlen hätte, ja genau auf mich achtzugeben.
Ich hörte alle ihre Reden an, ohne etwas darauf zu erwidern; nur bat ich sie, mir sogleich eine Sänfte zu verschaffen. Das könne sie nicht, sagte sie, ohne zuvor die Einwilligung ihres Herrn zu haben. Jedoch erhielt sie diese leicht, und ich ward in einem Gemütszustande nach Hause gebracht, der jeder Beschreibung spottete. Durch die heftige Erschütterung bekam ich Fieber, das eine unzeitige Niederkunft nach sich zog; und wohl mir, daß der Himmel es so fügte. Denn – lassen Sie es mich Ihnen mit Reue und mit Grausen bekennen – hätte ich ein lebendiges Kind zur Welt gebracht, so würde mein Wahnsinn mich angetrieben haben, das unschuldige Geschöpf meiner Entrüstung über die Untreue seines Vaters aufzuopfern.
Nach diesem Vorfall legte sich meine Wut, und mein Haß ward ruhiger und kälter. Eines Tages meldete mir meine Wirtin, es sei ein Herr unten, der mich zu sprechen verlange. Er habe, wie er vorgebe, mir etwas sehr Wichtiges zu eröffnen, das, wie er versichert sei, zu meiner Gemütsruhe viel beitragen werde. Diese Botschaft, die ich auf tausenderlei Art zu erklären bemüht war, beängstigte mich nicht wenig. Eh ich noch einen Entschluß fassen konnte, trat er in mein Zimmer und bat um Verzeihung, daß er sich mir so aufdränge.
Ich betrachtete ihn eine Zeitlang, war aber nicht imstande, mich seines Gesichts zu erinnern. Mit bebender Stimme fragte ich ihn, was er bei mir auszurichten habe. Hierauf ersuchte er mich um eine geheime Unterredung und setzte hinzu, er zweifle gar nicht, mir etwas mitzuteilen, das viel zu meiner Beruhigung und Zufriedenheit beitragen würde. Da ich mich gegen jede Gewalttätigkeit genugsam gesichert glaubte, so willigte ich in sein Verlangen und bat die Wirtin, sich zu entfernen.
Der Fremde näherte sich mir und sagte, er sei genau von meiner Geschichte unterrichtet, und zwar von Lothario selbst. Seit der Zeit, da er mein Unglück wisse, habe er dessen Urheber verabscheut; und dieser Widerwille sei durch eine unanständige Behandlung, die ihm vor kurzem von ihm widerfahren wäre, bis zum Verlangen, sich zu rächen, entflammt worden. Eben jetzt habe er erfahren, in was für einer melancholischen Stimmung ich mich befinde. ›Ich komme nun‹, schloß er, ›Ihnen meinen Beistand anzubieten, bin bereit, mich Ihrer anzunehmen und Sie an Ihrem Verführer zu rächen, wenn Sie mir Ihre uneingeschränkteste Erkenntlichkeit nicht verweigern wollen, wozu Sie, wie ich denke, keine Ursache haben werden.‹
Hätte man alle Kunstgriffe der Hölle angewandt, mich zu überreden, so würden sie keinen schnellern und günstigem Eindruck auf mich gemacht haben als diese Anrede. Fast wahnsinnig vor Freude drückte ich diesen Mann fest an meinen Busen und gelobte ihm, wenn er sein Versprechen erfüllte, solle meine Seele und mein Leib ihm zu Gebote stehen. Der Vertrag ward geschlossen. Er machte sich anheischig, sich meiner Rache ganz zu weihen, übernahm es, Lothario noch in derselben Nacht zu ermorden und mir noch vor Tagesanbruch die Nachricht seines Todes zu bringen.
Um zwei Uhr wurde mein neuer Freund auf mein Zimmer geführt, wo er mir versicherte, mein treuloser Liebhaber sei nicht mehr am Leben. Wiewohl er eines so ehrenvollen Verfahrens nicht wert gewesen wäre, setzte er hinzu, so habe er ihn doch förmlich herausgefordert, ihm, ehe sie sich geschlagen hätten, die Verräterei gegen mich vorgeworfen, die ihn die Waffen zu ergreifen gezwungen habe, darauf den Degen gezogen und ihn nach einigen Gängen sich in seinem Blute wälzen lassen.
Die mir zugefügte Beleidigung hatte mich so grausam gemacht, daß ich an der Erzählung dieser Begebenheit das größte Behagen fand, ihn diese nochmals ausführlich wiederholen ließ, meine Augen an dem Blut weidete, das ich auf seinen Kleidern und an seinem Degen noch erblickte, und ihm sodann willig die ausgemachte Belohnung verstattete.
Meine Einbildungskraft war von diesen Bildern so voll, daß mir Lothario im Schlaf blaß und blutig erschien. Er machte mir über meine rasche Tat Vorwürfe, beteuerte seine Unschuld und führte seine Sache mit solchem Nachdruck, daß ich von seiner Treue überführt wurde und voller Grausen und Gewissensangst aufwachte.
Mein Verteidiger suchte mich zu beruhigen und zu überzeugen, daß ich mir nur Gerechtigkeit verschafft habe. Ich schlief wieder ein und hatte die nämliche Erscheinung. Kurz, ich brachte die Nacht auf das jämmerlichste hin und sah auf meinen Rächer mit solchem Abscheu, daß er am Morgen, da er meinen Widerwillen bemerkte, mir zu verstehen gab, es könne sein, daß Lothario noch hergestellt würde. ›Ich ließ ihn zwar verwundet und ohne alles Bewußtsein liegen‹, schloß er, ›doch ist es immer noch möglich, daß seine Wunden nicht tödlich sind.‹
Bei diesen Worten sprang ich auf und bat ihn, sich danach eilends zu erkundigen. Könnte er mir nicht Nachricht bringen, daß Lothario noch lebte, fügte ich hinzu, so möchte er sich nur in Sicherheit bringen und nie wiederkommen, denn ich wäre fest entschlossen, mich der Gerechtigkeit zu überliefern und ihr alles zu entdecken, was ich wüßte, um, womöglich durch aufrichtige Reue und einen schmachvollen Tod, meine Schuld abzubüßen.
Er – Horatio mag er heißen – stellte mir mit vieler Kaltblütigkeit vor, mein Widerwille gegen ihn sei höchst ungerecht. Er habe weiter nichts getan, als was ihm die Liebe zu mir eingegeben hätte und was die Ehre rechtfertigte. Jetzt, da er mit Gefahr seines Lebens meiner Rache gedient habe, wolle ich ihn als einen gedungenen Bösewicht, als ein Werkzeug zu augenblicklichem Gebrauch entfernen. Ja, wenn er auch so glücklich wäre, mir die Nachricht von Lotharios vermutlicher Genesung zu bringen, so würde vielleicht mein alter Unwille wieder erwachen und ich auf ihn zürnen, daß er das Werk nicht vollbracht habe.
Ich versicherte ihm, er würde mir dann vielmehr lieber als jemals sein, weil ich dadurch völlige Überzeugung erhielte, daß er mehr nach den Grundsätzen eines ehrlichen Mannes als eines gedungenen Mörders verfahren wäre und daß er es seiner unwert fände, einem Gegner, so erbittert er auch gegen ihn sein möchte, das Leben zu nehmen, wenn das Glück ihn in seine Hände geliefert habe.
›Nun wohl, Miß‹, sagte er, ›es mag ausgefallen sein, wie es will, im Punkte der Ehre wird es mir nicht schwerfallen, mich zu rechtfertigen‹. Mit diesen Worten beurlaubte er sich, um sich nach dem Ausgange des Zweikampfes zu erkundigen.
Die ganze Last meiner Schuld und meines Elends beugte nun meine Seele nieder. Die Leiden, die ich bisher ausgestanden hatte, rührten von meinem Leichtsinn und meiner Schwäche her, und mein Gewissen konnte mir bis jetzt nichts als Verbrechen vorwerfen, die noch zu verzeihen waren; allein nun sah ich mich selbst als eine Mörderin an. Unmöglich lassen sich alle die Schreckensphantome meiner Einbildungskraft beschreiben. Das Bild des Getöteten umschwebte mich unaufhörlich, und mein Busen arbeitete unter Qualen, von denen ich kein Ende absah. Endlich kam Horatio zurück. Er versicherte mir, ich hätte nichts zu befürchten, und überreichte mir einen Brief folgenden Inhalts:
›Miß,
da ich höre, daß folgende Nachricht für Ihre Ruhe sehr zuträglich sein wird, so nehm ich mir die Freiheit, Ihnen zu melden, daß die Wunden, die ich von Horatio empfangen habe, nicht tödlich sind. Diese Beruhigung kann meine Menschlichkeit auch einer Person nicht abschlagen, die darauf bedacht gewesen ist, sowohl meine Ruhe zu stören als mir das Leben zu rauben.
Lothario.‹
Da ich seine Hand nur zu gut kannte, so konnte ich keinen untergeschobenen Brief argwöhnen. Sonach las ich ihn mit ungestümem Entzücken einige Male hintereinander und liebkoste Horatio darauf so sehr, daß er sich für den glücklichsten Mann auf Erden hielt. So wurde ich der Verzweiflung durch die Furcht vor einem Unglück entrissen, das größer war als das, welches mich bisher niedergedrückt hatte. Traurige Affekte gleichen Thronräubern; die mächtigsten vertreiben alle andern. Allein mein Entzücken war nicht von langer Dauer. Ebender Brief, der mir auf gewisse Weise meine Ruhe wiedergab, verbannte sie in kurzer Zeit wieder aus meiner Seele. Lotharios ungerechte Vorwürfe, die meinen Unwillen rege machten, erinnerten mich an meine vergangene Glückseligkeit und füllten meine Seele mit Wut und Kummer.
Horatio ward meines Gemütszustandes inne und bemühte sich, meinen Gram zu lindern, indem er mir alle die Zeitvertreibe und Ergötzlichkeiten verschaffte, welche die Stadt nur darbot. Was ich nur verlangte, ward erfüllt. Ich ward in die Gesellschaft von andern unterhaltnen Mädchen geführt, die mir mit ungemeiner Achtung begegneten.
Schon fing ich an, alle Erinnerungen an meinen ehemaligen Zustand zu verlieren, als ein Vorfall mir diesen im allerinteressantesten Lichte wieder darstellte. Ich unterhielt mich nämlich eines Tages mit dem Lesen von Zeitungen, die ich vorher nicht durchgelesen hatte; und da zog folgendes Inserat meine Aufmerksamkeit auf sich:
›Ein junges Frauenzimmer von Familie hat sich aus dem Hause ihres Vaters, in der Grafschaft ***, gegen Ende September, wie man vermutet, aus Gemütskummer entfernt, und man hat seitdem nichts von ihr in Erfahrung bringen können. Wer von ihr einige Nachricht zu erteilen imstande ist, beliebe sich bei ** in Grays-Inn zu melden, wo er dafür eine gute Belohnung erhalten soll. Oder wenn sie von selbst in die Arme ihres Vaters zurückkehren will, so wird sie mit der äußersten Zärtlichkeit aufgenommen werden, was für Ursachen sie auch haben mag, das Gegenteil zu vermuten. Dadurch wird sie das Leben eines Vaters verlängern, den Alter und Gram dem Grabe nahegebracht haben.‹
Diese rührende Ermahnung machte den stärksten Eindruck auf mich. Ich beschloß, sogleich umzukehren wie der verlorene Sohn und den um Verzeihung anzuflehen, der mir das Leben gegeben hatte. Allein wie ich nähere Erkundigung einzog, erfuhr ich leider, daß er bereits vor einem Monat die Schuld der Natur bezahlt, sich bis zu seinem letzten Augenblick über mein Ausbleiben beklagt und zum Zeichen seines Unwillens über mein übles, pflichtvergessenes Betragen sein Vermögen einem Fremden hinterlassen habe.
Gewissensbisse bemächtigten sich jetzt meiner, und ich sank in eine tiefe Melancholie, da ich mich als die unmittelbare Ursache seines Todes betrachtete. Ich verlor jetzt allen Geschmack an Gesellschaften, und kaum bemerkten meine Bekannten diese Sinnesänderung, als sie mich insgesamt verließen. Selbst Horatio, dem meine Fühllosigkeit mißfiel oder – was wahrscheinlicher ist – der meines Besitzes überdrüssig war, wurde von Tag zu Tag kälter gegen mich. Endlich blieb er gar weg, ohne sich wegen seines Verhaltens nur im mindesten zu entschuldigen oder mich gegen Mangel zu sichern.
Als Mann von Ehre hätte er doch das letztere tun müssen, da er an meinem Verderben Anteil hatte. Denn ich erfuhr hernach, daß der Zweikampf zwischen Lothario und ihm eine Fabel war, die man nur erfunden hatte, um den einen von meiner Zudringlichkeit zu befreien und dem andern zu meinem Besitze zu verhelfen, wonach ihn, wie es scheint, gleich gelüstete, als er mich im Hause meines Verführers gesehen hatte.
So auf das Äußerste getrieben, vermaledeite ich meine Einfalt und stieß gegen Horatios Verräterei die entsetzlichsten Verwünschungen aus. Ich ward des Verlustes meiner Unschuld endlich täglich gewohnter und beschloß, mich an dem männlichen Geschlechte zu rächen und seine eigenen Künste gegen dieses zu gebrauchen.
Nicht lange, so bot sich dazu eine bequeme Gelegenheit an. Eine alte Frau besuchte mich unter dem Vorwande, mich zu trösten. Sie äußerte viel Mitleid über die Unglücksfälle, die mich betroffen hatten, beteuerte, sie hege eine uneigennützige Freundschaft gegen mich, und fing sodann an, sich der Kunstgriffe ihres Gewerbes zu bedienen. Sie bestanden in Lobsprüchen auf meine Schönheit und in bittern Anzüglichkeiten gegen den Bösewicht, der mich verlassen hatte. Zugleich ließ sie mit einfließen, es würde meine eigene Schuld sein, wenn ich bei den außerordentlichen Vorzügen, womit mich die Natur begabt habe, nicht mein Glück machte.
Ich merkte recht gut, wohin sie zielte, und flößte ihr Mut ein, sich deutlicher zu erklären. Unmittelbar darauf schlossen wir den folgenden Vertrag: sie wollte mir Galane zuführen, und ich sollte den Gewinst meiner Schande mit ihr teilen.
Den ersten Streich spielte ich einem gewissen Rechtsgelehrten. Die Matrone pries mich ihm als ein unschuldiges Mädchen an, das eben erst vom Lande hereingekommen sei. Mein Äußeres und meine verstellte Einfalt entzückten ihn so sehr, daß er für den Besitz meiner Person auf eine einzige Nacht hundert Guineen zahlte. Ich benahm mich gegen ihn so, daß er mit seinem Kauf höchst zufrieden war.«