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Oswald war jetzt eine Woche auf Schloß Grenwitz, und die Woche war ihm vergangen wie ein Tag. Es lag in seiner Natur, alles Neue mit Leidenschaft zu ergreifen, selbst das Alltägliche, solange es neu war, und hier hatte er Neues vollauf: eine neue Situation, neue Umgebung, neue Menschen. Das alles versetzte ihn, wie es bei sanguinischen Temperamenten zu geschehen pflegt, auf eine Zeitlang in die heiterste Stimmung, in welcher es ihm ein leichtes war, Dinge und Menschen, und alles und jedes, womit er in Berührung kam, selbst die Baronin mit ihren strengen, kalten Zügen, selbst den schweigsamen Kutscher, gegen den er gleich am ersten Abend einen Haß gefaßt hatte, selbst den kriechenden, zutunlichen Bedienten mit seinem ewigen: »Befehlen der Herr Doktor« – ganz liebenswürdig, zum mindesten interessant zu finden. Von dieser heiteren, versöhnlichen Stimmung gaben auch die Briefe Zeugnis, die er um diese Zeit an seine Freunde schrieb: »Da wäre ich denn nun«, heißt es in dem einen, »auf dieser neuen Station meines wunderlichen Lebens angelangt, und wahrlich, ich glaube es hier, bis Schwager Kronos die Pferde gewechselt hat und wieder in sein ewiges Horn stößt, trotz meiner so oft von Ihnen gescholtenen Ungeduld, wohl aushalten zu können. Ja, wenn ich nicht fürchten müßte, durch voreiligen Enthusiasmus ihren Spott herauszufordern, so hätte ich nicht übel Lust, dem guten Stern, der mich hierher geführt, ein Danklied zu singen. Ich bin durchaus in der dazu nötigen Stimmung. Ich habe in diesen Tagen schon so viel Wald- und Seeluft geatmet, daß mein armes, vom Staube nichtsnutziger Folianten betäubtes Gehirn schier trunken ist. Wahrlich, wenn die Menschen dieses paradiesischen Aufenthaltes nicht ganz unwürdig sind, so öffnet sich mir für die nächsten Jahre eine schöne Zukunft.
Verzeihen Sie mir, mein Freund, daß ich zu dem großen Schritte, der mich hierher geführt, nicht Ihre spezielle Erlaubnis eingeholt habe, wie Sie nach dem blinden Gehorsam, mit dem ich Ihrer höheren Einsicht bis jetzt immer gefolgt bin, wohl erwarten konnten. Ich war einmal entschlossen, ihn zu tun. Sie, das wußte ich, würden mir Ihre Einwilligung versagen; so wollte ich denn Ihren geharnischten Gründen ein ebenso geharnischtes Fait accompli entgegenstellen, und Ihrem guten Rat das uralte Vorrecht, zu spät zu kommen, nicht rauben. Überdies kam mir die Sache so plötzlich, und ich mußte meinen Entschluß so schnell fassen, daß ich eben nur Zeit hatte, ihn Ihnen mit wenigen Worten anzukündigen; und endlich ist es auch der Professor Berger, der die ganze Schuld trägt, wenn überhaupt von Schuld die Rede sein kann, und auf dessen Schultern ich hiermit feierlich alle Verantwortung wälze.
Wir haben uns, seitdem wir uns vor nun fast einem Jahr in der Residenz trennten, sehr selten und immer nur sehr flüchtig geschrieben. So werde ich auch wohl des Professors Berger kaum ein paarmal Erwähnung getan haben, und es ist daher die höchste Zeit, daß ich Sie mit diesem originellen Manne endlich bekannt mache, der in meiner jüngsten Vergangenheit eine so große Rolle gespielt hat und dem ich es einzig und allein zu verdanken habe, daß ich in der Haupt- und Staatsaktion der Tragikomödie – Examen genannt – keine kläglichere Rolle spielte.
Als ich damals von Berlin nach Grünwald zog, in der vagen Hoffnung, ich werde in dieser stillen Musenstadt, in der, wie ich mir hatte sagen lassen, das Gras in idyllischer Ruhe auf den Straßen wachse, die nötige Sammlung finden, an der es mir in den literarischen Zirkeln, ästhetischen Tees und singenden Butterbroten der Residenz so gänzlich gebrach, erschien mir unter den fürchterlichen Männern, die mich selig machen oder verdammen konnten, Professor Berger bald als der fürchterlichste. Ich hörte von den paar Kommilitonen, deren dreimal bedenkliche Bekanntschaft zu machen ich nicht umhin konnte, wahrhaft unheimliche Dinge von seiner erstaunlichen Gelehrsamkeit und allerlei Beunruhigendes über sein exzentrisches Wesen, seine tolle Launenhaftigkeit und seinen großen Einfluß auf die übrigen Mitglieder der Prüfungskommission, denen er durch sein Wissen, mehr aber noch durch seinen Witz, mit dessen beißender Lauge er jeden ohne Ansehen der Person überschüttete, gründlich imponierte. Leibhaftig hatte ich den Entsetzlichen noch nicht gesehen. Er hatte einen seiner hypochondrischen Anfälle, in welchen er sich, wie man mir sagte, bei Tage in seine Stube einschlösse und des Nachts in den Wäldern der Nachbarschaft umherschweife.
Da werde ich eines Tages von einer reichen Familie, an die ich empfohlen war, zu Mittag geladen. Die Gesellschaft war sehr zahlreich, ich führte eine der jungen Damen vom Hause zu Tisch, ein hübsches blondes Mädchen, dessen Munterkeit mich während des Anfangs der Mahlzeit hinreichend fesselte. Als aber die gewöhnlichen Themata, die man mit jungen Damen, die seit einem Jahre aus der Schule sind, abzuhandeln pflegt, durchgesprochen waren, wurde ich auf einen Herrn aufmerksam, der mir gegenüber saß. Es war ein untersetzter, schon ältlicher Mann, mit einer massiven, wie aus Granit gehauenen Stirn, unter der ein paar kluge Augen hervorblitzten. Die etwas vollen Wangen verkündeten eine Neigung zum Wohlleben, die sich denn auch in dem Eifer, mit welchem der Mann den guten Gaben der Ceres und des Bacchus zusprach, deutlich genug zu erkennen gab. Die Züge um den festen, schönen Mund waren geradezu rätselhaft: Sinnlichkeit, Witz, Schalkheit und Melancholie – Dämonen und Genien – schienen dort zu spielen.
Das Gespräch wurde an diesem Teile der Tafel bald ein allgemeines, und ich konnte mich, ohne aufdringlich zu erscheinen, hineinmischen. Man sprach über Kunst, Literatur, Politik. Überall schien der merkwürdige Mann zu Hause, überall überraschte er uns durch die geistvollsten Aperçus, durch blendende Antithesen und wunderliche Paradoxen. Ja, er schien seine Freude daran zu haben, wenn er so ein Tröpfchen Fegefeuer hineingesprengt hatte und die höllischen Flämmchen die guten Leute auf der Nase kitzelten. So stellte er denn auch gelegentlich die Behauptung auf, daß Revolutionen der Menschheit nie etwas genützt hätten, nie und nimmer etwas nützen würden. Sie kennen meine Ansicht über diesen Punkt, der oft der Gegenstand unserer Gespräche war. Ich nahm den Fehdehandschuh auf; ich wurde warm bei meinem Lieblingsthema, um so wärmer, als der Mann mir gegenüber mich durch Kreuz- und Quersprünge irrlichtergleich zu verwirren suchte. Ich vergaß alles um mich her, ich wurde pathetisch, satirisch – ich fühlte, daß ich gut sprach, wenigstens in meinem Leben nicht besser gesprochen hatte. Der Mann hatte zuletzt das Gefecht, das, wie ich später zu meiner Beschämung erfuhr, das lustigste Scheingefecht von der Welt für ihn war, aufgegeben und hörte mir, den großen Kopf ein wenig auf die rechte Schulter geneigt und mich unter den buschigen Brauen mit seinen großen klugen Augen anlächelnd und dabei ein Glas Hochheimer nach dem andern schlürfend, behaglich zu. Bald darauf wurde die Tafel aufgehoben. Als ich meine Dame in das Teezimmer führte, fragte ich sie: ›Und wer war denn der Herr, mit dem ich mich in ein, für Sie ohne Zweifel, sehr langweiliges Gespräch verwickeln ließ?‹
›Wie, Sie kennen Professor Berger nicht?‹ antwortete mir die Kleine verwundert.
›Das war Professor Berger?‹
›Nun freilich, soll ich Sie ihm vorstellen?‹
›Um Himmels willen nicht‹, rief ich mit wahrhaftem Entsetzen; oh, ich Kind des Unglücks!
›Was ist Ihnen?‹ fragte die hübsche Blondine. ›Was haben Sie?‹
Ich aber hatte schon ihren Arm aus dem meinen gleiten lassen und suchte das entfernteste Zimmer. Dort warf ich mich in einer einsamen Ecke auf einen niedrigen Diwan, um über das Unglück, das ich angerichtet hatte, melancholische Betrachtungen anzustellen. Ich hatte mich also, während ich mit einem gutmütigen Pudel zu spielen glaubte, mit einem grimmigen Bären gerauft! Dieser Mann war mir als ebenso tückisch geschildert, wie er gelehrt und witzig war. Würde er sich meiner Sarkasmen und Ausfälle nicht in jener schlimmen Stunde erinnern, wo ich hilflos auf dem Seziertisch des Examinationssaales vor ihm lag? Es war ein verzweifelter Fall.
Da hebe ich vor einem Geräusch neben mir den Kopf, den ich nachdenklich in die Hand gestützt hatte; – vor mir steht der Professor Berger. Ich fahre von meinem Sitz auf.
›Erlauben Sie, daß ich mich zu Ihnen setze‹, sagt der seltsame Mann, indem er auf dem Diwan Platz nimmt und mich an seine Seite winkt. ›Sie gefallen mir, und ich wünsche, Ihre nähere Bekanntschaft zu machen. Ich bin der Professor Berger; mit wem habe ich die Ehre?‹
›Mein Name ist Stein.‹
›Sie studieren, oder vielmehr, was haben Sie studiert?‹
›Ich wollte, Herr Professor, ich könnte auf diese Frage einfach Philologie antworten, da dies aber eine grobe Unwahrheit wäre, so kann ich nur sagen: Ich wünsche, ich hätte Philologie studiert.‹
›Wieso?‹
›Weil mir alsdann die Ehre Ihrer näheren Bekanntschaft weniger bedenklich erscheinen möchte.‹
Ein Lächeln spielte um den Mund des Professors die Wange hinauf und verlor sich im Winkel des rechten Auges.
› Sie stehen vor dem Examen?‹
›Ja, wie – Sie kennen ja das Sprichwort, Herr Professor.‹
Das Lächeln zuckte vom Auge wieder herunter zum Munde. ›Und da erschrecken Sie vor mir wie Hamlet vor seines Vaters Geist?‹
›Wenigstens erscheinen Sie mir in sehr fragwürdiger Gestalt.‹
›Nun wohl, da sehen Sie selbst, daß wir eben deshalb näher miteinander bekannt werden müssen. Wollen Sie morgen abend, oder wenn Sie sonst Zeit und Lust haben, ein Glas Teepunsch mit mir trinken?‹
Ich sagte natürlich nicht nein.
Und dies war der Anfang meiner Bekanntschaft, ja, ich darf wohl sagen Freundschaft mit diesem außerordentlichen Manne. Wir sind von dieser Zeit an, solange ich in Grünwald war, täglich zusammengekommen, und ich schlage die praktischen Vorteile, die für mich aus dem Verkehr mit dem Gelehrten sich ergaben, lange nicht so hoch an als die tiefen Blicke, die ich in dem vertraulichen Umgange mit dem Menschen in einen der rätselhaftesten Charaktere tun durfte, die mir vorgekommen sind. Es muß, fürchte ich, eine Wahlverwandtschaft zwischen seinem und meinem Wesen existieren, oder wir hätten uns nicht so schnell finden, so rückhaltslos gegeneinander aussprechen, so auf Wort und Wink verstehen können. Ich fürchte, sage ich; denn Berger ist ein sehr unglücklicher Mann. Die Lichter seines glänzenden Humors spielen auf einem gewitterschweren Hintergrunde.
Er steht allein in der Welt, verkannt von allen, gefürchtet von den meisten, geliebt von niemand. Warum dem so ist, darüber könnte ich mich selbst Ihnen gegenüber nicht auslassen, denn jede Freundschaft ist ein Tempel, zu dem einem dritten der Zutritt versagt bleiben muß. Aber ich schaudere, so oft ich das Dunkel heraufbeschwöre, das über ihn hereinbrechen muß, wenn einst das Alter die strahlende Fackel seines Genius, die jetzt einzig und allein die schauerliche Öde seiner Seele erhellt, düstrer und düstrer brennen macht. Vielleicht – wer weiß es? mag das auch ein Glück für ihn sein. Vielleicht mag dann das Wort, das er jetzt oft halb im grimmen Spotte und halb voll wehmütigen Glaubens im Munde führt, das alte Wort: »Selig sind die Einfältigen«, an ihm zur Wahrheit werden.
Der vertraute Umgang mit dem gelehrten Manne hatte mich in den Augen aller andern in einen Nimbus gehüllt, in welchem ich, wie die homerischen Helden die Gefahren der Schlacht, die Schrecknisse des Examens ungefährdet durchwandern konnte. Am Morgen des entscheidenden Tages sagte Berger zu mir: ›Wissen Sie, lieber Oswald, daß ich große Lust habe, Sie durchfallen zu lassen!‹
›Warum?‹
›Weil ich Sie zu verlieren fürchte: doppelt zu verlieren. Du lieber Himmel, welche Wandlungen können nicht mit einem Menschen vorgehen, dem man den Großvaterstuhl eines Amtes gibt und die Schlafmütze einer Würde aufsetzt! Vielleicht kommen auch Sie noch dahin, den Horaz für einen großen Dichter zu halten und den Cicero für einen eminenten Philosophen; vielleicht werden Sie gar in dieser engbrüstigen Zeit aus lieber Langerweile ein gelehrter Professor wie ich.‹
Das Examen war vorüber; ich hatte, wie Berger sagte, die Erlaubnis erhalten, das Stroh dreschen zu dürfen. Da kommt er eines Tages mit einem Briefe in der Hand zu mir und fragt:
›Haben Sie Lust, in einer adligen Familie Erzieher zu werden?‹
›Das könnte ich eben nicht behaupten.‹
›Glaub's wohl; aber die Bedingungen sind so vorteilhaft, daß es sich mindestens der Mühe verlohnt, die Sache in Überlegung zu ziehen. Sie müssen sich auf vier Jahre verbindlich machen.‹
›Und das nennen Sie vorteilhafte Bedingungen? Vier Jahre! Nicht vier Wochen!‹
›Hören Sie nur! Von den vier Jahren haben Sie nur zwei in dem Hause zuzubringen, die übrige Zeit reisen Sie mit Ihrem Zögling. Sie wollen die Welt sehen, und Sie müssen die Welt sehen, und wäre es auch nur, um sich zu überzeugen, daß die Menschen überall mit Recht die Hunde so lieben. Sie haben kein Vermögen, zum Vagabunden sind Sie zu zivilisiert. Eh bien! Hier haben Sie die schönste Gelegenheit, die Ihnen so vielleicht nicht zum zweiten Male im Leben geboten wird.‹
›Und wer ist mein Alexander?‹
›Ein junger Majoratsherr, wie der mazedonische Pferdebändiger. Ich habe die noble Sippschaft im vorigen Jahre in Ostende kennengelernt. Der Mann, ein Baron Grenwitz, ist eine Null, die Frau Baronin ein X, das ich noch nicht habe herausrechnen können. Jedenfalls ist sie eine gescheite Frau. Ich weiß, daß dies für Sie keine geringe Empfehlung ist. Sie spricht drei oder vier lebende Sprachen gut, ihre Muttersprache nicht mit gerechnet. Ich habe sie sogar in Verdacht, daß sie mit ihrem jetzigen Hauslehrer, einem gewissen Bauer, der hier studiert hat und ein grundgelehrter – Jüngling war, in aller Stille Latein und Griechisch treibt.‹
›Und Sie, der Sie mir selber sagten, daß Sie ein Buch über den Adel und gegen den Adel geschrieben haben, das leider in Deutschland, für das es berechnet ist, nirgends gedruckt werden kann, – Sie raten mir, der ich über die Brahminenkaste dieselben Pariasideen habe, mich in das Lager unserer Erbfeinde zu begeben?‹
›Das ist ja eben der Humor davon‹, sagte Berger lachend, ›Sie sollen hingehen wie ein Mohikaner in das Lager der Irokesen; und ich freue mich schon im voraus auf die prächtigen Zöpfe, die Sie zurückbringen werden. Die hängen wir dann als Trophäen in unserm Wigwam auf und haben unsere Freude daran.‹
›Und wenn man mich selbst dort skalpiert, wie dann?‹
›Dann bin ich der letzte Mohikaner und rauche meine Friedenspfeife einsam und melancholisch auf dem Grabe meines Unkas.‹
Er stützte den Kopf in die Hand und starrte düster vor sich nieder. ›Ja, ja, ich weiß es‹, murmelte er, ›die große Schlange, wenn sie es endlich müde ist, die Menschen anzuzischen, wird in einen Sumpf kriechen und da einsam verrecken.‹
Ich ergriff seine Hand. ›Das wird nicht geschehen, wenigstens nicht, solange ich lebe.‹
Er schaute mich wehmütig an.
›Aber du wirst vor mir sterben‹, sagte er, ›die große Schlange hat ein zähes Leben, und du bist weich, viel zu weich für diese harte Welt. Doch das beiseite. Was sagen Sie zu meinem Vorschlag?‹
›Daß er mir nur halb und weniger als halb gefällt.‹
›So muß ich denn doch den letzten Trumpf ausspielen‹, rief Berger aufspringend. ›So hören Sie denn, Sie Ungläubiger, daß jenes Haus, in das ich Sie senden will, einen Engel in sich schließt, in Gestalt eines wunderlieblichen Mägdeleins. Sie ist die Schwester Ihres Alexander, und Gott sei Dank, vorläufig noch in Hamburg in Pension. Ich hasse sie, denn sie hat mir viel Qual bereitet. Alle wahnsinnigen Träume meiner Jugend lebten in mir auf bei ihrem Anblick und ängstigten mich wie schöne Gespenster. Zuletzt lief ich davon, sooft ich sie unter ihrem leichten Strohhute über den glatten Sand des Strandes herankommen sah. Ja, ich will es nur gestehen, ich habe die Sonette, die ich Ihnen neulich vorlas, die Sie freundlich genug waren, liebedurchglüht und Gott weiß, was noch sonst, zu finden, und die ich in der seligen Jugendzeit vor dreißig Jahren auf Helgoland gedichtet zu haben vorgab, im vorigen Jahre in Ostende, vom Anblick der schönen Teufelin berauscht, mit meinem Herzblut geschrieben. Das sagen Sie aber niemand wieder.‹
›Weshalb nicht? Es würde mir ja doch keine Menschenseele glauben.‹
›Da haben Sie freilich recht, und nun?‹
›Nun habe ich noch weniger Lust als vorhin. Ich wünsche nicht, die alberne Geschichte der Liebschaft eines Hauslehrers mit der Tochter des hochadeligen Hauses, eine Geschichte, die ich mir schon in soundso vielen Romanen zum Ekel gelesen habe, an mir selbst zu wiederholen. Und wenn das Mädchen wirklich so schön und liebenswürdig ist, daß –‹
›Daß selbst das dürre Holz frische Blätter treibt, was da am grünen geschehen soll?‹ unterbrach mich lachend Berger. ›Nun wohl! Verlieben Sie sich! Weshalb nicht! Lieber Freund, das Buch des Lebens für Leute unseres Schlages führt denselben Titel wie einer der Romane Balzacs Illusions perdues. Jeder Tag schreibt nur ein neues Kapitel hinein, und je kürzer das Buch, desto besser und interessanter ist es. Aber da es nun einmal geschrieben werden muß und nicht anders geschrieben werden kann, so ist es auch im Grunde gleichgültig, ob wir nach Westen gehen oder nach Osten. Wir machen dieselben Erfahrungen hier wie dort. Darum sage ich noch einmal: Gehen Sie nach Grenwitz!‹
Was sollte ich tun. Es erschien mir als eine Pflicht, den Wunsch meines Freundes, dem ich so viel verdanke, zu erfüllen. Und dann, hatte Berger nicht recht, daß es gleichgültig sei, ob ich nach Osten gehe oder nach Westen? Genug, ich packte meine Sachen, sagte meinem Mentor Lebewohl und fuhr hinüber nach diesem Eiland. – – –«