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Drittes Kapitel.


Mein Verleger hatte mich wegen einer Besprechung zu sich bestellt.

»Ta'alihene,« sagte ich, »dies kann Gutes bedeuten und auch Schlimmes; jedenfalls ist was ein Brodherr zu besprechen hat immer höchst wichtig. Sollte er günstig gestimmt sein und sich vielleicht sogar zu einem Vorschuß bewegen lassen, dann bringe ich Dir etwas Hübsches mit.«

Ta'alihene sah mich sehr, sehr ungläubig an. »Was soll das heißen?« fragte ich. »Bezweifelst Du den Vorschuß oder meinst Du, ich fände in ganz Berlin Nichts, woran Du Deine Freude haben könntest? Nur Geduld, wir werden abwarten, wir alle beide.«

Es mußte etwas geschehen. Der weibliche Theil der Hausgenossen hatte keine Furcht mehr vor Ta'alihene und betrachtete ihn wie irgend ein Ausgestopftes oder Porzellanglasirtes, und das wurmte mich. Sie nannten ihn sogar verächtlich den alten Henne.

Als Ta'alihene einzog, war er Respektsperson; es ist kaum möglich, daß der lebende Dionys seiner Zeit von der Hochburg Syrakus mehr beklemmende Angst verbreitete, als anfangs das Bischen japanische Drahtgestell von seinem Uhrkasten aus. Allmälig kam aber die Gewohnheit, die Demokratin, und machte ihm die Herrschaft streitig. Die mit Milchwagenpünktlichkeit sich einstellenden Scheerereien des Lebens, das Geplage um Speise und Trank, die täglich wiederkehrenden Winzigkeiten liefen ihm den Rang ab. Die gaben den Ausschlag wie zuvor und über den Tag wurden die Tage vergessen. Denn wo bleiben die Tage? Wer nahm den niedergegangenen Tag? Ta'alihene. Er hat auch die Jahre, die aus den Tagen, Wochen und Monaten geworden sind, und giebt sie nicht wieder heraus. Nur was in der Zeit für das Ewige gethan wurde, das kann er nicht nehmen.

Es war daher nöthig, daß Ta'alihene sich aufs Neue in Erinnerung brachte. –

Mein Herr Verleger empfing mich mit weltmännischer Artigkeit. Auf dem Frühstückstische lag ein weißes Tafeltuch mit dem altdeutsch eingewirkten Spruche ›Unser täglich Brod gieb uns heute‹. Zwiebelgemusterte Teller waren darauf gesetzt, und sogar eine Speisekarte entdeckte meine Hungrigkeit mit raschem Blicke. »Was es wohl setzt?« dachte ich. »Wohl gar Kaviar? Ich wollte, ich wäre noch einmal so hungrig.«

»Bitte, nehmen Sie Platz,« sagte er. »Sie sind recht fleißig gewesen.«

»Wenn man von seiner Feder lebt …« begann ich stammelnd, denn die Zunge stolpert auf dem Wege nach Vorschuß.

»Das ist es eben,« unterbrach er mich. »Man will verdienen und ergiebt sich der Massenproduktion. Ich bitte Sie. Das erste Kapitel ist fertig und noch sind Sie nicht weiter gekommen, als kaum über Neustadt an der Dosse. Wenn Sie so beibleiben, wird das Buch ja eine Postille.«

»Der Realismus verlangt genaue Beschreibung der Einzelheiten,« vertheidigte ich mich schüchtern.

»Wo sind die Einzelheiten?« fragte er. »Haben Sie den Lehrter Bahnhof geschildert, wie es sich gehört? Wo ist der Billetschalter, wo die Gepäckwage, wo der Kleistertopf für die Kofferzettel? Kein Fußboden ist vorhanden, keine Decke, keine Wand. War nirgendwo ein Fahrplan hingehängt?« Er warf einen prüfenden Blick auf die Speisekarte.

»Diese Dinge setzte ich als bekannt voraus. Ich weiß wohl, daß die neue Richtung sich gerade mit dem Quark beschäftigt, gegen das kein Kind mehr läuft, aber ich dachte, als deutscher Schriftsteller dürfte ich es nicht so machen. Der Ausländer kann freilich thun, was er will; selbst wenn er noch so breit und öde ist, wird er bedeutend gefunden. Werden in Berlin doch Stücke hundertmal aufgeführt, die in Paris durchfielen.«

»Wir haben starke Nerven,« sagte er. »Was verträgt der Deutsche nicht Alles vom Auslande!«

Hierauf wußte ich Nichts zu erwidern.

»Sie können doch nicht leugnen,« begann der Herr Verleger, nachdem er die Speisekarte eine Weile betrachtet hatte, »daß ein Franzose die Eisenbahnfahrt viel eingehender behandelt haben würde als Sie? Von der Lokomotive zum Beispiel schweigen Sie ganz. Sind etwa keine Räder daran, kein Wasserstandszeiger, kein Schornstein, keine Siederohre, kein Aschkasten, kein Injektor, kein Krummzapfen, kein Dampfkasten, kein Manometer, keine Schmierbüchsen, keine Kohlenschaufel, kein Schüreisen?«

»Erlauben Sie, es war Nacht, als der Zug abfuhr, man konnte nichts erkennen. Aber wenn Sie wollen, liefere ich die Lokomotive bei Tage nach. Ich leihe ein Buch, worin sie mit allen Hebeln und Ventilen abgebildet ist. Korrekt soll sie werden, dem Leser kommt keine Schraube abhanden.«

»Wenn Sie nicht selbst eine Fahrt auf der Lokomotive mitmachen, hat Ihre Beschreibung keinen Werth. Augenschein ist für den Realisten unerläßlich. Selbsterlebt muß sein was der Schriftsteller darstellt.«

»Wie aber, wenn er einen Todtschlag verarbeitet? Muß er da Jemand umbringen? Und wie benimmt er sich bei einem Selbstmorde? Wenn er sich aufhängt, kann er hinterher doch nicht mehr schreiben. Glauben Sie mir, verehrtester Herr Verleger, die Realisten treiben mit ihrer sogenannten Naturwahrheit gräulichen Schwindel.«

»Findet aber Anklang und wird von maßgebenden Persönlichkeiten vertreten.«

»Auf wie lange? Muß man nicht über die Leute lächeln, welche meinen, durch zeitweilige Leitung unselbstständiger Gemüther auch das Urtheil kommender Geschlechter zu bevormunden? Was aus früheren Jahrhunderten blieb, was befruchtend die Entwicklung der Menschheit förderte, ist geisterzeugt und geht lebendig von Geist zu Geist; das Uebrige hat Ta'alihene gefressen. Und so wird er es auch ferner halten.«

»Das sind Ihre Privatansichten, [wir] sprechen jetzt über »Pienchens Brautfahrt«, und kommen zum Klempner Müller. Den Blechladen haben Sie sich entgehen lassen. Kenner werden ungehalten sein, daß er nicht mit aller Sorgfalt ausgemalt wurde.«

»Ein Stück Blech sieht ebenso blank aus wie das andere. Allerdings hängen auch grüne Botanisirtrommeln dazwischen und braune Butterbrotdosen mit bronzegelber Inschrift. Desgleichen holzgemaserte Spüleimer, aber die haben mit der Geschichte nicht das Geringste zu schaffen und deshalb pinsele ich sie nicht ab.«

»Denn nicht.«

Wieder fesselte die Speisekarte seine Aufmerksamkeit.

Daß es mit der Kaviarhoffnung nichts war, fühlte ich immer deutlicher, wäre mein Brodherr hoch entzückt gewesen, hätten wir schon längst geschmaust und gezecht, er als wohlwollender, praktischer Kritiker, ich als aufgemunterter Verfasser. Und wie hätte es uns geschmeckt. Geben und nehmen, beides macht ja selig.

»Vielleicht hat er Hummersalat vorgemerkt,« dachte ich weiter und schwankt nur noch, ob weißer oder rother Wein dazu getrunken werden soll?

Er hub seine Augen auf und fragte: »Steht der betreffende Theodor Müller immer noch auf dem Bahnsteig?«

»Nein,« entgegnete ich, »der ist nach Hause gegangen.« »Das erfährt man aus Ihrem Geschriebenen nicht. Mir däucht, Sie muthen der Phantasie des Lesers mehr zu als üblich ist. Hierin muß ich Ihnen Vorsicht anrathen.«

»Müller ging gleich nachdem der Zug abgefahren war.« berichtete ich. »Als er zu Hause ankam, schliefen die Eltern längst; man steht im Hause Müller früh auf. Nur die Schwester wachte noch wartend. Er hatte ihr nicht gesagt, was er vorhatte, aber sie wußte trotzdem, wohin er gegangen. In dem Laden brannte eine kleine Petroleumlampe und aus allen Ecken und Winkeln, von den Borten, von den Wänden warfen die gebogenen Metallflächen der blanken Blechsachen leuchtende Streifen und blitzende Lichtpunkte in das Halbdunkel zurück. Minna saß und häkelte. Zuweilen hielt sie mit der Arbeit inne und starrte wie in weite Ferne vor sich hin. Dann dachte sie an ihren Bruder und an Hille und daß doch wohl nichts daraus würde. Hille paßte nicht in die Klempnerwirthschaft. Sie war zu gebildet, in dem von Waaren beengten Laden einzuhüten, die Kundschaft zu bedienen und im Hausstande mit anzugreifen. Jetzt allerdings machte Theodor sich fein, sobald Hille zum Besuch kam, später würde er ihretwegen das Schurzfell nicht ablegen und im Sonntagsrock arbeiten können. Die Arbeit ging vor. Anders kannten sie es nicht, von Jugend auf. Der Bruder würde ihr zu rußig sein. Es ging nicht.

Von außen wurde leise an die Thür gepocht. Minna öffnete vorsichtig und der Bruder trat ein. wie froh blickte er sie an, wie glänzte sein Auge, wie hübsch er war.«

»Also hübsch ist der Müller?« warf mein Verleger ein.

»Sie hätten ihn sehen müssen, wie er diente. Diese schlanke, kräftige Gestalt; als rechter Flügelmann zierte er die ganze Kompagnie. Müllers besitzen eine Photographie von ihm aus jener Zeit. Ich dachte, die könnte in Oeldruck vervielfälligt und als Prämie beigegeben werden. Ich bin fest überzeugt, es würden sich viele in ihn verlieben.«

»Da wundert es mich, daß der ec. Müller nicht schon längst heirathete. Wenn er Auswahl hat, warum ist er so auf Hille versessen, die ihn mit keinem Wink ermuthigt?«

»Die Liebe ist ein eigen Ding. Fragt Jemand sich, weswegen er liebt, dann liebt er überhaupt nicht. Sie giebt sich keine Rechenschaft, sie ist wie ein Wunder, das aufhört zu sein, sobald der Verstand es erklärte. Es giebt wohl Verstandesehen, aber keine Verstandesliebe. Und hier liegt die Sache folgendermaßen. Hille und Minna sind Freundinnen und Schwester und Bruder lebten von klein auf für einander. Vater Müller ist ein strenger Mann, seine Ansichten sind Hausgesetz. Pflichttreu ist er und ehrsam, von altem Schrot und Korn, genau gegen sich selbst, genau gegen seine Umgebung. So hat er die Kinder erzogen und nicht verzogen. Seine Strenge schmiedete ein festes Band um die Geschwister, schweigend litten sie gemeinsam, wenn der starke Wille des Vaters kindische Thorheit brach, ebenso still theilten sie ihre kleinen Freuden miteinander. Wer daraus jedoch entnehmen wollte, die Familie vergähne ihr Leben in unfroher Sklaverei, der irrt gewaltig, denn unter dem Oberbefehl der Ordnung ist gut sein. Wo sie den Tag regelt, geht es gesund her, leiblich und geistig.

Wenn man dagegen die Fladdrigkeit und Fliddrigkeit bei Lahmanns bedenkt, diese Willkürsregierung der Alten. Pienchen und Hille haben am meisten unter der häuslichen Zerfahrenheit zu leiden. Die glücklicheren Dienstmädchen können wenigstens kündigen, sie aber sind durch natürliche Bande an die Mutter geknüpft. Und welch ein Wirrwarr von Banden: hin und wieder zerrissen und nur nothdürftig wieder verknüpft, verschlüchtert, als wären Katzen darüber her gewesen. Grausam ist die Alte zuweilen, spinnegrausam und gefühllos wie eine Kneifzange. Hinterher thut's ihr leid und dann heult sie wie eine büßende Magdalena. Hierauf weht der linde Wind der Rührseligkeit durch das Haus, ein Thränenregenwind, aber nur Wind. Schließlich ist Alles wieder, wie es war, ebenso trüglich und ungewiß. Was kommt, kommt unversehens und hat keinen Bestand. Wie gesagt, fladdrig und fliddrig.«

»Erlauben Sie,« sprach mein Verleger, »daß ich Sie unterbreche. Sie wollten mir erklären, warum der junge Müller in die Hille Lahmann verliebt ist. Also bitte.«

»Habe ich das noch nicht gethan? Ich sagte doch, daß Hille und Minna eng befreundet sind und Bruder Theodor und Schwester Minna so zu sagen freimauern und sich verstehen, ohne daß Andere es merken. Da ist es doch natürlich wie nur etwas, daß der Bruder die schwesterliche Freundin auch in seine Freundschaft hineinnimmt, ihr geneigter wird als den übrigen Millionen Jungfrauen Deutschlands, die er erstens garnicht kennt, nicht einmal dem Namen nach, und die zweitens seiner herzlieben Schwester eben so fremd sind wie ihm. Wo nun aber der Keim Neigung schwillt und Wurzelfäden aussendet, da weiß Niemand, wie er sich entwickelt, ob er nicht gar sprießt und wuchert wie in sonnenheißen Ländern die Lianen, von denen Naturkundschafter erzählen, daß sie den stärksten Baumriesen umweben und umgrünen, bis der Mächtige, um und um umfangen, zum Blüthenträger des rankenspinnenden Gastes wird. Und Theodor Müller, der frische Mann, der, wenn es ihm geheißen würde, eine Horde ostafrikanischer Reichsbrüder ganz allein auf sich nähme, ist nicht im Stande, die zarten Fäden zu zerreißen, die ihn binden: sie sind ja eitel Liebe.«

Die Schwester blickte forschend zu dem Bruder auf als er eintrat.

»Hast Du Briefbögen?« fragte er.

»Wunderschöne,« antwortete sie und stand auf. »Hille schenkte sie mir zum Geburtstage.« – Dann ging sie leisen Schrittes, und als sie wiederkehrte, brachte sie ein Kästchen, das sie behutsam öffnete, als sei es ein Kleinodienbewahrer. Darin waren Briefpapier und Umschläge aus sogenanntem ausgegrabenen Papier mit angebrannten Rändern und graugelblich von Farbe, als hätte es den Untergang von Pompeji zufällig überstanden. Die alte Lahmann hatte es als stilvoll für Pienchen gekauft. Pienchen mochte es nicht leiden und gab es Hille. Diese fand es abscheulich und verehrte es der Freundin. Da das Papier von Lahmanns kam, war es vornehm, so vornehm, daß Minna sich bis jetzt noch nicht getraute, einen Bogen zu verwenden. Nun aber war der rechte Zeitpunkt da, den Schatz anzugreifen.

Theodor setzte sich auf den Ladentisch, Minna nahm ihren alten Platz wieder ein. »Was willst Du ihr schreiben?« fragte sie nach einer langen Pause.

»Daß es ein Ende haben muß,« antwortete er. »Entweder Ja … oder Nein.«

»Und wenn sie Nein sagt?«

»Sie sagt Ja.«

»Und was dann? Wird Vater zugeben?«

»Ich habe ihn nie um Etwas gebeten. Diesmal bitte ich. Will er nicht, fange ich ein eigenes Geschäft an. Ich kann arbeiten.«

»Theodor!«

»Ich bin kein Kind mehr, ich weiß, was ich thue.«

»Das darfst Du nicht; das kannst Du nicht.«

»Er soll sehen, daß ich auch meinen Willen aufsetze.«

»Es wird böse werden, fürchterlich böse.«

»Oder gut. Was kann er gegen sie haben?«

»Ich fürchte, er glaubt, er müsse sich vor ihr scheniren. Bei uns geht es doch nur gewöhnlich zu.«

»Wenn sie mich liebt, wird sie auch den Alten leiden können und Alles hinnehmen wie es ist. Und sie liebt mich, seit heut Abend weiß ich es. Minna, liebste Minna, wie bin ich glücklich.«

Die Schwester erhob sich, umarmte den Bruder und legte ihr Haupt an seine Brust. »Nicht wahr,« flüsterte sie schmeichelnd, »Du bleibst bei uns? Vater würde es nicht verwinden, wenn Du gingest. Zürnt er … ich helfe Dir tragen.«

»Ich habe breite Schultern,« entgegnete der Bruder lächelnd, »würde es Dir recht sein, wenn Hille zu uns käme?«

»Besseres könnte ich garnicht wünschen. Aber ihre Mutter, hast Du schon an die gedacht? Die strebt hoch hinaus. Und Pienchen wird den Mund schief ziehen.«

»Ei, Minna, bist Du verzagt. Vor der Kompagniemutter hatten sie mich vorher auch graulich gemacht, und was war's bei Lichte? Bloß ein grober Feldwebel und wir kamen fein mit einander aus. Ich scheere mich um Nichts mehr und schreibe an Hille. Wer etwas will, mag herankommen.« Er ballte die Hand, aber nur ein klein wenig.

Minna sah trostlos umher, als müßte sich irgend etwas Verderbliches unvermeidlich ereignen. In aller Sorge hatte sie die Hindernisse erwogen, die sich dem Glück des Bruders entgegenstellten, und ihn selbst erkannte sie kaum wieder, so trotzig vertheidigte er das Recht seines Herzens. Er wollte nicht begreifen, daß sie für Lahmann's zu gering. Sagte ihm denn nicht jedes Stückchen Blecharbeit, daß sie nur Klempners seien? War er denn blind geworden?

Welche Lust des Lebens, welcher Muth des Widerstandes ihm aber gekommen war, das errieth sie nicht.

Der eine stumme Gruß aus dem Kupeefenster hatte ihn weckend getroffen. Die Zukunft lag sonnig vor ihm. Hille die Seine, und er schaffend und wirkend für sie! Wie wollte er arbeiten. Alle die Blitzlichter des Ladens blinkten ihm vertraulich zu, als wären es Sterne, am klaren Himmel der Hoffnung aufgegangen.

Sie sagten einander gute Nacht. Es wetterleuchtete draußen. »Ein schlimmes Zeichen,« sagte Minna. – »Nur ein Vororts-Gewitter.« – »Uebereile nichts,« bat sie. – Er aber nahm das ausgegrabene Briefpapier, schwenkte es wie ein erobertes Siegeszeichen lustig über sich und sprach: »Ich frag' den Teufel darnach.«

»Sagen Sie mal,« unterbrach mich mein Herr Verleger, »Sie wollen diese Müllerei doch nicht etwa gar in das Buch hineinschreiben?«

»Ich hatte allerdings die Absicht … aber wenn Sie meinen … Sie kennen den Geschmack des Publikums entschieden besser als ich …«

»Also weg damit.«

Mein letztes baares Geld hätte ich in diesem Augenblicke für einen Schafbock gegeben, nicht für einen wirklichen wollenen, sondern für ein Mittel, Müllers vom Tode des Durchstreichens zu retten. Abraham sollte nur einen Sohn opfern, ich aber eine ganze Familie: Theodor, Minna, den Alten und die Alte Müllern. Daß dabei das blühende Klempnergeschäft zu Grunde ginge, die Gesellen brodlos, das Dienstmädchen auf die Straße gesetzt, der Hund Petti und der Kanarienvogel Gustav verwaist würden, daran dachte ich mit jener Schnelle, welche Ertrinkenden in den letzten Augenblicken ihre ganze Lebensvergangenheit vorblitzt. Und wie sollte es mit Sittenfelds Neubau in der Mauerstraße werden, zu denen Müllers einen hübschen Posten Klempnerarbeit liefern: allerlei Architektonisches unter Theodors geschickter Führung gebogen und gelöthet? Ich wünschte, ich wäre ebenso muthig wie Theodor, seitdem er sein Herz entdeckt hat, oder so schaffotfromm wie eine Kollegin von mir, eine durchscheinend ätherische Dame, die im Leben keiner Fliege ein Leid zufügt, auf dem Papier aber Menschen umbringt, als wäre täglich Schlachtfest. Dolche und Schwerter sitzen bei ihr loser als Haarnadeln, und in ihren Schriften raucht das Blut nur so. Sie verdient aber recht hübsch damit.

Und da kam der Schafbock.

Es war weder Besuch, der eintrat, noch eine Idee, die wie ein Glühlicht plötzliche Erleuchtung in meine Gehirnfinsterniß brachte, sondern nur Dummheit, die mich verließ. Denn man ist immer dumm, wenn man nicht offen und ehrlich ist.

»Herr Verleger,« sagte ich, »die Müllers müssen in das Buch hinein. Ich will Ihnen auch gestehen, warum. Sie wissen selbst, wie erbärmlich wenig Handlung ich für den sogenannten rothen Faden habe, der von Berlin nach Sylt gesponnen werden soll. Nun gehört das ausgegrabene Briefpapier mit zur Handlung. Nehmen Sie es mir fort, muß ich bankerott machen, darauf bin ich bereit, den Manifestationseid abzulegen. Mit dem Papier allein kann ich jedoch nichts anfangen. Müllers gehören unabweislich dazu.«

»Briefe sind ein stark verbrauchtes Mittel,« warf er sehr sauermienig ein.

»Jawohl,« entgegnete ich triumphirend: »solche auf Rosapapier und solche, die wie ein Frisörladen dunsten, aber haben Sie in der gesammten deutschen, englischen, italienischen, französischen, spanischen Literatur schon einen Brief auf ausgegrabenem Papier gefunden? Nein. Er ist ganz neu, so neu, daß es angezeigt wäre, ihn gesetzlich vor Langfingerei zu schützen. Gewiß,« rief ich, von meinem Gegenstand hingerissen, aus, »das ist bei den unsicheren schriftstellerischen Verhältnissen unbedingt nöthig. Gleich gehe ich auf das Patentamt; gewähren Sie mir nur für die Kosten den erforderlichen Vorschuß!«

O Ta'alihene, was hatte ich gesagt!

»Hm, Hm!« antwortete mein Herr Verleger. – Es giebt Empfindungen, für die Worte fehlen. Mir war auch ganz trocken in der Kehle geworden. Vor Schreck nämlich.

Ein Schlücklein Trinkbares wäre jetzt sehr erquicklich gewesen, ein Häppchen dazu würde das Dasein nicht verschlechtert haben. Mein Herr Verleger studirte die Speisekarte wiederum eifrigst.

Er ließ aber nichts auftragen. Ob die Hausklingel in Unordnung war? Elektrizität hat so ihre Tücken.

»Noch ein Punkt muß zur Sprache kommen,« begann er nach einer Weile. »Was Sie von der Seele sagen, wie sie als unsichtbarer Bildhauer gewissermaßen die menschlichen Gesichter modellirt, das ist grundfalsch. Ich habe einen Mediziner darum befragt, der sagte, so etwas könne man unmöglich drucken.«

»Die Sache hat dennoch ihre Richtigkeit. Wie mag es sonst wohl geschehen, daß einem Menschen sein Beruf im Gesicht steht, als wäre er darauf geschrieben? Je mehr die Seele am Berufe Antheil hat, um so sichtbarer prägt sie ihn aus. Der Geistliche, der Denker, der Schauspieler, jeder trägt die Züge seines Berufes, daß man ihn unter Hunderten gar leicht herauskennt. Weß Standes einer sei, sagt sein Antlitz. Man hat von zahlreichen Personen desselben Berufes Photographien genommen und aus diesen vielen ein einziges Durchschnittsbild hergestellt. Da ergab sich, daß der amerikanische Durchschnittsarzt dem deutschen gleicht, der Durchschnittsschulmeister eines Landes dem eines weit fernliegenden: es war das Berufsgesicht, das man auf diese Weise erhielt. Somit wäre die formende Arbeit der Seele photographisch bewiesen. Und haben Sie niemals Eheleute gesehen, die in Liebe alt wurden? Was die eine Seele an der anderen liebte, das ward ihr zu eigen; aus inniger Liebe sproßte gemeinsames Empfinden. Gleiche Sorgen und gleiche Freuden waren der Seelenpulsschlag des Lebens und gemach im Laufe der Jahre wurden die beiden Alten einander so ähnlich, als seien sie eines Blutes.«

»Es giebt aber keine Seele, hat der Arzt versichert.«

»Er ist wohl Thierarzt?«

Nicht einer, nein ein ganzes Regiment Engel schwebte durch das Gemach.

»Hübsches Tafelgeschirr,« sagte ich und deutete auf die Zwiebelmusterteller. – »Echt Meißen,« sagte er.

Wieder flog ein Trupp Engel vorüber.

»Jetzt geh ich nach Hause,« sagte ich.

»Wir sind noch nicht fertig,« sagte er und hielt mir die Speisekarte unter die Augen. »O bitte,« sprach ich mit jenem verschämten Lächeln, das noch während des Zugreifens bescheidenes Ablehnen heuchelt, »mir ist recht, wie Sie bestimmen. Außerdem, offen gestanden; ich bin ziemlich hungrig.«

Als ich nun nachsehen wollte, ob Kaviar auf dem Zettel stände – ich kenne ihn eigentlich nur aus Romanen, wo die reichen, schlechten Leute ihn immer essen, so daß sich der Wahn bei mir festsetzte, Kaviar müsse die allerhöchste aller Köstlichkeiten sein, obgleich einstmals eine damit bestrichene Wartesaalsemmel etwas nach schwarzer Seife und etwas nach Leberthran schmeckte und mir Würgethränen in die Augen trieb – sah ich zu meinem Schrecken, daß dieser Zettel kein Speisezettel war, sondern ein Register aller Sünden, wegen derer ich mich soeben zu verantworten gehabt. Hinter dem Wort ›Seele‹ bäumte sich ein Riesenfragezeichen, und dann kam noch ein halbes Dutzend solcher Gedankenhaken.

»Also?« fragte er, »wie geht es weiter?«

»Pünktlich nach dem Sommerfahrplan,« entgegnete ich verdrießlich.

»Mit Aufenthalt in Hamburg?«

»Gewiß. Da gehen sie an der Zollfestung vorbei und bewundern die Burggräben, die Brücken, die Wachtposten, und stellen Betrachtungen über den Wandel der Dinge an. Früher saß der Ritter hinter den Schießscharten und hielt seine Panzerhand über dem Handel, jetzt sitzt der Handel in der Veste und herrscht zu Wasser und zu Lande und vielfach angegriffene Zollmauern müssen heute den Ritter schützen. Pienchen kramt ihre Geschichtskenntnisse aus, Hille hört nicht darauf, weil all ihr Sinnen anderwärts ist, und der Alten läuft bei dem Gedanken an die Milliarden von Kaffeebohnen, welche in den Riesenspeichern lagern, das Wasser im Munde zusammen.«

»Kommen Sie zur Sache und verschleppen Sie die Handlung nicht unnöthig.«

»Ich kann die Alte doch nicht in den Sylter Sand setzen und Pienchen und Hille aus einem Luftballon hinterdrein fallen lassen. Nein, unsere Drei treten auf Sylt so feierlich an, wie es sich für die dortigen Verhältnisse geziemt. Es ist schon recht laut an dem Strande geworden, viele Badegäste sind da, und die Strandkörbe sind besetzt wie die Schwalbennester. Da wird geplaudert und gescherzt, die Kinder wühlen und graben im Sande, die Musik spielt, die Wogen rauschen und silbergraue Möven fliegen krächzend darüber hin. Es ist wonniges Weilen an dem Badestrand von Westerland, wer es einmal miterlebte, kann deß' nimmer vergessen. Der frische Hauch der Seeluft weht allen dumpfen Staub aus Herz und Hirn, wem sollte das nicht wohlthun? Ich hoffe auch für Pienchen das Beste. An den Herren der Doktorengrube ist der Erfolg bereits ersichtlich.«

»Was sind das für Herren?«

»Hochgradig gebildete. Sie haben sich eine Grube gegraben, weit ab von den anderen Sandbauten, geformt wie ein Seestern. Jeder bewohnt eine Abtheilung. In der Mitte ist ein Sandhaufen, gegen den sie die Füße stemmen, und in dem Sandhaufen steckt die Fahnenstange mit einer blauen Flagge. Es sind ihrer fünfe: drei Doktoren, ein Malersmann und ein Gutsbesitzer. Die beiden gelten auch für Doktoren, man kann sie von den wirklichen garnicht unterscheiden, so braun gebrannt sind sie alle miteinander. Und nun bedenken Sie, wie fürchterlich geistreich die Fünf sich unterhalten können. Geradezu unermeßlich.«

Der Verleger schellte elektrisch.

»Endlich wird es Tag,« sagte er vergnügt. »Nun sehe ich doch, daß die gelehrten Leser berücksichtigt werden. Die sind es nämlich, die das Buch machen; sie stempeln es durch ihr Urtheil sozusagen ab wie eine untersuchte Wurst, und die Ungelehrten gehen mit Vertrauen daran.

»Ich habe noch einen Professor,« sagte ich, »den kann ich auch in die Grube thun.«

»Bringen Sie Sardinen in Oel,« befahl er dem eintretenden Mädchen, »und eine Flasche Laubenheimer.«

»Außerdem habe ich die schönsten Anekdoten, die sich die Herren erzählen, wenn sie nicht grade schlafen.«

»Austern,« beorderte er.

»Wollen Sie eine Probe hören? Eine brachte ich zum Muster mit, der Rest liegt auf meinem Schreibtisch. Weil sie in einem Seebade spielt, paßt sie vorzüglich. Es geht da nämlich einer der Angestellten am Strande und trifft einen würdigen, alten Herrn mit weißen Haaren, der am Dünenrande sitzt und das Damenbad durch ein meterlanges Fernrohr beschielt.

»Mein Herr,« sagt der Beamte, »wie kommen Sie dazu, mit dem Fernrohr nach den Badenden zu sehen?«

»Es ist nicht meine Schuld, daß meine Augen so schlecht sind. Ich bin ein alter Mann und muß ein Glas gebrauchen,« entgegnet der Greis milde und läßt sich nicht im Geringsten stören.

Wir lachten beide unmäßig. Er, weil ihm die Geschichte neu war, ich, weil ich ihn heiter sah. »Das ist etwas für das elegante Publikum,« rief er, »das will dergleichen. Sehr gut. – Bringen Sie Kaviar,« sagte er dem Mädchen, das die guten Lebensmittel auf den Tisch setzte, »und eine Flasche Sekt.«

Nun aßen wir und tranken wir und waren lustiger Dinge. Und doch schmeckte mir der Kaviar nicht wie ich erwartet hatte. Er war erster Güte, aber ich war schlecht. Hatte ich die Geschichte nicht aus einem amerikanischen Buche herübergenommen, um nicht zu sagen stibitzt? Freilich ließ sich einwenden, daß die Amerikaner ohne Murren gleich die ganzen Bücher nachdrucken, aber darin sind sie gesetzlich geschützt, und sie thun dies ja auch bloß, um im fernen Westen Kultur zu verbreiten. Wenigstens behaupten sie so. Trotzdem hatte ich die Empfindung, Raub sei Raub und ich so schlecht wie nur je Einer, der geschriebenen Kaviar aß. Mir blieb nichts übrig, als das Gewissen zu betäuben. Hierzu eignet sich gekühlter Sekt vortrefflich.

Als ich meinem Herrn Verleger nun erzählte, daß ich ferner mit einigen Baronen aufwarten könnte, die augenblicklich auf das Wattenmeer hinausgefahren wären, Seehunde zu schießen, daß der Kollaborator Brömmer und der Kapitän Lotz in den Dünen spazieren gingen und die schöne Lüneburgerin gerade in der Strandhalle frühstückte, während ihre Verehrer an den Nebentischen sich gegenseitig haßten und wie Pienchen, Hille und die Alte in die Gesellschaft kämen, da griff er in die Westentasche und legte mir blanken Vorschuß hin.

»Führen Sie die Doktorengrube mit Sorgfalt aus,« ermahnte er.

Nun konnte ich Ta'alihene mein Wort einlösen und ihm mitbringen, worauf ich lange gesonnen. Ich versprach beim Gehen, mein Möglichstes zu thun. »Bald hätte ich den Indier vergessen,« sagte ich, schon halb draußen auf der Treppe. »Eigentlich ist er kein Indier, aber er war lange in Madras, eine höchst mysteriöse Persönlichkeit, das heißt …«

»Davon das nächste Mal.« –

Zu Hause angelangt, nahm ich Ta'alihene aus dem Uhrkasten, legte ihn auf den Tisch und stellte den Gummitopf daneben. Dann wickelte ich sein Geschenk sorgsam aus dem Seidenpapier – es war ein paar kleiner Glasaugen – blaue Aeuglein. Die leimte ich ihm in die leeren Höhlen, und als sie saßen und er mich anblickte, überlief mich ein Grauen.

Ich fing an, ihm zu erzählen, wie es mir ergangen.

Er sah mich an.

»Ta'ali, was hältst Du von der Seele?«

Er gab keinen Bescheid. Seitdem er die Augen hatte, war er menschlich geworden, entsetzlich menschlich.


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