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Elftes Kapitel.


Ich habe Sie allein wirthschaften lassen,« sagte der Verleger, »drei Kapitel hindurch.«

»Das war hübsch von Ihnen,« entgegnete ich, »Sie glauben garnicht, wie schwer Zwangsarbeit wird.«

»Unfug machen nennen Sie arbeiten?«

»Nicht daß ich wüßte …«

»Daß der Kapitän und das Skelett oben auf dem Thinghügel tanzen, halte ich für sehr unwahrscheinlich.«

»Ich auch.«

»Also!«

»Getanzt haben sie aber doch. Viel unwahrscheinlicher als in der Dichtung gestaltet sich das Leben in Wirklichkeit. Keine Phantasie vermag Streiche zu ersinnen, wie sie der Zufall ausführt. Doch davon abgesehen, wie würde ich mir erlauben, etwas niederzuschreiben, was sich nicht begeben hätte, heut' zu Tage, wo einzig und allein das Abschreiben der Natur gestattet ist!«

»Haben Sie den Gelbhandschuh auch nach der Natur geschildert?«

»Jawohl.«

»Seinen Anzug – das gebe ich zu – von seinem Kopf, seinem Gesicht finde ich jedoch bis auf den Adamsapfel keine Spur. Oder hatte er vielleicht keinen Kopf?«

»Freilich, aber eben solchen wie die Anderen.«

»Welche Anderen?«

»Nun, seine Kameraden im Modenjournal, aus dem ich ihn genommen.«

»Aber Pienchen sagte doch, sie hätte ihn irgendwo gesehen, könnte nur nicht hinbringen wo?«

»Gewiß sah sie ihn. Ebenfalls im Modenblatt. Wie nun das hellgraue Sommerzeugwunder mit einem Male in Lebensgröße erscheint, weiß sie nicht, woher ihr der Fremde so bekannt ist.«

»Und wenn Herr Runft auch behauptete, der Jüngling sähe wie ein Bäcker aus, der auf der Schneiderakademie studirt hätte … Pienchen war hingerissen. Pienchen kann nichts dafür, daß ihr Geschmack sich irrte, denn da im Hause Lahmann von Pflege des Schönheitsgefühls durch Anschauung der Kunst niemals die Rede war, mußte ihr schön vorkommen, was landläufig schön, reizend, süß, großartig gefunden wird: in diesem Falle das Ideal aus der Modenzeitung.

Und dieses selbst? Welche elende, naturwidrige Kost für den Geist: Bukskin Handmanschetten, Hemdenknöpfe, Lackstiefel, Spazierstöcke und alles andere unverdauliche Zeug, mit Ausnahme der Haarpomade, die bei der schick geltenden Zuchthausfrisur jetzt überflüssig ist. Da wird denn der Geist dürrsüchtig, wie ein Ziehkind bei Hungermast, ebenso frühalt und junggreisenhaft, oder wie wir auf hochdeutsch sagen: blasirt.«

»Und das stimmt,« sagte mein Herr Verleger.

»Eine ganz andere Schönheit ist die, welche nicht vom Schneider bezogen und vor dem Spiegel zurecht gemacht wird, die nämlich, welche die Seele schafft. Wenn die Seele den Leib so durchdringt, daß seine Formen zum Ausdruck inneren schönen Lebens werden, dann blüht sie auf, die Menschenherrlichkeit, und siegt über allen Modenplunder, da wird Ungestaltes sogar schön und ein schönes Menschengebilde göttergleich. Das ist ja Pienchens Unglück: die arm gehaltene Seele, die sogar der Herzenswärme entbehren mußte und nur darbend groß ward. Was helfen die Wissenschaft und das gelehrte Zeug, die sie zur Stärkung hineinnahm, wie Malzextrakt und Eisenpillen? Die Mutter hatte keine Erziehung, sie konnte den Kindern daher keine geben, sie strebte nicht nach den holden Schätzen der Seele, nach Güte, nach Freundlichkeit, nach Allem, was liebenswerth macht, weil es aus Liebe geboren, und daher ist die Lebensmitgift für die Töchter so kümmerlich ausgefallen. Und Pienchen empfindet, daß ihr etwas fehlt, sie weiß nur nicht, was es ist, und je mehr sie sucht und nach Vervollkommnung tappt … dem armen erstarrten Herzen schmilzt in den kalten Strahlen der Verstandeserleuchtung der Reiffrost nicht ab.«

»Das ist recht bedauerlich,« sagte mein Herr Verleger. »Mütter versündigen sich oft an ihren Kindern. – Aber weiter. Auf dem Ausfluge nach Rantum beschlossen die Herren, nach der Rückkehr den altdeutschen Keller zu besuchen und den Kollaborator Brömmer zur Mittheilung allerlei interessanter Dinge zu bewegen. Warum haben Sie die gemüthliche Kneiperei nicht beschrieben?«

»Weil sie nicht stattfand. Unterwegs hatten die Herren im Jagdwagen sich gewohnter Weise lustig über die Lahmanns und das Skelett gemacht, bis Herr Steinbach Einsprache that, da Jene in ihrer Einfalt dem Witze gegenüber wehrlos seien.« – »Sie hören es ja nicht,« entgegnete Herr Runft. – »So können sie sich nicht einmal vertheidigen.« – »Herrjeh, es ist ja nicht bös gemeint,« sagte Schnellbeinchen. – »Davon bin ich überzeugt.« – »Glauben Sie uns, wir hegen die besten Absichten,« sagte das Kind. – »Daran zweifle ich nicht.«

Als der Wagen in Westerland hielt, verabschiedete sich Herr Steinbach kurz und höflich. – »Laßt ihn laufen,« sagte Herr Runft. »Wenn man sich amüsiren will, braucht man keine Moralpredigt. Ich bin alt genug, um zu wissen, was ich thu und rede.« – »Er ist doch meschugge,« sagte Dr. Addison. »Vielleicht haben wir uns heftiger über die Lama's aufgehalten, als sie verdienen,« meinte das Kind. – »Seht doch mal, der kleine Hündchen eßt Gras,« sagte Runft. Brüllendes Gelächter. Nein, man konnte die Lama's nicht ernst nehmen, das wäre Unsinn.

»So sehr aufgeräumt?« fragte die Alte nähertretend. »Darf man erfahren worüber? Wir lachen auch gerne.«

»Wir trafen eben einen Bekannten, der sagte, er wisse einen Trunk, der einem Alt-Baiern den Durst stille,« erdichtete Schnellbeinchen rasche Rechtfertigung. »Darauf meinte Herr Runft, das wäre wohl Blausäure.«

»So, so,« sagte die Alte. »Sehr scherzhaft. Gehn die Herren auch in das Hotel?«

»Wir haben uns bereits verabredet …«

Herr Brömmer war verschwunden. Kapitän Lotz hatte ihn als Blitzableiter mitgenommen, da sein Gewissen ihm ein Gewitter von seiner lieben Frau voraussagte.

»Sehn Sie,« sprach Herr Lotz unterwegs zu Herrn Brömmer, »viel Geld ist zwar sehr was Schönes, blos nicht, wenn die Frau es hat.«

»Ich spürte nie Verlangen nach Reichthum,« entgegnete Herr Brömmer, »denn nicht vermöchte ich mich in das Glück zu versetzen, dessen ein Krösus genießt.«

»Ja … mehr als besaufen kann ein Millionär sich auch nicht.«

»Nach den Aussprüchen der Alten ist zum Lebensglücke die Harmonie zwischen innerer und äußerer Thätigkeit erforderlich, die Uebereinstimmung der Gedanken mit den Handlungen. Solches sagten sie in Betreff Dieses.«

»Unser Milchmann Möller von Moorburg, der sagt: Jer, wat is dat ganze Leben? Büx an, Büx ut … doch das verstehn Sie nicht, das ist ja kein Griechisch. – Nun thun Sie mir den Gefallen und sagen Sie meiner Frau, daß Sie höllisch in die eine Lahmann verschossen wären, dann nimmt sie es nicht so genau; Heirath stiften, da haben alle Frauen Vergnügen an.« –

»Der Kapitän Lotz könnte feiner gehalten sein,« sagte mein Herr Verleger.

»Er ist einmal nicht anders, und jetzt weniger der Mann seiner Frau als Sklave ihrer Mitgift. Er brachte es vom Schiffsjungen bis zum Steuermann, kaute Tabak, fluchte und trank Grogk. Später nahm er Manier an. Auch fuhr er wirklich zur See und nicht auf kölnischem Wasser. Daran mag es wohl liegen, daß er immer noch etwas nach Theer riecht. Das heißt bildlich gesprochen.«

»Schon gut.«

»Die Herren der Grube gingen in die nahe gelegenen Arkaden zu Bornemann und aßen und tranken …«

»Und unterhielten sich geistreich?«

»Nein, dazu waren sie zu hungrig. Ueberhaupt, wenn Doktoren es nicht nöthig haben, gehn sie mit der Geistreichheit sparsam um. Das Jahr hat dreihundertfünfundsechzig Tage, da kann auf den einzelnen Tag nicht viel Geist kommen. Etwas anderes ist es, wenn sie gereizt werden, in Gesellschaft zu glänzen, obgleich es dem Geist manchmal sehr schwer wird, gegen Epauletten anzuglänzen, wenn er nicht zufällig in einem Reserveoffizier sitzt. Dann strahlen beide, der Geist und die Tressen. – Ach, und wie gut schmeckten ihnen die gebackenen Seezungen und das Erlanger Bier, frisch vom Faß …«

Mein geschätzter Herr Verleger verstand die zarte Anspielung. Er ließ Wurst kommen, treffliche Wurst, Leberwurst und eine Weiße, eine vorzügliche Weiße aus dem Keller, wo die meisten Droschkenkutscher verkehren. Dort giebt es immer die besten Weißen. Das ist ein unumstößliches Berliner Naturgesetz.

Es freute mich, daß er meine Meinung in Betreff der Doktoren durch Wurst und Weiße billigte.

»Wir schmausen wie die homerischen Helden,« bemerkte ich, und streckte die Hand zur leckeren Leberwurst.

»Da fällt mir bei Homer ein,« sagte er, »giebt es viele solche Kollaboratoren wie Herrn Brömmer?«

»Gottlob, nein. Er ist der einzige seiner Gattung, der allereinzige. Es wäre zu gräßlich, wenn die Erziehung der Jugend in den Händen Solcher läge, die selbst der Erziehung bedürfen. Früher, zur Zeit Friedrichs des Großen, sah es darin schlimm aus. Der große König schreibt: »Was könnte ich nicht Alles über die falsche Methode sagen, nach der die Lehrer ihre Schüler in der Grammatik, Dialektik, Rhetorik und anderen Fächern unterrichten! Wie sollen sie den Geschmack ihrer Schüler bilden, wenn sie selbst nicht das Gute vom Mittelmäßigen, und das Mittelmäßige vom Schlechten unterscheiden können?« Das war Anno 1780, und da wir jetzund 1890 zählen, paßt es nicht mehr, selbst nicht auf Herrn Brömmer, der die Feinheiten der attischen Mundart denen der dorischen und jonischen gegenüber sprachlecker zu würdigen weiß. Was ihm fehlt, ist Weltläufigkeit, und das ist weder ihm dienlich, noch der Jugend, deren Vorbild er sein soll. Heute bleibt nicht Jeder mehr sein Lebelang auf seinem Dorfe, und wer in der Welt fortkommen will, muß auch das Geschick dazu haben, die Gebräuche der Welt kennen und verstehen, sie auszuüben. Nichts hindert mehr am Fortkommen, als die Kette der Unerzogenheit. Wissen und Können büßen Nichts ein, wenn ihr Besitzer Schliff hat, aber schon ein vorstehendes Rockhängsel und schwarze Fingernägel sind im Stande, in den Augen der Weltkinder die gediegenste innerliche Gediegenheit zu verdecken. Selbstvernachlässigung und Unbeholfenheit sind in der Jetztzeit geradezu Verbrechen, da die Erde kleiner geworden, durch die Kürzung der Entfernungen und die Menschheit näher aneinander rückten. Wenn man heut zu Tage Jemand dahin wünscht, wo der Pfeffer wächst, was nützt das? Mit dem nächsten Dampfer ist er wieder zurück.«

»Stimmt. Und das mit dem Theokrit ist doch auch richtig?«

»Die große Heldenholzerei? Natürlich. Aber ich finde die barbarischen Kraftäußerungen durchaus nicht so verwerflich wie das Kind sie auffaßte. Abscheulicher ist der Rath, den Lysander, der Lakonier, zu geben pflegte.«

»Was rieth der edle Grieche?«

»Knaben müsse man mit Würfeln, Feinde mit Eidschwüren betrügen. Dieser gerühmte, spartanische Feldherr würde heute nach Paragraph 159 des Strafgesetzbuches wegen gewerbmäßiger Anstiftung zum Meineid nicht nur mit Zuchthaus bestraft, sondern, der bürgerlichen Ehrenrechte bar, auch zur dauernden Unfähigkeit als Zeuge oder Sachverständiger verurtheilt werden. Und jener Klearchos von Heraklea, der einen großen Theil der ihm mißfälligen Bürger in einer Sumpfgegend lagern ließ – angeblich weil die Thracier angreifen wollten – bis sie in der Windstille und Sonnengluth so viel Fieberdünste eingeathmet hatten, daß sie starben, wie sollen wir über ihn denken? Wir gießen überall Karbol hin und halten Gelehrte, die ununterbrochen neue Bazillen entdecken; wir räuchern, kanalisiren, ventiliren, isoliren, filtriren, desinfiziren: müssen wir diesen Klearchos nicht verabscheuen?«

»Sie meinen also, nicht Alles sei nachahmungswerth, was den Alten denkwürdig erschien.«

»Ganz recht. Und thöricht finde ich blinde Verehrung. Wohl aber ist Eins ihnen nachzuahmen, namentlich den Griechen. Dies ist der Umstand, daß sie nicht nachahmten, sondern aus sich selbst schöpften, und Herrliches, Großes erreichten, weil sie nicht nach beengenden Mustern schufen. Der Nachahmer verliert seine Eigenkraft mit seiner Eigenart. Die Deutschen wurden früher immer von lateinisch gelehrten Männern erzogen, die unsere einheimischen Früchte verachteten und lieber ausländische von mittelmäßiger Güte ziehen, als deutsche Art und Kunst zur Vollkommenheit bringen wollten, ohne zu bedenken, daß wir auf diese Weise Nichts hervorbringen, was den Ausländern gefallen und uns Ehre bringen könnte.«

»Das ist aber lange her.«

»Und dennoch sind die Folgen noch nicht verwunden. Als vor etlichen Jahren Einer öffentlich sagte: um Meister zu werden, müsse man seine Regeln selbst aufstellen und ihnen dann folgen, und derselbe Mann zeigte, daß er darnach auch that, ward er ausgepfiffen.«

»Von Deutschen?«

»Jawohl.«

»Undenkbar! Und wer war der Mann?«

»Richard Wagner mit seinen Meistersingern.«

»Aber jetzt erfreut er sich voller Anerkennung.«

»Nun er todt ist, ja.«

»War es jemals anders?«

»Nein, und es wird auch nie anders werden. Ebenso war es schon bei den alten Griechen. Die Besten ihres Volkes mißachteten sie, über die Edelsten erhöhten sie gemeine Schreier, die Retter aus der Noth verbannten sie, oder überantworteten sie dem Henker. So gingen die Hellenen an inneren Feinden zu Grunde.«

»Was verstehen Sie unter inneren Feinden?«

»Solche, denen der eigene Vortheil über das Gesammtwohl geht, denen eigener Ruhm höher werthet als Ehre und Größe des Vaterlandes. Leicht bestochen ist das Gefühl eines Volkes durch schlau berechnete Worte, und Unheil richten Herrschende an, die über den Augenblick der Erregung der nächsten Stunde, über die Gegenwart der Zukunft nicht gedenken.«

»Das nehmen Sie sich nur selbst zu Herzen, denn mit Pienchens Zukunft sieht es recht mangelhaft aus.«

»O, bitte. Lesen Sie gefälligst das folgende Kapitel.«


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