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Der Verfasser findet durch einen glücklichen Zufall Mittel und Wege, Blefusku zu verlassen und kehrt nach einigen Schwierigkeiten wohlbehalten in seine Heimat zurück.
Als ich drei Tage nach meiner Ankunft aus Neugier an die Nordostküste der Insel ging, entdeckte ich auf dem Meer in einer Entfernung von etwa einer halben Meile etwas, was aussah wie ein gekentertes Boot. Ich zog mir Schuhe und Strümpfe aus und sah, als ich zwei oder dreihundert Ellen hinauswatete, dass der Gegenstand sich, durch die Gewalt der Flut getrieben, näherte; ich erkannte jetzt deutlich, dass es wirklich ein Boot war; es mochte, so vermutete ich, durch einen Sturm von einem Schiff fortgerissen worden sein. Ich kehrte auf der Stelle zur Stadt zurück und bat Seine Kaiserliche Majestät, mir zwanzig der grössten Fahrzeuge, die er nach dem Verlust seiner Flotte noch besass, und dreitausend Seeleute unter dem Befehl seines Vizeadmirals zu leihen. Diese Flotte segelte um die Insel herum, während ich auf dem kürzesten Wege an die Küste zurückkehrte, wo ich das Boot zuerst entdeckt hatte; ich erkannte, dass die Flut es noch näher herangetrieben hatte. Die Seeleute waren alle mit Tauen versehn, die ich zuvor bis zur genügenden Stärke zusammengeflochten hatte. Als die Schiffe kamen, zog ich mich aus und watete, bis ich mich dem Boot auf hundert Ellen näherte; den Rest der Entfernung, bis ich es erreichte, war ich zu schwimmen gezwungen. Die Seeleute warfen mir das eine Ende des Taus zu, und ich befestigte es am Bug des Boots in einem Loch, das andre Ende aber an einem Schlachtschiff; doch all meine Arbeit, so fand ich, war ziemlich zwecklos, denn da ich keinen Grund hatte, so war ich ausserstande, zu ziehen. In dieser Not war ich gezwungen, hinterher zu schwimmen und das Boot mit der einen Hand, so oft ich konnte, vorwärts zu stossen; und da die Flut mich begünstigte, so kam ich auch soweit, dass ich den Boden erreichte, wenn ich mein Kinn emporreckte. Ich ruhte mich zwei oder drei Minuten aus und gab dann dem Boot einen weitern Stoss und so fort, bis mir das Wasser nur noch an die Achselhöhlen reichte; und da jetzt der mühsamste Teil meines Werks getan war, nahm ich meine andern Taue heraus, die in einem der Schiffe verstaut waren, und befestigte sie erst an dem Boot und dann an neun der Fahrzeuge, die mich begleiteten; da nun der Wind günstig war, so zogen die Schiffe, und ich schob, bis wir uns dem Ufer auf vierzig Ellen genaht hatten. Dort wartete ich, bis die Flut ebbte und das Boot trocken lag; schliesslich gelang es mir mit Hilfe von zweitausend Mann, von Stricken und Maschinen, es auf den Kiel zu drehn, wobei ich fand, dass es nur wenig beschädigt war.
Ich will den Leser nicht mit den Schwierigkeiten belästigen, die es mir machte, mein Boot mit Hilfe gewisser Ruder, die herzustellen mich zehn Tage kostete, in den königlichen Hafen von Blefusku zu bringen. Dort strömten bei meiner Ankunft voller Staunen über ein so fabelhaftes Fahrzeug ungeheure Menschenmengen zusammen. Ich erzählte dem Kaiser, dass mir mein Glück dieses Boot in den Weg geworfen hätte, damit es mich irgendwohin brächte, von wo aus ich in meine Heimat zurückkehren könnte; ich bat Seine Majestät um die Befehle, mir Materialien auszuliefern, damit ich es ausstatten könnte, und ferner um seine Erlaubnis zum Aufbruch, die er mir auch nach einigen freundlichen Einwänden zu geben geruhte.
Ich wunderte mich sehr, während dieser ganzen Zeit nichts von einem Eilboten zu hören, durch den unser Kaiser dem Hofe von Blefusku über mich Bericht erstattete. Aber man gab mir später insgeheim zu verstehn, dass Seine Kaiserliche Majestät, ohne eine Ahnung davon, dass ich im geringsten um seine Pläne wusste, des Glaubens war, ich sei nur, um mein Versprechen zu erfüllen, und gemäss der mir von ihm erteilten Erlaubnis, die dem ganzen Hof bekannt war, nach Blefusku gegangen und würde in wenigen Tagen, wenn diese Förmlichkeit vorüber wäre, heimkehren. Schliesslich aber machte ihm mein langes Ausbleiben Sorge; und nachdem er sich mit dem Schatzmeister und dem Rest jener Kamarilla beraten hatte, wurde eine Person von Stande mit der Abschrift der Anklageartikel wider mich entsandt. Dieser Botschafter hatte Anweisung, dem Monarchen von Blefusku die grosse Milde seines Herrn darzulegen, der sich daran genügen liesse, mich nur mit dem Verlust meiner Augen zu bestrafen; ich sei vor der Gerechtigkeit entflohen, und wenn ich nicht innerhalb von zwei Stunden zurückkehrte, so würde ich meines Nardaktitels entkleidet und zum Verräter erklärt. Der Botschafter fügte ferner hinzu, sein Herr erwarte, dass sein Bruder in Blefusku zur Aufrechterhaltung des Friedens und der Freundschaft zwischen beiden Kaiserreichen Befehl erteilen würde, mich an Händen und Füssen gebunden nach Lilliput zurückzuschicken, damit ich als Verräter bestraft würde.
Nachdem der Kaiser von Blefusku sich drei Tage Bedenkzeit erbeten hatte, schickte er eine Antwort, die aus vielen Höflichkeiten und Entschuldigungen bestand. Er sagte, wenn er mich gebunden schicken sollte, so wisse sein Bruder ja, dass das unmöglich sei; obwohl ich ihn seiner Flotte beraubt habe, sei er mir für viele gute Dienste, die ich ihm bei Abschluss des Friedens geleistet habe, verpflichtet. Bald jedoch würden sie, beide Majestäten, Ruhe haben, denn ich hätte an der Küste ein ungeheures Fahrzeug gefunden, das mich auf dem Meer zu tragen vermöge; er habe Befehl erteilt, es mit meiner Hilfe und unter meiner Anleitung auszurüsten, und er hoffe, dass innerhalb weniger Wochen beide Kaiserreiche von einer so unerträglichen Bürde befreit sein würden.
Mit dieser Antwort kehrte der Gesandte nach Lilliput zurück, und der Monarch von Blefusku erzählte mir alles, was vorgefallen war; indem er mir zugleich (freilich unter dem Siegel strengster Verschwiegenheit) seinen huldvollen Schutz versprach, wenn ich in seinen Diensten verbleiben wollte. Ich hielt ihn darin für aufrichtig, doch war ich entschlossen, in Fürsten und Minister nie wieder irgendwelches Vertrauen zu setzen, wenn ich es irgend vermeiden konnte. Und also bat ich unter gebührender Anerkennung seiner günstigen Absicht in aller Demut, mich zu entschuldigen. Ich sagte ihm, da mir der Zufall, einerlei, ob ein glücklicher oder ein unglücklicher, ein Fahrzeug in den Weg geworfen habe, so sei ich entschlossen, mich lieber dem Ozean anzuvertraun, als zu einem Streit zwischen zwei so mächtigen Monarchen Anlass zu geben. Ich sah auch, dass der Kaiser keineswegs damit unzufrieden war, und durch einen Zufall entdeckte ich, dass er über meinen Entschluss sehr froh war, und ebenso froh waren die meisten seiner Minister.
Diese Erwägungen veranlassten mich, meinen Aufbruch mehr zu beschleunigen, als es meine Absicht gewesen war; und da der Hof mit Ungeduld darauf wartete, dass ich fortging, so half er mir bereitwilligst. Fünfhundert Werkleute waren damit beschäftigt, mir für mein Boot nach meinen Anweisungen zwei Segel zu machen, indem sie ihr stärkstes Leinen dreizehnfach zusammennähten. Ich selbst hatte für Taue und Stricke zu sorgen, und ich tat es, indem ich zehn oder zwanzig oder dreissig von ihren stärksten und dicksten zusammenflocht. Ein grosser Stein, den ich nach langer Suche an der Meeresküste fand, diente mir als Anker. Um mein Boot zu dichten und zu andern Zwecken erhielt ich den Talg von dreihundert Kühen. Ungeheure Mühe machte es mir, ein paar der grössten Bäume zu fällen, um Ruder und Masten daraus zu machen; doch halfen mir dabei Seiner Majestät Schiffszimmerleute, indem sie sie glätteten, nachdem ich die grobe Arbeit verrichtet hatte.
Als nach etwa einem Monat alles gerüstet war, schickte ich zu Seiner Majestät, um seine Befehle entgegenzunehmen und um meinen Abschied zu bitten. Der Kaiser kam mit der königlichen Familie aus seinem Palast, ich legte mich nieder, um ihm die Hand zu küssen, und er reichte sie mir sehr huldvoll; desgleichen taten die Kaiserin und die jungen Prinzen. Seine Majestät schenkte mir fünfzig Geldbeutel mit je zweihundert Sprugs, sowie sein Bildnis in Lebensgrösse, das ich sofort in einen meiner Handschuhe steckte, um es vor Beschädigungen zu bewahren. Der Zeremonien bei meinem Aufbruch aber waren zu viel, als dass ich den Leser jetzt damit belästigen könnte.
Ich versah das Boot mit den Leichen von hundert Ochsen und dreihundert Schafen; verstaute entsprechende Mengen von Brot und Getränken und soviel fertigbereitete Speisen, wie vierhundert Köche mir liefern konnten. Lebend nahm ich sechs Kühe und zwei Bullen mit und ebensoviele Mutterschafe und Böcke, denn die gedachte ich in meine Heimat zu bringen, um die Rasse dort zu züchten. Um sie an Bord füttern zu können, verstaute ich ein grosses Bündel Heu und einen Sack Korn. Gern hätte ich mir auch noch ein Dutzend der Eingeborenen mitgenommen, aber das wollte der Kaiser auf keinen Fall erlauben; und abgesehn davon, dass er mir meine Taschen sorgfältig durchsuchen liess, nahm er mir mein Ehrenwort ab, dass ich keine seiner Untertanen entführen würde, geschähe es auch auf ihren Wunsch und mit ihrem Einverständnis.
Als ich in dieser Weise alles, so gut ich es vermochte, vorbereitet hatte, ging ich am vierundzwanzigsten Tage des September 1701 um sechs Uhr morgens unter Segel; und als ich etwa vier Meilen nach Norden gemacht hatte, denn der Wind wehte aus Südosten, erspähte ich gegen sechs Uhr abends etwa eine halbe Meile im Nordwesten eine kleine Insel. Ich segelte dorthin und warf auf der Windschutzseite der Insel, die unbewohnt zu sein schien, Anker. Dann nahm ich ein paar Erfrischungen zu mir und ging zur Ruhe. Ich schlief gut und, wie ich vermute, wenigstens sechs Stunden, denn zwei Stunden, nachdem ich erwacht war, brach der Tag an. Die Nacht war hell, und ich ass mein Frühstück, ehe die Sonne aufging; und da der Wind günstig war, so lichtete ich den Anker und steuerte denselben Kurs, den ich am Tage zuvor gehalten hatte, wobei ich mich nach meinem Taschenkompass richtete. Es war meine Absicht, wenn möglich, eine jener Inseln zu erreichen, die, wie ich zu glauben Grund hatte, im Nordosten von Van-Diemensland lagen. Den ganzen Tag hindurch aber bekam ich nichts in Sicht; doch als ich am nächsten Tage gegen drei Uhr nachmittags nach meiner Berechnung etwa vierundzwanzig Meilen von Blefusku aus gemacht hatte, erspähte ich ein Segel, das nach Südosten steuerte; mein Kurs lief jetzt genau östlich. Ich rief es an, doch konnte ich keine Antwort erlangen; nichtsdestoweniger merkte ich, dass ich ihm auflief, denn der Wind liess nach. Ich warf alle Leinwand aus, die ich besass, und in einer halben Stunde erspähte man mich an Bord, hisste die Flagge und löste einen Kanonenschuss. Es ist nicht leicht, die Freude zu schildern, die mich befiel, als ich noch einmal hoffen konnte, mein geliebtes Land und die Pfänder, die ich dort zurückgelassen hatte, wiederzusehn. Das Schiff reffte die Segel, und ich erreichte es am sechsundzwanzigsten September zwischen fünf und sechs Uhr abends; doch als ich gar seine englischen Farben sah, sprang mir das Herz in der Brust. Ich tat meine Kühe und Schafe in meine Rocktaschen und stieg mit meiner ganzen kleinen Ladung an Vorräten an Bord. Das Schiff war ein englischer Kauffahrer auf dem Rückweg durch die Nord- und Südsee aus Japan; der Kapitän war Herr John Biddel aus Deptford, ein sehr höflicher Mann und ein ausgezeichneter Seefahrer. Wir waren jetzt auf dreissig Grad südlicher Breite; an Bord befanden sich etwa fünfzig Mann, und ich traf einen meiner alten Kameraden, einen gewissen Peter Williams, der mir dem Kapitän gegenüber ein gutes Zeugnis ausstellte. Dieser Herr behandelte mich sehr freundlich und bat mich, ihm mitzuteilen, von wo ich zuletzt ausgelaufen sei und wohin ich wollte; ich tat es in wenigen Worten; aber er glaubte, ich redete irre und die ausgestandnen Gefahren hätten mir den Kopf verdreht; da zog ich meine Rinder und meine Schafe aus der Tasche, und nachdem er sich sehr über sie verwundert hatte, überzeugte er sich durch sie von meiner Wahrhaftigkeit. Dann zeigte ich ihm das Gold, das der Kaiser von Blefusku mir gegeben hatte, sowie auch das Bild Seiner Majestät in Lebensgrösse nebst einigen andern Seltenheiten aus jenem Lande. Ich gab ihm zwei Beutel zu je zweihundert Sprugs und versprach ihm, wenn wir in England ankämen, ihm eine trächtige Kuh und ein trächtiges Mutterlamm zu schenken.
Ich will den Leser nicht mit einem ausführlichen Bericht über diese Reise belästigen, die zum grössten Teil sehr glücklich verlief. Wir kamen am 13. April 1702 auf der Rhede der Downs an. Ich hatte nur einen Unfall zu verzeichnen; die Schiffsratten nämlich entführten mir eins meiner Schafe; ich fand seine Knochen, von denen das Fleisch sauber abgenagt war, in einem Loch. Den Rest meines Viehs brachte ich wohlbehalten an Land und setzte es zum Weiden auf einen Krokettplatz bei Greenwich, wo sie in dem feinen Gras sehr herzhaft grasten, obwohl ich stets das Gegenteil befürchtet hatte; auch hätte ich es während einer so langen Reise nicht durchbringen können, hätte mir nicht der Kapitän ein wenig von seinen besten Biskuits gegeben, die, zu Pulver zerrieben und mit Wasser gemischt, ihr beständiges Futter waren. Während der kurzen Zeit, die ich in England verbrachte, erzielte ich hohe Einnahmen, indem ich mein Vieh vielen Leuten von Stande und andern zeigte; und ehe ich meine zweite Reise begann, verkaufte ich es um sechshundert Pfund. Seit meiner letzten Heimkehr habe ich erfahren, dass die Tiere, und vor allem die Schafe, sich stark vermehrt haben. Ich hoffe, dass es infolge der Feinheit des Fells sehr zum Nutzen der Wollfabrikation ausschlagen wird.
Ich blieb nur zwei Monate bei meinem Weib und den Meinen; denn mein unersättliches Verlangen nach dem Anblick fremder Länder wollte mir keinen längern Aufenthalt erlauben. Ich liess meinem Weibe fünfzehnhundert Pfund zurück und brachte sie in einem guten Hause zu Redriff unter. Was mir dann noch blieb, behielt ich bei mir und zwar teils in bar, teils in Waren, denn ich hoffte, mein Vermögen zu mehren. Mein ältester Onkel Johann hatte mir einen kleinen Landbesitz bei Epping hinterlassen, der mir jährlich etwa dreissig Pfund abwarf, und ich hatte den Schwarzen Bullen in der Fetterlane langfristig gepachtet, der mir noch einmal soviel eintrug; so war ich also nicht mehr in Gefahr, dass meine Familie dem Kirchspiel zur Last fallen könnte. Mein Sohn Johann, der nach meinem Onkel genannt war, besuchte die Elementarschule; er war ein begabtes Kind. Meine Tochter Betty (die jetzt verheiratet ist und schon Kinder hat) beschäftigte sich damals mit Näharbeiten. Ich nahm von meinem Weibe, meinem Jungen und meinem Mädchen Abschied, nicht ohne Tränen auf beiden Seiten und ging an Bord der »Adventure«, eines Kauffahrers von dreihundert Tonnen, der nach Surat segelte und vom Kapitän John Nicholas aus Liverpool befehligt wurde. Doch den Bericht über diese Reise muss ich für den zweiten Teil meiner Reisen aufsparen.