Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Der Verfasser wird von einem Houyhnhnm in sein Haus geführt. Schilderung des Hauses. Empfang des Verfassers. Die Nahrung der Houyhnhnms. Der Verfasser aus Nahrungsmangel in Not; er erhält schliesslich Rettung. Wie er sich in diesem Lande ernährte.
Als wir etwa drei Meilen weit dahin gezogen waren, kamen wir zu einer Art langen Gebäudes, das aus in den Boden gerammtem und durch Flechtwerk verbundenem Holz bestand; das Dach war niedrig und mit Stroh gedeckt. Mir wurde ein wenig tröstlicher zu Mut, und ich nahm einige Kleinigkeiten zur Hand, wie Reisende sie meist bei sich führen, um sie den wilden Indianern in Amerika und sonstwo zum Geschenk zu machen; ich hoffte, die Leute des Hauses damit zu ermutigen, dass sie mich freundlich aufnähmen. Das Pferd gab mir einen Wink, als erster einzutreten; es war ein grosser Raum mit einem glatten Lehmboden; und in ganzer Länge liefen an der einen Wand eine Krippe und eine Raufe entlang. Es waren drei Klepper und zwei Stuten anwesend, die nicht frassen, sich aber wohl zum Teil auf ihre Schenkel setzten, worüber ich mich sehr wunderte; mehr aber wunderte ich mich noch, als ich den Rest mit häuslichen Arbeiten beschäftigt sah. Sie schienen nichts als ein Vieh zu sein; aber das bestätigte nur meine ursprüngliche Ansicht, dass ein Volk, wenn es vernunftlose Tiere so weit zivilisieren konnte, notwendig alle Nationen der Welt an Weisheit überragen müsste. Der Graue kam gleich hinter mir und verhinderte so jede Misshandlung, die die andern mir vielleicht hätten angedeihn lassen. Er wieherte ihnen mehrmals in befehlendem Tonfall zu und erhielt auch Antwort.
Hinter diesem Raum waren noch drei weitere vorhanden, die die ganze Länge des Hauses ausfüllten; man kam durch Türen hinein, die einander gegenüber lagen, sodass sie eine Flucht ergaben; wir gingen durch den zweiten Raum zum dritten; hier trat der Grauschimmel als erster ein, indem er mir winkte, zu warten. Ich harrte im zweiten Raum und hielt meine Geschenke für den Herrn und die Herrin des Hauses bereit: es waren zwei Messer, drei Armbänder aus falschen Perlen, ein kleiner Spiegel und ein Halsband aus Glasperlen. Das Pferd wieherte drei- oder viermal, und ich erwartete, eine Antwort in menschlicher Stimme zu hören; doch ich vernahm nur Entgegnungen in gleicher Sprache, wenn auch die eine oder andre Stimme ein wenig schriller war als seine. Ich begann zu glauben, dass das Haus irgend einer sehr angesehnen Persönlichkeit gehören müsste, weil so viel Förmlichkeiten zu erledigen waren, ehe ich Einlass finden konnte. Dass aber ein Mann von Stande sich von lauter Pferden bedienen liess, ging über meinen Verstand. Ich fürchtete schon, mein Gehirn habe durch meine Leiden und mein Unglück eine Störung erfahren; ich raffte mich auf und sah mich um in dem Raum, in dem ich allein geblieben war; er war eingerichtet wie der erste, nur besser. Ich rieb mir oft die Augen, aber immer sah ich dieselben Gegenstände. Ich kniff mich in die Arme und in die Seiten, um mich zu wecken, denn ich hoffte, ich möchte nur träumen. Dann kam ich zu dem untrüglichen Schluss, dass all dies nur Negromantik und Magik sein könnte. Aber ich hatte keine Zeit, solchen Erwägungen nachzuhängen, denn der Apfelschimmel trat wieder in die Tür und winkte mir, ihm in den dritten Raum zu folgen, wo ich eine sehr stattliche Stute mit einem Hengstfüllen und einem Stutenfüllen sah, die auf nicht kunstlos gemachten und vollkommen saubern und frischen Strohmatten auf ihren Hüften sassen.
Die Stute stand gleich nach meinem Eintritt auf, trat dicht zu mir und warf mir, nachdem sie meine Hände und mein Gesicht genau besehn hatte, einen höchst verächtlichen Blick zu; dann wandte sie sich zu dem Pferd, und ich hörte nun oft das Wort Yahoo wiederholen. Den Sinn dieses Wortes konnte ich damals noch nicht verstehn, obgleich es das erste gewesen war, das ich aussprechen lernte; bald aber wurde ich zu meiner ewigen Demütigung besser unterrichtet; denn das Pferd winkte mir mit dem Kopf, wiederholte wie auf dem Pfad das Wort: »Hhuun! Hhuun!« das ich als den Befehl, es zu begleiten, verstand, und führte mich in eine Art Hof hinaus, an dem in einiger Entfernung vom Hause ein weiteres Gebäude stand. Dort traten wir ein, und ich sah drei jener abscheulichen Geschöpfe, denen ich zuerst nach meiner Landung begegnet war; sie frassen Wurzeln und das Fleisch irgend welcher Tiere; wie ich später erkannte, waren es meist Esel und Hunde und gelegentlich auch eine Kuh, die infolge eines Unfalls oder einer Krankheit gestorben war. Sie waren alle um den Hals mit starken Weidenruten gefesselt und an einem Balken gebunden; ihr Futter hielten sie zwischen den Klauen ihrer Vorderfüsse, und sie rissen es mit den Zähnen ab.
Das Pferd, das den Herrn spielte, befahl einem Fuchsklepper, der einer seiner Diener war, das grösste dieser Tiere loszubinden und in den Hof zu führen. Die Bestie und ich wurden dicht neben einander gestellt, und dann verglichen Herr und Diener sorgfältig unsre Gesichtszüge, um schliesslich mehrmals das Wort Yahoo zu wiederholen. Es lässt sich nicht schildern, mit welchem Grauen und Erstaunen ich in diesem scheusslichen Tier eine vollkommen menschliche Gestalt erkannte: das Gesicht freilich war platt und breit, die Nase eingedrückt, die Lippen lang und der Mund breit. Aber diese Unterschiede sind allen wilden Nationen gemeinsam, bei denen die Gesichtszüge dadurch entstellt sind, dass die Eingeborenen ihre Kinder auf der Erde kriechen lassen oder sie auf dem Rücken tragen, so dass sie ihr Gesicht gegen die Schultern der Mutter drücken. Die Vorderfüsse des Yahoo unterschieden sich von meinen Händen in nichts anderm als durch die Länge der Nägel, die Rauhheit und Bräune der Handfläche und den behaarten Rücken. Zwischen unsern Füssen bestand die gleiche Ähnlichkeit mit den gleichen Unterschieden; ich wusste das sehr wohl, die Pferde aber nicht, und zwar, weil ich Schuhe und Strümpfe trug; und ebenso war es mit allen andern Teilen unsres Körpers, die sich nur durch die schon geschilderte Behaarung und Farbe unterschieden.
Die grosse Schwierigkeit, die den beiden Pferden offenbar viel zu schaffen machte, bestand darin, dass ihnen der Rest meines Körpers von dem eines Yahoo so sehr verschieden schien; dafür hatte ich meinen Kleidern zu danken, von denen sie keine Vorstellung hatten. Der Fuchsklepper bot mir eine Wurzel, die er nach Art dieser Wesen, wie sie an ihrer Stelle geschildert werden wird, zwischen Huf und Fessel hielt; ich nahm sie in die Hand, und nachdem ich sie berochen hatte, gab ich sie ihm so höflich wie ich konnte zurück. Er holte mir aus dem Stall des Yahoos ein Stück Eselsfleisch; aber es roch so widerlich, dass ich mich voll Ekel abwandte: dann warf er es dem Yahoo zu, der es gierig verschlang. Später zeigte er mir eine Schwade Heu und eine Köthe voll Hafer; doch ich schüttelte den Kopf, um ihm anzudeuten, dass beides keine Nahrung für mich sei. Und wirklich begann ich zu fürchten, dass ich würde Hungers sterben müssen, wenn ich nicht Wesen meiner Art erreichte; denn was diese schmutzigen Yahoos anging, so muss ich gestehn, obgleich es wenig grössere Menschenfreunde geben kann, als ich es damals noch war, so hatte ich doch noch nie ein empfindungsfähiges Wesen gesehn, das in jeder Hinsicht so verabscheuenswürdig gewesen wäre; und je öfter ich ihnen nahe kam, um so verhasster wurden sie mir, während ich mich in jenem Lande aufhielt. Das erkannte das Pferd, das den Herrn spielte, an meinem Verhalten, und deshalb schickte es den Yahoo in seinen Stall zurück. Dann legte es den Vorderhuf an den Mund, was mich, obwohl er es mit Leichtigkeit tat, und seine Bewegung völlig natürlich schien, sehr überraschte; und er fragte mich auch noch durch weitere Zeichen, was ich essen wollte; ich aber konnte ihm keine Antwort geben, die er zu verstehn imstande gewesen wäre; und hätte er mich auch verstanden, so sehe ich doch nicht, wie es hätte möglich sein sollen, etwas zu ersinnen, wie ich mir Nahrung verschaffen konnte. Während wir so beschäftigt waren, sah ich eine Kuh vorüber gehn, und alsbald zeigte ich auf sie und gab dem Wunsch Ausdruck, er möchte mich gehn lassen, um sie zu melken. Das hatte seine Wirkung; denn er führte mich ins Haus zurück und befahl einer Dienststute, einen Raum zu öffnen, wo sehr ordentlich und sauber in irdenen und hölzernen Gefässen ein guter Milchvorrat aufgespeichert war. Sie gab mir eine grosse Schale, aus der ich herzhaft trank; worauf ich mich sehr erfrischt fühlte.
Gegen Mittag sah ich eine Art Fuhrwerk auf das Haus zukommen, das wie ein Schlitten von vier Yahoos gezogen wurde. Darauf sass ein alter Hengst, der ein vornehmes Wesen zu sein schien; er stieg mit den Hinterfüssen zuerst aus, denn er hatte sich infolge eines Unfalls den linken Vorderfuss verletzt. Er kam, um mit unserm Pferd zu speisen, und das empfing ihn mit grosser Höflichkeit. Sie speisten im besten Raum und erhielten als zweiten Gang in Milch gekochten Hafer, den das alte Pferd warm ass, die andern aber kalt. Ihre Krippen wurden kreisförmig mitten in den Raum gestellt und in mehrere Kammern abgeteilt; sie setzten sich mit den Hüften auf Strohkissen rings umher. In der Mitte befand sich eine grosse Raufe, die den Kammern der Krippe entsprechend in Winkelsektoren geteilt war, so dass jeder Hengst und jede Stute ihr eignes Heu und ihren eignen Brei aus Milch und Hafer ass, was sie mit viel Anstand und in grosser Ordnung taten. Das Benehmen der beiden Füllen schien mir sehr bescheiden zu sein, während Herr und Herrin sich dem Gast gegenüber ausserordentlich heiter und angenehm zeigten. Der Apfelschimmel befahl mir, neben ihm stehn zu bleiben, und zwischen ihm und seinem Freund war viel von mir die Rede, wie ich daran erkannte, dass der Fremde mich oft ansah und dass häufig das Wort Yahoo fiel.
Ich hatte zufällig meine Handschuhe angezogen, und als der Hausherr das bemerkte, schien er ganz ratlos und fragte erstaunt durch Zeichen, was ich mit meinen Vorderfüssen angefangen hätte; drei- oder viermal berührte er sie mit seinem Huf, als wollte er mir bedeuten, dass ich sie wieder in ihre frühere Form bringen sollte, was ich alsbald tat, indem ich meine beiden Handschuhe auszog und in die Tasche steckte. Das hatte weitere Unterhaltungen zur Folge, und ich sah, dass der Gesellschaft mein Benehmen gefiel; und bald konnte ich die guten Wirkungen erkennen. Man befahl mir, die wenigen Worte zu sprechen, die ich schon kannte, und während der Tafel lehrte mich der Hausherr die Namen für Hafer, Feuer, Wasser und einige andre Dinge, die ich ihm bald nachsprechen konnte, da ich von Jugend auf für das Erlernen von Sprachen sehr begabt gewesen war.
Als die Tafel vorüber war, nahm der Hausherr mich beiseite und gab mir durch Zeichen und Worte zu verstehn, dass er in grosser Sorge war, weil ich nichts zu essen gehabt hatte. Hafer heisst in ihrer Sprache »Hlunnh«. Dieses Wort sprach ich zwei- oder dreimal aus; denn obwohl ich den Hafer zuerst zurückgewiesen hatte, so überlegte ich es mir doch und sagte mir, dass ich vielleicht Mittel und Wege finden könnte, um mir eine Art Brot zu machen, das mit Milch zusammen ausreichen würde, um mich am Leben zu erhalten, bis ich in irgend ein andres Land und zu Geschöpfen meiner eignen Art entschlüpfen könnte. Der Hengst befahl sofort einer weissen Dienststute seines Hauses, mir in einer Art hölzernen Trogs eine genügende Menge Hafer zu bringen. Ich erhitzte ihn, so gut ich vermochte, vor dem Feuer und rieb ihn, bis die Hülsen abfielen, die ich mit vieler Mühe von den Körnern sichtete; die Körner mahlte und zerschlug ich zwischen zwei Steinen, nahm Wasser und rührte sie zu einem Brei oder einem Teig, den ich am Feuer röstete und warm mit Milch ass. Zunächst erschien es mir als eine sehr fade Kost, obgleich sie in vielen Teilen Europas ziemlich verbreitet ist; aber mit der Zeit wurde sie mir erträglich; und da ich in meinem Leben oft mit schmaler Küche hatte vorlieb nehmen müssen, so war dies nicht das erste Mal, dass ich erprobte, mit wie wenig die Natur sich zufriedenstellen lässt. Und ich kann nicht umhin, zu bemerken, dass ich während meines Aufenthalts auf dieser Insel nie auch nur eine Stunde lang krank war. Freilich fing ich mir auch bisweilen mit vieler Mühe ein Kaninchen oder einen Vogel, und zwar in Schlingen aus Yahoohaar, und oft sammelte ich heilkräftige Kräuter, die ich mir kochte und als Salat zu meinem Brot ass, und hin und wieder machte ich mir als eine Seltenheit ein wenig Butter und trank die Molken. Zuerst machte mir der Mangel an Salz viel zu schaffen; aber die Gewohnheit versöhnte mich bald damit. Ich bin überzeugt, dass der häufige Gebrauch des Salzes bei uns eine Wirkung der Ueppigkeit ist und zuerst nur als Reizmittel eingeführt wurde, um Durst zu wecken, es sei denn, wo es notwendig ist, um für lange Reisen oder an Orten, die von grossen Märkten fernab liegen, Fleisch zu konservieren. Denn wir können beobachten, dass es ausser vom Menschen von keinem Tier geliebt wird; und ich selbst konnte seinen Geschmack noch lange, nachdem ich dieses Land verlassen hatte, in nichts, was ich ass, vertragen.
Soviel genügt über das Thema meiner Kost, mit dem andre Reisende ihre Bücher füllen, als ob es die Leser persönlich etwas anginge, ob wir gut oder schlecht zu essen hatten. Immerhin war es nötig, die Frage zu erwähnen, damit nicht die Welt es für unmöglich hielte, dass ich in einem solchen Lande und unter solchen Eingeborenen drei Jahre lang Unterhalt fand.
Als der Abend nahte, wies mir der Hausherr eine Wohnstätte an; sie lag nur sechs Ellen vom Hause und war getrennt vom Stall der Yahoos. Ich erhielt ein wenig Stroh, deckte mich mit meinen eignen Kleidern zu und schlief sehr gut. Binnen kurzem aber wurde ich besser untergebracht, wie es der Leser später erfahren wird, wenn ich ausführlicher von meiner Lebensweise handle.