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Ein weiterer Bericht über Glubbdubdrib. Eine Verbesserung der alten und modernen Geschichte.
Da es mich auch verlangte, diejenigen Alten zu sehn, die wegen ihres Witzes und ihrer Gelehrsamkeit am berühmtesten waren, so behielt ich mir dafür eigens einen ganzen Tag vor. Ich bat, dass Homer und Aristoteles mir an der Spitze all ihrer Kommentatoren erscheinen möchten; doch waren diese so zahlreich, dass mehrere hundert im Hof und in den äussern Räumen des Palastes zu bleiben gezwungen waren. Ich erkannte und unterschied die beiden Heroen auf den ersten Blick nicht nur von der Menge, sondern auch von einander. Homer war von beiden der Grössere und Stattlichere; er ging für sein Alter sehr aufrecht, und seine Augen waren die schnellsten und durchdringendsten, die ich noch je gesehn hatte. Aristoteles ging sehr gebeugt und stützte sich auf einen Stab. Sein Gesicht war mager, sein Haar schlicht und dünn, und seine Stimme klang hohl. Ich erkannte bald, dass beiden der Rest der Gesellschaft völlig fremd war, und nie zuvor hatten sie von den andern gehört oder sie gesehn. Und ein Geist, der namenlos bleibe, flüsterte mir zu, dass diese Kommentatoren sich stets in den fernsten Winkeln der Unterwelt vor ihren Meistern versteckten, und zwar im Bewusstsein ihrer Schmach und Schuld, weil sie der Nachwelt den Sinn dieser beiden Autoren so grauenhaft entstellt hatten. Ich führte Didymus und EustathiusBeide Kommentatoren; jener Alexandrinischer Grammatiker zurzeit des Augustus; dieser Erzbischof von Thessalonike. 12. Jhrht. zu Homer und vermochte ihn dahin, sie besser zu behandeln als sie es vielleicht verdienten; denn er fand bald heraus, dass es ihnen am Genius fehlte, der in den Geist eines Dichters eindringt. Aristoteles aber verlor die Geduld, als ich ihm von Scotus und RamusDuns Skotus, der berühmte Franziskaner; Ramus, Pierre de la Ramée; dieser griff Aristoteles an (Aristotelicae Animadversiones, 1543). berichtete, während ich sie ihm vorstellte; und er fragte sie, ob der Rest des Stamms aus ebenso grossen Dummköpfen bestände, wie sie es wären.
Dann bat ich den Regenten, Descartes und Gassendi zu berufen, die ich überredete, Aristoteles ihre Systeme auseinanderzusetzen. Dieser grosse Philosoph gab seine eignen Irrtümer in der Naturgeschichte offen zu; er sei in vielen Dingen nur auf Grund von Vermutungen vorgegangen, wie es alle Menschen tun müssten; und er fand, dass Gassendi, der Epikurs Lehre so schmackhaft gemacht hatte, wie er nur konnte, und Descartes' ›vortices‹ ebenso veraltet waren. Dasselbe Schicksal weissagte er der ›Anziehungskraft‹, die gerade die Gelehrtesten jetzt so eifrig verfechtenAnspielung auf Newton.. Er sagte, neue Natursysteme seien nur neue Moden, die mit jeder Generation wechselten. Und selbst jene, die da vorgeben, sie bewiesen sie auf Grund mathematischer Prinzipien, würden nur kurze Zeit blühn und altmodisch werden, wenn diese Zeit verstrichen sei.
Ich brachte noch fünf weitere Tage in Gesprächen mit vielen der alten Gelehrten hin. Ich sah die meisten der ersten römischen Kaiser. Ich bat den Regenten, mir die Köche Heliogabals zu berufen, damit sie uns ein Diner bereiteten; aber sie konnten uns aus Mangel an Materialien keine grossen Proben ihrer Kunst geben. Ein Helot des Agesilaus machte uns eine Schüssel voll spartanischer Suppe, aber ich war ausserstande, auch nur einen zweiten Löffel hinunterzuwürgen.
Die beiden Herrn, die mich auf die Insel geführt hatten, mussten wegen ihrer Privatangelegenheiten in drei Tagen nach Hause zurückkehren, und ich benutzte diese Zeit, um ein paar der modernen Toten zu sehn, die vor zwei oder dreihundert Jahren in unserm Lande oder in andern Ländern Europas die grössten Rollen gespielt hatten; und da ich stets ein grosser Bewunderer alter, erlauchter Familien gewesen bin, bat ich den Regenten, mir ein oder zwei Dutzend Könige mit ihren Vorfahren zu berufen, so dass sie acht oder neun Generationen ergäben. Aber ich erfuhr eine schwere und unerwartete Enttäuschung. Denn statt eines langen Zuges mit Königsdiademen sah ich in einem einzigen Hause zwei Fiedler, drei geschniegelte Hofleute und einen italienischen Prälaten. In einem andern einen Barbier, einen Abt und zwei Kardinäle. Ich hege zu viel Ehrfurcht vor gekrönten Häuptern, um länger bei einem so heiklen Gegenstand zu verweilen. Bei den Grafen, Marquis, Herzögen und dergleichen war ich nicht so bedenklich. Und ich gestehe, nicht ohne Vergnügen sah ich, dass ich imstande war, die besondern Züge, durch die gewisse Familien sich auszeichnen, auf ihren Ursprung zurückzuverfolgen. Deutlich konnte ich erkennen, woher die eine Familie ihr langes Kinn hat, weshalb eine zweite durch zwei Generationen so viele Halunken aufwies, und durch zwei weitere so viele Narren; weshalb eine dritte aus lauter Verrückten zu bestehn schien, und eine vierte aus lauter Schwindlern. Woher es kam, dass Polydorus Virgilius von einem grossen Hause sagt: Nec vir fortis nec femina casta. Wie Grausamkeit, Falschheit und Feigheit die vorstechenden Züge wurden, durch die sich gewisse Familien ebenso sehr unterscheiden, wie durch ihr Wappen. Wer zuerst die Pocken in ein edles Haus einführte, die sich dann in skrofulösen Geschwüren auf die Nachwelt vererbten. Auch konnte ich mich über all das nicht mehr wundern, als ich sah, wie oft diese Stammbäume unterbrochen waren von Pagen, Lakaien, Kammerdienern, Kutschern, Wüstlingen, Fiedlern, Schauspielern, Hauptleuten und Taschendieben.
Die moderne Geschichte erweckte mir vor allem Abscheu. Denn als ich alle Persönlichkeiten, die während der letzten hundert Jahre am Hof der Fürsten die grössten Namen geführt hatten, bis ins Mark hinein prüfte, da erkannte ich, dass die Welt von feilen Schreibern irre geleitet war, so dass sie Feiglingen die grössten Kriegstaten, Narren die weisesten Ratschläge, Schmeichlern Aufrichtigkeit, Verrätern ihres Landes römische Tugend, Atheisten Frömmigkeit, Sodomitern Keuschheit, Denunzianten Wahrhaftigkeit zuschrieb. Wie viele unschuldige und ausgezeichnete Personen waren durch die Ränke, mit denen grosse Minister auf die Bestechlichkeit der Richter einwirkten, und durch die Tücke der Parteien zum Tode oder zur Verbannung verurteilt worden! Wie viele Schurken waren erhöht worden zu den höchsten Stellungen des Vertrauens, der Macht, der Würde und des Gewinns: Welchen grossen Anteil an den Vorschlägen und Ereignissen an Höfen, in Ratsversammlungen und Senaten konnten Kupplerinnen, Huren, Kuppler, Schmarotzer und Hanswürste für sich in Anspruch nehmen! Eine wie niedrige Meinung bekam ich von menschlicher Weisheit und Unbestechlichkeit, als ich wahrheitsgemäss über die Triebfedern und Motive grosser Unternehmungen und Umwälzungen in der Welt und über die verächtlichen Zufälle, denen sie ihren Erfolg verdankten, aufgeklärt wurde.
Hier erkannte ich die Halunkerei und Unwissenheit derer, die angeblich ›Anekdoten‹ oder geheime Geschichte schreiben: sie schicken so viele Könige mit einem Becher Gifts ins Grab; sie wiederholen die Unterhaltung eines Fürsten mit seinem Minister, der doch kein Zeuge beiwohnte; sie entriegeln die Gedanken und die Geheimschränke der Gesandten und Staatssekretäre und haben ewig das Unglück, sich zu irren. Hier entdeckte ich die wahren Ursachen vieler grosser Ereignisse, die die Welt überraschten: wie eine Hure die Hintertreppe beherrscht, die Hintertreppe einen Staatsrat, und der Staatsrat einen Senat. Ein General gestand in meiner Gegenwart, dass er einmal einzig kraft seiner Feigheit und schlechten Führung einen Sieg gewann; ein Admiral, dass er aus Mangel an richtiger Verständigung den Feind schlug, dem er die Flotte verraten wollte. Drei Könige versicherten mir, dass sie in ihrer ganzen Regierung nicht ein einziges Mal einen verdienstvollen Mann befördert hätten, es sei denn aus Versehn oder infolge der Verräterei irgend eines Ministers, dem sie vertrauten: auch würden sie es niemals tun, wenn sie noch einmal leben sollten. Und sie bewiesen mir mit grosser Schlagkraft ihrer Argumente, dass der Königsthron sich nicht ohne Korruption halten liesse, weil jenes positive, zuversichtliche, widerspenstige Temperament, das die Tugend dem Menschen einflösse, für die öffentlichen Geschäfte ein beständiger Hemmschuh sei.
Ich war neugierig genug, um sehr genau danach zu forschen, auf welche Weise grosse Scharen sich hohe Ehrentitel und ungeheure Besitztümer verschafft hätten, und ich beschränkte meine Untersuchung auf eine sehr moderne Periode; um mich aber nicht an der Gegenwart zu reiben, denn ich wollte sicher gehn, auch bei Ausländern keinen Anstoss zu erregen (ich hoffe, ich brauche nicht erst zu sagen, dass ich mit dem, was ich bei dieser Gelegenheit sage, nicht im geringsten mein eignes Land meine), wurde eine grosse Anzahl beteiligter Personen berufen, und schon nach kurzer Forschung erkannte ich ein solches Schauspiel der Gemeinheit, dass ich nicht ohne Ernst darüber nachdenken kann. Verräterei, Bedrückung, Bestechung, Betrug, Kuppelei und ähnliche Schwächen standen noch unter den entschuldbarsten Kunstgriffen, die sie zu erwähnen hatten; und für diese zeigte ich, wie es nur vernünftig war, die grösste Nachsicht. Als aber einige gestanden, dass sie ihre Grösse und ihren Reichtum widernatürlicher Unzucht und Blutschande verdankten, andre der Prostitution ihrer eignen Weiber und Töchter; wieder andre dem Verrat am eignen Lande oder an ihrem Fürsten; manche dem Gift, manche der Irreleitung der Gerechtigkeit, durch die sie Unschuldige zu Grunde richteten: ich hoffe, man wird mir vergeben, wenn diese Entdeckungen mich geneigt machten, jene tiefe Verehrung ein wenig einzuschränken, die ich Leuten von hohem Stande von Natur aus gern entgegenbringe, da sie von uns, den Niedrigerstehenden, mit der höchsten Achtung behandelt werden sollten, wie sie ihrer erlauchten Würde gebührt.
Ich hatte oft von grossen Diensten gelesen, die Fürsten und Staaten geleistet wurden, und ich wünschte die Personen zu sehn, durch die diese Dienste vollbracht worden waren. Auf meine Frage erfuhr ich, dass ihre Namen mit wenigen Ausnahmen nicht bekannt sind; und jene Ausnahmen hat die Geschichte als die gemeinsten Halunken und Verräter dargestellt. Was den Rest anging, so hatte ich nie von ihnen gehört. Sie alle erschienen mit gesenkten Blicken und in elendester Kleidung, und die meisten sagten mir, sie seien in Armut und Schande gestorben; die andern aber auf dem Schaffot oder am Galgen.
Unter andern sah ich eine Persönlichkeit, deren Fall mir recht sonderbar zu sein schien. Zu seiner Seite stand ein Jüngling von etwa achtzehn Jahren. Er sagte mir, er sei viele Jahre hindurch Befehlshaber eines Schiffes gewesen, und in der Seeschlacht von Aktium habe er das Glück gehabt, die grosse Schlachtlinie des Feindes zu durchbrechen, drei ihrer grössten Schiffe in den Grund zu bohren und ein viertes zu entern; das sei die einzige Ursache gewesen, weshalb Antonius floh und sie den Sieg gewannen; der Jüngling an seiner Seite, sein einziger Sohn, sei im Gefecht gefallen. Er fügte hinzu, im Bewusstsein einiger Verdienste sei er nach Beendigung des Krieges nach Rom gegangen und habe am Hof des Augustus gebeten, man möge ihn durch die Verleihung eines grössern Schiffes befördern, dessen Befehlshaber gefallen war; aber ohne Rücksicht auf seine Ansprüche sei es einem Jüngling verliehn worden, der das Meer noch nie gesehn hatte; es war der Sohn der Libertina, die eine der Geliebten des Kaisers bediente. Als er auf sein eignes Schiff zurückkehrte, sei er der Vernachlässigung seiner Pflicht angeklagt worden, und das Schiff wurde einem Lieblingspagen Publicolas, des Vize-Admirals, verliehen. Er aber habe sich auf einem ärmlichen Bauernhof in grosser Ferne von Rom zurückgezogen und dort sein Leben beschlossen. Ich war so begierig, mir die Wahrheit dieser Geschichte bestätigen zu lassen, dass ich bat, Agrippa zu berufen, denn der war in jener Schlacht Admiral gewesen. Er erschien und bestätigte mir den ganzen Bericht, doch stellte er den Vorfall noch weit mehr zum Vorteil des Schiffshauptmanns dar, dessen Bescheidenheit einen grossen Teil seiner Verdienste geschmälert oder verschwiegen hatte.
Ich war überrascht, als ich sah, dass die Verderbnis in jenem Kaiserreich so schnell zu solcher Höhe angewachsen war, und zwar kraft der so spät eingeführten Üppigkeit. Ich wunderte mich jetzt weniger über ähnliche Dinge in andern Ländern, wo allerlei Laster schon so viel länger geherrscht hatten und wo stets der Oberbefehlshaber den ganzen Ruhm und den ganzen Raub davontrug, obwohl er vielleicht auf beides den geringsten Anspruch hatte.
Da jede aufgerufene Persönlichkeit genau in der Gestalt erschien, die sie in der Welt getragen hatte, so kamen mir melancholische Gedanken bei der Beobachtung, wie sehr das Menschengeschlecht innerhalb der letzten hundert Jahre unter uns entartet ist. Wie die Pocken mit all ihren Folgen und unter all ihren Namen jeden Zug eines englischen Gesichts entstellt, den Wuchs der Leiber verkürzt, die Sehnen erschlafft, die Muskeln entkräftet, die Farbe der Haut gebleicht und das Fleisch locker und faul gemacht hatten.
Ich liess mich so weit herab, dass ich bat, es möchten ein paar englische Freisassen von altem Schrot und Korn berufen werden, die einst so berühmt waren wegen der Einfachheit ihrer Sitten, ihrer Nahrung und ihrer Kleidung, wegen der Gerechtigkeit, die ihr Handeln auszeichnete, wegen ihres echten Freiheitssinns, wegen ihrer Tapferkeit und ihrer Liebe zum Lande. Und ich konnte nicht ungerührt bleiben, als ich die Lebenden mit den Toten verglichen hatte und erwog, wie all diese reinen nationalen Tugenden von ihren Enkeln um eine Münze prostituiert worden waren: denn sie haben sich durch den Verkauf ihrer Stimmen und ihre Willfährigkeit bei den Wahlen jedes Laster und jede Korruption zu eigen gemacht, die man an einem Hof erlernen kann.