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Der Verfasser bemüht sich, die Sprache zu lernen; sein Herr hilft dabei, ihn zu unterrichten. Schilderung der Sprache. Mehrere Houyhnhnms von Stande kommen aus Neugier, um sich den Verfasser anzusehn. Er erstattet seinem Herrn kurz Bericht über seine Reise.
Es war mein Hauptbestreben, zunächst die Sprache zu lernen, und darin wünschten mein Herr (denn so werde ich ihn hinfort nennen) und seine Kinder und alle Diener seines Hauses mich zu unterrichten. Denn sie sahen es als ein Wunder an, dass ein vernunftloses Tier soviel von einem vernünftigen Geschöpf haben konnte. Ich zeigte auf alle Gegenstände und fragte nach ihren Namen, die ich mir, wenn ich allein war, in meinem Tagebuch aufschrieb; meine schlechte Aussprache verbesserte ich, indem ich die Mitglieder bat, sie mir oft vorzusprechen. In dieser Beschäftigung zeigte sich ein Fuchsklepper, einer der geringern Diener, sehr zur Hilfe bereit.
Sie sprachen beim Reden durch die Nase und die Kehle, und von allen europäischen Sprachen, die ich kenne, nähert sich die ihre am meisten dem Deutschen an; doch ist sie anmutiger und bezeichnender. Der Kaiser Karl V. machte fast die gleiche Bemerkung, als er sagte, wenn er mit seinem Pferd zu reden hätte, würde er Deutsch sprechenKarl V. sagte, seinen Gott würde er spanisch anreden, seine Geliebte italienisch, sein Pferd deutsch..
Bei meinem Herrn waren Neugier und Ungeduld so gross, dass er viele seiner Mussestunden damit hinbrachte, mich zu unterrichten. Er war überzeugt (wie er mir später sagte), dass ich ein Yahoo sein müsste, aber meine Gelehrigkeit, Höflichkeit und Sauberkeit erstaunten ihn; denn das waren Eigenschaften, die jenen Tieren geradezu widersprachen. Völlig ratlos war er in betreff meiner Kleider, und bisweilen überlegte er sich bei sich selber, ob sie ein Teil meines Körpers seien: denn ich zog sie niemals aus, bevor nicht die ganze Familie schlafen gegangen war, und ehe sie am Morgen erwachten, zog ich sie wieder an. Mein Herr war begierig darauf, zu erfahren, woher ich käme und wie ich mir jenen Schein von Vernunft erworben hätte, den ich in all meinen Handlungen verriet; und er wollte meine Geschichte aus meinem eignen Munde erfahren, was er bei den grossen Fortschritten in der Erlernung und Aussprache ihrer Worte und Sätze, die ich machte, bald zu tun hoffen konnte. Um mein Gedächtnis zu unterstützen, setzte ich alles, was ich lernte, mit Hilfe des englischen Alphabetes um und schrieb mir die Worte mit ihren Uebersetzungen nieder. Nach einiger Zeit wagte ich das sogar in Gegenwart meines Herrn zu tun. Es kostete mich viel Mühe, ihm klar zu machen, was ich täte; denn die Eingeborenen haben nicht die geringste Vorstellung von Büchern oder von einer Literatur.
In etwa zehn Wochen war ich imstande, die meisten seiner Fragen zu verstehn, und in drei Monaten konnte ich ihm ein paar erträgliche Antworten geben. Er war äusserst neugierig, aus welchem Teil des Landes ich käme und wie ich gelernt hätte, ein vernünftiges Wesen nachzuahmen, denn die Yahoos (denen ich, wie er sah, an Kopf, Händen und Gesicht, den einzigen sichtbaren Teilen, aufs genaueste glich) waren trotz ihrer scheinbaren Schlauheit und dem stärksten Hang zum Unheilstiften als die ungelehrigsten aller Bestien bekannt. Ich antwortete ihm, ich sei mit vielen andern meiner eignen Art aus einem fernen Lande übers Meer gekommen, und zwar in einem grossen, hohlen Fahrzeug, das aus Baumstämmen gemacht werde. Meine Gefährten hätten mich gezwungen, an dieser Küste zu landen, und mich dann meiner eignen Sorge überlassen. Nur mit grosser Mühe und mit Hilfe vieler Zeichen konnte ich mich verständlich machen. Er sagte, ich müsste mich notwendig irren oder ich sage, »was nicht sei«. (Denn sie haben in ihrer Sprache kein Wort, das Lügen oder Unwahrhaftigkeit bedeutet.) Er wisse, es könne jenseits des Meeres unmöglich noch ein Land liegen, und unmöglich könne auch eine Bande vernunftloser Bestien auf dem Wasser ein hölzernes Fahrzeug bewegen, wohin sie wollten. Er sei überzeugt, dass kein lebender Houyhnhnm ein solches Fahrzeug machen könne, und wenn, so würde er es keinen Yahoos anvertrauen.
Das Wort Houyhnhnm bezeichnet in ihrer Sprache ein Pferd, und etymologisch bedeutet es: »die Vollendung der Natur«. Ich sagte meinem Herrn, ich sei um den Ausdruck verlegen, doch werde ich so schnelle Fortschritte machen, wie nur möglich, und hoffe, ihm in Kürze Wunder berichten zu können: er geruhte, seine eigne Stute und die beiden Fohlen nebst den Dienern seines Hauses anzuweisen, dass sie jede Gelegenheit ergreifen sollten, mich zu unterrichten; und jeden Tag machte er sich zwei oder drei Stunden lang selbst die Mühe. Mehrere vornehme Hengste und Stuten der Umgegend kamen oft in unser Haus, als sich das Gerücht von einem wundervollen Yahoo verbreitete, der reden könne wie ein Houyhnhnm und der in seinen Worten und Handlungen einen Schimmer von Vernunft verrate. Es machte ihnen grosse Freude, sich mit mir zu unterhalten: sie stellten mir viele Fragen, und ich gab ihnen die Antworten, die ich geben konnte. Infolge all dieser Vergünstigungen machte ich so schnelle Fortschritte, dass ich fünf Monate nach meiner Landung alles verstand, was gesprochen wurde, und mich auch einigermassen gut ausdrücken konnte.
Die Houyhnhnms, die meinen Herrn besuchten, um mich zu sehn und mit mir zu plaudern, konnten kaum glauben, dass ich ein wirklicher Yahoo sei, weil mein Körper eine Oberfläche zeigte, die sich so sehr von der andrer meiner Art unterschied. Sie sahen mit Staunen, dass ich nicht die gewöhnliche Behaarung noch die Haut der andern zeigte, es sei denn auf dem Kopf, im Gesicht und an den Händen; doch enthüllte ich meinem Herrn dieses Geheimnis gelegentlich eines Zufalls, der sich vor etwa vierzehn Tagen ereignet hatte.
Ich habe dem Leser schon gesagt, dass es meine Sitte war, mich allnächtlich, wenn die Familie schlafen gegangen war, auszuziehn und mit meinen Kleidern zuzudecken: eines Morgens nun geschah es, dass mein Herr in aller Frühe den Fuchsklepper, seinen Kammerdiener, nach mir ausschickte; als aber der zu mir kam, lag ich in festem Schlaf, meine Kleider waren auf der einen Seite herabgeglitten, und mein Hemd hatte sich bis über die Hüften hinaufgestreift. Ich erwachte von dem Geräusch, das er machte, und bemerkte, dass er seine Botschaft in einiger Verwirrung ausrichtete; dann eilte er zu seinem Herrn und erstattete ihm einen sehr wirren Bericht von dem, was er gesehn hatte. Ich entdeckte das bald, denn als ich, sowie ich angezogen war, zu Seinen Gnaden ging, um ihm meine Aufwartung zu machen, fragte er mich nach dem Sinn dessen, was sein Diener ihm berichtet hatte, dass ich nämlich im Schlaf nicht derselbe sei, als der ich zu andern Zeiten erscheine; sein Kammerdiener habe ihm versichert, ein Teil von mir sei weiss, ein Teil gelb oder wenigstens nicht so weiss, und ein Teil braun.
Ich hatte das Geheimnis meiner Kleidung bisher verborgen gehalten, um mich so viel wie möglich von jenem verfluchten Geschlecht der Yahoos zu unterscheiden. Jetzt aber schien es mir vergeblich, das noch länger fortzusetzen. Ausserdem erwog ich, dass meine Kleider und Schuhe bald abgenutzt sein würden, denn sie verfielen bereits; und dass ich sie auf irgend eine Weise durch das Fell der Yahoos oder andrer Tiere ersetzen musste; dann würde das ganze Geheimnis ja doch bekannt. Ich sagte also meinem Herrn, in dem Lande, aus dem ich käme, bedeckten die Wesen meiner Art ihren Leib stets mit dem Haar gewisser Tiere, das künstlich zubereitet werde; und zwar sowohl um der Schicklichkeit willen, wie auch um der Unbill der Witterung in Hitze und Kälte zu entgehen; davon wolle ich ihn, soweit es sich um meine eigne Person handle, sofort überzeugen, wenn er es mir zu befehlen geruhn sollte: und ich bäte ihn nur um Entschuldigung, wenn ich ihm nicht auch diejenigen Körperteile entblösste, die die Natur uns zu verbergen lehrte. Er sagte, meine Worte seien ganz merkwürdig, besonders aber die letzten; denn er könne nicht verstehn, weshalb die Natur uns lehren sollte, etwas zu verbergen, was die Natur uns gegeben hätte. Weder er noch die Seinen schämten sich irgend eines Körperteils; ich könne es jedoch halten, wie ich wolle. Daraufhin knöpfte ich zunächst meinen Rock auf und zog ihn aus. Desgleichen tat ich mit meiner Weste, und ebenso zog ich Schuhe, Strümpfe und Hose aus. Das Hemd liess ich bis auf die Hüften herab, und unten hob ich es hoch, indem ich es mir wie einen Gürtel um die Lenden schlang, um meine Blösse zu bedecken.
Mein Herr sah der ganzen Verrichtung mit den grössten Zeichen der Neugier und Bewunderung zu. Er nahm all meine Kleider in die Fussfessel und sah sie sich Stück für Stück sehr aufmerksam an; dann strich er mir sehr sanft über den Körper und besah mich mehrmals von allen Seiten; und schliesslich sagte er, es sei klar, dass ich ein vollkommener Yahoo sei; nur unterscheide ich mich sehr von dem Rest meiner Gattung durch die Weichheit und Weisse und Glätte meiner Haut, durch das Fehlen der Behaarung an allerlei Körperteilen, durch die Form und Kürze meiner Vorder- und Hinterklauen, und durch die Ziererei, dass ich beständig auf meinen beiden Hinterfüssen ginge. Mehr begehrte er nicht zu sehn, und also gab er mir die Erlaubnis, meine Kleider wieder anzuziehn; denn ich bebte vor Kälte.
Ich sagte ihm, wie unruhig es mich machte, dass er mir beständig die Bezeichnung eines Yahoos beilegte, eines scheusslichen Tiers, für das ich einen so ausgesprochenen Hass und eine so grosse Verachtung empfände. Ich bat ihn, er möchte mich doch hinfort nicht mehr so nennen und es auch in seiner Familie und unter seinen Freunden verbieten, denen er erlaube, mich zu sehn. Ich bat ihn auch, das Geheimnis, dass ich eine falsche Hülle auf meinem Leibe trüge, niemandem sonst zu verraten, wenigstens nicht, solange meine gegenwärtige Kleidung halten würde; denn dem Fuchsklepper, seinem Kammerdiener, könne Seine Gnaden befehlen, zu verbergen, was er gesehn habe.
In all das willigte mein Herr sehr huldvoll ein, und so wurde das Geheimnis bewahrt, bis meine Kleider zu zerfallen begannen; da aber war ich gezwungen, durch allerlei Auskunftsmittel, die weiterhin erwähnt werden sollen, Ersatz zu schaffen. Inzwischen, so bat er mich, möchte ich mit grösstem Eifer fortfahren, ihre Sprache zu lernen, denn ihn erstaune meine Begabung für die Rede und für vernünftiges Denken mehr als die Gestalt meines Leibes, einerlei ob er verhüllt sei oder nicht; und er fügte hinzu, er warte mit einiger Ungeduld darauf, die Wunder zu hören, die ich ihm zu erzählen versprochen hätte.
Hinfort gab er sich doppelte Mühe bei meinem Unterricht; er führte mich in jede Gesellschaft und liess mich mit viel Höflichkeit behandeln, denn das, so sagte er den Leuten insgeheim, würde mich in gute Laune versetzen und mich noch unterhaltsamer machen.
Jeden Tag pflegte er, wenn ich ihm meine Aufwartung machte, abgesehn von der Mühe, die er sich mit dem Unterricht gab, mir noch mehrere Fragen über mich selbst zu stellen, die ich, so gut ich konnte, beantwortete; und auf diese Weise hatte er allmählich einige, wenn auch sehr unvollkommene allgemeine Begriffe erworben. Es würde mich zu weit führen, wenn ich all die verschiedenen Schritte angeben wollte, durch die ich bis zu einer zusammenhängendern Unterhaltung fortschritt. Aber der erste irgendwie geordnete und ausführliche Bericht, den ich über mich selber gab, hatte etwa folgenden Inhalt.
Ich sei, wie ich bereits versucht habe, ihm zu erzählen, mit etwa fünfzig weitern Angehörigen meiner Gattung aus einem sehr fernen Lande gekommen; wir seien in einem grossen, hohlen, aus Holz gefertigten Fahrzeug, das umfangreicher sei als das Haus seiner Gnaden, über die Meere gefahren. Ich beschrieb ihm das Schiff mit den besten Ausdrücken, die ich zu finden vermochte, und erklärte mit Hilfe meines ausgespannten Taschentuchs, wie es vom Winde vorwärts getrieben würde. Infolge eines Streits unter uns sei ich an dieser Küste an Land gesetzt worden, und ohne zu wissen wohin, darauf los gegangen, bis er mich vor der Verfolgung dieser scheusslichen Yahoos gerettet habe. Er fragte mich, wer das Schiff gemacht habe und wie es möglich sei, dass die Houyhnhnms meines Landes es den Händen vernunftloser Tiere überliessen. Meine Antwort lautete, ich wage in meinem Bericht nicht fortzufahren, es sei denn, er gebe mir sein Ehrenwort, nicht beleidigt zu sein; dann wolle ich ihm die Wunder erzählen, die ich ihm so oft versprochen habe. Er war bereit, und ich versicherte ihm, indem ich fortfuhr, dass das Schiff von Geschöpfen gemacht worden sei, die mir glichen; und diese Geschöpfe seien in allen Ländern, die ich bereist hätte, wie auch in meiner Heimat die einzigen herrschenden, vernünftigen Tiere. Als ich hierher kam, sei ich ebenso erstaunt gewesen, zu sehn, dass die Houyhnhnms gleich vernünftigen Wesen handelten, wie er oder seine Freunde sich wundern könnten, einige Spuren von Vernunft in einem Geschöpf zu entdecken, das ihm einen Yahoo zu nennen beliebe; ich gebe zu, dass ich diesen Wesen in allen Körperteilen ähnlich sehe, aber ihre entartete und viehische Natur könne ich mir nicht erklären. Ich sagte ferner, wenn mich das Glück je wieder in meine Heimat führte, so dass ich dort meine Reisen in diese Länder berichten könnte, so würde jedermann glauben, ich »sage, was nicht sei«; ich habe die Geschichte in meinem eignen Kopf erfunden; und, mit aller Achtung vor ihm, seiner Familie und seinen Freunden, und nur auf Grund seines Versprechens, nicht beleidigt zu sein, spreche ich es aus, unsre Landsleute würden es kaum für wahrscheinlich halten, dass in irgend einer Nation der Houyhnhnm das herrschende Geschöpf sein könne, und der Yahoo das Vieh.