Jonathan Swift
Gullivers Reisen
Jonathan Swift

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Kapitel X.

Lob der Luggnaggianer. Eine genaue Schilderung der Struldbrugs nebst vielen Unterhaltungen zwischen dem Verfasser und einigen hervorragenden Persönlichkeiten über dieses Thema.

Die Luggnaggianer sind ein höfliches und grossmütiges Volk, und obwohl sie nicht ganz von jenem Stolz frei sind, der allen östlichen Ländern gemeinsam ist, so zeigen sie sich doch höflich gegen Fremde, besonders solche, die vom Hof begünstigt werden. Ich schloss viele Bekanntschaften unter Leuten der besten Stände, und da ich stets von meinem Dolmetsch begleitet wurde, so waren die Gespräche, die wir führten, nicht unangenehm.

Eines Tages wurde ich in sehr guter Gesellschaft von einer Person von Stande gefragt, ob ich schon Angehörige ihrer »Struldbrugs« oder »Unsterblichen« gesehn hätte. Ich verneinte und bat ihn, mir zu erklären, was es bedeutete, wenn einem Sterblichen eine solche Bezeichnung beigelegt würde. Er sagte mir, es begäbe sich von Zeit zu Zeit, wenn auch sehr selten, dass in einer Familie ein Kind mit einem kreisrunden roten Fleck auf der Stirn geboren werde; er liege genau über der linken Augenbraue und sei ein unfehlbares Zeichen, dass es nie sterben würde. Der Fleck war nach seiner Schilderung etwa so gross wie ein silbernes Dreipennystück; doch im Laufe der Zeit wird er grösser und verwandelt auch seine Farbe; denn im zwölften Lebensjahr wird er grün, und so bleibt er bis zum fünfundzwanzigsten, um dann tiefblau zu werden; mit fünfundvierzig wird er kohlschwarz und so gross wie ein englischer Schilling; hinfort aber bleibt er unverändert. Er sagte, solche Geburten seien so selten, dass er glaube, es könne im ganzen Königreich nicht über elfhundert Struldbrugs beiderlei Geschlechts geben; und davon rechnete er etwa fünfzig auf die Hauptstadt, unter ihnen war ein vor etwa drei Jahren geborenes Mädchen. Diese Geburten seien keine Eigentümlichkeit bestimmter Familien, sondern die Wirkung des Zufalls; und die Kinder der Struldbrugs selber seien sterblich wie der Rest des Volks.

Ich gestehe offen, dass mich unsägliches Entzücken erfasste, als ich diesen Bericht hörte; und da jener Mann, der ihn mir gab, zufällig auch die Sprache von Balnibarbi verstand, die ich recht gut sprach, so konnte ich mich nicht enthalten, in vielleicht ein wenig zu überschwängliche Reden auszubrechen. Ich rief wie in Verzückung: »Glückliches Volk, in dem jedes Kind wenigstens die Möglichkeit hat, unsterblich zu werden! Glückliches Land, das sich so vieler lebendiger Beispiele alter Tugend erfreut und Lehrer besitzt, um in der Weisheit aller frühern Zeiten zu unterrichten! Über allen Vergleich am glücklichsten jedoch sind jene ausgezeichneten Struldbrugs selber, die da geboren werden, frei von jenem allgemeinen Unheil der Menschennatur; deren Geist ungebunden und losgelöst ist, ledig der Last und der Fessel des Muts, wie sie die ständige Furcht vor dem Tode zur Folge hat!« Ich gab meinem Erstaunen Ausdruck, dass ich keine dieser erlauchten Personen bei Hofe bemerkt hatte; denn der schwarze Fleck auf der Stirn sei ein so auffälliges Zeichen, dass ich sie nicht leicht übersehn haben könne; es sei unmöglich, dass Seine Majestät, ein so verständiger Fürst, sich nicht von einer ganzen Anzahl solcher weisen und tüchtigen Ratgeber umringen liesse. Doch vielleicht sei auch die Tugend dieser ehrwürdigen Weisen zu streng für die verderbten und frivolen Sitten eines Hofs. Und oft finden wir durch Erfahrung heraus, dass junge Leute zu eigenwillig und zu flatterhaft sind, um sich durch die nüchternen Vorschriften Älterer leiten zu lassen. Da aber der König geruhe, mir Zutritt zu seiner königlichen Person zu gewähren, so sei ich entschlossen, ihm bei der ersten Gelegenheit mit Hilfe meines Dolmetsch in diesem Punkt offen und ausführlich meine Meinung zu sagen; und ob er nun geruhn würde, meinen Rat anzunehmen oder nicht, so stehe doch in einem Punkt mein Entschluss schon fest; Seine Majestät nämlich habe mir oft in seinem Lande eine Versorgung angeboten, und jetzt würde ich diese Gunst mit grossem Dank annehmen, um mein Leben hier im Gespräch mit diesen höhern Wesen, den Struldbrugs, zu verbringen, wenn sie mich unter sich aufzunehmen geruhen sollten.

Der Herr, an den ich meine Rede richtete (denn, wie ich bereits bemerkt habe, sprach er die Sprache von Balnibarbi), erwiderte mit einem bestimmten Lächeln, wie es meist dem Mitleid mit Unwissenden entspringt, er freue sich jeder Gelegenheit, mich im Lande festzuhalten, und er bat mich um Erlaubnis, der Gesellschaft auseinanderzusetzen, was ich gesprochen hätte. Er tat es, und sie sprachen eine Weile unter einander in ihrer eignen Sprache, von der ich keine Silbe verstand; auch konnte ich es ihnen nicht vom Gesicht ablesen, welchen Eindruck meine Worte auf sie machten. Nach einem, kurzen Schweigen sagte mir dieselbe Persönlichkeit, seine Freunde und meine (so fand es es für gut sich auszudrücken) seien sehr erfreut über die verständigen Bemerkungen, die ich über die grossen Vorzüge unsterblichen Lebens und über das Glück, das sich daraus ergeben müsste, gemacht hätte; und sie seien begierig, im einzelnen zu erfahren, welchen Lebensplan ich mir vorgezeichnet hätte, wenn mir das Los zugefallen wäre, als Struldbrug geboren zu sein. Ich erwiderte, es sei leicht, sich beredt über ein so ausgiebiges und reizvolles Thema zu äussern, zumal für mich, der oft dazu geneigt hätte, sich Bilder dessen auszumalen, was er tun würde, wenn er König, General oder ein grosser Herr wäre: und sogar in diesem ganz besondern Fall hatte ich mir oft einen ausführlichen Plan entworfen, wie ich mich beschäftigen und die Zeit hinbringen würde, wenn ich sicher wäre, ewig zu leben.

»Wenn ich also das Glück gehabt hätte, als Struldbrug in die Welt zu kommen, so würde ich, sobald ich mein eignes Glück begreifen könnte, indem ich begriffe, welch ein Unterschied zwischen Leben und Tod besteht, zunächst auf jede Weise und durch jeden Kunstgriff das Problem lösen, mir Reichtümer zu verschaffen. Durch dieses Streben könnte ich wohl erwarten, vermöge von Sparsamkeit und kluger Verwaltung in zweihundert Jahren der reichste Mann im Königreich zu sein. An zweiter Stelle würde ich mich von frühester Jugend an dem Studium der Künste und Wissenschaften widmen, so dass ich mit der Zeit alle andern an Gelehrsamkeit übertreffen müsste. Schliesslich würde ich mir sorgfältig jede bedeutende Tat und jedes wichtige Ereignis aufzeichnen, das der Allgemeinheit widerführe, und unparteiisch die Charaktere der verschiedenen Generationen der Fürsten und grossen Staatsminister schildern, versehn von Punkt zu Punkt mit meinen eignen Anmerkungen. Ich würde mir auch genau die verschiedenen Wandlungen in den Sitten, der Sprache, den Kleidermoden, der Ernährung und der Vergnügungen vermerken. Vermöge all dieser Kenntnisse würde ich zu einem lebendigen Schatz des Wissens und der Weisheit und sicherlich zum Orakel der Nation werden.

Ich würde mich nach meinem sechzigsten Lebensjahr nicht wieder verheiraten, aber ein gastfreies Leben führen, doch immer noch sparend. Ich würde mich damit unterhalten, dass ich den Geist hoffnungsvoller junger Männer formte und lenkte, indem ich sie aus meiner eignen Erinnerung, Erfahrung und Beobachtung heraus, unterstützt von zahlreichen Beispielen, vom Nutzen der Tugend im öffentlichen und privaten Leben überzeugte. Meine auserwählten und beständigen Freunde aber sollten in einer Gesellschaft aus meiner eignen unsterblichen Brüderschaft bestehn, unter denen ich mir ein Dutzend auslesen würde, von den ältesten an bis herab zu meinen eignen Zeitgenossen. Falls es einigen von ihnen an Vermögen fehlen sollte, so würde ich sie rings um meine eignen Besitzungen mit bequemen Häuschen versehn, und einige von ihnen würde ich immer an meiner Tafel haben und nur ein paar der wertvollsten von euch Sterblichen heranziehn; die lange Dauer der Zeit aber würde mich verhärten, so dass ich euch ohne oder doch mit nur geringem Widerstreben verlöre; und eure Nachkommenschaft würde ich in gleicher Weise behandeln; genau wie der Mensch sich freut an der jährlichen Folge der Nelken und der Tulpen im Garten, ohne den Verlust derer zu beklagen, die im vorigen Jahr verwelkten.

Diese Struldbrugs und ich, wir würden uns gegenseitig unsre Beobachtungen und Erinnerungen mitteilen, und im Laufe der Zeit würden wir die verschiedenen Abstufungen erkennen, durch die sich die Korruption in die Welt stiehlt; und wir würden ihr bei jedem Schritt durch dauernde Warnung und durch die Belehrung der Menschheit entgegen treten; und das würde, verstärkt durch den starken Einfluss unsres eignen Beispiels, wahrscheinlich jene beständige Entartung hindern, über die man in allen Zeitaltern mit so viel Recht geklagt hat.

Man nehme noch das Vergnügen hinzu, dass wir den mannigfaltigen Umwälzungen der Staaten und Reiche zusähen, den Verwandlungen in der untern und der obern Welt: wie alte Städte in Trümmer fallen und unbekannte Dörfer zu Königssitzen werden. Berühmte Ströme schwinden zu flachen Bächen zusammen, der Ozean lässt eine Küste trocken liegen und überschwemmt eine andre: viele noch unbekannte Länder werden entdeckt. Die Barbarei überflutet die kultiviertesten Nationen, und die barbarischsten werden zivilisiert. Ich würde die Entdeckung der Länge erleben, die des Perpetuum mobile und des Allheilmittels, und viele andre grosse Erfindungen würden zur Vollkommenheit gebracht.

Welche wunderbaren Entdeckungen würden wir in der Astronomie machen, indem wir unsre eignen Prophezeiungen überlebten und bestätigen könnten, und indem wir den Lauf und die Wiederkehr der Kometen beobachteten, samt dem Wandel in den Bewegungen der Sonne, des Mondes und der Sterne.«

Ich liess mich noch über viele andre Themen ausführlich aus, die der natürliche Wunsch nie endenden Lebens und irdischen Glücks in mir anregte. Und als ich fertig war und der Inhalt meiner Rede wie zuvor dem Rest der Gesellschaft verdolmetscht wurde, folgte viel Gerede in der Sprache des Landes, und es wurde nicht wenig auf meine Kosten gelacht. Schliesslich aber sagte der Herr, der mein Dolmetsch gewesen war, die andern hätten ihn gebeten, mich in einigen Irrtümern zu berichtigen, denen ich durch die allgemeine Dummheit der Menschennatur verfallen sei und die sie mir unter eben dieser Entschuldigung weniger hart anrechneten. Dieses Geschlecht der Struldbrugs sei ihrem Lande eigentümlich, denn es gebe weder in Balnibarbi noch in Japan, wo er die Ehre gehabt hätte, Gesandter Seiner Majestät zu sein, solche Leute, und die Eingeborenen dieser beiden Königreiche wollten kaum glauben, dass die Tatsache möglich sei; es erhelle auch aus dem Staunen, mit dem ich die erste Erwähnung der Tatsache entgegen genommen habe, dass sie mir etwas ganz Neues sei, was man kaum glauben könne. In den beiden erwähnten Königreichen, in denen er während seines Aufenthalts viel verkehrt habe, habe er stets beobachtet, dass ein langes Leben die allgemeine Sehnsucht und der Wunsch der Menschen sei. Wer schon mit einem Fuss im Grabe stehe, halte sicherlich den andern, so kräftig er könne, zurück. Die ältesten hofften immer, noch einen Tag zu leben, und sie sähen den Tod als das schlimmste Übel an, vor dem zurückzuweichen die Natur sie treibe; nur auf dieser Insel Luggnagg sei die Gier nach dem Leben nicht so gross, weil man das beständige Beispiel der Struldbrugs vor Augen habe.

Der Lebensplan, den ich entworfen habe, sei unvernünftig und unrichtig, weil er die Dauer der Jugend, der Gesundheit und der Kraft voraussetze, die kein Mensch töricht genug sei zu erhoffen, wie ausschweifend seine Wünsche sonst auch sein möchten. Die Frage laute also nicht, ob ein Mensch gern ewig in der Blüte der Jugend stehn möchte, begleitet von äusserm Gedeihn und voller Gesundheit, sondern wie er ein ewiges Leben mit all den Nachteilen leben würde, die das Alter immer mit sich bringt. Denn obwohl wenige Menschen ihren Wunsch nach der Unsterblichkeit unter so harten Bedingungen aufrecht erhalten würden, so beobachtete er doch in den beiden erwähnten Reichen Balnibarbi und Japan, dass jeder Mensch den Tod noch ein wenig länger hinauszuschieben suchte, er komme noch so spät; und selten höre er, dass irgend jemand gern gestorben sei, es sei denn, ihn habe äusserster Gram oder äusserste Qual bedrängt. Und er fragte mich, ob ich nicht in den Ländern, die ich bereist hätte, und auch in meiner eignen Heimat den gleichen allgemeinen Hang beobachtet habe.

Nach dieser Einleitung gab er mir eine genaue Schilderung der Struldbrugs in ihrem Volk. Er sagte, sie verhielten sich bis etwa zu ihrem dreissigsten Jahre gewöhnlich wie Sterbliche; dann aber würden sie allmählich melancholisch und missmutig; und beides nehme zu, bis sie ihr achtzigstes Jahr erreichten. Er habe das aus ihrem eignen Munde erfahren, denn da in jeder Generation nicht mehr als zwei oder drei geboren würden, so seien sie zu wenig zahlreich, um ein allgemeines Urteil über sie zu fällen. Wenn sie achtzig Jahre alt geworden seien, und dieses Alter gelte im Lande sonst als die Grenze des Lebens, so seien sie nicht nur im Besitz all der Narrheiten und Schwächen andrer alter Leute, sondern ihnen eigneten noch viele mehr, die sich aus der grauenhaften Aussicht auf ein ewiges Leben ergäben. Sie seien nicht nur eigensinnig, launenhaft, habgierig, mürrisch, eitel und geschwätzig, sondern auch der Freundschaft unfähig und allen natürlichen Empfindungen erstorben, die sich nie über ihre Enkel hinaus erstreckten. Neid und ohnmächtige Begierden seien ihre herrschenden Leidenschaften. Das Ziel aber, auf das ihr Neid sich meistens richte, seien die Laster der Jüngern und der Tod der Alten. Wenn sie über jene nachdächten, so müssten sie erkennen, dass sie von jeder Möglichkeit des Genusses abgeschnitten seien; und wenn sie ein Begräbnis sehn, so klagen sie und jammern, dass andre in einen Hafen der Ruhe eingehn, den sie selber nie zu erreichen hoffen können. Sie haben keine Erinnerung an irgend etwas ausser an das, was sie in ihrer Jugend und in den mittlern Jahren gelernt und beobachtet haben; und selbst dieses Wissen sei sehr mangelhaft. Wenn man über irgend eine Tatsache die Wahrheit oder von irgend einem Geschehnis Einzelheiten erkunden wolle, so gehe man sicherer, wenn man sich auf die allgemeine Überlieferung verlasse als auf das beste Gedächtnis unter ihnen. Am wenigsten elend seien offenbar noch jene unter ihnen, die völlig kindisch würden und ihr Gedächtnis ganz einbüssten; sie fänden mehr Mitleid und Unterstützung, weil ihnen viele schlechte Eigenschaften fehlten, die andre in Fülle besässen.

Wenn ein Struldbrug etwa ein Wesen seiner eignen Art heirate, so werde die Ehe natürlich durch Vergünstigung gelöst, sobald der Jüngere von beiden achtzig Jahre alt werde. Denn das Gesetz hält es für eine angemessene Erleichterung, dass ein Mann, der ohne eignes Verschulden zu dauerndem Aufenthalt in der Welt verurteilt ist, nicht auch noch infolge der Last eines Weibes doppeltes Elend zu tragen braucht.

Sowie sie das achtzigste Jahr vollendet haben, werden sie gesetzlich als tot angesehn; ihre Erben erhalten sofort ihren Besitz, und nur eine kleine Rente wird für ihren Unterhalt sicher gestellt; die Armen aber werden auf Staatskosten erhalten. Hinfort gelten sie auch als unfähig, noch irgend ein Ehrenamt oder eine besoldete Stellung einzunehmen; sie können kein Land mehr kaufen oder pachten und werden auch in keinem Prozess mehr als Zeugen zugelassen, einerlei, ob es ein Zivil- oder ein Strafprozess ist, und handelte es sich auch nur um die Feststellung von Grenzen und Scheiden.

Mit neunzig Jahren verlieren sie Zähne und Haar; sie haben in diesem Alter auch keine Geschmacksempfindung mehr, sondern essen und trinken, was sie bekommen können, ohne Appetit und Unterscheidung. Die Krankheiten, denen sie unterworfen waren, dauern fort, ohne sich zu steigern noch geringer zu werden. Wenn sie reden, so vergessen sie die gewöhnlichen Namen der Dinge und Personen, selbst derer, die zu ihren engsten Freunden und Verwandten gehören. Aus demselben Grunde können sie nicht mehr zu ihrer Unterhaltung lesen, denn ihr Gedächtnis hilft ihnen nicht mehr vom Anfang eines Satzes bis zu seinem Schluss vorwärts; und dieser Mangel beraubt sie der einzigen Unterhaltung, derer sie sonst noch fähig wären.

Da die Sprache des Landes sich noch in beständigem Fluss befindet; so verstehn die Struldbrugs der einen Generation die der andern nicht mehr, und nach zweihundert Jahren sind sie nicht mehr imstande, sich mit ihren sterblichen Nachbarn zu unterhalten (wenigstens nicht über ein paar allgemeine Worte hinaus); und so lastet der Nachteil auf ihnen, dass sie in ihrem eignen Lande wie Ausländer leben.

Das war der Bericht, den man mir über die Struldbrugs gab, so weit ich mich seiner entsinne. Später sah ich fünf oder sechs von verschiedenem Alter, deren jüngster nicht über zweihundert Jahre alt war; sie wurden mir zu verschiedenen Zeiten von einigen meiner Freunde zugeführt; aber obwohl sie erfuhren, dass ich grosse Reisen gemacht und die ganze Welt gesehn hatte, waren sie nicht im geringsten neugierig und stellten mir keine einzige Frage; sie baten mich nur, ich möchte ihnen »Slumskudask« geben, oder ein Zeichen der Erinnerung; es ist das eine bescheidene Art, zu betteln und das Gesetz, das jede Bettelei streng verbietet, zu umgehn; denn sie werden von der Allgemeinheit erhalten, wenn auch ihr Einkommen sehr kärglich ist.

Sie werden von allen Leuten verachtet und gehasst; wenn einer von ihnen geboren wird, so gilt das als ein schlimmes Zeichen, und es wird über ihre Geburt ein sehr genaues Protokoll aufgenommen. Daher kann man auch ihr Alter erfahren, wenn man die öffentlichen Register nachsieht; doch werden diese Register nicht über tausend Jahre lang aufbewahrt, oder wenigstens sind sie stets durch die Zeit oder durch öffentliche Unruhen vernichtet worden. Am einfachsten freilich kann man ihr Alter berechnen, wenn man sie fragt, welcher Könige oder welcher grossen Persönlichkeiten sie sich entsinnen und dann die Geschichte zu Rate zieht; denn unfehlbar trat der letzte Fürst ihrer Erinnerung seine Regierung nicht später an, als sie achtzig Jahre alt wurden.

Sie boten den demütigendsten Anblick dar, den ich je gesehn hatte, und die Frauen waren noch grauenhafter als die Männer. Abgesehn von den gewöhnlichen Entstellungen des höchsten Alters kam bei ihnen noch eine Geisterhaftigkeit hinzu, die mit der Zahl ihrer Jahre wuchs und die sich nicht schildern lässt. Und unter einem halben Dutzend fand ich bald den ältesten heraus, obwohl sie sich alle vielleicht um nicht mehr als ein oder zwei Jahrhunderte unterschieden.

Der Leser wird es mir leicht glauben, dass mein gieriges Verlangen nach dauerndem Leben durch alles, was ich gesehn und gehört hatte, sehr abgeschwächt wurde. Ich schämte mich von Herzen der heitren Visionen, die ich mir gebildet hatte, und mich dünkte, kein Tyrann könne einen Tod erfinden, in den ich mich nicht freudig vor einem solchen Leben flüchten würde. Der König hörte von allem, was bei dieser Gelegenheit zwischen mir und meinen Freunden vorgefallen war, und er verspottete mich recht lustig und wünschte, ich möchte ein paar Struldbrugs in meine Heimat schicken, um unserm Volk eine Waffe gegen die Furcht vor dem Tode zu geben; doch es scheint, das ist durch die Grundgesetze des Königreichs verboten; sonst hätte ich mir die Mühe und die Kosten des Transports gern gefallen lassen.

Ich konnte nicht umhin, anzuerkennen, dass die Gesetze des Königreichs über die Struldbrugs auf den stärksten Gründen fussten, und dass jedes andre Land gezwungen sein würde, unter den gleichen Umständen auch die gleichen Vorschriften zu erlassen. Sonst würden jene Unsterblichen, da die Habgier die notwendige Folge des Alters ist, mit der Zeit zu Besitzern des ganzen Landes werden und die Regierungsgewalt an sich reissen, was infolge ihres Mangels an Fähigkeiten mit dem Verderben der Allgemeinheit enden müsste.


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