Leo N.Tolstoi
Krieg und Frieden
Leo N.Tolstoi

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Zwei Monate waren vergangen, seitdem die Nachricht von der Schlacht bei Austerlitz und dem Fall des Fürsten Andree in Lysy Gory eingetroffen war, und ungeachtet aller Nachforschungen mit Hilfe der Gesandtschaft wurde seine Leiche nicht gefunden, und er befand sich auch nicht unter den Gefangenen. Das Schlimmste für die Verwandten war, daß immer noch die Möglichkeit vorhanden war, daß er von den Einwohnern auf dem Schlachtfeld aufgehoben worden sei und vielleicht genesend oder sterbend irgendwo allein unter Fremden liege, ohne die Kraft zu haben, Nachricht von sich zu geben. Die Zeitungen enthielten, wie immer, sehr kurze und unbestimmte Berichte darüber, daß die Russen nach einer glänzenden Schlacht sich zurückziehen mußten, und daß der Rückzug in vollkommener Ordnung ausgeführt worden sei. Der alte Fürst schloß aus diesem offiziellen Bericht, daß die Unsrigen geschlagen worden seien. Nach einer Woche kam auch ein Brief von Kutusow.

»Ihr Sohn ist vor meinen Augen«, schrieb Kutusow, »mit der Fahne in der Hand, vor dem Regiment gefallen, würdig seines Vaters und seines Vaterlandes. Leider haben wir bis jetzt nicht erfahren können, ob er am Leben sei oder nicht. Ich hoffe das erstere, weil er sonst unter den auf dem Schlachtfeld gebliebenen Offizieren verzeichnet sein würde, von welchen ich ein Verzeichnis durch Parlamentäre erhalten habe.«

Nachdem der alte Fürst diese Nachricht erhalten hatte, lebte er nach seiner gewohnten Lebensweise weiter. Er sprach mit niemand davon, war schweigsam und sah grimmig aus.

»Ach, Fürstin«, sagte er am nächsten Morgen, als Marie zur Lektion erschien.

Sie näherte sich ihm, sah ihm ins Gesicht und eine bange Ahnung befiel sie. »Papa! Andree?« rief sie.

»Habe Nachricht erhalten! Nicht unter den Gefangenen, nicht unter den Verwundeten!« rief er mit schriller Stimme. »Er ist gefallen!«

Marie fiel nicht in Ohnmacht. Sie vergaß ihre Angst vor dem Vater, näherte sich ihm, zog ihn an sich und küßte seinen hageren Hals.

»Väterchen«, sagte sie, »wenden Sie sich nicht ab von mir, wir wollen zusammen weinen.«

»Die Strolche!« schrie der Alte. »Richten die Armee zugrunde und die Menschen! Wofür! Geh, geh, sage es Lisa! Ich werde auch kommen.«

Die kleine Fürstin saß an einer Arbeit mit jenem Ausdruck ruhigen Glücks in ihren Zügen, welcher zukünftigen Müttern eigen ist.

»Was ist dir, Marie?« fragte sie, als sie Marie mit Tränen in den Augen eintreten sah.

»Nichts, ich bin nur so schwermütig wegen Andree.«

Mehrmals machte Marie einen Anfang, die kleine Fürstin vorzubereiten, wurde aber stets von Tränen unterbrochen. Die Tränen, deren Grund die junge Frau nicht kannte, beunruhigten sie, so wenig Beobachtungsgabe sie auch besaß. Sie blickte sich schweigend um, als ob sie etwas suchte. Vor Tisch trat der alte Fürst in ihr Zimmer, vor dem sie sich immer fürchtete, mit einem besonders aufgeregten, zornigen Gesicht; doch ohne ein Wort zu sprechen, verließ er das Zimmer wieder. Sie sah Marie an und brach plötzlich in Tränen aus.

»Habt ihr Nachricht von Andree?« fragte sie.

»Nein. Du weißt, daß noch keine Nachricht da sein kann. Aber Papa ist unruhig.«

»Nichts weiter?«

»Nein«, sagte Marie. Sie hielt es für besser, ihr nichts zu sagen, und überredete den Alten, die schreckliche Nachricht noch geheimzuhalten. Marie und der alte Fürst trugen und verbargen ihren Kummer, jedes nach eigener Weise. Der Alte wollte nicht mehr hoffen und entschied, Fürst Andree sei tot, und obgleich er einen Verwalter nach Österreich schickte, um nach Spuren seines Sohnes zu suchen, bestellte er doch zugleich in Moskau ein Denkmal, welches er in seinem Garten aufstellen wollte. Er sagte allen, sein Sohn sei gefallen, und bemühte sich, seine bisherige Lebensweise einzuhalten. Aber seine Kräfte verließen ihn; er ging weniger, aß weniger, schlief weniger und wurde mit jedem Tag schwächer.

Fürstin Marie hoffte noch, sie betete für ihren Bruder wie für einen Lebenden, und erwartete jeden Augenblick die Nachricht von seiner Rückkehr.


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