Leo N.Tolstoi
Krieg und Frieden
Leo N.Tolstoi

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Am frühen Morgen des folgenden Tages erhob sich der altersschwache Kutusow, betete, kleidete sich an und setzte sich in die Kutsche mit dem unangenehmen Bewußtsein, daß er eine Schlacht lenken solle, die er nicht gutheißen konnte. Verschlafen horchte er darauf, ob er nicht von der rechten Seite Schüsse höre, aber alles war ruhig. In der Nähe von Tarutino bemerkte Kutusow einzelne Kavalleristen, die ihre Pferde zur Tränke führten. Kutusow ließ anhalten und fragte, von welchem Regiment sie seien. Die Kavalleristen gehörten zu einer Kolonne, die schon weit vorn sein sollte.

»Wahrscheinlich ein Irrtum«, dachte der alte Oberkommandierende.

Weiterhin erblickte Kutusow Infanterieregimenter, deren Gewehre noch in Pyramiden standen, während die Soldaten Grütze kochten. Er rief einen Offizier herbei und erfuhr, daß noch gar kein Befehl zum Angriff erfolgt sei.

»Wie? Was?« begann Kutusow, dann hielt er an und befahl, den ältesten Offizier zu rufen. Er stieg aus und ging mit gesenktem Kopf schwer atmend und schweigend auf und ab. Als der verlangte Generalstabsoffizier Eichen erschien, rötete sich Kutusows Gesicht nicht, weil dieser Offizier schuldig, sondern weil er ein passender Gegenstand zur Äußerung seines Zornes war. Zitternd und keuchend vor Wut stürzte der alte Mann auf Eichen zu, drohte ihm mit den Fäusten, schrie und stieß Schimpfworte aus. Ein anderer Kapitän, der ihm in die Nähe kam und auch ganz unschuldig war, erlitt dasselbe Schicksal.

»Was ist das noch für eine Canaille? Ich lasse die Schurken erschießen«, schrie er mit heiserer Stimme, schwankend und mit heftigen Gebärden. Er, der Oberkommandierende, der Durchlauchtigste, welchem eine so hohe Gewalt verliehen war, wie noch niemand zuvor in Rußland – er war in diese lächerliche Lage versetzt worden.

»Umsonst habe ich gebetet, die ganze Nacht nicht geschlafen und alles überlegt«, dachte er. »Als ich noch ein junges Offizierchen war, hätte niemand gewagt, mich so zu verlachen . . . Aber jetzt . . .« Er empfand physischen Schmerz, den er nur durch wütendes Schreien ausdrücken konnte. Bald aber verließen ihn seine Kräfte, er sah sich um und erinnerte sich, daß er vieles ausgesprochen hatte, was nicht schön war, setzte sich in die Kutsche und fuhr schweigend zurück. Seine Wut erneuerte sich nicht mehr, und Kutusow hörte müde und mit den Augen blinzelnd die Rechtfertigungen wie die eindringlichen Ratschläge von Bennigsen, Konownizin und Toll an, die mißlungene Bewegung auf den folgenden Tag aufzuschieben. Kutusow war genötigt, dazu seine Einwilligung zu geben.


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