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Die Welt, wie sie ist.

Die Welt, wie sie ist, ist eine Welt des Streits. Das Kind, das in die Welt geboren wird, findet in ihr keinen Freund. Das Kind findet in der Welt seinen Feind. Die Welt macht es einem Kinde schwer, geboren zu werden. Die Welt macht es einem Kinde noch schwerer, zu leben. Die Welt gibt denen, die ihre Geburtslinie überschreiten, kein gutes Geleite. Die Welt, wie sie ist, ist reich genug für alle. Und doch schenkt die Welt, wie sie ist, nur wenigen Reichtum. Die Welt versagt alles, oder gewährt alles. Triffst du sie in dieser Stimmung, so wird sie dich mit ihren Gaben verwöhnen. Triffst du sie in jener Stimmung, so wird sie dich mit ihrer Kälte vernichten. Väter und Mütter sehen auf ihre Kinder voll Sorge. Das Kind ist eine Gefahr. Die Liebe selbst ist ein Verhängnis. Die Welt verspricht Ernten. Aber wenige können die verderblichen Frühlinge und Sommer, die den Ernten vorangehn, überstehen. Die Welt betet um Kinder. Doch wenn die Kinder da sind, gibt sie ihnen keinen Schutz. Die Welt treibt die Kinder in die Tretmühle. Sie nimmt die Jugend, ehe sie ihre Spielzeit gehabt hat, und füttert sie erbarmungslos dem kommerziellen Moloch. Und das Leben dieser Kinder wird aufgetischt als Zins, Pacht und Profit. Die Welt ladet zu einem Fest ein und verbietet zu essen. Die Welt nennt dich frei und zwingt dich zu kriechen. Der Mensch ist ein Sklave seiner Mahlzeiten und Kleider. Sein Frühstück gefährdet das Mittagessen. Sein Mittagessen das Abendbrot. Sein Rock die Schuhe. Die Welt, wie sie ist, bindet mich an einen Pfahl fest. Die Welt, wie sie ist, unterjocht mich ihrem gewaltsamen Willen. In ihrem Leben bin ich tot. Ihr Erfolg ist mein Mißlingen. Immer. Immer. Die Welt ist bange vor sich selbst. Aber was weiß sie denn überhaupt von sich? Sie hat nie einen Versuch mit sich gemacht. Nie hat sie den Menschen auch nur eine halbe Möglichkeit gegeben. Die Möglichkeit, das Leben zu erfüllen; sozialem Despotismus zu entrinnen. Der Mensch hat Augen und darf nicht sehen. Er wird mit einem Erbe genarrt, das ihm niemals zuteil wird. Die Welt hat Hoch und Nieder, Vorgesetzte und Untergebene, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Herren und Diener. Gleiches Maß hat sie nicht. Ihre Tugenden überläßt sie dem Traumland und behält ihre Laster für den Alltag. Die Welt hat gelernt, etwas zu vollbringen. Das Vollbrachte anzuwenden, hat sie nicht gelernt. Die Welt hat ein Wort erfunden, um sich selbst zu beschimpfen. Bettler. Gefällt es dir? So oft die Welt dieses Wort in den Mund nimmt, duckt sie sich unter ihrer eigenen Geißel. Dies Wort ist immer ein Schatten, der über leere Tische und enttäuschte Herzen fällt.

An die Welt, wie sie ist, glaubt niemand. Die Menschen sollten die Welt lieben. Aber sie haben kein Vertrauen zu ihr. Sie wissen nicht, wann die Welt sie einmal betrügen wird. Die Welt kann hinter einer Ecke lauern, sie zu ermorden. Die Welt kann ihnen schön tun und sie verraten. Die Welt überredet nicht, sie zwingt. Die Welt ist nicht dein guter Kamerad; sie ist dein Gebieter. Wenn die Welt nichts tut, deine Zuneigung zu gewinnen. Wenn die Welt ihre Demokratie mit Zutaten und Anhängseln trübt. Wenn die Welt Günstlingen in die Hände spielt. Wenn die Welt dem einen zu viel und dem andern zu wenig Aussichten bietet. Wenn die Welt überall eingezäunt ist. Wenn die Welt dich mit Daumen und Zeigefinger von Angebot und Nachfrage narrt. Wenn die Welt deine besten Absichten zu Fall bringt. Wenn die Welt es dir unmöglich macht, gerecht zu sein gegen deinen Nächsten oder gegen dich selbst. Wenn die Welt dein Wachstum unterbindet. Wenn die Welt Gaunerei höher wertet als Talent. Wenn die Welt sich im Millionär konzentriert: Was tut die Welt anders, als daß sie sich in eine Wolke zersetzender Zufälligkeiten auflöst? Die Welt, wie sie ist, ist eine Welt der Verneinung. Sie schreibt dir ihre Nein und ihre Nullen auf die Stirne. Sie verschreibt ihre Rechte mit »Möglich« oder »Vielleicht«. Sie verkauft sich mit Leib und Seele. Sie bindet sich selbst Hände und Füße. Sie versiegelt sich die Lippen, verstopft sich die Ohren, verhüllt sich die Augen. Dann weint sie über ein verlorenes Leben. Die Welt ist zur Ordnung bestimmt und bleibt Chaos. Plan und Vorsatz werden nicht ausgeführt. Irgendwo stockt und zaudert die Welt in ihren Entschlüssen. Die Welt will unparteiisch sein. Aber sie ist krank. Sie braucht Sauerstoff für ihre Lungen. Die Welt hätte auf ein Unternehmen der Gerechtigkeit ausziehen sollen. Aber sie verpaßte den Zug und schob die Reise hinaus. Wann wird sie aufbrechen?

Die Welt, wie sie ist, hat all ihre Kinder an die Wand gedrückt. Die Arbeit hat sie mit dem Bannfluch belegt. Sie hat Großes getan fürs Ohr und wenig für die Hoffnung. Sie ruft wehe über ihren Kindern. Die Welt, wie sie ist, ist keine Heimat. Sie ist eine Brutanstalt, ein Wirtshaus, irgend etwas; aber keine Heimat. Die Kinder läßt sie sofort fühlen, daß sie nicht in ein Heim hereingeboren sind. Die Kinder werden als Fremde geboren. Die Welt, wie sie ist, ist nicht die offene Hand. Sie ist die geballte Faust. Die Welt, wie sie ist, ist keine Welt, sondern ein Schlachtfeld. Sie ist eine finstere Drohung, vielleicht der Hungertod. Die Welt, wie sie ist, preist nicht den Menschen, sondern sein Geld. Die Welt, wie sie ist, ehrt den Besitz und entehrt den Menschen. Sie gibt ihre Diplome dem finanziellen Schwindel. Für die Einfachheit ist diese Welt unbehaglich. Sie setzt ihr Vermögen nicht auf echten Erfolg und riskiert alles für den glänzenden Schein. Diese Welt der Bergwerke und Fabriken. Diese Welt der Ladenmädchen und Commis. Diese Welt der Eisenbahner und Straßenarbeiter. Diese Welt der Keuschheit und Prostitution. Diese Welt, wo die soziale Gerechtigkeit umzäunt ist. Diese Welt, die ganz von Gegensätzen, Zwiespalt, Grausamkeit und Geilheit befleckt ist. Diese Welt, die auf den Dienst der Oberen eingeschworen ist. Als könnte es Oben und Unten geben in einer Demokratie. Als könnte es Oben und Unten geben in einer Welt des anständigen Durchschnitts. Schaut sie euch an: diese glänzende, grausame Welt; diese herrliche, herrische Welt. Diese Welt, wie sie ist. Unsere Welt. Diese Welt, jeder Zoll der Fels und Schmutz und Schweiß unserer eigenen Hände. Diese Welt, wie sie ist.


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