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Was kann ich tun?

Was kann ich tun? Ich kann reden, wenn andere schweigen. Ich kann Mensch sagen, wenn andere Mammon sagen. Ich kann wach bleiben, wenn andere schlafen. Ich kann weiterarbeiten, wenn andere schon vom Spielen müde sind. Ich kann dem Leben einen hohen Inhalt geben, wenn ihm andere einen niederen Inhalt geben. Ich kann Liebe sagen, wenn andere Haß sagen. Ich kann Alle sagen, wenn andere Einer sagen. Ich kann die Tagesgeschichte genau prüfen, wenn sie andere ungenau prüfen.

Was kann ich tun? Ich kann mich dem Leben weihen, wenn andre Menschen sich dem Leben entziehen. Meine Rechte werden niemals verkürzt, außer wenn ich sie selbst mir verkürze. Mein Glaube steht nie unter Par, bis ich ihn selbst niedrig notiere. Was kann ich tun? Ich kann aufhören, andere Leute anzusehen, und mich einmal selber betrachten. Ich kann Verlust sagen, wenn du Gewinn sagst. Ich kann Freiheit sagen, wenn du Herr sagst. Ich kann Kapital sagen, wenn du Zins sagst. Ich kann mein Bestes tun, wenn andere ihr Schlechtestes tun. Ich kann mir selbst näher kommen, wenn die andern sich selbst fremd werden. Ich kann weiterkämpfen, während sich die andern ergeben.

Was kann ich tun? Ich kann mich mit meinen Ideen in Fühlung bringen. Ich kann die Einzelheiten meines Lebens zu einem harmonischen Leben verbinden. Ich kann für die Armen Partei ergreifen. Ich kann von der Einfachheit ausgehn. Ich kann die andern feines Tuch tragen lassen, während ich in Lumpen umhergehe. Ich kann mich weigern, für meine Sünden zu büßen. Was kann ich tun? An die Menschheit glauben. Ohne Rente auskommen. Auf zerrissenen Schuhsohlen gehen. Dem Leben hundert Prozent meiner Person weihen. Mich nicht vor allem darum kümmern, was andere Leute von mir denken. Sondern vor allem darum, was ich selbst von mir denke. Nicht gegen die Sünden der Welt predigen und selbst weiter sündigen. Aufhören zu sündigen. Zugunsten der Menschheit auf meinen Besitz verzichten. Mein Privatinteresse nicht gegen das Gesamtinteresse der Menschheit einsetzen. Verleumdung nicht scheuen. Es hinnehmen, wenn ich mißverstanden werde. Darauf gefaßt sein, daß meine Nächsten sich alle gegen mich wenden. Mich zufrieden geben, wenn sich mir niemand gesellt. Ich kann hungern. Ich kann sterben. Das kann ich tun.

Was kann ich tun? Ich hab's dir gesagt. Und du erwiderst, daß ich mich und dich herausfordere, Unmögliches zu tun. Du irrst dich. Du fragtest mich, was ich tun könne. Du fragtest mich nicht, was ich tun werde. Vielleicht tu ich nichts, meinen Plan durchzuführen. Vielleicht tu ich nichts, meine Philosophie zu rechtfertigen. Aber Plan und Philosophie bleiben so streng wie zuvor. Der Geist wird siegen, wenn auch das Fleisch schwach wird. Ich sage, daß der Besitz tötet, aber die Menschheit lebendig macht. Daß deine Privattugend unnütz ist in einer Welt vereinzelter Menschen. Daß der letzte Sklave nicht verschwindet, bis der letzte Besitzer stirbt. Daß Eigentumsrecht und Armut Hand in Hand gehen. Daß ich lieber in einer armen Welt unter der Gerechtigkeit leben würde, als in einer reichen Welt unter dem Unrecht. All das sage ich. Aber wie, wenn ich nichts davon täte? Wenn ich es beim Reden beließe? Wenn ich nur meinen Spaß haben wollte? Für mein Behagen sorgend. Mit dem düsteren Kreis der heutigen Habgier Frieden schließend. Das Leben abwärts statt aufwärts führend. Das Elend der Ausgebeuteten gleichgültig mitansehend. Die Hütte vergessend, solange ich mich im Palast aufhalten kann. Was soll ich dann zu mir sagen? Was für einen Bericht kann ich über mich ablegen, wenn meine Seele ausgeredet hat? Groß sprechen kann ich jederzeit. Aber kann ich groß leben? Ich kann gegen den Profit reden. Aber kann ich gegen den Profit leben? Es fällt mir leicht, meinen Glauben in Worte zu kleiden. Doch fällt es mir auch leicht, ihn in die Tat umzusetzen? Ich finde es nicht schwierig, den äußeren Schein zu wahren. Aber ich finde es sehr schwierig, die Sprache ins Leben zu übertragen. Vielleicht kann ich Großes vollbringen, solange die Welt mir zuschaut und ihren Beifall spendet. Doch was kann ich vollbringen, wenn die Welt zuschaut und keinen Beifall spendet, oder gar nicht zuschaut? Ich kann Wunder tun, wenn du mich liebst. Doch was kann ich tun, wenn du mich hassest? Was kann ich tun? Ich kann mich an einen Platz stellen, den jeder andere scheut. Ich kann auf Wagnisse ausgehen, während andere sich unter ein schützendes Dach flüchten. Du sagst, du könnest die Gerechtigkeit lieben, wenn das Wetter gut sei. Kannst du die Gerechtigkeit lieben, wenn das Wetter schlecht ist? Ich weiß nicht, was ich tun kann. Aber ich weiß, was ich tun will und was ich versuchen kann zu tun.

Was kann ich tun? Ich kann mit meiner Treue prahlen. Ich kann die Fahne hochhalten. Ich kann in Gesellschaft reden, wo die Mode Schweigen erheischt. Ich kann mich zur Rolle eines Ekels hergeben. Ich kann unangenehme Sachen machen. Ich kann lernen Nein zu sagen. Ich kann es mit Gleichmut ertragen, wenn die Leute auf der Straße mit den Fingern auf mich deuten, als wäre ich ein gefährlicher Verbrecher. Ich kann jeden Fetzen meines guten Rufes von mir werfen, um jeden Fetzen meines Charakters zu retten. Meine Stimme kann den Lärm des fernsten Unrechts übertönen. Mein tägliches Leben kann der allgemeinen Verbrüderung geweiht sein. Was kann ich tun? Vielleicht kann ich nichts tun, andere Menschen besser zu machen. Aber ich kann alles tun, mich selbst besser zu machen. Ich kann mit dem Privateigentum abrechnen, indem ich es aufhebe. Ich kann mich mit dem Gesetz des Individuums durch das Gesetz der Masse in Einklang bringen. Warum sollte ich mir die Hoffnung machen, daß ich mich im Lichte sozialen Wohlstandes sonnen dürfte? Warum sollte ich nicht in den Schatten sozialer Aufopferung zurücktreten? Ich habe es versucht, für mich zu sorgen, indem ich für andere nicht sorgte. Warum sollte ich es nicht lernen, für mich dadurch zu sorgen, daß ich für andere sorge? Sind die Aufgaben meines wahren Selbst zu schwer zu erlernen? Soll ich im Staube kriechen und meinen Glauben verleugnen? Soll ich im Uebermaß ehrlicher Not leben oder in der Hohlheit unehrlichen Reichtums sterben? Soll ich mich an meinen kleinsten Aussichten messen oder an meinen größten? Was kann ich tun? Kann ich nur solches tun, was mein persönliches Leben betrifft? Kann ich nicht etwas tun, was dem allgemeinen Leben zugute kommt? Soll ich mich furchtsam an das Ufer schmiegen, wenn im Strom draußen noch so vieles zu tun bleibt? Was kann ich tun? Mein Glück versuchen. Dahin gehen, wo es die ganze Kunst eines Menschen erfordert, den tödlichen Angriffen des Zerstörers zu trotzen. Ermüdung. Keine Nahrung. Arbeit ohne Ende. Kampf. Tod. Ist das zu viel? Du fragst mich, was ich tun kann. Warum kann ich nicht das tun? Andere Menschen haben es auch getan. Aus weniger Grund. Warum sollte ich es nicht tun? Soll ich mich stets hinter Mißerfolgen und Enttäuschungen verstecken? Soll ich mit schönen Redensarten davon schleichen? Wenn ich in den Himmel komme, werden mich hübsche Phrasen erlösen? Wenn ich in die Hölle komme, wird mich gutes Benehmen verdammen? Wozu ist das ganze Leben, als für den Tod, wenn Sterben ehrenhaft ist? Wozu ist alles Sterben, als für das Leben, wenn Leben notwendig ist? Halt. Jetzt gilt es deinen Mut. Hinter dir drängt sich die ganze Menschheit vor. Mach keinen Fehler. Verrat könnte jetzt die Ergebnisse der Geschichte vergiften. Die Herren stehen alle vor dir. Die Herren des Kapitals. Die Herren des Bodens. Die Herren der offiziellen Gewalt. Die Herren des Luxus. Die bösen Herren des Regimes, das wir vernichten sollen. Ruhig. Jetzt keine Ausflüchte. Keinen Vergleich. Keinen Vergleich mit dem Feind. Vor allem keinen Vergleich mit dir selbst. Ruhig. Ruhig. Was kann ich tun? Was kannst du tun? Schau dir die versammelten Streitkräfte des Uebels an. Siehst du nicht, was du tun kannst? Sehe ich nicht, was ich tun kann?


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