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»Ich werde doch wieder arbeiten können?« war Courtiens Angstruf an die geliebte Frau gewesen. Diese hatte ihm zugelächelt: »Du wirst arbeiten können! Ich bürge dir dafür! Ich, die Frau, die du liebst!«
Und jetzt arbeitete er.
Er malte die Gräfin Oberndorff. Vielmehr: er machte Studie auf Studie, Skizze auf Skizze. Jeder Entwurf war eine Huldigung, eine Adoration. Seine Arbeit war Kultus: der Priester hielt Gottesdienst. So wurde die armselige Hirtenhütte am Crap da Chüern zum Tempel.
Denn Courtien bestand darauf, daß die Sitzungen nicht im Hotel stattfanden: er wollte in seiner Künstlerwerkstatt sein. Mit ungeschickten Händen versuchte er dem öden Raum ein festliches Aussehen zu geben. Zu diesem Zweck holte er Zweige von Arven und Wacholder herbei, Vitals Hilfe unfreundlich ablehnend. Auch das immergrüne Laub der Alpenrosen sollte zum Schmucke dienen. Es war mühselige Arbeit: mußte er doch das Strauchwerk aus dem Schnee graben. Je schwieriger das Wintergrün herbeizuschaffen war, um so mehr freute es ihn: war es doch alles, was er zum Empfange der Geliebten tun konnte. Als sie kam, war sie bewegt. Der häßliche Raum glich einer Laubhütte, die Decke bildete ein grünes Gewölbe, und über dem Estrich lag ein natürlicher Teppich gebreitet.
In keinem Fürstensaale war der schönen Frau jemals in ähnlicher Weise gehuldigt worden. Das fühlte sie, und das rührte an ihr Herz. Dann begann die Erhörung seiner Bitte, die ein inbrünstiges Gebet seiner verirrten, gequälten Künstlerseele war: »Ich werde doch wieder arbeiten können?!«
Es war, als lernte er die Schönheit der Geliebten erst jetzt kennen, da er sie nachbildete. Sie erschien ihm wie das Hohelied der Schöpfung, das er, der arme Sterbliche, nachzudichten sich unterfing. Er tat es mit solcher Versenkung, solcher Andacht, daß ihm die Herrlichkeit des Weibes Ehrfurcht einflößte, als wäre sie ein göttliches Mysterium. Mit solcher Hoheit der Empfindung mochte Leonardo da Vinci das Porträt der Mona Lisa geschaffen haben.
In den ersten Tagen kam es gar nicht zu einem Beginn. Er ließ sein geliebtes Modell immer neue Posen annehmen und wurde von jeder in Entzückung versetzt. Sie mußte für ihn alle ihre reichen Gewänder, ihren ganzen köstlichen Schmuck anlegen, und die Nerina konnte sich als geschicktes Zöfchen erweisen. Er drapierte sie mit schimmernden Schleiern und feierlichem Faltenwurf: etwas, das seiner ganzen Kultur fernlag, dafür er in früheren Zeiten, als eines Künstlers unwürdig, Verachtung empfunden hätte, Und diese völlige Wandlung seines innersten Wesens kam dem Manne nicht einmal zum Bewußtsein!
Gräfin Josette ermüdete nicht, alle die Stellungen und Wendungen anzunehmen, alle die Umkleidungen zu vollziehen, die Courtien immer wieder von ihr erbat. Noch niemals hatte sie die leidenschaftliche Liebe dieser Männerseele so sehr als Anbetung empfunden. Ihre eigentümliche Schönheit, deren sie sich voll bewußt war, erhielt jetzt für sie selbst etwas nahezu Geweihtes: erlebte sie doch Tag für Tag die Verzückung, darein sie den Freund versetzte. Und dieser von ihr Gottbegeisterte war auch jetzt noch – auch in seinem völligen Verlorensein – ein großer Künstler!
Darein sie den Freund versetzte ... Den Namen, mit dem sie ihn nicht nennen durfte, gab sie ihm jetzt stets in Gedanken. Sie hätte sich selbst belügen müssen, hätte sie ihm einen anderen Namen gegeben: den des Geliebten. Und sie besaß den Mut der Wahrhaftigkeit gegen sich selbst. Es ward ihr nicht leicht, kostete sie Kampf um Kampf: jeden Tag von neuem; aber – nein, nein, nein: sie liebte ihn nicht mehr!
Sie wollte es nicht glauben, hielt es für unmöglich, daß aus dem Geliebten allmählich der Freund geworden war. Wodurch hatte sich die Wandlung in ihr vollzogen? So schnell! Ihre Liebe zu diesem Manne hatte ihr Seelenleben gleichsam vom Scheintode geweckt; es war wie ein Auferstehen, wie ein Ostersonntag ihrer toten Seele gewesen. Sie hatte – und das noch vor kurzem – an eine Unendlichkeit ihrer Liebe geglaubt, von einer Ewigkeit geträumt. Das große Mysterium der Menschheit war ihr zur Offenbarung geworden; und nun mußte sie erkennen – ›Was erkennen?‹ – so rief sie sich selbst an – ›Den Irrtum, die Täuschung, den Selbstbetrug? Wie solltest du mit dieser Erkenntnis weiterleben können? Was war es – was ist es mit dir? Du mußt ihn lieben! Um deinetwillen mußt du, wenn nicht aus Mitleid mit ihm. Mitleid. Wie darfst du dieses Wort nur denken! Mit ihm Mitleid empfinden, aus Mitleid ihn lieben, würde für diesen Mann Demütigung und Erniedrigung bedeuten. Als ob er nicht schon genug gedemütigt, nicht schon genug erniedrigt wäre! Wodurch erniedrigt? Das fragst du dich? Durch seine Leidenschaft, die du geweckt, die du geschürst und zur Flamme entfacht hast. Wenn sie ihn jetzt verzehrt, so ist es dein Werk!‹
Und sie sprach weiter zu sich selbst: ›Wenn du los von ihm kämst! Er ist ja doch nicht deinesgleichen. In deinem Liebesirrtum war Unnatur. Das fühlst du jetzt jeden Tag, jede Stunde. Du fühlst es in seiner Gegenwart und noch mehr in seiner Abwesenheit. Denn in seiner Gegenwart empfindest du die Gewalt seiner Liebe, die Macht seiner Persönlichkeit als etwas Bezwingendes, Überwältigendes. Noch immer empfindest du das. Und trotzdem – wenn du von ihm loskamst! Als ob das so leicht wäre. Das ist's ja eben! Der Fluch der Leidenschaft ist es ... Wie kühl du das denken kannst! Er ist nicht der Mann, von dem eine Frau »los« käme. Selbst wenn er dich loslassen wollte. Er hält dich fest! Mit eisernen Banden! ... Wenn du plötzlich abreisen, ihm plötzlich entfliehen würdest? ... Sollte das das Ende sein? Wie traurig, wie trostlos!‹
Und die Gräfin Oberndorff wehrte sich gegen das trostlos Traurige eines solchen Endes ...
Den Gedanken eines gewaltsamen Sichlösens denkend und verwerfend und wieder denkend, fühlte sie sich zugleich von neuem gefesselt. Und auch darüber reflektierte sie: ›Welche Doppelnaturen wir Frauen doch sind! Auch wir Frauen haben eine zweite Seele. Gerade wir Frauen! Wir sind alle – Faustnaturen ... Ich möchte mich von ihm losreißen und möchte ihn unlöslich an mich fesseln. Welch ein Widerspruch! Ich selbst von ihm frei – er doch mein Geschöpf! Ich selbst will keinen Schmerz fühlen und könnte ihn doch ein Martyrium der Leidenschaft erdulden lassen. Ist es uns Frauen denn Wollust, Qual zu bereiten, wo wir Liebe erwecken? Oder bin ich eine Ausnahme? Früher wußte ich davon nichts. Den Grafen Oberndorff zu quälen, wäre mir nie eingefallen. Und jetzt plötzlich! Dieser Mann gab mir meine höchste Empfindung und zugleich meine niedrigste. Es läßt sich nicht ausdenken.‹
Derartige Betrachtungen anstellend, verhalf sie inzwischen Courtien zur Erfüllung seines vornehmsten Gebets: »Meine tägliche Arbeit gib mir heute!« Während sie als spendende Gottheit sich fühlte, erfaßte sie der Rausch des Gebens und Sich-Hingebens. Bis jetzt war der Künstler ausschließlich Liebender gewesen, den sie beseligt hatte – ihre Schönheit nachbildend trat dieser vor jenem zurück; und der Gedanke: ›Du begeisterst ihn zu Werken, die dich überleben werden!‹ war wie ein Gottesgnadentum, das über sie kam. Ihre Liebe verfiel durch ihre Frauennatur dem Lose alles Irdischen; aber ihre Schönheit sollte durch des Meisters Kunst Unsterblichkeit empfangen. Das war eine andere Ewigkeit als die eines Liebeswahnsinns. So wurde denn die Spenderin zur Verschwenderin, bis sie dem Künstler das Letzte und Höchste des Weibes gab – bis die letzte Hülle sank. Danach war dann kein »los von ihm« mehr möglich.
Die Kette schloß sich um beide, und der Schlüssel ward fortgeworfen.
»Sivo!«
»Ich höre.«
»Du malst. Vielmehr: du phantasierst auf deiner Leinwand. Fiebernde hören nicht.«
»Bewege dich nicht. So herrlich sah ich dich nie! Nur jetzt keine Bewegung!«
»Sprich nur.«
»Wenn du doch nicht hörst?«
»Alles! Nur noch eine Stunde so, und – Wüßtest du, wie herrlich du bist!«
»Dann darf ich dich um etwas bitten?«
»Du meinst: mir etwas befehlen. Also befiehl.«
»Du wirst allmählich sogar galant.«
»Allmählich werde ich – was?«
Sie unterbrach ihn: »Übrigens wollte ich dich schon einmal bitten – dir schon einmal befehlen. Du warst jedoch stets übler Laune.«
»Verzeih.«
»Ich habe nämlich gewaltige Angst vor dir. Du kannst fürchterlich sein in deinem Zorn.«
»Zorn gegen dich? ... Ich muß arbeiten! Aber – sprich nur.«
»Du sollst dich mit mir nicht noch länger vergraben. Es ist sowieso trostlos genug.«
»Was?«
»Diese Nordpolwelt, diese Einsamkeit, Abend für Abend.«
»Abend für Abend zusammen mit mir! In der großen Fremdenherberge, wo es von deinesgleichen wimmelt! Von seinen Herren und Damen. Alle bemitleiden dich, niemand begreift dich. Ich weiß! Weiß alles! Kenne das Opfer, das du mir bringst: Abend für Abend! Nicht nur Abend für Abend, sondern Tag für Tag. Wenn du mit mir allein sein und meine üble Laune ertragen mußt, so hörst du vom Saal herauf die Musik, so sehnst du dich ...«
»Sei still oder ich bewege mich.«
»Bitte, nein! Ich muß arbeiten. Muß den Augenblick festhalten. Er ist zu köstlich, zu groß ... Du wolltest mich um etwas bitten?«
»Nicht jetzt.«
»Ich bin wieder ganz ruhig.«
»Mit solchem bleichen Gesicht, solchem zuckenden Munde. Und erst dein Blick!«
»Er erfaßt deine Schönheit.«
»Ich rege mich nicht.«
»Was soll ich tun? Ich will alles tun dir zuliebe! Tust du doch dies alles aus Liebe zu mir ... Sprich mir's nach.«
»Aus Liebe zu dir ...«
»Josette!«
»Bleibe! Sonst falle ich dir um den Hals; sonst küsse ich dich. Und ich darf mich nicht regen ... Und nun höre.«
»Zauberin!«
»Aus Liebe zu mir ... (Du sollst es mir leise, ganz leise nachsprechen.) Also aus Liebe zu mir wirst du anfangen, mit mir etwas unter Menschen zu gehen ... Erschrick nicht, fahr nicht auf! Nur anfangen sollst du, und nur etwas, und nur aus Liebe zu mir. Ich bin so stolz auf dich und will meinen Stolz zeigen. Du wirst empfangen werden wie ein König ... Nun lässest du aus Zorn und Grimm den Pinsel fallen, und ich stehe doch wie zur Statue entgeistert.«
Courtien ließ den seiner Hand plötzlich entfallenen Pinsel am Boden liegen und sagte, als hätte er zwar gehört, aber nicht verstanden: »Ich soll ... du willst, daß ich soll ... Unter diesen feinen Herren und Damen ... Wo doch alle wissen, alle hinter mir herreden, über mich spotten ... Das sollte ich ertragen? Das könntest du ertragen? Und dir zuliebe sollt' ich –«
»Ja, Lieber! Mir zuliebe sollst du meine Welt und meine Menschen kennenlernen. Und du sollst dich in meiner Welt frei und souverän fühlen. Es soll mein stolzester Triumph sein.«
Sie erregte sich nicht, stand in all ihrer Frauenherrlichkeit vor dem Künstler. Trotzdem hob dieser den Pinsel vom Boden nicht auf. Aber – ihre Bitte wurde erfüllt.
Im Malojahotel gab es eine Sensation, als die Gräfin von Oberndorff ihren »Freund«, den berühmten Maler Sivo Courtien, einführte. Dieses Mal mußte er das fatale Wort anhören, ohne dagegen protestieren zu können. Der Mann von Maloja stand unter den Fremden wie ein gefangener Monarch der Berge. Aber fast hochmütig schaute er auf sie herab, seinen Ingrimm, sich in der Gesellschaft zu sehen, hinter seinem Stolz verbergend. Dabei empfand er mit physischer Qual, daß er gar kein Recht mehr besaß, stolz zu sein. Hatte sie ihm zuliebe das ungeheure Opfer gebracht, sich seinetwegen so lange von der Welt, die ihre Welt war, fernzuhalten, so wollte er ihr beweisen, daß er ihr zuliebe seine Welt verlassen könne, ohne daß sie es ihm als Opfer anrechnen sollte. Was es ihn kostete, ging nur ihn an.
Er war in seinem Hochlandskostüm, das ihn so gut kleidete; und seine vornehme Freundin bekam wieder Ursache, heimlich zu staunen, mit welchem natürlichen Anstand die Natur ihre Lieblinge ausrüstet: die vollendete Form all dieser Männer von Welt hatte etwas Kleines im Vergleich zu dem großen Stil von Courtiens Persönlichkeit.
›Ich glaube: ich liebe ihn doch noch immer ... Welche Rätselwesen wir Frauen doch sind! Was ist das nur mit uns? Ich begreife, daß man uns schwer versteht. Verstehen wir uns doch selbst nicht ... Los von ihm wollte ich kommen? ... Wie diese Frauen ihn ansehen! Er braucht nur zu wollen, um – »Glück« bei den Frauen zu haben ... Ich glaube wahrhaftig, ich könnte eifersüchtig werden ... Erst werden? Als ob ich es nicht bereits wäre!‹
Und die Gräfin dachte an das Mädchen, dessen Namen sie in Courtiens Gegenwart nicht nennen durfte ...
Ob er auch jetzt wieder eifersüchtig war? Auf diese »feinen Herren«? Ob zu all dem Demütigenden, das seine Leidenschaft für ihn brachte, auch jetzt wieder jene qualvollste und zugleich erniedrigendste Empfindung kam, die jeden Mannesstolz bricht? Die Vorstellung eines solchen Sturzes seiner Menschenwürde erschreckte Josette immer von neuem. Schlimm genug seine Eifersucht auf die Vergangenheit der geliebten Frau – die Gegenwart mußte frei davon bleiben.
Danach handelte sie. Um ihn durch nichts zu verletzen, trug sie sogar ihr bescheidenes, dunkles Kostüm, als sie eines Nachmittags Courtien hinabführte in die »hall« des Hotels, in der die Gäste beim »five o' clocktea« saßen. Sehr bald war sie umringt von Herren, die der schönen Frau huldigen wollten. Aber ihre Haltung war abweisender denn je. Mit dem zartesten Takt verstand sie dem weltfremden Künstler die Situation zu erleichtern. Er bemerkte es und dankte es ihr. Übrigens machte seine Persönlichkeit starken Eindruck. Ohne es zu wollen, wurde er zum Mittelpunkt. Ohne daß er sich dessen bewußt wurde, war sein Eintritt in jene »andere« Welt ein voller Erfolg. Je unbewußter er blieb, um so mehr freute sich die Gräfin über Courtiens Triumph; denn ein solcher war es. Sie war stolz darauf. Viel schneller, als er erwartet hatte, erlöste sie ihn dann und forderte ihn zu einem Spaziergang auf. Er verabschiedete sich von den Damen, denen er vorgestellt war, und grüßte die Herren, welche die Gräfin ihm vorgestellt hatte, in tadelloser Manier, atmete aber befreit auf, als die Sache vorüber war. In bester Stimmung plauderten sie: »War's nun wohl so schlimm?«
»Es ging an. Du warst sehr gütig. Ohne dich wäre es allerdings recht schlimm gewesen.«
»Unsinn! Du benahmst dich eminent. Geradezu imponiert hast du ihnen.«
»Das lag durchaus nicht in meiner Absicht.«
»Eben darum wirktest du so stark ... Ich wußte gar nicht, daß du so gut französisch sprichst.«
»Ich studierte zwei Jahre in Paris.«
»Richtig, in Paris ... Das wäre reizend.«
»Was?«
»Wenn wir im Frühling nach Paris gingen.«
»Im Frühling geh ich hinauf.«
»Darüber sprechen wir noch.«
»Darüber ist nicht zu sprechen.«
»Heute nicht.«
»Überhaupt nicht.«
»Wie du willst.«
Aber sie dachte: ›Nächstes Frühjahr gehen wir nach Paris.‹
Und nach einem bedeutungsvollen Schweigen: »Du erzähltest mir niemals von deiner Pariser Zeit. Überhaupt sprichst du niemals von dir selbst.«
»Allerdings nur selten.«
»Vielleicht schweigst du über dich, weil du glaubst, daß ich – ...«
Sie unterbrechend erklärte er: »Ich habe nichts von mir selbst zu erzählen. Weder dir noch sonst einem Menschen ... Nein, auch sonst keinem! In Paris arbeitete ich, wie ich in Rom arbeitete.«
»Und die Pariserinnen?«
»Was meinst du damit?«
»Wenn ich nun auch auf deine Vergangenheit eifersüchtig wäre?«
Courtien stieg das Blut zu Kopf. Er holte schwer Atem und sagte mühsam: »Du weißt, daß ich keine Vergangenheit habe, auf die du eifersüchtig sein könntest; weißt, daß du die erste bist, die einzige ... Das ist es ja eben! Es wäre mit mir nie so weit gekommen; ich wäre nie so erbärmlich geworden. Alle meine Mannheit ist untergegangen: in dir, in dem Weibe! Es rächt sich furchtbar an mir. Und jetzt ist es zu spät.«
Er erbebte wie von Fieberschauern gefaßt, schwankte wie ein Trunkener. An einen Fels mußte er sich anlehnen, um nicht hinzusinken.
Aber die Frau, die diesen Ausbruch verursachte, war mehr entsetzt als bewegt. Sie rief aus: »Weshalb sollte es zu spät sein? Da deine Leidenschaft dich zerstört, so darf es nicht zu spät sein! Ich will die Verantwortung nicht auf mich nehmen. Löse dich von mir! Ermanne dich! Ich werde abreisen. Du wirst mich vergessen, wirst wieder erstarken. Deine Freundin wird dir helfen. In deinem Hause dort oben sagte ich dir, daß die Zeit kommen würde, wo ich dich lassen müßte. Sie ist gekommen. Wir wollen scheiden.«
Während sie ihm diese Worte zurief, fühlte sie, daß alle ihre Worte leerer Schall waren. Sie fühlte: dieser Mann hatte recht – es war zu spät! Sie konnten sich trennen, sie konnte abreisen; aber zu spät war es doch! Er würde ihr folgen, würde alles verlassen, wurde an ihr Leben sich heften, würde zu ihrem Verhängnis werden, zu ihrem Verderben. Sie selbst würde untergehen in dem von ihr entzündeten Brande. Nun mußte sie sehen, wie es zu tragen war.