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Leben – Tod

Das Lied der Lebens

Nacht. An dem Himmel, dem entströmt der Regen,
Begegnen sich von ungefähr zwei Engel
Und machen in dem uferlosen Raum
Halt vor einander mit der gleichen Frage
Auf bleichen Lippen: »Wohin gehst du, Bruder?«
Wie sind sie ungleich! Er der seinen Flug
Zur Tiefe nimmt, gehüllt in weißen Glanz,
Wie er vom Monde in der Herbstnacht rinnt;
An seiner Stirne eines Sternes Leuchten,
Ein frisches Reis – im Paradies gepflückt
Vom Baum des Lebens – windet durch sein Haar sich,
Das golden, wie das Meer der Ähren blinkt.
Der, welcher aus der Tiefe steigt empor,
Ist eingehüllt in bläulich grau Gewand,
Von jener Farbe, die der Nebel zieht
Ums Haupt der Berge, eh' mit kaltem Hauch
Auf kahlen Auen atmet der Dezember.
Das schwarze Haar hängt schmucklos ihm herab
Auf bleiche Lippen, wie bei Büßerinnen
Am Thor des Doms es spät're Zeiten sahen. –
So traf im weiten uferlosen Raum
Des Lebens Engel mit dem Tod zusammen
Und sie erkannten sich nicht.

»Als der Sieger

Kehr' ich zurück, dem Ew'gen anzusagen,
Daß nun vollendet ist das Werk der Sintflut;«
So sprach der Tod, »und meine Schwestern herrschen,
Die Nacht und die Vernichtung.«

›Lügen sprichst du,

Wenn du nicht irren magst. Das Leben ist
Und ewig wird es sein‹. »So laß mich's sehen!«
Und beide flogen längs der Wolken hin,
Die jetzt wie Berge, jetzt wie Urwaldbäume
Sich dehnten, wuchsen, immer die Gestalt
Aufs neu verändernd, jetzt so wie die Hydern
Mit ungeheurer Windung sich umschlangen,
Und jetzt ein Meer von seltsam bunten Wesen
Zu Füßen ihnen gossen oder Städte
Aufbauten, wirr phantastisch. Und ihr Flug
Sank nieder; ihre Flügel rührten schon
Die schwarze Flut. Da sahen sie im Dunkel
Sich regen einen Punkt, die Arche Noahs.
Sie flogen hin und machten Halt auf ihr
Mit ausgespannten Flügeln und sie sahen
Mit Geisteraugen durch das tiefe Dunkel
Durchs mächtige Dach und durch die starke Planke
Was sahen sie?

Im unwirtlichen Fahrzeug

Saß auf dem Boden dort ein Mann, halbnackt,
In seinen Armen ein entzückend Weib;
Er drückte einen Kuß auf ihre Haare
Und schmiegte seine Wang' an ihren Busen
Und koste ihr die Augen. Sie, verzagt,
Erbebte nur und flammte ganz im Purpur,
Darin die Sonne glüht, wenn sie zur Ruh geht.
Und dieser starke, riesengroße Mann,
Der letzte, den die große Wasserflut
Am Leben ließ, der sang ein wildes Lied.
Das klang so drohend und so leidenschaftlich
Und drang durch die gewaltige Wand des Schiffes,
Und brach durch das Gebälke seines Dachs
Und stieg zum Himmel unaufhaltsam auf.
Und sie vernahmen lauschend diesen Sang:

Wild kocht der Wogen Schwall, hörst du es, Herr der Welt?
Siehe den Spruch erfüllt, welchen dein Zorn gefällt:
Ich schwimm' auf schwankem Brette!
Wolltest zu Tod das Volk drücken in grimmer Hand,
Aber des Lebens Keim glitt dir hindurch und fand
Im schwachen Rohr sein Bette.

Wild kocht der Wogen Schwall, unter mir schwarze Nacht,
Aber in frohem Mut laß ich hinaus mit Macht
Das Lied des Lebens klingen.
Ob du mich hören magst, das macht mir wenig Pein.
Weiß nicht, wohin es geht; zieh ich zum Glücke ein,
Wird mich das Meer verschlingen?

Das aber weiß ich wohl, daß ich noch lebe hier,
Und in den Armen heil lagert mein Weib bei mir,
Mein einziger Geselle;
Und in das Dunkel strahlt licht mir ihr süßer Leib,
Mit einem einzigen Kuß bringt das treue Weib
In all die Nacht mir Helle.

Als du die Meeresflut schäumend hinausgejagt,
Schufest der Felsen Haupt, hab' ich nicht nachgefragt –
Was willst du mit mir rechten?
Führen der Sterne Tanz gleich einer Herde still
Magst du in hellem Glanz – Frieden im Herzen, will
Des Weibes Haar ich flechten.

Du magst zur Tiefe ein fahren in Blitzesglut,
Gießen aufs weite Meer schillernd der Sonne Blut,
Durchs Thor der Ströme dringen,
Magst zu dem Himmel auf jagen Kaskadenschaum –
Ich will den treuen Arm glücklich auf grünem Raum
Um ihre Hüfte schlingen.

Zwei sind der Welten da, die du geschaffen hast;
Beide nicht tilgst du jetzt! Siehe, das Leben faßt
Den Strohhalm, dran sich's rette.
Selbst in der Schreckensflut, dienend dem Tod allein,
Wimmelt das Leben rings, regt sich ein neues Sein,
Ich schwimm auf meinem Brette!

Leben – das tilgst du nicht, schwändest mit ihm zugleich,
Leben – das herrlichste Wunder im Weltenreich,
Ich fühl's im Herzen schlagen.
Trotzend dem Meer und Tod, dem ich mich Sieger weiß
Werd' ich's, der einzige, in meinen Pulsen heiß
In ferne Zukunft tragen.

All, was die kommende Zeit sich erträumt, erringt,
Was von verstorbenen Tagen herüberklingt,
Ich fühl, wie's in mir lohe –
Allmutter, Gattin du, juble in frohem Sinn,
Blühn wird der Liebe Frucht, du bist die Priesterin,
Die heilige und hohe!

Leben, o Leben du, mächtig und wunderbar,
Schon seh die neue Welt blühen ich freudig klar
Auf frisch errungner Stätte –
Laß all die Wasser denn steigen zu hoher Flut
In meines Weibes Arm seh ich sie wohlgemut –
Ich schwimm auf meinem Brette!

*

Mit Schrecken hörten dieses Lied die Engel
Sie wollten wortlos auseinanderfliegen,
Der hier, der dorthin. Doch ein seltsam Fühlen
Ergriff sie – zögernd standen sie noch still,
Dann sanken sie einander in die Arme.


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