1. |
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»Welch ein Ringen«, sprach der Prior;
»Kommt denn niemals die Erlösung?
Nein, ich meine nicht das Sterben,
Nein, ich meine die Genesung!
Guter Beda, frommer Glaube
Mahnt uns, frischen Mut zu fassen;
Diesen hat uns Gott gesendet,
Und er wird ihn leben lassen.«
Beda drauf: »Dir keimt die Hoffnung
Aus dem Wunsch, der helfen möchte,
Still genügsam, gleich dem Moose,
Das sich nährt vom Tau der Nächte!
Doch Erfüllung blüht und sprießet
Aus dem Forschen und Begreifen;
Goldne Frucht, im goldnen Lichte
Nur der Sonne kann sie reifen.
Pater Prior, alte Meister
Lehrten mich, der Dinge Wesen
Ahnend, manches Blatt im großen
Buche der Natur zu lesen.
Und Gegebnes sinnig fördernd,
Hab' ich dies und das erfahren,
Denn ich ging mit offnen Augen,
Und ich geh' in greisen Haaren.
Doch zum Trotz den greisen Haaren,
Wohl zur Strafe meiner Sünden,
Kann ich dieses dunkeln Siechtums
Dunkle Tiefe nicht ergründen.
Fürchten muß ich, fast mit Grauen,
Daß im Leib des Qualverzehrten
Einer hause der Verwiesnen,
Die sich gegen Gott empörten.«
Ailrat sprach: »Nur Traumgebilde,
Hirngespinste eines Kranken,
Schnell wie Sturmgewölk zerflattert,
Sind es, die ihn wirr umschwanken.
Lächeln kann er wie ein Mädchen,
Wie ein Berserk kann er knirschen;
Jetzt im Garten bricht er Blumen,
Jetzt im Walde geht er birschen.
Meist auf Thorkells dunkelm Drachen
Schweift er durch den weiten Norden,
Und mir selber ist beim Lauschen
Ein Erinnern wach geworden;
Denn ich bin ihm oft begegnet,
Als ich noch in wilden Jahren,
Rasend durch die Sund' und Meere,
Mit dem Wikingsvolk gefahren.
Vielgenannt, der stumme Sachse
Hieß er bei den Schwertgenossen: –
Doch vernehmt; er spricht, und wieder
Jagt er auf den blauen Rossen.« |
2. |
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»Wie ein toter Stör im Sande
Klebst du an derselben Stelle:
Thorkell, sieh, die Wimpel flattern,
Meerwärts locken Wind und Welle!
Meerwärts spreizen sich die Franken,
Hast du Normannsmut im Herzen,
Über sie, die eitlen Prahler,
Mit dem Schwert hinwegzuscherzen!
Thorkell, sieh, die Wimpel flattern;
Laß den frischen Hauch uns nutzen:
Willst du träumen, kannst du träumen,
Wenn wir auf der Metbank sitzen.« |
3. |
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»Nein, ich mag nicht, kleine Thora!
Süßer Met, dein braun Gebräude,
Nippst du auch am Rand des Hornes,
Nein, es schafft mir wenig Freude.
Quellenkühle! Einen Helmvoll
Bringt mir aus dem Born im Grunde,
Den in seines Durstes Qualen
Sucht der Edelhirsch, der wunde.
Und an stiller Bergeshalde
Lauscht ein Reh in Tau und Blüten:
Vor dem Wolf, dem falschen Schleicher,
Mag das fromme scheu sich hüten.
Vor dem Wolf, dem falschen Schleicher
Mag es fliehn mit bangem Beben;
Nicht vor mir, du schlanke Elbe,
Nicht vor mir, du liebes Leben!
Kam ich dir in dein Gehege,
Schwarzer Graf! Du ballst die Brauen!
Hildegunde, deine Tochter,
Ist die seligste der Frauen!« |
4. |
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»Finstrer Thorkell, ringereicher
König auf der blauen Welle,
Sieben Jahre, finstrer Thorkell,
Dient' ich dir als Heergeselle.
Finstrer Thorkell, sieben Jahre
Für den Wind und für die Ehre,
Nicht für Thora, deine Schwester,
Folgt' ich dir durch alle Meere.
Dunkel ist die kleine Thora,
Und ich liebe lichte Locken,
Lichte Locken, lang und sonnig,
Wie der Flachs an Freias Rocken.« |
5. |
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»Asbjörn, fest die Faust am Steuer;
Thorkell, gib dem Sturm die Linnen:
Steif gen Westen! – Seht, dort schwebt sie,
Seht, dort gleitet sie von hinnen!
Steif gen Westen! – Seht, dort schwebt sie
In des Abends Purpurgluten;
Ihre Schleier, wie sie flattern,
Ihre Locken, wie sie fluten!
Half ich euch in fünfzig Schlachten,
Helft mir jetzt, die Braut gewinnen:
Asbjörn, fest die Faust am Steuer;
Thorkell, gibt dem Sturm, die Linnen!
Riesengroß. Um ihren Nacken
Flammt und weht die rote Wolke,
Und ihr Fuß, der schnelle, flüchtet
Auf des Meers empörtem Kolke.
Asbjörn, fest die Faust am Steuer:
Thorkell, gib dem Sturm die Linnen:
Steif gen Westen! – Seht, dort schwebt sie,
Ah, – dort gleitet sie von hinnen!« |
6. |
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»Zornig um den Vordersteven
Schäumen die empörten Wellen;
Ha, die grauen Wasserwölfe,
Wie sie springen, wie sie bellen!
Grimme, graue Wasserwölfe,
Helas nimmersatte Meute,
Was ihr wollt, ihr sollt es haben:
Frankenleiber, wüste Beute!
Kämpen, seht vom hohen Maste
Stolz des Kreuzes Banner wehen
Und darunter übermütig
Sich die welschen Wichte blähen!
Drauf, und knüpft die Hauben fester,
Werft die Haken, drangehalten;
Rascher Sprung an Bord des Feindes
Und ein lustig Schädelspalten!
Schwertgenossen, jeder wähle!
Du dort unterm goldnen Helme,
Du bist mein; zur Dunkelblauen
Fahren heut nur blasse Schelme.
Schlanker Knabe, – nein, ein andrer
Sei das Opfer meiner Hiebe:
Dieser, – o er hat dieselben
Stillen Augen, die ich liebe.« |
7. |
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»Ostsüdost! Dort dröhnt die Brandung;
Das sind Englands Kreideklippen:
Asbjörn, beigedreht, sonst brechen
Diese Nacht wir Rumpf und Rippen!
Segel ho! Ein seltsam Fahrzeug:
Schwarz der Steven, schwarz die Flanken;
Auf dem Deck, wie Rauch im Winde,
Bleiche Schemen wehn und wanken.
Alle Taue, alle Tücher,
Die an Mast und Stange schimmern,
Silbergrau wie Spinngewebe,
Daß hindurch die Sterne glimmern.
Ha, das Geisterschiff! Vorüber
Huscht es wie ein dunst'ger Streifen;
Rastlos bis zur Götterdämmrung
Durch die Sunde muß es schweifen;
Rastlos bis zur Götterdämmrung
Durch die Wasser muß es jagen,
Jede Nacht vom Belt zur Themse,
Jede Nacht vom Tweed nach Skagen.« |
8. |
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»Nicht ein Tanz auf grünem Anger,
Nicht ein Spiel um rote Ringe:
Nein, ein blutig ernstes Werben
Mit der breiten blanken Klinge!
Hurtig treibt stroman die Schiffe
Weit ins Land, ihr kühnen Wager;
Männlich ist's, man faßt den braunen
Waldbaron im eignen Lager.
Alter Asbjörn, greiser Eber,
Gestern wetztest du die Wehren:
Prüf sie heut; auf breitem Markte
Starrt ein Wald von Frankenspeeren.
Gut gehau'n, du grimmer Kämpe,
Magst die Kräh'n zum Mahle laden!
Von den Steinen in die Lüfte
Dampft des Blutes grauer Schwaden.
Wie, du schwankst? – Doch schafft dem Stolzen
Wenig Harm die rote Ritze:
Nur das Tor, durch das ein freier
Held sich schwingt zum Göttersitze.
Legt ihn auf die Renntierdecke;
Morgen, wenn die roten Funken
Sprühn aus hundert Frankengiebeln,
Wird sein Sterbeöl getrunken.« |
9. |
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»Gutes Schiff, umsonst geschüttelt
Wird dein Kiel von Wind und Wellen;
Sind doch Sturm und Nordlandseiche
Altvertraute Spielgesellen.
Sigwald, nicke nur am Steuer,
Wind und Welle sind entschlafen,
Und im Schein der Abendröte
Schwellt die Flut uns in den Hafen.
Nicke nur, der kluge Drache
Kennt den Sund; nun schweigt; ich liege
Arbeitsmüde, reisemüde
In der weiten Wasserwiege.
Weckt mich nicht; es war ein rauhes
Tagewerk: nun will ich schlafen!
Seht, im Schein der Abendröte
Schwellt die Flut uns in den Hafen!« |
10. |
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»Eine sitzt mir gegenüber
Still und freundlich; Huld und Güte
In den Blicken, auf den Wangen
Lilienschnee und Rosenblüte.
Sie? – nicht sie; wohl ihre Schwester,
Wenn sie eine Schwester hätte.
Treu, mit nimmermüden Augen
Wacht sie an der Lagerstätte.
Treu, mit nimmermüder Sorge
Pflegt sie mich wie einen Kranken.
Bin ich krank? O müde, müde
Von dem Ringen mit dem Franken!
Und mein Kopf! – Sie nickt; das Kissen
Glättet sie und nickt mir wieder: –
Ah, das Kreuz, das schlimme Zeichen,
Trägt sie auf dem weißen Mieder.
Ah, das Kreuz! – Zu allem Holden
Muß sich stets das Kreuz gesellen,
Stets das Kreuz! – Mir macht es Grauen,
Mehr als Sturm und wilde Wellen.
Und es klingt mir stets im Ohre:
›Geh, du gehst zum schwarzen Grafen!‹
Nein, ich will nicht! – Fremdes Mädchen,
Gib mich frei und laß mich schlafen!« |
11. |
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»Holde Fraue, allzulange
Hab' ich Meer und Land durchmessen,
Allzulange, holde Fraue,
Deines Dienstes gar vergessen.
Töricht war's, um ferne Kämpfe
Heimatliches Glück zu tauschen,
Lindes Wort um Waffendröhnen,
Süßen Sang um Sturmesrauschen.
Holde Fraue, sitzen sollt' ich
Kränze windend dir zu Füßen;
Zieren müßten deine Locken
Alle Blumen, die da sprießen.
Deine Stirne müßten schmücken
Alle Kronen, die da schimmern,
Und des Himmels hellste Sterne
Drin als Edelsteine flimmern.
Allzulange, holde Fraue,
Hab' ich Meer und Land durchmessen,
Holde Fraue, allzulange
Deines Dienstes gar vergessen.« |
12. |
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»Die vom Himmel führt zur Erde,
Wie sie strahlt, die bunte Brücke!
Geh' ich aufwärts? Eil' ich wieder
Nach der dunkeln Au zurücke?
All die ew'gen Götter winken
Freudig mir vom hohen Saale:
Bragi schlägt der Harfe Saiten,
Idun hebt die goldne Schale;
Wodan zeigt nach Walhalls Bänken,
Wo der Rast die Helden pflegen;
Donar mit dem Feuerbarte
Reicht das Methorn mir entgegen.
Freia – doch am Brink dort sitzet
Eine Idis, schön wie Jene:
Auf die weiße Ros' am Busen
Tropft und tropft die warme Träne. –
Nein, ich mag nicht euern Himmel,
Abwarts muß ich zu der Einen:
Mächtig ist ob allen Mächten
Einer Jungfrau stilles Weinen!« |
13. |
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»Wasserbrand! Die Woge leuchtet!
Wie der Stahl aus hartem Kiesel,
Lockt der Bug aus weicher Welle
Funkensprühn und Glutgeriesel.
Feuchtes flammt und Kaltes lodert,
Glimmende Demanten flimmern;
Dort und hier in lichten Fluten
Rote Wunderblumen schimmern.
Wasserbrand! In wüsten Knäueln
Durch das Flackern, durch das Feuer,
Selbst erschrocken und erschreckend,
Ziehn des Abgrunds Ungeheuer.
Faßt die Ruder! Von den Rudern
Spritzt es heiß; – soweit ich blicke,
Brennt das Meer: in Rauch und Asche
Stürzt die Welt, und ich ersticke!« |
14. |
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»Glut und Dampf aus allen Fugen,
Dampf und Glut aus jeder Ritze;
Roter Hahn, die Flügel schlagend,
Kräht er auf der Giebelspitze!
Hildegunde! – Durch das Prasseln
Hör' ich nicht ihr banges Rufen?
Vorwärts, ob die Balken brechen,
Aufwärts über morsche Stufen!
Ja, ich komme, dich zu retten
Aus des Feuerberges Schlunde:
O wie heiß, wie heiß die Lohe! –
Ich ersticke: Hildegunde!« |
15. |
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»Ja, das ist die greise Waldfrau;
Ja, dort sitzt sie, die ich suche;
Immer sinnend, immer traurig,
Blättert sie im Runenbuche.
Nein, der Wind – Auf kaltem Steine
Starrt sie, wie aus Stein gehauen!
Tret' ich hin? – Der grimme Wächter
Ihr zu Füßen macht mir Grauen.
Nein, sie selbst. – Mit düstern Blicken
Mißt sie mich vom Kopf zur Zehe:
Kannst du wollen, weise Wala,
Daß ich trostlos von dir gehe? –
Still, sie hebt die hagern Hände;
Ist's Verwünschung, ist es Segen?
›Auf des Waldes dunkeln Pfaden
Tritt das Schicksal dir entgegen!‹« |
16. |
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»Sprich nicht von des Feuers Wüten,
Nicht vom Zorn der wilden Wasser,
Nicht vom Göttergroll: die Menschen
Sind der Menschen schlimmste Hasser!
Nicht das Horn des plumpen Brüllers,
Schlangenschleichen ist gefährlich; –
Wie sie schlichen, wie sie gleißten:
Rab, wohl bist du rauh, doch ehrlich!
Fort, den Strick am Hals! Hinunter,
Wie zur Hel, auf grauen Wegen!
Und der Königsbote lachte:
›Das ist Donars Hammersegen!‹« |
17. |
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»Diethelm, mich erschreckt dein Schweigen,
Mich verwirrt dein stummes Starren;
Diethelm, komm; im dunkeln Walde
Sollst du einen Wolf verscharren,
Einen ehrlos Vogelfreien!
Der Gebannte, der Gehetzte,
In die Erde muß er kriechen,
Seines Stamms der Letzte, Letzte! –
Weißt du, in den Tonnen, Diethelm,
Wo der Ruh' die andern pflegen,
Sollst du sacht mich zu den andern
In das kalte Steinbett legen;
Auch den Helm, nach Vätersitte,
Auch das Schwert; ich bin der Letzte.
Statt des Schildes, den sie brachen,
Dieses Wams, das blutgenetzte.
Unbekümmert um den Toten
Wird der Wind vorüberschauern,
Und nur sie, die greise Wölfin,
In der Nacht am Hügel trauern.« |