Im Konvent zu Dreizehnlinden
Saß der Abt in stiller Zelle,
Blätter auf dem Eichentische,
Rollen auf dem Buchgestelle.
Emsig schrieb er Zahl zu Zahlen,
Manche Reihe frommer Spenden,
Zugewandt dem Gotteshause
Nah und fern von milden Händen:
»Brunicho von sieben Hufen
In der Mark zu Wulfhardseichen
Jährlich vierzehn Scheffel Roggen;
Digg von Düsterloh desgleichen.
Merke wohl, die Bringer werden
Gut in Brot und Bier gehalten
An der Herdstatt, doch der Rosse
Hat ein jeder selbst zu walten.
Ferner: Fridemar von Rohrbeck
Pfingsten dreizehn Pfund Forellen;
Item einen Korb voll Binsen
Zum Bestreun der Klosterzellen.
Guntram von zweihundert Jochen
Auf dem Brink zur scharfen Ecke
Petritag sechs Malter Gerste;
Ado fährt und leiht die Säcke.
Dann vom Hof zu Aldanthorpe
Asmar jährlich zwölf Denare,
Eine Tonne Salz und einen
Feisten Hirsch im andern Jahre;
Item einen Lederhandschuh
In den zwölf geweihten Nächten
Für den Abbas; wechselweise
Einen linken, einen rechten.
Weiter: Sigiburg, die Witib,
Statt des Zinses von dem Viehe
Thomä einen Weizenkuchen,
Der ihr reicht vom Fuß zum Knie.
Ansfried für den Neubruchzehnten
Zu Sankt Veit drei fette Schafe;
Meginhard, der Schmied, ist Zeuge;
Bei Versäumnis eins als Strafe.
Hathugrim vom Donnerberge
Einen Hahn und dreizehn Hühner
Für die Ruhe seines Vaters
Markulf, der ein Götzendiener.
Dodiko vom Eberbronnen
Einen Pelz von Lämmerfellen
Jedes neunte Jahr; daneben
Grauer Leinwand zwanzig Ellen;
Item neunzehn Bogenschützen
Für die Not, und einen Reiter.
Ferner: – doch genug! Ich schreibe
Morgen das Registrum weiter.« –
Im Konvent zu Dreizehnlinden
Saß der Abt in stiller Zelle;
O wie klang vom Lindenaste
Heut der Drosselschlag so helle!
Denn der Winter war vergangen,
Wilder Wald und Garten blühte;
O wie sang dem alten Manne
Heut die Drossel ins Gemüte!
Hoffnung? Ihre Laubgewinde,
Träumerische Blumenglocken,
Flattern nicht um graue Scheitel,
Gaukeln nur um blonde Locken.
Hoffnung nicht! Der Vielgetäuschte
Lernt' Entsagung mit den Jahren,
Doch es blieb ihm ein Erinnern
An die Frühlinge, die waren.
O, ein freudiges Erinnern
An der Jugend heitre Lenze
Weit im Süd, und all die reichen
Speererrungnen Siegeskränze.
Einst, – am Ebro war's; – wie Geier
Schwärmten rings die Mohrenmänner;
Ruhig, wie aus Erz gegossen,
Hielt die Schar der Kreuzbekenner.
Zweikampf heischend schwang der Emir
Hoch den Stahl im Feuerkreise
Und – da pocht es; sich verneigend
Stand der Sachse vor dem Greise.
»Würd'ger Abt, die Lerche schmettert,
Flur und Hain begann zu sprießen:
Scheiden muß ich; Eures Brotes
Darf ich länger nicht genießen.
Was ihr Holdes an mir tatet,
Lohn' euch euer Herz und jener,
Der den Sohn des Hauptmanns heilte,
Euer Gott, der Nazarener.
Gunst und Güte zu vergelten,
Wie geläng' es einem Gaste,
Arm wie ich, arm wie die Krähe
Auf dem winterkahlen Aste!
Nehmt denn, was mir blieb, des Mundes
Kargen Dank statt jedes andern;
Eins noch; Euer Tun, ich hätt' es
Euch getan; – nun laßt mich wandern!
Fahren muß ich fremde Straßen,
Sorgenvoll auf dunkler Reise,
Ob ein Gott durch Traum und Angang
Mir den Pfad im Irrsal weise.«
Und dem Abt die Rechte bietend,
Weint' er laut, zum ersten Male
Seit er an dem Sarg der Mutter
Einsam stand im öden Saale.
Doch der Abt, mit beiden Händen
Hielt er ihn: »Wie hast du Eile!
Straßen gibt es, hundert Straßen,
Und nur eine führt zum Heile.
Sprich, wohin?« – »Ich weiß im Norden
Einen Mann, im Land der Friesen,
Der in ernsten hohen Dingen
Einst den Knaben unterwiesen.
Fragen will ich –« »Frag den Blinden
Nach des Weges Richt' und Krümme!
Elmar, frag dich selber: redet
Dir im Herzen keine Stimme?« –
»O, ich dachte –« »O, du dachtest,
O, du suchtest mit der Binde!
Jugend meint, und ihre Meinung
Ist wie Dünensand im Winde.
Deiner Wünsche stetes Wechseln,
Deiner Sorge ew'ges Schwanken,
All dein Hoffen und Verzweifeln,
Elmar, nennst du das Gedanken?
Was du willst, das willst du nimmer,
Was du fliehst, begehrst du eben;
Tief, wie eine Todeswunde,
Geht ein Zwiespalt durch dein Leben.
Hülf' es, dich auf Hof und Hufe,
Wie du warst, zurückzuführen?
Du verlörest im Gewinnen,
Noch gewännst du im Verlieren.
Was dich kränkt und heilt, ich weiß es
Besser als der Mann im Norden:
Elmar, sei ein Christ! Im Geiste
Bist du längst ein Christ geworden.«
»Ich ein Christ?« – »Seit Sorg' und Kummer
Deine düstern Schlafgenossen!
Elmar, wer da sucht, der findet,
Wer da klopft, dem wird erschlossen.
Arme Menschen, hin und wieder
Tun sie recht im besten Falle;
Reicher Gott, in ew'ger Liebe
Hält und hegt er dich und alle.
Rief er dich? Wie oft! – Sein Rufen
Übertäubten Wind und Welle;
Endlich kam er selbst, er selber
Führte dich zur Klosterzelle.
Wund und siech! Die Wunde heilte,
Und vom Siechtum fast genesen,
Zweifelst du, weil du so lange,
Allzulange siech gewesen.« –
Sprachlos stand der junge Sachse,
Starr sein Blick und schlaff die Glieder;
Plötzlich, wie vom Blitz getroffen,
Vor dem Greise sank er nieder.
Jammer in den nassen Augen
Lag er flehend auf den Knien,
Und die Hände faltend, sprach er:
»Segne mich – und laß mich fliehen!«
»Sei gesegnet, wilder Knabe,
Doch du darfst nicht von uns scheiden!
Komm, wir gehn zum Pater Prior,
Er ist klug und rät uns beiden;
Klug und fromm; die Bücher alle
Sind ihm kund; von einem Helden,
Der geritten nach Damaskus,
Wird er Sturz und Sieg dir melden.« |