Friedrich Wilhelm Weber
Dreizehnlinden
Friedrich Wilhelm Weber

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XVI. Beim Weben und Nähen

            Kurze Tage, lange Nächte;
Müh' und Arbeit ruhn nur selten:
Was der kurze Tag versäumte,
Muß die lange Nacht entgelten. –

Auf dem Hof zu Bodinkthorpe
Regten sich noch spät die Hände:
Emsig strebte man zu schaffen
Winterwat zur Weihnachtsspende;

Winterwat für arme Leute,
Dies und das für Haus und Gäste:
Sei willkommen, liebe Gabe,
Christtagsgab' ist doch die beste. –

Still wie meist, nur etwas stiller,
Bleich wie stets, nur etwas bleicher,
Saß im Kreis des Hofgesindes
Hildegund im großen Speicher.

Webend warfen starke Mägde
Dort die Spulen um die Wette;
Blaue Wolle war der Einschlag,
Blankes Leinen war die Kette.

Hier die Kleinern, bienenfleißig,
Mühten sich mit Zwirn und Nadel;
Hildegunde, allbeachtend,
Nickte Lob und winkte Tadel.

Nächst dem Herd auf buchnen Schemeln
Eiferten die ernsten Knechte,
Wer aus knorrigem Maßholder
Feinsten Hausrat schnitzen möchte:

Glatte Löffel, schön geschwungen,
Honigschalen, Buttertöpfe
Und, zu zartem Angebinde,
Pfeile für die Mädchenzöpfe.

Isenhard, der Meier, spellte
Säuberlich die junge Birke,
Daß er, Strang in Strang geflochten,
Schwanken Peitschenstiel sich wirke:

»Denn das Treiben ist vonnöten«,
Knurrt' er; »Gerd, bei dir vor allen, –
Und den andern! – Doch da draußen,
Klang es nicht wie Hörnerschallen?

Naseweis, du kleine Aiga,
Lache nicht! In Sommernächten
Tanzen Elben, doch im Winter
Wird Gewalt den dunkeln Mächten.

Nahn wir nicht den heil'gen ZwölfenIn den heiligen Zwölfen, den zwölf Nächten zwischen Weihnachten und Dreikönigstag, der sonnenlosesten Zeit des Jahres, war nach dem Volksglauben den dunkeln Mächten Gewalt gegeben. Alsdann fuhr die wilde Jagd, Wuotans Heer, das wütende Heer, geführt von Hackelberg oder Hackelberend, durch die Lüfte. Hakolberand, der Mantelträger, ist ein Beiname Wodans, der als einäugiger Greis in breitkrempigem Hut und blauem Mantel gedacht wurde. Grimms D. Myth. 875. – Daß von den Bekehrern unserer heidnischen Vorfahren die alten Götter als feindselige Unholde dargestellt und somit ein Gegenstand des Grausens wurden, ist bekannt.,
Wo der alte Vielbeschriene
Nächtlich fährt durch Wald und Wolken,
Hakelbernd, der Himmelshüne?

Kliff und Klaff und heis'res Wiehern:
Ho hoto! Auf fahlen Rassen
Durch die Luft wie Dunst und Schemen
Braust das Heer der Jagdgenossen.

Selber hört' ich oft das Rufen,
Schritt ich einsam im Gehege:
›Mitten auf den Weg!‹ – Ich hielt mich
Immer mitten auf dem Wege.

O, er ist nicht schlimm, der Alte;
Manchem schenkt er gute Spende:
Einem Schneider, Hungerleider,
Warf er eine Pferdelende.

Weserab zum Isenhofe
Hatte von den Hunden einer
Sich verrannt; er lag am Herde,
Und vertreiben konnt' ihn keiner;

Grau und dürr; er fraß nur Asche;
Immer war er stumm und lauschte
Halb im Schlaf mit leisem Winseln,
Wenn der Sturm den Wald durchrauschte.

Aber in den nächsten Zwölfen,
Als des Heeres wildes Toben
Mitternachts vorüberkeichte,
War er weg und wie verstoben.« –

Friedebrand, der Roßknecht, sagte:
»Ich auch bin's gewahr geworden:
Durch die Schlucht am Eschenberge
Kam's herauf und fuhr gen Norden;

Ein Gejiff aus hundert Hälsen,
Peitschenknallen und Geheule,
Lachen, Schrei'n, und all dem Schwarme
Weit voraus die große EuleDer wilden Jagd fliegt eine Eule voraus, die Tutosel, Tutursel, die eine Nonne gewesen sein soll und nach ihrem Tode dem Hackelberend zugesellt wurde. Grimms D. Myth. 874..

Und am Kreuzweg, nächst der Linde,
Jäh vom Himmel auf den Boden
Stürzt' es, Roß und Mann; mir grauste
Vor dem Grimm des alten Woden.

Denn wohl sah ich Hut und Mantel,
Doch der riesenlange Reiter
Raffte sich empor, und jammernd
Durch die Lüfte rast' es weiter.«

Imma sprach: »Mit weißem Schleier,
Blauem Kleid und langen Locken
Singt am Quell im Wald Frau Holle
Sommerlang und zupft am Rocken;

Winters muß sie mit den andern
In des Heers verworrnem Schalle
Trostlos durch die Wolken schweifen
Wie die Nichterlösten alle;

Wie die ungetauft gestorbnen
Bleichen Kinder. ›Tausend Jahre?‹
Wimmert eins; und ›länger, länger!‹
Ruft's zurück, und ›fahre, fahre!‹« –

Sprach der Meier: »Dunkle Dinge!
Immer mitten auf dem Wege
Bleibe jeder! – Kommt, ihr Knechte!
Roß und Rind verlangen Pflege.« –

Aiga sprach: »Vom Junker Griese
Sagt man auch, er müsse jagen
Ewig rastlos durch die Moore,
Weil er einen Mönch erschlagen.«

Drauf die Herrin: »Laßt die Märchen;
Ernstes gibt es zu beschicken.
Arme Doda, ängstlich brauchst du
Nach dem Laden nicht zu blicken.

Was du hörst, ist Windestosen
Und der Eichen dumpfes Stöhnen.«
Seufzend sprach das Frankenmädchen:
»Ach, ich kann mich schwer gewöhnen!

Welch ein Land! Zehn Monde Winter
Und zwei Monde schlechtes Wetter!
Bärenart sind seine Menschen,
Bäum' und Riesen seine Götter!

Grau die Erde, ohne Blumen,
Grau der Himmel, ohne Sonne:
O wie hell ist meine Heimat
An den Ufern der Garonne!« –

Aiga drauf: »Es mag dich schaudern,
Weiches Kind, im Land der Bären:
Zu den Ufern der Garonne
Tät'st du wohl, zurückzukehren.

Welch ein Land! Zwölf lange Monde
Blitzt und brennt die Sommersonne
Über Wäldern von Karfunkel
An den Ufern der Garonne.

An den Ufern der Garonne
Blühn der Blumen viel, – und welche!
Silberblanke, schlanke Knaben
Tauchen auf aus jedem Kelche;

Schlanke Knaben, die sich neigen
Und die Damen höfisch grüßen:
Heil den Ufern der Garonne,
Wo im Feld die Freier sprießen!

Spärlich sind sie hierzulande,
Viel zu spärlich, da in Sachsen,
Wie im Lied es heißt, die schönen
Mädchen auf den Bäumen wachsen.

Zu den Ufern der Garonne
Zieht sich sehnend dein Gemüte:
Gingst du morgen, arme Doda,
Kamst du recht zur Zeit der Blüte!«

Sprach die Herrin: »In der Schule
Warst du, Aiga, bei den Spöttern;
Spott auf Mädchenlippen, Aiga,
Ist ein Wurm auf Rosenblättern.«

Aiga bückte sich und nähte,
Rot und stutzig ob der Lehre;
Zweimal, dreimal riß der Faden,
Zweimal, dreimal fiel die Schere.

Doch sie liebt' es nicht, zu schmollen,
Und ihr helles Auge lachte,
Als sie, streifend durch die Locken,
Jetzt des kleinen VolksUnter den Begriff des kleinen Volks fallen die dämonischen zwerghaften Wesen, die Wichte, Elben, Dinger und Holden heißen. gedachte.

»Freundlich waren sie, die Holden,
Und uns Mägden dienstgewärtig;
Blieb die Arbeit abends liegen,
Morgens war sie immer fertig.

Doch jetzt sind sie ausgewandert;
Sie vertrieb das Glockenläuten,
Menschenfalschheit und im Walde
All das Rüsten und das Reuten.

Seh' ich diese Leinwandberge,
Denk' ich ihrer flinken Finger:
O sie würden rasch verschwinden,
Hülfen uns die guten Dinger!«

Doda drauf: »Der Christbescherung
Müssen fern die Dunkeln bleiben,
Die in Klüften und in Grüften
Unheilvolle Künste treiben.« –

Imma sagte: »Wird den Armen
Woll' und Linnenkleid gemessen,
Dürfen wir zwei nackte Schultern,
Eggis Schultern nicht vergessen.«

Doda rief: »Des Schmiedebuben?
Sünde wär's, an ihn zu denken,
Und am Fest des Gotteskindes
Unholdssippe zu beschenken!

Wer er ist, der schwarze Schleicher
Steht ihm auf der Stirn zu lesen:
Trägt er auch kein rotes HütchenDen Zwergen, Bergmännchen, kleinen Leuten, die bekanntlich gute Schmiede waren, wurde wegen ihrer Beschäftigung mit dem Feuer rotes Haar und roter Bart beigelegt, wie auch Donar, der Wettergott, rotbärtig gedacht wurde; sie trugen rote Röckchen und rote Hütchen. In Frankreich heißen sie Chaperon rouge; Rotkäppchen kommt im deutschen Märchen vor. Simrocks D. Myth. 435.,
Ist er doch ein elbisch Wesen;

Einer von den Spaltenschlüpfern,
Die voll Schadenfreude lachen,
Wenn sie mit Betrug und Tücke
Wirr und wild die Menschen machen.«

Aiga sprach: »Der arme Junge!
Weil er braun von Aug' und Wangen,
Weil er lustig und behende,
Soll er nun kein Wams erlangen?

Traun, als eins der Koboldskinder
Ist er friedlich und gemütlich;
Manche seiner Halbgeschwister
Sind nicht halb so nett und niedlich.

Tu dich um, du feine Doda,
Glätte dir die starren Strähne,
Färbe blau die Kohlenaugen,
Rot den Mund und weiß die Zähne!

Schält' ich dich: du gelber KielkropfKielkropf, Mißgeburt, Wechselbalg. Deutsches Wörterbuch der Brüder Grimm V. 680. ,
Der du bist, – was ich nicht wagte,
Statt: du lichte Südlandsblume, –
Was ich löge, wenn ich's sagte:

O, dein lindes Händlein würde
Mir die beste Backe messen,
Daß auf ihr im weißen Winter
Fünf Garonnerosen sprössen!«

Strafend sprach die holde Herrin_
»Aiga, halt im Zaum die Zunge!
Alle sind sie meine Sorge,
Auch der arme Schmiedejunge. –

Schrie nicht dort die wilde Katze?
Zeitig ist es, abzubrechen;
Geht zur Ruhe und versäumet
Nicht, das Nachtgebet zu sprechen!«


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