Ernst Wichert
Der Bürgermeister von Thorn
Ernst Wichert

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Siebentes Kapitel

Des Hochmeisters Abschied

Am andern Tage war Marcus schon lange vor der Sonne auf und eilte aufs Dorf hinaus. Zu seiner schmerzlichsten Verwunderung mußte er aber vom Schulzen erfahren, daß die Fremden schon vor zwei Stunden bei völliger Dunkelheit aufgebrochen seien. Die Frau habe ihm aufgetragen, den jungen Herrn zu grüßen und ihn zu bedeuten, daß sie absichtlich nicht gewartet habe, da sie seine Begleitung für den Rückweg auf keinen Fall hätte annehmen wollen. Sie hätte auch sonst gute Gründe, nicht länger zu verweilen. Das junge Fräulein habe recht traurig ausgesehen und ihm ganz zuletzt noch eine schwarze Feder gegeben, die der Rabe in der Nacht verloren. Die möchte Marcus zu ihrem Andenken auf dem Hut tragen.

Marcus hatte zuerst nur den Gedanken, daß er sich aufs Pferd werfen und den Frauen nacheilen möchte, so schnell dasselbe nur laufen könne. Bald mußte er sich aber überzeugen, daß sie doch einen zu starken Vorsprung hätten. Auch war der Zweifel gerecht, ob er Frau Regina genehm kommen würde. Offenbar wünschte sie, daß er Ursula nicht mehr sehe. »Ach –! aber denken werde ich an sie immer, immer!« rief er, sein Pferd nach der Stadt zurücklenkend. »Wie kann ich je noch glücklich sein, wenn sie nicht bei mir ist?« Er küßte die Feder, die ihre Hand berührt hatte. »Und auch sie vergißt mich gewiß nicht –!«

Am Abend hatte Konrad von Erlichshausen das Bad genommen. Es brachte ihm einen langen und erquickenden Schlaf. Jetzt am Morgen war er nach vielen Wochen zum erstenmal wieder schmerzfrei. Seine Umgebung konnte sich deshalb leicht über seinen Zustand täuschen und eine plötzliche Wendung zur Besserung vermuten. Er selbst gab sich keiner solchen Täuschung hin; ließen doch die Worte der Waldfrau keine andere Deutung zu, als daß er sich auf den nahen Tod vorzubereiten habe. Und damit beschäftigten sich nun alle seine Gedanken. Es war ihm zu seiner tiefsten Bekümmernis nicht gelungen, Tileman vom Wege umzustimmen; er hatte mit seiner Feindschaft gegen den Orden zu rechnen. Nun mußte der Versuch gemacht werden, dem schlimmsten Unheil vorzubeugen. Gleichsam ein Vermächtnis seiner Regierungsweisheit wollte er denen auftragen, die nach ihm die Geschicke des Ordenslandes zu lenken haben würden, und er durfte hoffen, daß die Mahnung des sterbenden Meisters nicht unbeachtet verhallen werde. Deshalb hatte er sein Gebietiger zu sich beschieden. Bei ganz klarem Sinn wollte er diese letzte Handlung vornehmen.

Deshalb goß er auch selbst, als nun die Stunde kam, mit zitternder Hand einige Tropfen von dem köstlichen Elixier in den Becher mit Wein, der neben ihm auf dem Tisch stand, und trank ihn zur Hälfte aus. Der Duft, der sich davon durch das kleine Gemach verbreitete, war so stark, daß die eintretenden Brüder sich einen Augenblick wie betäubt fühlten. Der Trappier Wilhelm von Helfenstein, der dem Bischof Franziskus freie Hand gelassen hatte, wiegte bedenklich den Kopf, und der Großkomtur Heinrich von Richtenberg raunte dem Hauskomtur heimlich zu, er solle sorgen, daß das Fenster aufgestoßen und frische Luft eingelassen werde; der enge Raum sei so scharf gewürzt, daß man nicht atmen könne. Der Hauskomtur folgte seinem Befehl, dem der kranke Meister nicht widersprach.

Außer den beiden anderen Großgebietigern, dem Marschall Kilian von Exdorf und dem Spittler Heinrich Reuß von Plauen, waren auch einige Komture eingetreten, die sich gerade in der Marienburg aufhielten und von den Großgebietigern zugelassen wurden, ihren Abschied von dem Hochmeister zu nehmen. Sie umstanden in ihren weißen Mänteln das Bett, hatten die Köpfe gesenkt und die Hände gefaltet. Die Schwerter hatten sie draußen abgegürtet, trugen auch sonst keinen Harnisch über dem Hauskleide. Konrad von Erlichshausen richtete sich ein wenig auf, überblickte die Versammlung und grüßte sie mit mehrmaligem Nicken des Hauptes. Er schien die Anrede zu erwarten.

Nun trat der Großkomtur einen Schritt vor, verbeugte sich und sagte: »Edler gnädiger Herr Hochmeister, Euer Gnaden Krankheit ist uns leid, doch getrauen wir zu Gott, daß er Euer Gnaden noch wird fristen.«

Der Kranke antwortete darauf: »Der allmächtige Gott ist ein Regierer aller Dinge, sein göttlicher Wille muß geschehen hier in Ewigkeit. Das Opfer des Todes sind wir alle schuldig, es werde kurz oder lang. Gott der Herr füge jedem Menschen eine selige Stunde.«

»Gnädiger Herr«, sagte Exdorf bewegt, »Gott der Allmächtige sendet einem Menschen Krankheit zu, er kann auch wohl die Gesundheit wiedergeben; darum habet ein gut Herz, es wird, ob Gott will, wohl zur Besserung kommen.«

Der Hochmeister lächelte bitter. »Ja, das ist alles wahr«, sprach er, die Stimme erhebend, »aber die Freude, die ich bei meiner Regierung von Euch und andern gehabt habe – – wäre ich nicht krank, sie müßte mich noch krank machen. Mir ist so wohl bei diesen Sachen, daß ich nur nichts anderes begehre, denn zu sterben. Gott vergebe mir meine Sünde!«

Da sahen sie einander mit verlegenen Mienen an; eines so starken Wortes war keiner gewärtig gewesen. Jeder meinte, der Nachbar werde Einspruch gegen so schwere Beschuldigung erheben. Aber niemand hatte den Mut dazu. Und so fuhr der Hochmeister fort: »Wundert euch nicht, daß ich so zu euch in dieser letzten Stunde rede. Denn ob ich schon meinen Widersachern christlich alle Beleidigungen von Herzen verzeihe, die sie meiner Person zugefügt, so weiß ich doch, daß damit dem Lande nicht zum Frieden geholfen werden kann, wie mir selbst. Wenn ich euch deshalb schelte, so ist's nicht, weil ich die Vergangenheit bedenke, die nicht mehr zu ändern ist, sondern euch zu mahnen, in Zukunft des Ordens und des Landes Wohl besser in acht zu haben und allen kleinlichen Hader zu unterlassen. Wäret ihr allezeit mit mir einig gewesen, ich hätte wahrlich in diesen zehn Jahren eine gute und standhafte Ordnung der Dinge aufrichten und jedem mit Billigkeit zu seinem Recht verhelfen können. Aber der Orden ist uneins in sich selbst und spannt allemal Pferde vorn und hinten an den Wagen, daß er so viele Schritte zurückgezogen ist, als vor, und trotz großer Anstrengung alles beim alten bleibt. Den Schwaben, Franken und Bayern ist's nur darum zu tun, daß sie aus den ihrigen nicht weniger Ämter besetzen als die Rheinländer, Meißner und die aus den nahen Ländern, bewachen einander wechselseitig mit Argwohn und Eifersucht, lehnen sich auf in den Konventen und treiben ihren Zank ins Kapitel hinein. So ist der Meister dort übel beraten und kann sich nicht einmal auf derer festen Beistand verlassen, die dem Beschluß beigestimmt haben. Alle hasset ihr freilich den Bund und wünschet ihn abgestellt, aber daß seine Ursache fortfalle, ist niemandes Sorge, sondern es mag halten oder brechen, ihr kümmert euch nicht darum. Wie soll aber das Land einig und in gutem Vertrauen zum Orden stehen, wenn es den Orden nicht einig sieht mit seinem Meister, der doch des Landes Fürst ist? Wie sollen die Untertanen zum Frieden gelangen, wenn die Herren selbst in Unfrieden leben und heimlich gegeneinander rüsten? Wie soll der Feind von seinem Übermut ablassen, wenn er uns schwach und schwankend steht? Wahrlich, ich hab's euch ohne Ansehen der Person immer zum Besten geraten, aber ihr habt wenig auf mich gehört, sonst könnt' ich jetzt beruhigter sterben. Es sind harte Köpfe unter euch, die wollen mit Gewalt das Alte zurückführen, das sich doch überlebt hat, und wieder Schwachmütige, die lieber willig konzedieren, was dem Orden zuwider ist, als es zu einem ehrlichen Kampf kommen lassen. Darum ist mir das Herz schwer, wenn ich der künftigen Zeiten gedenke.«

Auf den Gesichtern der Umstehenden sprach sich während dieser Strafrede meist Unwillen und Trotz aus; sie gefiel keinem, denn jeder mußte sich für getroffen halten. »Gnädigster Herr«, nahm Plauen das Wort, »wenn Ihr mich zu den harten Köpfen zählt, so will ich dem nicht widersprechen, hätt' auch gern Euer Gnaden mit Rat und Tat Beistand geleistet, den giftigen Drachen niederzuwerfen, der uns im Bunde erstanden ist. Bin aber von Euer Gnaden nicht zum Schwerte gerufen und mag nicht verantworten, daß der friedliche Ausgleich mißglückt.«

Der Hochmeister seufzte leise. »Deine Treue hab' ich nie bezweifelt, Heinrich, so wenig als deines Willens Festigkeit. Aber solcher Männer wie du sind nicht viele, und doch müßten alle Brüder dir ähnlich sehen, wenn der Ruf zum Schwert gewagt sein sollte. Wie viele waren mit dir bereit zum Kampf um Tod und Leben?«

Der Großkomtur fand diese Erörterung nicht nach seinem Sinn. Er hielt Plauen selbst für einen Hitzkopf, dem Zügel angelegt werden müßten. »Gnädiger Herr«, wandte er sich an den Kranken, »ob Euch Gott von hinnen nähme, zu wem wollten Euer Gnaden uns raten, denn wir sollten kiesen zu einem Verweser dieses armen betrübten Landes an Euer Gnaden Stelle? Allhier wäre uns guter Rat groß vonnöten.«

»Ja«, bestätigte Konrad von Erlichshausen, »es wäre wohl große Not, einen weisen, verständigen Verweser diesem armen Land zu kiesen – wenn man ihn nur auch hören wollte!«

Die Gebietiger ermutigten den Großkomtur durch Winke mit den Augen, weiterzusprechen. »Gnädigster Herr«, fuhr er deshalb fort, »wir trauen zu Eurer Gnade, Ihr werdet uns hierin guten Rat geben, und wir wollen Eurem Rate mit Gottes Hilfe Folge tun.«

Darauf trank der Hochmeister von seinem Wein zur Stärkung und antwortete: »Ich sollte euch wohl raten, aber ich sehe, daß ihrer zwei vor andern nach dieser Ehre streben, und in betreff dieser beiden kann ich euch nur soviel sagen: nehmet ihr Reuß von Plauen, so habt ihr den Aufstand der Untertanen sicher – Gott gebe, daß nichts Ärgeres daraus erfolgen möge! Nehmet ihr meinen Vetter Ludwig, der kann sich selbst nicht vorstehen noch raten und muß wohl tun, was ihr und andere wollet. Ob euch das nun auch gefiele, so müßt's doch zu des Landes Verderben ausschlagen. Ich weiß, daß er Feinde hat, die seinetwillen des Ordens Feinde sind und denen er nimmer gewachsen sein kann, wenn er wie ein Rohr sich nach dem Winde beugt. Seid gewarnt!«

Diese ernsten Worte machten augenscheinlich auf die Gebietiger einen tiefen Eindruck. Die meisten hatten den Komtur von Mewe, Herrn Ludwig von Erlichshausen, im Sinn gehabt und waren nicht wenig erschreckt, den Meister gerade gegen diesen Verwandten, mit dem er bisher ihres Wissens in gutem Einvernehmen gestanden, so strenge zu finden. Sie wußten aber auch, daß er ihn ganz richtig erkannt hatte und den Grund durchschaute, weshalb er ihnen vor anderen genehm. Endlich brach Helfenstein das sehr peinliche Schweigen.

»Euer Gnaden haben uns, wie wir nicht zweifeln, in rechter Wohlmeinung von diesen zweien abgeraten«, sagte er, »wir verhoffen nun zu Euer Gnaden Erfahrung und Klugheit, Ihr wollet uns auch den Mann nennen, zu dem Euer Gnaden Vertrauen steht.«

Der Hochmeister hatte jeden mit Blicken scharf gemustert. Nur Reuß von Plauen wagte ihm offen ins Gesicht zu sehen; er schien durch seine Abmahnung nicht gekränkt zu sein. Wie's mit den andern stände, war leider nur zu gewiß. Der Kranke ließ das Haupt auf die Brust sinken. »Ich dürfte euch wohl raten zu Herrn Wilhelm von Eppingen«, antwortete er, »Komtur zu Osterode, der ist ein sanftmütiger, friedliebender Mann und meint das Land mit Treuen. Aber was ist es nütze, daß ich euch rate – es ist doch all' umsonst.« Er richtete sich vom Kopfkissen auf und hob die Stimme. »Denn ich weiß wohl, daß jüngst die meisten Gebietiger zu Mewe aus dem Schlosse zusammen gewesen sind und haben sich allda miteinander verbunden: welcher von ihnen Hochmeister wird, der soll den Bund abbringen, und sollte man auch das Land darüber verlieren. Gott gebe, daß es nicht geschehe! Uns stehet eine große Plage bevor – das machen unsere Sünden. Auf Gottesdienst achten wir nicht und stehen alle in großem Übermut. Ein jeder tut, was ihn nur gelüstet. Wollte Gott, ich wäre in ein Karthäuser Kloster gezogen, mir wäre um viel besser.« Er faltete und rang die Hände. »Gott vom Himmel, kehre den Jammer dieses armen Landes, das unsere Vorfahren mit großer Mühe und Arbeit mit der Hilfe Gottes von den Heiden gewonnen und manchen tapferen Mann darüber verloren. Man sehe zu, daß man es nicht durch Übermut und Gottes Verhängnis wieder verliere. Gott mag sich erbarmen!«

Er sank schwach auf das Kissen zurück, wendete das Gesicht nach der Wand, jammerte und seufzte in sich hinein. Die Umstehenden sprachen »Amen – amen!« doch mit beklommenem Gemüt. Sie warteten eine Weile, ob er nochmals das Wort nehmen wolle. Da das nicht geschah, segneten ihn die Großgebietiger, wendeten sich fort und hießen auch die andern gehen.

Draußen im Kreuzgang tauschten sie ihre Meinungen aus. Die einen waren erschüttert und dachten mit geheimem Grauen an die Zukunft. Andere setzten trotzig die Lippen auf und schüttelten drohend die Hand in der Luft. »Der kranke Herr ist gar kleinmütig«, sagte Richtenberg. »Darüber hatten wir auch in seinen gesunden Tagen des öfteren zu klagen. Es war nicht seine Sache, den Bund scharf anzufassen und des Ordens Reputation mit Strenge gegen die Untertanen zu wahren. Meinte mit Milde und Güte mehr auszurichten und möchte auch über seinen Tod hinaus kräftige Entschlüsse hindern. Aber es muß anders werden! Laßt euch nicht niederbeugen.«

»So wollt' ich«, sagte Plauen, »die den Kampf aufnehmen, führten ihn auch zum Ende. Man soll nicht mit dem Schwert rasseln, wenn man's nicht zu ziehen gedenkt, und es nicht einstecken, eh' es seine Arbeit getan. Bevor man's aber zieht, mag der Gegner zuversichtlich erfahren, um welchen Preis er den Frieden erkaufen kann, und den soll man auch ehrlich gelten lassen. Ich fürchte, nicht jeder ist so gesinnt.«

»Der Herr Hochmeister selbst nicht, wie es scheint«, bemerkte Helfenstein spitzig, »sonst hätt' er Euch dringender zur Wahl empfohlen.«

»Er hat von meiner Wahl abgemahnt«, antwortete Plauen sehr ruhig, »und das mit Recht. Was sollte der Orden wohl mit einem Oberhaupt von meinem Holz anfangen? Wählt, wen ihr mögt! Ich rate selbst von mir ab. Aber meine Zeit kommt vielleicht!« Der Spittler trat in seine Gastzelle und schloß die Tür hinter sich.

Helfenstein strich lächelnd den Bart. »Gott mag uns bewahren! Denn kommt seine Zeit, so muß es bei uns schon Matthäi am letzten sein. Er hat oftmals verlauten lassen, es würde nicht gut, wenn nicht die Ordensregel wieder mit voller Strenge herrsche. Ich glaub's, daß er Ritter, Knechte und Städte rasch wieder zum Gehorsam zurückführen würde, müßte dabei auch viel Blut fließen, aber ob uns hinterher wohl dabei wäre –!« Er zuckte die Achseln.

»Was haltet Ihr von Eppingen?« fragte Richtenberg.

»Er ist gewiß ein braver und friedliebender Mann«, meinte Exdorf, »geht aber still seine eigenen Wege und wird sich keine Bedingung vorschreiben lassen. Deshalb ist er dem Herrn Hochmeister, aber schwerlich uns genehm. Er war nicht in Mewe.«

»Wer hat dem kranken Herrn das von Mewe verraten?« fragte Helfenstein. »Es ist auf niemand mehr Verlaß.«

»Der Bischof ist viel um ihn gewesen und kann ausgeplaudert haben, was ihm hinterbracht wurde«, riet Richtenberg.

»Er ist aber selbst des Bundes heftigster Gegner.«

»Jawohl, weil auch die Prälaten den allgemeinen Richttag anerkennen sollen. Uns gönnte er ihn schon gern. Ich traue dem Pfaffen nicht – er möchte uns unter den Papst bringen.«

»So müssen wir den Kaiser ausspielen.«

»Das wollen wir bleiben lassen, solange es geht.«

»Jawohl – solange es geht.«

»Der Bischof treibt auch sonst allerhand Heimlichkeit im Krankenzimmer«, bemerkte der Marschall. »Gestern soll ein altes Weib bei dem Herrn Hochmeister gewesen sein und des Kranken Zustand untersucht haben. Habt ihr das Tränkchen gerochen, das ihm da gebraut worden? Es duftet so stark, als käm's geradeswegs aus der Hexenküche.«

»Der Bischof wird sich ja doch mit Zauberern und Hexen nicht abgeben!« wendete Helfenstein verlegen ein. Es gereute ihn schon, daß er dem geistlichen Herrn allzu willig durch die Finger gesehen.

»Pah! Er meint, ihn rühre das nicht an. Gesundet der Herr Hochmeister auf diesen Trank, so weiß ich, woran ich bin.«

»Geht's aber mit ihm schnell zu Ende, so weiß man erst recht, daß da ein teuflisches Spiel um Tod und Leben gewagt ist«, meinte einer der Komture.

»Warten wir's ab, liebe Herren«, mahnte Richtenberg. »Es kann sein, daß wir des Kranken Gemach nicht scharf genug bewacht haben. Nun ist's einmal geschehen –«

Konrad von Erlichshausen war nach Entfernung der Gebietiger wieder in tiefen Schlaf verfallen. Erst gegen Abend wachte er auf, sah sich verwundert um und sagte: »Ach – ach! leb' ich denn noch? Mir hat so herrlich geträumt, daß ich schon meinte im Himmel zu sein. Gott mach' es mit mir so gnädig! Das dank' ich gewiß der klugen und guten Frau mit Hilfe Marias, meiner Himmelskönigin.«

Nach einer Stunde, als die Kräfte abnahmen und heftige Schmerzen sich wieder einstellten, schickte er zum Bischof, daß er komme, ihm die letzte Ölung zu geben. Da man den nicht gleich fand, wurde er ungeduldig, ließ sich einen Becher mit frischem Wasser füllen, schüttete den Rest des Elixiers hinein, ohne die Tropfen zu zählen, und sagte: »Ich werde auf der Welt nichts mehr brauchen. Das ist das letzte.«

Der Bruder, der bei ihm wachte, bat ihn, nüchtern zu bleiben, bis der Bischof käme. Aber der Hochmeister entgegnete: »Sei ohne Sorge, es ist Wasser – und das andere wirkt nicht auf den Leib, sondern auf den Geist.« Er trank in einem langen Zuge den ganzen Becher leer.

Dann kämpfte er mit lauten Gebeten gegen den Schlaf an. Aber vergeblich. Als der Bischof mit den Priesterbrüdern eintrat, waren ihm die Augenlider zugefallen und alle Versuche, ihn zu erwecken, ohne Erfolg. Er atmete ruhig und leise. Sein Gesicht war wie verklärt. Bischof Franziskus wartete lange, ob er erwache. Als jedoch gegen die Nacht hin die Bewegung der Lunge immer schwächer wurde und ein röchelnder Ton sich hören ließ, verrichtete er sein Amt, indem er Augen, Ohren, Nase und Mund des Sterbenden, auch dessen Füße und beide Seiten des Leibes über den Nieren mit dem heiligen Öle unter dem Zeichen des Kreuzes salbte.

Bald nach Mitternacht setzte der Atem mitunter aus, erst kurze, dann längere Zeit. Wie er sich zum Schlafen gelegt hatte, so lag er auch jetzt da. Nur die Hände zuckten von Zeit zu Zeit wie von der Berührung des Todes. Das Bewußtsein kehrte ihm nicht wieder. Mit einem langen Seufzer, der wie die Bitte um Erlösung klang, hauchte er die Seele aus.

Am Morgen läutete die Sterbeglocke von der Marienkapelle nach der Stadt hinüber. Die Bürger wußten, was geschehen war, und eilten in die Kirche, für den toten Meister zu beten. Dann erschien auch noch der Hauskomtur auf dem Rathause und meldete des Ordens schweren Verlust.

Jost vom Wege schwang sich aufs Pferd, ohne Abschied zu nehmen, und ritt spornstreichs mit der Nachricht auf Thorn zu.


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