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So näherte sich der Hochmeister auch eines Tages der Stadt Thorn. Es war ein gar liebliches Wetter, warm und klar. Er kam von der Landseite, hielt auf der Höhe an und überblickte den Mauerkranz mit seinen mehr als fünfzig Befestigungstürmchen rund um beide Städte und zwischen ihnen hindurch. Mächtig ragte der Turm der St. Jacobskirche in der Neustadt wie ein gewaltiger Speicher von Fachwerk durch dunkle Steinleisten gegliedert und mit doppeltem Satteldach versehen über die Giebelhäuser auf, rechts der Spitzturm des Franziskanerklosters, weiterhin die Türme des Schlosses auf dem Burgberg, drüben in der alten Stadt die der Johannis- und Marienkirche und der schlanke Eckturm des Rathauses, auf der Höhe der Grundmauern und nochmals auf halber Spitze mit Erkertürmchen zierlich umstellt. Es war ein mannigfaltiges und jetzt im hellen Sonnenschein auch farbenprächtiges Bild. Denn die Ziegel der Dächer hatten vielfach eine bunte Glasur erhalten, schillerten grün, blau und gelb, und jeder Spitzgiebel trug ein Fähnlein, eine Kugel oder ein Kreuz von blankem Metall. Auf der Weichsel lagen Schiffe und Lastkähne mit hohen bewimpelten Masten, von Getreide, Flachs und Asche hoch beladene polnische Wittinnen und lange, mit Bastseilen zusammengehaltene Holztrachten. Daran mochte sich des Herrschers Auge wohl erlaben.
Durch das St. Catharinentor kam ihm der Komtur Albrecht Kalb entgegen mit sechs Rittern aus seinem Konvent und zwei Priesterbrüdern. Unter dem Torbogen empfing ihn feierlich der Rat der Neustadt. Die Herren waren in Festkleidern und bückten sich tief, da er vorüberritt, ihnen einen freundlichen Gruß zurufend. Er wollte es ihnen gleich hier danken, daß sie vom Bunde abgefallen waren. Der Zug nahm seinen Weg durch die gerade Straße am Neustädtischen Rathause vorbei nach dem Schloß, überall waren die Fenster geöffnet und dicht mit geputzten Frauen und Kindern besetzt. »Welch ein schöner Mann – welch ein prächtiger Herr!« hörte man hier und dort flüstern. Auch das reiche Geschirr seines Pferdes wurde gebührend bewundert.
Herr Ludwig von Erlichshausen grüßte nach rechts und links mit jenem angewöhnten Lächeln, das ihn der Pflicht überhob, mit seinen Gedanken bei der Sache zu sein. Es verstand sich ja auch gleichsam von selbst, daß die Neustadt Thorn, des Ordens Schöpfung und die natürliche Gegnerin der alten Stadt, diese Gelegenheit wahrnahm, ihre Anhänglichkeit zu beweisen. Drüben aber, jenseits des Grabens und der betürmten Mauer, die beide Städte trennten, sollte sich's erst zeigen, wie man dem Orden gesinnt war. Je mehr er sich dem Verbindungstor am Ende der langen Straße näherte, um so mehr wuchs seine Spannung, ob dort zu seinem Empfange eine Vorbereitung getroffen sein würde. Freilich wollte er heute nicht einreiten; die Huldigung war dem Rat erst auf den nächsten Tag angesagt worden. Aber das hätte diesen doch nicht gehindert, eine feierliche Begrüßung hier auf der Brücke zu veranlassen. Er sah sie leer. Nicht einmal der Torwächter war neugierig hinausgetreten. Es mußte den Kleinbürgern und Handwerkern, unter denen der Orden, wie er wußte, immer noch gute Freunde hatte, geradezu untersagt sein, heute die Neustadt zu betreten. Das verdroß ihn. Er setzte sein Pferd in raschere Gangart und ritt links ab in das Schloßtor ein, ohne auf die Menge zurückzuschauen, die sich vor demselben angesammelt hatte und hutschwenkend hinter ihm her lärmte.
Im Hochmeistergemach, das in jeder Ordensburg für so hohen Besuch bereit stand, hier aber diesmal mit reicherem Schmuck als gewöhnlich ausgestattet war, nahm er ein Frühmahl ein und blieb dann auf seinen Wunsch längere Zeit allein.
Er hatte nicht das Bedürfnis, der Ruhe zu pflegen, aber er mußte sein Gemüt beruhigen, auf das an diesem Ort mancherlei alte Erinnerungen einstürmten. Als er vor nun mehr als zwanzig Jahren aus Franken nach Preußen gekommen war, wo man, wenn auch nicht im Kampf gegen die Ungläubigen, so doch in dem immer wieder von Polen her drohenden Kriege junge Kräfte brauchte, war er in den Thorner Konvent eingestellt worden. Ihm stand ein schwacher und nachsichtiger Komtur vor. Die Ordensregel wurde wenig geachtet. Nur notdürftig und rein äußerlich geschah, was sie zur Erhaltung guter Zucht und religiösen Sinnes vorschrieb, die reiche Handelsstadt neben der Burg machte ihren Einfluß geltend und wurde mehr und mehr ein Anreiz zur Nachahmung ihrer verschwenderischen Lebensweise. Den Rittern wollte ihre grobe Kleidung nicht ferner gefallen, da sie die Bürger in fremden Tuchen, köstlichen Pelzen und feinen Linnen Luxus treiben sahen; sie wollten nicht länger auf Stroh schlafen, nur mit ihrem Mantel bedeckt, wenn schon jeder Handwerker sich ein Federbett gestattete; sie fanden es lästig, sich oftmals in der Nacht wecken zu lassen, um die vorgeschriebenen Andachten in der Schloßkapelle zu verrichten. Es wurde nicht mehr strenge darauf gesehen, daß niemand Sondereigentum haben durfte: in den Ställen und auf den Vorwerken standen die edlen Pferde der Herren, und es gehörten dazu polnische Reitzeuge, weich gepolstert, die Riemen mit silbernen Buckeln besetzt, Schnallen und Bügel von Edelmetall, die Decken bunt ausgestickt. Das schwere Ritterschwert aus der Kammer war ihnen lästig; sie steckten für gewöhnlich eine zierlichere Waffe in das Gehänge. Ihre Zellen schützten sie durch Vorhänge und Teppiche gegen die Kälte. Bei Tafel fehlten nicht gute und feurige Weine, starke Biere, Leckerbissen aller Art, die der Küchenmeister in der Stadt einkaufte oder vom Koch im Artushof zubereiten lernte. Mitunter dauerten ihre Zechgelage bis spät in die Nacht, und mancher war auch am andern Tag noch nicht nüchtern. Waren sie nicht die Herren im Lande? Und sollten sie ihr Fleisch kasteien, da doch der geringste ihrer Untertanen ein Wohlleben führte? Die Zeiten hatten sich geändert, mönchische Askese war selbst in den Klöstern nicht mehr anzutreffen. Warum sollte der Ritterdienst noch so strenge genommen werden wie ehedem, da der Orden von den Heiden bedrängt war? Wurde die Kriegsdrommete geblasen, so war's ja noch immer Zeit, zu der strengeren Lebensweise zurückzukehren. Wem könnte es noch einfallen, die Gelübde der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams wörtlich zu nehmen?
So hatte auch Herr Ludwig von Erlichshausen gedacht. Einer der Zügellosesten war er gewesen. Nicht aus innerstem Drang war er in den Orden eingetreten, sondern weil er als der jüngere Sohn eine Versorgung für sich brauchte. Lieber wäre er auf der väterlichen Burg geblieben, dem Waidwerk obzuliegen und mit den schönen Ritterfräulein in der Nachbarschaft zu liebeln. An einem Fürstenhof sein Glück zu versuchen, hatte ihm lockender erschienen, als den Mantel mit dem schwarzen Kreuz zu nehmen und sich seinesgleichen unterzuordnen. Aber als Kind schon war er dem Orden bestimmt worden und an seinem Schicksal nichts mehr zu ändern gewesen.
Jetzt nannte er sich dieses Ordens Hochmeister, war er des Landes Fürst. Als seine Pflicht mußte er's nun erkennen, strenge darüber zu wachen, daß die Brüder sich keine Ausschreitungen erlaubten und den Bürgern als ehrbare Herren zeigten. Wie sollte er strafen, was er selbst für kein Vergehen geachtet? Wie dürfte er sich des hohen Amtes für würdig halten, das ihm anvertraut war, wenn er hier an seine Vergangenheit zurückdachte?
Und diese alte Stadt Thorn, die ihn morgen zur Huldigung empfangen sollte, wie wohl war sie ihm von damals bekannt. Wie oft hatte er in den Häusern ihrer Patrizier, der Allen und Essen, der Joest und Löen, getafelt und die halben Nächte verschwärmt. Und dort das Haus am Markt, das Tileman vom Wege gekauft hatte, als er mit seinem jungen Weibe von Westfalen anzog, seine Güter durch Handelsschaft mit Polen zu mehren – da ging's am fröhlichsten zu. Und da ... Er blieb auf seinem Gange durch das Gemach stehen, griff mit der Hand nach seiner Stirn und ließ sie langsam über die Augen gleiten, die plötzlich in feuchtem Glanz schimmerten. Er seufzte leise und sagte halblaut: »Ach – ach – ach!« Dann schritt er zum Betpult in der Ecke, auf dem ein Kruzifix von Elfenbein stand, kniete auf dem Polster nieder, lehnte das Haupt an und betete lange mit gefalteten Händen. »Wenn das nicht geschehen wäre – das eine nicht! Gott sei mir Sünder gnädig!«
Der Hauskomtur klopfte an und meldete, daß der Rat der Neustadt auf dem Schloß erschienen und in der Kapelle versammelt sei, den Eid zu leisten, in welcher Form es ihm beliebe. Der Hochmeister befahl, daß alle Brüder zugegen sein und sein Schreiber das Protokoll aufnehmen sollte. »Wir haben auch die von der alten Stadt hierher entboten«, berichtete der Hauskomtur, »aber sie wollen in ihrer Marienkirche die Huldigung leisten – nach alter Gewohnheit, sagen sie – und hoffen, Eure Gnade werde sich morgen in der Frühe dort finden lassen. Sie wollen allezeit ihr Besonderes haben.«
»Ist's alte Gewohnheit«, antwortete Herr Ludwig, »so fügen wir uns der gern, erwarten auch, daß man es an der schuldigen Ehrerbietung nicht fehlen lasse.«
Darin täuschte er sich wenigstens nicht. Schon in der siebenten Stunde wurde mit allen Glocken geläutet, wie zur Einweihung eines Feiertags. Dann erschienen die beiden jüngsten Ratsherren, Hermann Hutfeld und Götze Rubit, vor dem Schloß, hatten den Ausrufer mit, der in ein Heroldsgewand gekleidet war, begehrten vor den Herrn Hochmeister geführt zu werden und zeigten mit wohlgesetzten Worten, daß die alte Stadt Thorn zur Huldigung »auf das, was in Elbing zugesagt worden«, bereit sei. »Verhoffen uns auch zu Eurer Gnade, daß Ihr heute abend mit den Euren der alten Stadt Gast auf dem Rathaus sein und mit einer einfachen Kollation, nach dieser schlechten Zeiten billigem Maß, fürliebnehmen wollet.«
Solches wurde ihnen gern bewilligt, worauf sie sich wieder entfernten, nachdem ihnen die Stunde des Einzugs angesagt worden.
Nun ließ Herr Ludwig von Erlichshausen sich seine Rüstung anlegen und das Schwert umgürten. Herr Heinrich von Richtenberg, der Großkomtur, war bei ihm und kleidete sich ebenso, befahl auch den anderen, die zum Konvent und Gefolge gehörten, ritterlich zu erscheinen. Sie stiegen sämtlich im Schloßhof zu Pferde und ritten im geordneten Zug, immer zu zweien, nur der Hochmeister in der Mitte allein, über die Brücke. Dabei läuteten die Glocken vom Dachreiter der Kapelle.
Wie sie nun an den Stadtgraben kamen, fanden sie das Geländer der Brücke und den Torbogen mit Maien geschmückt, daß es gar freundlich anzusehen war, und oben im Gange hinter den Zinnen standen die Stadtpfeifer in bunter Kleidung und vollführten eine muntere Musik mit Zinken, Drommeten und Pfeifen, wovon die Pferde fast scheu wurden. Vor dem Tor zu beiden Seiten standen die Stadtknechte mit Hellebarden, und unter dem Bogen bis weit auf die Straße hinaus, beinahe bis zur Ecke des Marktes, die Handwerker der vier Quartiere unter ihren Rottenmeistern rechts und links in zwei Gliedern. Der Rat hatte aus der Rüstkammer das Zeug zu ihrer kriegerischen Ausstattung hergegeben; es sollte gleich sichtbar sein, welche Mannschaft die Stadt zur Verfügung hätte, und zudem den hohen Gästen eine ungewöhnliche Ehre erwiesen werden. Jede Rotte hatte ihr Fähnlein aufgepflanzt. Am Ende der Reihe aber, schon angesichts des Rathauses, hielt der Stadthauptmann das Banner der Alten Stadt Thorn, und seine Kumpane hatten die Schnüre angefaßt. Gegenüber stand der Rat auf einer mit rotem Tuch ausgeschlagenen Estrade. Vornan hatten sich die vier Bürgermeister aufgestellt. Hinter ihnen die acht anderen Ratsherren, die für dieses Jahr zum Amt gekürt waren, weiter zurück die Schöffen und die diesmal »nicht aufgerufenen Ratsmänner«, welche das Kollegium der Ältesten bildeten, alle in Feiertagskleidern, mit Ketten behängt und lange Mäntel um die Schultern. Den Umstand bildeten die Gilden der Kaufleute und Mälzenbräuer.
Als die Herren vom Schloß so weit gelangt waren, trat Tileman vom Wege vor und hieß »als des Rates dieser Alten Stadt Thorn regierender Bürgermeister« den Hochmeister willkommen. Er beugte sich dabei nicht tiefer, als zu einem feierlichen Gruß erforderlich, hielt die Augen gesenkt und sprach die eingelernten Worte ohne Ausdruck, als ob er etwas geschäftsmäßig verhandelte. Offenbar kostete es ihn nicht geringe Überwindung, hier die Pflichten des Wirtes zu üben.
Das merkte Herr Ludwig auch wohl, nickte deshalb nur seinen Dank, grüßte die übrigen mit einer Bewegung der Hand, lenkte sein Pferd auf die Mitte der Straße zurück und ritt weiter. In Elbing hatte Tileman es klug vermieden, dem Hochmeister unmittelbar gegenüberzutreten; nur in der Menge der Abgesandten von Ländern und Städten hätte er von ihm gesehen und erkannt werden können. Jetzt verbot ihm solches Ausweichen sein Amt. Das wußte und würdigte der Fürst. Gleichwohl hatte sich seine Miene verfinstert und eine Falte des Unmuts auf seine Stirn gelegt. Der Willkomm wär' ihm froher gewesen, wenn ein anderer ihn ihm gebracht hätte.
Indessen waren die Zinkenisten und Pfeifer in eiligem Schritt nachgekommen, um sich an die Spitze zu setzen und den Zug weiterzuführen. Es folgte das Stadtbanner, der Rat mit den Schöffen, die Gilden und die ganze Gemeine. Vor dem Rathaus, dessen geschlossenes Viereck mit den hochaufstrebenden, in Bogen gegliederten Mauern von braunrotem Backstein einem Kastell ähnlich sah, ließen die Musikanten dreimal eine rauschende Fanfare erschallen. Darauf rief das auf dem Markt stehende Volk Hurra.
Diesen Ruf bezog der Hochmeister auf sich und verbeugte sich dankend. Am Brunnen, an der Ecke des Platzes, stieg er mit seinem Gefolge von Reisigen vom Pferde und setzte den Weg zur nahen Marienkirche zu Fuß fort. Er trat durch die Haupttür, unter den vier fast unabsehlich hohen Fenstern ein und schritt auf den großen Altar zu. Ebenso der Rat. Die Gemeine folgte durch die Pforte seitwärts über den mit Hallen eingefaßten Friedhof.
Die Orgel tönte ihnen entgegen und setzte ihr ernstes Spiel fort, bis die Eintretenden Aufstellung genommen hatten. In dem Gange stand ein Tisch und Stuhl für des Hochmeisters Schreiber, aber nicht weit davon, auf der anderen Seite, ebenso nahe dem Altar, auch ein Tisch und Stuhl für den Schreiber des Rats. Es sollte nicht ein Teil allein den Hergang beurkunden dürfen.
Nun ließ Tileman vom Wege sich durch den jüngsten Ratsherrn eine Pergamentrolle reichen, öffnete sie und sagte: »Gnädigster Herr! Als Ihr von Eurem ganzen Orden einträchtig zu seinem obersten Meister erkoren seid, erkennen wir Euch billig und nach den Rechten als dieses Landes Oberherrn und bitten Eure Gnade, zu verstatten, daß dieser alten Stadt Thorn erster Bürgermeister seines Amtes walte und voraus verlese, was Eure Gnade Landen und Städten zu Elbing zugesagt hat, zu halten, auf daß jedermann wisse, was sein Eid bedeute, und künftig keine Irrung sei, was einer dem anderen schuldet. Ich stehe hier nicht für mich, sondern für den Rat und die Gemeine der Alten Stadt Thorn, die mich so haben sprechen heißen.«
Herr Ludwig von Erlichshausen ließ durch den Großkomtur antworten, es sei ihm so genehm, doch daß nichts Neues vorgebracht würde.
Darauf verlas Tileman mit lauter Stimme den Rezeß, daß der Herr Hochmeister versprochen, sie bei allen ihren Privilegien, Freiheiten und Rechten zu behalten und jährlich einen Richttag zu setzen, wie verabredet, und jeden Kläger zu hören, wenn er gegen den Orden oder seine Amtleute etwas vorzubringen hatte, auch zu bescheiden. Und fuhr darauf fort: »Gnädigster Herr, hochwürdigster Herr Hochmeister, es sind auch noch mancherlei sonderliche Beschwerden dieser Stadt Thorn unverglichen, so wegen der Fähre über die Weichsel und wegen des Stapelrechts. Wir verhoffen uns zu Eurer Gnade, daß Ihr uns hierin keinen Eintrag wollet tun lassen, weder von Euren Gebietigern und Großschäffern, noch von den polnischen Edelleuten und Bischöfen, noch auch von den Danzigern und anderen Bürgern dieses Landes.« Er wendete sich zurück und fragte: »Habt ihr mich so geheißen zu sprechen?« Darauf antwortete sie gesamt mit einem lauten: »Ja – ja!«
Der Hochmeister, der sie so einmütig sah, sprach einige Worte abgewandt mit dem Großkomtur und mit Albrecht Kalb und sagte dann: »Es soll euch alles gehalten werden, was euch zu Elbing zugesagt ist und worauf ihr euch nach dem Rechten beruft. Liebe Getreuen, kommet also zur Huldigung.«
Nun trat Tileman vom Wege dicht an den Altar, beugte das rechte Knie auf die vorderste Stufe, hob die Hand mit ausgestreckten Fingern und sprach: »Im Namen der Alten Stadt Thorn: ich huldige Euch Herren, Herrn Ludwig von Erlichshausen, Hochmeister Deutschen Ordens, als meinem rechten Herrn und schwöre Euch rechte Mannschaft und gelobe Euch Treue und Wahrheit ohne alle Arglist, daß mir Gott so helfe und die Heiligen! Vorbas gelobe ich bei demselben Eide, wenn ein Hochmeister verstirbt, wen der Orden für einen Obersten hält binnen Landes, an den ich mich zu halten und dem gehorsam zu sein bis zu der Huldigung eines neuen Herrn Hochmeisters.«
Rat und ganze Gemeine hoben daraus gleichfalls die Schwurhände und riefen: »Amen!«
Befriedigt blickte Herr Ludwig über die Masse hin, die ihm gehuldigt hatte. Er wollte Tileman die Hand reichen, da er aufstand. Der aber schien's nicht zu bemerken, erhob sich ohne ihn und trat zurück in die Reihe der Ratsherren und bis zu des Schreibers Tisch, auf den er die Pergamentrolle niederlegte. Rutger von Birken führte weiter das Wort an seiner Stelle und nannte die Namen der Mitglieder seiner Körperschaft. Der Hochmeister verbiß seinen Verdruß und sprach sehr gnädig mit vielen. Er kannte auch noch recht gut mehrere aus den alten Familien, die bei den Kaufleuten standen und dem Orden zugetan waren. Er wußte, daß man sie gerade deshalb in den letzten Jahren nicht in den Rat gewählt hatte. Dafür bewies er ihnen nun besondere Huld.
Nach einer Weile verließen die Schloßherren die Kirche, stiegen zu Pferde und ritten zur Stadt hinaus, nachdem sie auf wiederholte Bitte nochmals versprochen hatten, am Abend wiederzukommen.
Sie hielten auch Wort. Das Fest in den köstlich geschmückten oberen Räumen des Rathauses war der Alten Stadt Thorn würdig. Aus allen vornehmsten Häusern war das prachtvolle Tafelgeschirr zusammengebracht; es fehlte nicht an Kannen von gediegenem Silber mit eingelegten Zierstücken, an Bechern von getriebener Arbeit und bunten venetianischen Gläsern. Speisen und Getränke wurden in überreichlicher Fülle geboten. Die Stadt wollte sich's etwas kosten lassen, den Gästen zu zeigen, was sie leisten könne. »Wahrlich«, sagte Herr Ludwig, »wenn ihr dies eine einfache Kollation nennt, so will ich zu einem Prunkmahl nicht geladen sein. Ihr Thorner seid allzu bescheiden.«
Er war doch innerlich nicht froh. So viele um ihn saßen und ihm zutranken, einen vermißte er ungern, Tileman vom Wege war nicht gekommen. Rutger von Birken entschuldigte ihn, er sei unwohl. Der Hochmeister sprach darauf ein Wort des Bedauerns, aber er glaubte ihm nicht.
Als man nach Stunden aufgestanden war und sich nun in den Nebenräumen halb trunken stieß und drängte, meinte der Hochmeister unbemerkt auf eine Weile entkommen zu können. Er ließ sich draußen an der großen Treppe von einem seiner Diener dessen Mantel und Kappe geben, verkleidete sich darin und trat auf die Straße hinaus.
Es dunkelte schon, da die Sonne längst untergegangen war. Hinter der vor der Rathaustür dichtgedrängten Menge der Gaffer aus den untersten Schichten des Volkes war der Markt still und leer. Herr Ludwig von Erlichshausen schritt querüber auf ein ihm wohlbekanntes Haus zu. Er trug den Kopf gesenkt, und das Herz schlug ihm unruhig.
Er pochte an die Tür. Die alte Haushälterin öffnete und fragte nach seinem Begehr. Ob er Herrn Tileman sprechen könne? Es sei in wichtigen Geschäften. Sie ließ ihn in das hintere Stübchen ein, da sie keinen Befehl hatte, Fremde abzuweisen.
Der Bürgermeister saß an seinem Tisch bei einer Wachskerze und machte Eintragungen in ein großes Buch. »Was wollt Ihr?« fragte er mürrisch, ohne umzuschauen.
Der Hochmeister trat vor, ließ den Mantel fallen, mit dem er sein halbes Gesicht bedeckt hatte, und sagte: »Erkennet mich, Herr Tileman vom Wege. Ich komme zu Euch, mir Verzeihung zu erbitten. Weiset mich nicht ab.«
Tileman sprang vom Stuhl auf und griff mit der Hand in sein Haar. »Ihr seid's – Herr Ludwig von Erlichshausen – Ihr? Wie wagt Ihr – in dieses Haus, das Ihr beschimpft habt ...«
Er konnte nicht weitersprechen vor Schreck und Zorn. Sein Gesicht war ganz blau.
»Ich will Euch nicht zumuten«, fuhr der Hochmeister fort, »daß Vergangenes vergessen sein soll. Ich kann's nicht vergessen – wie könntet Ihr? Aber wenn ich mich tief gegen Euch verschuldete, wie ich reumütig bekenne – ist unverzeihlich, was ich getan? Wenn Ihr bedenkt, welche Versuchung –«
»Ich will nichts bedenken«, fiel Tileman scharf ein, »ich habe nichts zu bedenken. Mein Weib – meines Sohnes Mutter ... verflucht der Tag, der Euch in ihre Nähe führte, verflucht die bübische Kunst, mit der Ihr sie umstricktet. Geht, geht! Zwischen uns ist keine Gemeinschaft möglich in alle Ewigkeit. Was ich fühle, ist – Haß und Verachtung. Geht!«
Herr Ludwig zuckte mit der Lippe. »Ihr sprecht harte Worte«, sagte er – »unziemliche, wenn ich mich erinnere, daß Ihr mir heute gehuldigt habt als Euren fürstlichen Gebieter; aber ich vergesse nicht, daß dieses Begegnen Euch unerwartet kommt und die alte Wunde wieder aufreißt. Laßt sie bluten! Dann aber...«
Tileman richtete sich hoch auf. »Ich hab' Euch gehuldigt, Herr Ludwig von Erlichshausen«, sagte er mit schneidender Schärfe, »im Namen der Alten Stadt Thorn, deren regierender Bürgermeister ich bin, Euch, dem Hochmeister Deutschen Ordens – und den Eid will ich Euch halten, wie es meine Pflicht ist. Es hat auch schon auf dem päpstlichen Stuhl zu Rom ein Unwürdiger gesessen, der doch der Heilige Vater war aus seines Amtes Vollkommenheit und aller Christen demütigen Gehorsam fordern durfte nach seiner Schlüsselgewalt. Hat Gott ihn zugelassen in seiner Weisheit, so vertraue ich auch seiner Gerechtigkeit, daß er den sündhaften Menschen nicht schonen, sondern vielmehr ihn strafen wird, weil er sich seiner Sündhaftigkeit vor den Menschen überhob. Und so, wenn ich mich als Bürger dieses Landes vor Euch beuge als meinem Herrn, will ich auch nicht verzagen, daß Gott Euch doppelt Eure Schuld anrechnen wird, weil Ihr mich zu solcher Unterwürfigkeit zwingt. So stehen wir zueinander!«
»Ja, ja«, antwortete der Hochmeister, indem er das Haupt tief senkte, »was ich menschlich fehlte, drückt mich schwer, und jetzt schwerer als vordem, da ich diese Würde noch nicht trug. Gott wolle mir gnädig sein! Denn er richtet nicht nach dem Haß, sondern nach der Gerechtigkeit. Und ich weiß auch, daß er's mitbedenken wird, wie ich hier vor Euch stehe als ein Bittender um meines Amtes willen. So geschieht's, Tileman. Der Hochmeister des Deutschen Ordens und des Landes Preußen Fürst kommt zu Euch, der Ihr Bürgermeister von Thorn und des Bundes Haupt seid, Euch zu mahnen, daß Ihr des Landes wegen alte Feindschaft vergesset und nicht Unschuldige entgelten lasset, was ein einzelner Euch zuleide getan. Ich habe mir's gelobt, dieses Land zu regieren nach meiner besten Kräfte Maß und jedem, der Billiges fordert, gerecht zu werden, auf daß Friede sei und Freude überall. Helfet mir dazu, nicht meinetwillen, sondern weil Ihr des Landes Wohl bedenkt und höher achtet als euren Zorn. In unserer Hand liegt es, den alten Streit zu beenden. Schürt nicht das Feuer aus Feindschaft gegen mich – zwingt mich nicht, es niederzutreten ohne Rücksicht auf Euch. Schon lauern da und dort die Mißgünstigen, unsere Uneinigkeit auszunutzen. Gebt ihnen kein Gehör. Euer Weib ist tot, Tileman, laßt auch Euren Groll gestorben sein. Wir stehen beide in einer höheren Pflicht, in ihr ist Versöhnung möglich und geboten.«
Er streckte ihm die Hand entgegen, aber Tileman nahm sie auch jetzt nicht, sondern trat bis zur Wand zurück. »Nein«, rief er, »so ködert Ihr mich nicht, daß ich Euch an die Angel gehe. Ich will nichts wissen von christlicher Barmherzigkeit gegen Euch, der Ihr mich bis aufs Blut gekränkt. Und daß Ihr nun mein gnädiger Herr seid, Herr Ludwig von Erlichshausen, das will ich ansehen als eine Mahnung von Gott, mit desto größerem Eifer für des Landes Recht einzustehen und ohne Wanken zu tun, was mir durch seinen Ratschluß aufgetragen. Erwartet keine Nachsicht! Ihr wißt, worauf wir Euch Euren Eid geleistet haben. Davon soll Euch kein Titelchen erlassen sein. Wir beide, Ihr und ich, ringen miteinander, und wer den anderen unter sich bringt, mag ihm das Knie auf die Brust setzen. Das ist unser Friede.«
»Und gibt's für einen anderen keinen Preis?«
»Keinen! Oder doch – es gibt einen, aber den zahlt Ihr nicht. Erkennt den Bund von Landen und Städten zu Recht an, setzt seine Vertrauten in Euren geschworenen Rat, gebt uns den Richttag, den wir begehren, regiert das Land Preußen als ein Fürst, nicht als ein ritterlicher Mönch – dann will ich dem gemeinen Besten zuliebe mein kleines Weh vergessen und meinen Haß begraben. Um Minderes nicht!«
Der Hochmeister sah finster zur Erde. »Ihr fordert Unmögliches«, sagte er. »Wie könnt' ich so die Pflicht gegen meinen Orden vergessen, dem ich geschworen habe, nur um in meinem Gemüt beruhigt zu sein? So selbstisch bin ich nicht.«
»Wie Ihr wollt«, antwortete Tileman, die Schulter aufziehend. »Um das ist der Kampf.«
»Ich habe das meinige getan, ihn abzuwenden«, sagte der Hochmeister. »Geschehenes ist nicht ungeschehen zu machen. Lebt wohl!«
Er verließ das Gemach, da Tileman sich nicht rührte und auch den Gruß nicht erwiderte, und ging tief bekümmert nach dem Rathaus zurück, wo er schon vermißt war. Er hätte des starken Weines zu viel genossen, gab er vor, und sich in der Luft ein wenig erfrischen wollen. Jetzt mußte er doch bei einem Schlußtrunk noch einmal Bescheid tun.
Dann begleiteten ihn und die Seinigen Rat und Bürgerschaft ehrerbietig bis zum Tor. Fackelträger leuchteten ihnen voraus.