Ernst Wichert
Der Bürgermeister von Thorn
Ernst Wichert

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Fünftes Kapitel

Gnade für Recht

In der nächsten Zeit schon berief Erlichshausen den Bürgermeister aufs Schloß und erkundigte sich, wie es Marcus gehe. Er liege an seiner Kopfwunde schwer krank darnieder, berichtete Blume, und der Medikus könne des Fiebers noch nicht Herr werden. »Die Wunde ist für sich selbst nicht gar so gefährlich«, fuhr er fort. »Manchem Kriegsknecht mag sie schon breiter geklafft haben. Wie Marcus sich's aber zu Gemüt genommen hat, daß dem Fräulein Gewalt angetan werden könnte und er vermöchte nicht zu helfen, die furchtbare Angst Tag und Nacht und zuletzt die Überanstrengung im Kampf – das hat ihn so tief erschüttert, daß er nun nicht die rechte Kraft zum Widerstand hat und im Fieber immer wieder davon geplagt wird, als hätt' er das Schreckliche noch einmal und noch zehnmal durchzumachen. Doch hoff' ich auf gute Besserung, da Marcus ja von Grund aus ein gesunder Mensch sei. Auch fehlt es ihm an Wartung und Pflege nicht. Ich muß nur immer vorsorgen, daß die Weibsleute nicht alle drei zugleich ihre Kraft verschwenden.«

Der Hochmeister versprach selbst zu kommen und nach dem Kranken zu sehen, sobald dessen Zustand es erlaube, und hielt auch Wort. Erst nach Wochen freilich konnte er zu Marcus eingelassen werden, aber inzwischen hörte er doch von der Mutter, wie es stehe, und sah auch Ursula. Sie war immer voll Dank für die Wohltat, die man ihr in diesem Haus erweise. Magdalene sei ihr recht wie eine Schwester, und sie hätten schon gar keine Geheimnisse mehr voreinander. An Frau Christine habe sie eine zweite Mutter. »Deshalb vergeß' ich die erste doch nicht«, setzte sie rasch hinzu, »und gäb' ihr gern Nachricht von mir, daß sie sich um mich nicht zu bekümmern brauchte. Wie soll ich's aber anfangen? Der Weg ist weit und ein Bote allzu kostbar.«

Herr Ludwig streichelte ihr das Haar und meinte, für ihn sei's nicht so schwer, mit des Ordens Briefschaften einen Zettel befördern zu lassen. Ursula küßte seine Hand. »Ach lieber gnädigster Herr Hochmeister«, sagte sie freudig, »bedenket das in Eurer Güte, es soll Euch herzlich gedankt werden.«

Der Ritter von Ostra war vom Spittler nach der Marienburg gebracht worden und dort in die Eisen gelegt, da er frech leugnete. Weil es nun aber zur Zeit unmöglich war, ihn Marcus Blume gegenüberzustellen, darüber auch noch geraume Zeit vergehen konnte, mußte Plauen wieder nach seiner Komturei Elbing zurückreisen. Von dem Gerichtstag sollte er benachrichtigt werden. Nun aber gewann mit leichter Mühe der Marschall von Exdorf wiederholt Zutritt zu dem Gefangenen und unterredete sich mit ihm unter vier Augen. Als dann Wochen vergingen, ohne daß die Untersuchung einen Schritt weiterkam, trat Exdorf eines Tages vor den Hochmeister und sagte: »Gnädigster Herr, es scheint Euch ganz und gar in Vergessenheit zu kommen, daß Ihr den Bruder Boppo in den Turm habt sperren lassen, darin jetzt im kalten Winter wahrlich kein vergnüglicher Aufenthalt ist. Ob ich nun schon wünsche, daß kein Schuldiger der gerechten Strafe entgehe, so ist's diesmal doch nicht so sicher, daß und wie etwa der Ritter von Ostra schuldig ist. Wollet mir's deshalb nicht verdenken, wenn ich für meinen Verwandten das Wort nehme mit der Bitte, ihn seinen Richtern zu stellen oder frei zu geben.«

Erlichshausen krauste die Stirn. »Es ziemt Euch wenig, Herr Marschall«, entgegnete er, »dies für ihn zu betreiben. Es war doch wohl Eure Veranstaltung, daß er am Ort der Tat nicht betroffen wurde. Zwingt mich nicht, dem näher nachzugehen; Ihr könntet viel Verdruß davon haben.«

Der Marschall warf den Kopf auf. »Dem sei, wie ihm wolle, gnädigster Herr«, sagte er, »so werd' ich doch nicht der einzige sein, der von der Sache Verdruß hat, wenn darüber geredet werden muß. Denn daß ich meines Vetters Partei nehme, mag sich vielen von selbst erklären; daß man ihn aber aus persönlicher Feindschaft unterdrückt, wird niemand lobenswert oder auch nur entschuldbar erscheinen.«

»Ich weiß von solcher persönlichen Feindschaft nichts«, entgegnete der Hochmeister in scharfem Ton. »Es sollt' Euch wohl bekannt sein, daß eine Konfrontation mit Marcus Blume erforderlich ist, der doch an seiner Wunde noch krank liegt und das Haus nicht verlassen kann. Gerad' aus Rücksicht für den Ritter geschieht's, daß er nicht als ein Gefangener durch die Stadt geführt und in des Bürgermeisters Haus verhört wird. Dafür solltet Ihr mir danken.«

Exdorf lächelte boshaft. »Wie hätt' ich zu fürchten, gnädigster Herr, daß solche Schmach jemals unserm Orden angetan werden könnte? Es ist schon bedenklich genug, daß ein Bürger gegen einen Kreuzherrn soll zeugen dürfen, der doch ein Teil seiner Obrigkeit ist. Wieviel ist da noch ab, daß auch ein Bauer seine schmutzige Hand aufs Kruzifix legen und gegen seinen Herrn schwören dürfe, oder gar ein schlechter Preuße, den doch nicht einmal der deutsche Bauer für seinesgleichen hält. Aber dagegen will ich heut' nicht einsprechen. Kann Marcus Blume nicht aufs Schloß geschafft und Ostra vor Augen gestellt werden, so ist er ja wohl nicht der einzige Zeuge. Es geht auch meines Wissens die Anklage am wenigsten dahin, daß Ostra ihn verwundet. Sondern Jungfrauenraub soll er verübt haben, und die Jungfrau selbst ist ja hier zur Stelle. Mag sie ihre Beschuldigung dem Ritter ins Gesicht sagen, wenn sie kann. Befehlt, daß man sie ihm gegenüberstelle, und ich zweifle nicht, daß er sich wohl wird verantworten können.«

Dieses Begehren war dem Hochmeister das unliebste. Er hatte gehofft, Ursula mit einem solchen Gange nicht beschweren zu dürfen. Wenn Marcus zeugte, so bedurfte es ihrer Aussage nicht weiter. Nun zweifelte er nicht, daß der Marschall hier den Hebel anzusetzen gedachte, ihn wankend zu machen. »Wie sollte Ostra sich verantworten können?« fragte er ausweichend. »Will er wirklich leugnen, die Reisenden auf der Landstraße überfallen und wider ihren Willen nach dem Hause des Waldwarts gebracht zu haben, da doch alles gegen ihn zusammenstimmt? Wahrlich, er ist ein verlorener Mann und wird zeitlebens im Kerker büßen müssen. Wie mag ihn da der Sache notwendiger Aufenthalt um wenige Wochen oder Monate sonderlich beschweren?«

»Und wenn er das nun nicht leugnete, gnädigster Herr, was Ihr ihm vorwerft«, bemerkte Exdorf mit einem listigen Blick, »wär' damit seine Schuld schon erwiesen? Ich will seiner Verteidigung nicht vorgreifen, aber Euch doch zum eigenen Besten nicht vorenthalten, was meine gut gestützte Vermutung ist. Ostra hat beim Krüger unter seinem Haus Leute angetroffen, die er für Landstreicher hielt – einen jungen Burschen und ein fahrendes Frauenzimmer und ein altes Weib. Sie sind ihm verdächtig erschienen, und er hat sie beobachtet, vielleicht auch mit ihnen Kurzweil treiben wollen. Es mag so sein oder anders. Kurz, er hat sich in der Schenke zu ihnen gesetzt und gesehen, wie das fahrende Fräulein – verzeiht, wenn ich's so nach seiner Schätzung nenne – mit einem kostbaren Ring gespielt –«

»Einem Ring...?«

»Demselben, mit dem ja auch das Schreiben gesiegelt war, das Ew. Gnaden empfing. Der Ring hat ihm auffallen müssen, er meinte ihn an Ew. Gnaden kleinem Finger gesehen zu haben, als Ihr zur Huldigung kamt. Da hat er gefragt und keine Auskunft erhalten, und ist nun bei ihm kein Zweifel gewesen, daß Euch das Kleinod sträflich entwendet sei.«

»Mir – entwendet?«

»Er konnte ja nicht wissen, daß Ihr das Fräulein im Schloß zu Heilsberg gesehen und gesprochen und vielleicht beschenkt hattet, trotzdem die Mutter unter schwerer Beschuldigung stand, teuflische Künste getrieben zu haben.«

»Weiter, weiter! Kommt zur Sache.«

»Ich sage, Ostra konnte von alledem unmöglich eine Ahnung haben. Er beschloß, aus Dienstwilligkeit gegen Euch, den Leuten nachzureiten und ihnen den Ring abzunehmen. Da sie ihn aber nicht herausgeben wollten, sondern jetzt gänzlich verleugneten, hob er sie auf und brachte sie nach dem Waldhaus und mag dort nicht gerade fein säuberlich mit ihnen verfahren sein, zumal der garstige Vogel, den das Fräulein bei sich hatte, auf ihr Geheiß gegen ihn ansprang und ihm das Auge verletzte. Daraus wird man ihm kein groß Verbrechen machen können.«

Der Hochmeister hatte die Augenlider sinken lassen und die Unterlippe eingezogen. Er verstand Exdorf wohl. Aus allerhand Gliedern, die nicht zusammengehörten, war da für ihn eine Kette geschmiedet, die ihn fesseln sollte. Wer konnte Ostra verbieten, dies alles vorzubringen? Wie war es zu widerlegen? Und schon, daß man davon sprach, daß des Hochmeisters Person hineingezogen wurde, daß ihm der Mund geschlossen war ... In der Tat, er hatte sich vorzusehen. »Bekennt nur«, sagte er nach einer Weile spöttisch, »daß Ihr von keiner Vermutung sprecht, sondern Euch schon mit Eurem Vetter verständigt habt. Er wird versuchen sich so auszureden.«

»Er behauptet, so die Wahrheit zu sagen«, antwortete der Marschall, den Kopf zwischen die Schultern ziehend. »Seiner Richter Pflicht wird's sein, zu prüfen, ob sie ihm glauben mögen. Und vielleicht wollen sie ihm glauben, ohne allzu ängstlich zu prüfen. Der Bruder sitzt nicht gern über den Bruder zu Gericht, am wenigsten, wenn die Anklage von außen kommt. Die Strafe, die der einzelne leidet, hat die ganze Gemeinschaft zu büßen. Bedenkt auch, daß ein ritterliches Wort mehr gilt als ein bürgerlicher Eid, und daß Ostra, wenn's darauf ankommt, leicht sieben oder auch mehr Eidhelfer unter den Brüdern finden wird, die mit einem Schwur bekräftigen, daß sie ihn solcher Tat, wie er bezichtigt worden, nicht für fähig halten.«

Erlichshausen blickte finster zu Boden. Nur zu recht hatte der Marschall: es war schwer, einen aus der festgeschlossenen Reihe herauszuziehen – vielleicht unmöglich, wenn er so hohe Freunde hatte. Er fühlte jetzt, wie tief das Band einschnitt, das der Hochmeister sich im voraus um die Hände hatte legen lassen, da er sie einmal frei bewegen wollte. »Was wollt Ihr?« sagte er mürrisch. »Ich habe getan, was meines Amtes ist, und scheue die Verantwortung nicht. Ist Euer Vetter weniger schuldig, als es den Anschein hatte, so will ich mich dessen freuen. Leid aber müßte mir's sein, wenn man die armen Leute verunglimpft, die durch ihn zu Schaden gekommen. Was uns selbst betrifft, so können wir alleweile boshafter Verleumdung nicht die Tür schließen.«

Exdorf merkte, daß er das schlaue Spiel schon gewonnen hatte. »Wollt Ihr sie deshalb Euren Gegnern weit aufsperren? fragte er. »Weshalb rede ich denn, als weil ich Ew. Gnaden in Freundschaft warnen will? Es greife mich einer offen an, und ich will ihn ins Gesicht einen Buben nennen. Aber gegen das Gerede, das hinter meinem Rücken zischelnd von Mund zu Mund geht, hab' ich keine Macht. Je unsinniger es ist, desto wehrloser bin ich dagegen. Doch denkt Ihr vielleicht anders darüber, gnädiger Herr. Mir soll's nicht zuwider sein, wenn Ihr den Dingen ihren Lauf laßt.«

Der Hochmeister verzog die Lippe zu einem bitteren Lächeln. »Und was ist Euer Rat, Bruder Exdorf?«

»Gnädigster Herr«, antwortete der Marschall, »nehmt die Entschuldigung, die Ostra vorbringt, als glaubhaft an, sie sei es oder sie sei es in Euren Augen nicht. Könntet Ihr Euch in des Bürgermeisters Haus nicht selbst die Überzeugung geholt haben? So erklärt sich nun auch das. Ihr habt Ostra fangen und setzen lassen; so wird man's nicht verwunderlich finden, wenn Ihr ihn losgebt. Auf seinen Dank dürft Ihr rechnen – und nicht nur auf seinen Dank.«

Erlichshausen überlegte, indem er wieder mit den Fingerspitzen die Stirne rieb, wie seine Gewohnheit war. Ein so weltkluger Beobachter, wie Exdorf, wußte, daß er sich nur nach einer Brücke umschaute, die sich ohne allzu große Gefahr für sein Ansehen betreten ließe. Er meinte sie ihm selbst schlagen zu sollen. »Es ist wahrlich nicht mein Rat«, fuhr er fort, »daß Bruder Ostra ohne Strafe bleiben soll, wenn Eure Gnade es ihm schon für nichts rechnet, daß er ein Auge eingebüßt und wochenlang im Kerker geschmachtet hat. Legt ihm eine ritterliche Bußübung auf und schickt ihn nach einem unserer Häuser im Reich unter strenge Zucht. Wie ich seinen Ehrgeiz kenne, wird's ihn die schwerste Strafe dünken, hier aus Preußen verbannt zu sein, wo er sich des Herrn Hochmeisters Auszeichnung zu gewinnen und rasch von Amt zu Amt aufzusteigen hoffte.«

»Ich will's bedenken«, sagte der Hochmeister und entließ ihn mit einem Händedruck.

Er bedachte es auch drei Tage lang, immer verdrießlicher, je länger er zögerte zu tun, was doch unerläßlich scheinen mußte – unerläßlich, wenn er nicht jedes Bedenken, das seine Person anging, hinter sich werfen und um der Gerechtigkeit willen mutig der Verleumdung stehen wollte. Jetzt konnte er sich als Herrscher beweisen, vor dem sich auch die Großwürdenträger im Orden zu beugen hätten – ihm ahnte, daß er niemals seinen Willen gegen sie durchsetzen werde, wenn er sich diesmal einschüchtern ließ. Aber sein Mut war schwach. Welche Anstrengungen sollte er von sich fordern? Ja, wenn sein Gewissen rein gewesen wäre! Da nutzte doch die Absolution des Legaten nichts. Er schwankte eine Weile, ob er Plauen von Elbing zu sich berufen sollte. Was konnte das nützen? Wollte er sich denn auf seine Schulter lehnen? Immer lockender schien es ihm, sich den Marschall zu verbinden. Endlich gab er ihm Vollmacht, die höchst verdrießliche Angelegenheit nach seinen Wünschen und Vorschlägen zu regeln.

Da hatte er nun Ruhe. Aber um welchen Preis?

Exdorf traf sofort seine Maßregeln. Er ließ Ostra aus dem Turmgefängnis nach der Firmarie schaffen und dort als Kranken behandeln. Der Ritter war wirklich krank; das verletzte Auge eiterte noch immer, und die dumpfe Luft des Kerkers, die Kälte und die mangelhafte Nahrung hatten den Körper geschwächt. Niemand wußte mit Sicherheit, weshalb er eingekerkert worden war. Er werde sich gegen die Ordensregel vergangen und dafür gebüßt haben, meinte man. Und wenn sein Fehl schwerer gewesen sein sollte – was weiter? Je lockerer die Zucht, um so mehr Freiheit durfte sich auch jeder andere nehmen.

Als Ostra dann genesen war, ließ ihn der Marschall in sein Gemach führen und sagte zu ihm: »Ich hab Euch von dem Herrn Hochmeister losgebeten, Vetter, aber glaubt deshalb nicht, daß ich Eure ganz unsinnige Tat billige oder auch nur nachsichtiger beurteile als er. Was Euch diesmal dient, daß Euer Verbrechen nicht nach der Strenge des Gesetzes geahndet wird, möchte Euch in einem zweiten Fall schwerlich wieder dienen. Ihr seid diesmal gleichsam mit einem blauen Auge davongekommen, und wenn Ihr's ganz und gar eingebüßt habt, so nehmt auch das als eine verdiente Strafe hin. In Preußen dürft Ihr nicht bleiben. Ich will Euch aber nicht als einen Gefangenen auf eins unserer Häuser im Reich schicken, wie ich wohl müßte, sondern Euch dem Herrn Deutschmeister zurücksenden mit solcher Anzeige Eures Fehls, daß er nicht abgestoßen wird, Euch in seinem Dienst zu verwenden, wie Ihr Euch dazu tauglich erweist. Ich hoffe, Ihr seid noch jung und unverdorben genug, Euch wieder zu Ehren zu bringen.«

Er gab ihm ein versiegeltes Schreiben und in einem kleinen Lederbeutel das erforderliche Reisegeld. Einen größeren Beutel behielt er noch in der Hand. Ostra dankte mürrisch. »Ich wollte«, bemerkte er, »ich hätte mich nie verleiten lassen, das Ordenskleid anzunehmen. Es ist nichts für mich. Als ich eintrat, schien's so, als ob es einen munteren Krieg mit Polen und Litauen geben sollte, in dem Ruhm und Beute zu holen wären. Aber wir sitzen müßig in den Häusern, und unsere Waffen frißt der Rost; die Federfuchser sind überall auf. Da könnt's noch vergnüglicher und gottgefälliger zugleich sein, gegen den Türken zu ziehen. Ein kräftiger Mann will Beschäftigung haben. Fehlt sie ihm, so fällt er auf allerhand Tollheit. Schlimm genug, daß ihm hinterher als ein Verbrechen angerechnet wird, was man überall im Reich ritterlicher Freiheit zugut hält. Wenn so ein Lümmel, der die Hand gegen einen Edelmann und noch dazu seine Herrschaft zu heben wagt, seinen blutigen Lohn empfängt, so kräht da kein Hahn um ihn. Hier in Preußen aber soll man das Volk mit Samtpfötchen anfassen, und ist alles gleich voll von Angst, daß es ein Geschrei geben könnte. Zum Teufel auch! Es will jeder nach seiner angeborenen Art leben. Hier soll ich mehr ein Mönch als ein Ritter sein. Ich könnt wahrlich dem Herrn Hochmeister Dank wissen, daß er mich fortschickt, behielt ich nur Aussicht, daß er mich wieder ruft, wenn's hier etwas für Leute meines Schlages zu tun gibt. Aber da kann ich lange warten.«

»Vielleicht nicht so lange, als Ihr fürchtet«, entgegnete der Marschall. »Ihr müßt allezeit die Augen offen haben und nach rechts und links schauen, wo es zuzugreifen gilt. Ich hab Euch dem Herrn Deutschmeister, der längst mit diesen faulen Zuständen unzufrieden ist, als einen Mann empfohlen, der etwas zu wagen entschlossen ist und lieber rauft als stillsitzt. Ich denke, er wird Euch in Geschäften verwenden, die Euch viel auf der Landstraße halten. Da gebt acht, ob man Euch irgendwo fordert. Und nehmt auch noch einen besonderen Auftrag von mir mit, Vetter – einen heimlichen sozusagen, und deshalb ohne schriftliche Beglaubigung. Es ist nicht gerade nötig, daß Ihr schnell reist. Seht Euch in den Grenzländern um, ob Ihr gute Mannschaft antrefft, die sich für alle Fälle werben lassen möchte. Könnt Ihr im stillen ein paar hundert Knechte gewinnen, die bereitliegen, so wollt ich Euch das für eine gute Tat rechnen und Euch deren künftig beim Herrn Hochmeister gebührlich rühmen.«

»Nichts leichter als das!« rief Ostra. »Es ist überall Volks genug vorhanden, das nur auf das Handgeld wartet.«

Exdorf legte den Finger auf den Mund. »Versteht mich recht, Vetter: wir sind zur Zeit noch im Frieden mit unseren Nachbarn und gedenken ihn auch nicht zu brechen. Näher liegt die Gefahr, daß wir mit unsern eigenen Untersassen einen Streit auszufechten bekommen. Schwerlich reicht die Mannschaft in unsern Schlössern aus, einen Aufstand rasch niederzuwerfen, die Dienstleute vom Lande aber sind unzuverlässig. Deshalb muß es uns erwünscht sein, für alle Fälle einige Spieße in der Nähe zu haben. Doch auch davon darf nichts verlauten, damit nicht das Mißtrauen genährt wird. Ihr seid auf der Reise und mögt unterwegs dies und das vornehmen, wovon wir nichts wissen. Kommt Euch doch einer auf die Schliche und bringt's aus, so habt Ihr ohne Vollmacht gehandelt.«

Er legte den andern Beutel in seine Hand.

»Das heißt, ich soll meinen Rücken hinhalten, wenn man auf Euch losschlägt«, rief Ostra lachend. »Sei's darum! Ihr habt's wohl um mich verdient. Verlaßt Euch ganz auf mich. Meinetwegen mag's heißen, daß ich mir selbst eine Mannschaft anwerbe, ins Ordensland einzufallen, die frechen Bündischen zu züchtigen oder, wenn Euch das besser zusagt, meine Rache an denen zu nehmen, die mich in den Turm gebracht haben. Ich will stillhalten.«

Der Marschall drückte ihm die Hand, gab ihm sein Schwert zurück und entließ ihn. Denselben Tag noch begab sich der Ritter auf die Reise.

Als nicht lange danach Reuß von Plauen nach der Marienburg kam und erfuhr, was geschehen, wurde er sehr betrübt und sprach den Hochmeister an: »Gnädigster Herr, das hat Euch nicht Euer Freund eingegeben. Wenn solche Tat ungestraft bleibt, wer von den Brüdern mag da noch zur Rechenschaft gezogen werden? Ich wollte, Ihr hättet mich nicht abgeschickt, den Mann zu fangen. Wie soll ich Euch künftig mit frohem Herzen zu Dienst sein, wenn Ihr mich danach verleugnet?«

»Das war meine Absicht nicht«, versicherte Erlichshausen eifrig, »und hat auch so nicht gedeutet werden können. Es sind diesmal gar besondere Gründe, die mich bestimmten, nicht die ganze Strenge walten zu lassen, und sie wiederholen sich nicht so leicht wieder. Vergeßt nicht, daß ich an meiner Stelle auch auf anderer Ratgeber Meinung zu achten habe.«

»So sehet zu, wie weit Ihr kommt«, sagte der Spittler wenig überzeugt, »wenn Ihr die Pferde hinten und vorn an den Wagen spannt. Unsere Gegner haben ihre Freude daran.«

Dem Marschall ging er aus dem Wege. Es hätte ein böser Streit ausbrechen müssen, wenn er ihn wegen der Vetterschaft zur Rede stellte, und der Spittler wußte, daß er den gefährlichen Mann nicht beseitigen könnte. Des Ordens wegen hielt er Frieden, aber mit schwerem Herzen kehrte er nach Elbing zurück.


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