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Jost hatte im schärfsten Trabe bereits eine Strecke gegen Marienburg hin hinter sich gebracht, als er plötzlich seitwärts abbog und quer über Feld auf eine Anhöhe zustrebte, die sich weit sichtbar mit ihrer kahlen Kuppe aus dem Acker- und Weideland aufwölbte, Oben angelangt, brachte er seinen Gaul zum Stehen und spähte mit scharfen Augen ringsum. Die Sonne tauchte eben im Nordwesten als glührote Scheibe in das leichte Nachtgewölk am Horizont und warf über die Erde einen goldigen Schein, in dem weithin jeder aufragende Gegenstand deutlich erkennbar war. Die breiten und schmalen Wege, die sich vom Flußufer in die Ebene hinabzogen, ließen sich gut verfolgen, und was sich etwa auf ihnen zwischen den Weiden und Birken hin bewegte, konnte einem sicheren Auge nicht entgehen. Offenbar spähte Jost nach etwas dergleichen aus. Nun war's ihm, als ob er fernes Hundegebell vernahm. Gleich darauf bemerkte er auch in derselben Richtung einen beweglichen Punkt. »Da ist sie!« rief er laut. Ohne sich nur einen Augenblick zu besinnen, setzte er seinem Gaul die Hacken ein und sprengte die Anhöhe hinab auf den nächsten Weg zu.
Nochmals kam er an Blumes Hof vorüber. Seine Gedanken wanderten nicht dorthin, sie waren beständig bei der Reiterin, die er von Zeit zu Zeit aus den Augen verlor, um sie mit gespannter Aufmerksamkeit in kurzem immer wieder zu entdecken. Nun war auch kein Zweifel mehr: trotz der einbrechenden Dämmerung erkannte er den kleinen Gotländer Grauschimmel und die Dame darauf. Sie ritt ihm entgegen, so daß die Entfernung doppelt schnell abnahm. Offenbar kehrte sie nach Hause zurück. Noch mochte ein Raum von mehreren hundert Schritten zu durchmessen sein, als sie auch selbst den Reiter zu bemerken und stutzig zu werden schien. Sie machte halt und hob sich ein wenig im Sattel; der Hund kläffte. In der nächsten Sekunde wendete sie ihr Pferd, ließ es über den Graben springen und verfolgte einen schmalen Rain, der sich in einen mit Ellerngebüsch bewachsenen Grund absenkte. Als Ziel schien sie den Hof festzuhalten, wennschon sie ihn nur auf einem Umwege erreichen konnte.
Sie sah sich wiederholt um und brachte den Grauschimmel in immer schnellere Bewegung, je mehr sich die Entfernung zwischen ihr und Jost verringerte. Einen so weiten Vorsprung sie auch hatte und so gehorsam sich der Gotländer für seine Herrin anstrengte, die langen Beine seines Gauls brachten ihn doch rascher vorwärts. Es war eine förmliche wilde Jagd hinter ihr her. Noch einen Versuch machte sie, durch eine unvermutete scharfe Wendung an ihm vorüber auf einen Weidenplan zu gelangen, der mit Steinen übersät war, die ihm leicht ein Hindernis werden konnten. Aber er paßte auf und schnitt ihr den Weg ab. »Haltet!« rief er ihr zu. »Warum flieht Ihr vor mir, Ursula? Ich tu Euch nichts zuleide. Haltet!«
Noch einmal wendete sie im vollen Laufe das Gesicht zurück, sich zu überzeugen, ob ein Entweichen möglich. Dann brachte sie den Grauschimmel mit einem scharfen Ruck der Zügel zum Stehen und ließ ihn auf der Stelle umdrehen, so daß sie ihrem Verfolger in die Augen sah. »Was wollt Ihr von mir, Junker Jost?« fragte sie herausfordernd.
Er hielt nun ebenfalls, ihr dicht zur Seite. »Ursula –«
»Ihr konntet wissen«, fiel sie streng ein, »daß ich von Euch nicht eingeholt sein wollte. Warum verfolgt Ihr mich? Es ist Euch wahrlich keine große Ehre, auf solchem Klepper im Wettrennen der Sieger geblieben zu sein.«
»Verzeiht, Ursula«, bat er, sich vorbeugend und den Hals des Grauen klopfend. »Ihr habt mir's schwer genug gemacht. Euch zu erreichen. Warum wolltet Ihr mich ohne Abschied lassen?«
»Darüber bin ich Euch keine Rechenschaft schuldig, Junker. Genug, daß ich Euch einen Gruß durch Marcus sendete. Hätt' ich Euch noch einmal begegnen wollen, so hätt' ich ihn selbst in den Garten gebracht.«
»So war's also Euer Wille, mir nicht noch einmal zu begegnen. Darf ich ihm eine Deutung geben?«
»Keine unrechte. Wenn Ihr's denn wissen wollt, es kränkte mich, daß Ihr heute den ganzen Tag nur Augen für mich hattet und gänzlich zu vergessen schienet, was Ihr Eurer lieben Braut schuldet, der doch Euer Besuch galt. Was gehe ich Euch an, Junker? Was hab ich in meinem Wesen, das Euch wiederholt zu dreistem Angriff reizt? Schon einmal habt Ihr mich genötigt, Euch unfreundlich in die Schranken zu weisen. Ich hoffte, Ihr würdet Euch dessen geschämt haben und keiner neuen Lehre bedürfen. Nun achtet Ihr selbst nicht das Recht Eurer verlobten Braut, die wahrlich schön und gut ist, wie Ihr sie Euch nur wünschen möget, gafft mich an wie ein Wundertier und laßt mich dreiste Reden hören, fast wie damals an der Schloßbrücke zu Marienburg. Ich hatt's Euch langst vergeben und war voll Freude, daß Ihr zu Magdalene so tapfer standet. Nun sehe ich zu um so größerer Betrübnis, wie falsch Ihr seid.«
So in der Nähe konnte er bemerken, daß ihre Wangen glühten und ihre Augen zornig blitzten. Das schreckte ihn aber nicht. Indem er sein Pferd herumtreten ließ, sagte er: »Nennt mich nicht falsch, Ursula. Gott weiß es, mit wie redlicher Absicht ich herkam, mir Magdalenens Hand zu erwerben, und wie ihre Liebe mich beglückte. Nicht um Wort zu halten kam ich, sondern durch des Herzens Zwang hergezogen. Ach! Daß ich Euch nie wiedergesehen hätte, holdestes Fräulein! Aber es war offenbar des Himmels Wille so. Wie soll ich Euch mit Worten beschreiben, was in mir vorging, als ich Eurer wieder ansichtig wurde? Ich hatt' Euch nicht gesucht und doch gefunden. Es sollte so sein! Urplötzlich war mein ganzes Gefühl verwandelt. Ich wehrte mich gegen den Ansturm der sinnberückenden Leidenschaft – vergeblich. Wie mit einem Zauber hatte Eure Schönheit mir's angetan, daß vor meinen Augen alles aschfarben und blind wurde, was vorher in hellem Glanz gestrahlt hatte. Umsonst war alles Bemühen, Widerstand zu leisten. Wie ein Blitz niederfährt und die Eiche entzündet, so hat das himmlische Feuer mich ergriffen und bis ins Mark getroffen. Wie soll ich diesen Brand löschen? Sprecht mir nicht von gelobter Pflicht. Es war ein unsinniges Beginnen, Euch vergessen zu wollen, nachdem ich Euch einmal gesehen. Nicht zu Euch verirre ich mich, sondern von Euch war ich verirrt. Laßt mich's nicht zu schwer büßen!« Er hatte sich seitwärts zu ihr gebeugt und ihre Hand gefaßt, die den Zügel hielt, um sie zum Bleiben zu nötigen. Sie riß sich aber los und trieb den Grauschimmel mit der Gerte zu eiligen Sprüngen an. Er griff in die Mähne. Ursula schlug ihm wütend auf die Hand, sich zu befreien. Er achtete den Schmerz nicht, sondern lachte wild auf und rief: »Ihr seid in meiner Gewalt und müßt mich hören. Verliere ich diese Stunde, so verliere ich mein Leben. Denn in Euch allein leb ich fortan.«
»O ich Unselige!« klagte Ursula. »Wer hilft mir aus dieser Not! Wisset, daß ich Euch wegen Eurer Treulosigkeit verabscheuen würde, wenn ich Euch nicht für einen Wahnsinnigen halten müßte. Laßt ab von mir – kommt wieder zu Euch! Lieber wollt' ich in die Nogat springen und elendiglich darin umkommen, als der Freundin Recht kränken lassen.«
Jost suchte sie zu umarmen und zu sich aufs Pferd zu ziehen. Das gelang nicht. Der Hund sprang, da er sie so ringen sah, laut bellend an ihm auf und schlug die Zähne in sein Bein. Er mußte ihn mit der Peitsche abzuwehren suchen, zugleich auch den Grauschimmel zurückhalten, der immer vorwärts nach dem Landwege zudrängte, auf dem er den Stall zu finden wußte.
»Seht Ihr denn nicht«, zischelte er ihr zu, »daß Ihr mich zwar grausam abweisen, aber Magdalene damit keinen Dienst erweisen könnt? Nie mehr kann ich zu ihr zurück. Die Feuergluten, die sich bei Eurem Anblick entzündet haben und jetzt zu heller Lohe aufschlagen, versperren mir den Weg. Ich weiß, daß ich ein gegebenes Wort breche, daß ich dem besten Mädchen schweres Leid zufüge, daß ich ihren Vater beleidige – ich kann doch nicht anders. Es zwingt mich zu Euch, wird mich ewig zu Euch zwingen. Oh, sprecht nur ein gütiges Wort, Ursula, und ich bin morgen frei, es Euch mit allem zu lohnen, was ich bin und habe. Befehlt, wohin ich Euch folgen soll, und keine Rücksicht wird mich halten. Noch diese Nacht ... was hindert uns, in die weite Welt zu reiten? Wenn Ihr mich aber nach meiner Heimat begleiten wollt, Allerschönste, so will ich meinem Vater zu Füßen fallen und ihm sagen, daß Ihr die Braut seid –«
»Schweigt, Unverschämter!« herrschte Ursula ihn an, seine Schulter zurückstoßend, die sich an ihre Brust drängte. »Ihr versucht mich nicht mit Eurem teuflischen Locken. Und wäret Ihr der Fürst dieser Erde selbst. Ihr solltet keine Macht über meine Sinne haben, denn mein ganzes Herz gehört –« »Ha!« rief er, »sprecht es nicht aus, was mich vernichtet. Ihr müßtet sterben in meinen Armen – keinem andern dürft ich Euch gönnen. Nein, Ihr täuscht mich nicht! Dasselbe Feuer, das mich verzehrt, lodert auch in Eurer Brust. Wollet es nur nicht gewaltsam löschen. Ihr seid mein, Ursula!« Er sprang vom Pferde, ging neben ihr her, umschlang sie mit den Armen und suchte sie aus dem Sattel zu heben und zu sich hinabzuziehen.
Sie wehrte ihn mit allen Kräften ab und trieb zugleich mit dem Fuß und der Gerte den Grauschimmel immer vorwärts, so daß Jost nur im Laufschritt folgen konnte. Da er nun in den Zügel faßte, bäumte sich das scheu gewordene Tier und drohte die Reiterin abzuwerfen. Diesen Augenblick benutzte er, sie fester zu umschlingen und auf seinen Arm zu heben. Aber es gelang ihm auch jetzt nicht, sie bügellos zu machen. Sie umklammerte den Hals des kleinen Pferdes und drückte es dadurch hinunter. »Marcus – Marcus!« schrie sie in furchtbarer Angst.
Und da eilte Marcus schon mit geflügelten Schritten herbei, als ob er nur auf diesen Hilferuf gewartet hätte. Er war nicht zur Ruhe gegangen, da er Ursula noch nicht heim wußte. Dann wurde er durch das Hundegebell aufmerksam, das sich gar nicht beruhigen wollte, ging ihm nach und sah endlich bei der Biegung des Weges, was ihn mit Schrecken erfüllte. Eben sprang der Reiter ab, den er nicht erkannte, und bestürmte Ursula. Er verdoppelte seine Anstrengungen, war kaum noch fünfzig Schritte entfernt, als er seinen Namen rufen hörte. In mächtigen Sprüngen eilte er zur Stelle, faßte den Angreifer von hinten ins Genick und schleuderte ihn zur Seite. »Nichtswürdiger«, schrie er ihn an, »was erfrecht Ihr Euch auf offener Landstraße?« Dann wandte er sich zu Ursula. »Warum mußtet Ihr den Hof so spät noch verlassen? Wenn ich nicht zur rechten Zeit gekommen wäre –«
»Verzeiht, Liebster«, fiel sie ein, »und habt Dank.« Sie neigte sich, legte den Arm um seine Schulter und küßte seine heiße Stirn. »Es geschah Eurer Schwester zuliebe. Wie könnt ich ahnen, daß seine Verblendung ... Nein! Blickt nicht zurück! Ihr dürft ihn nicht kennen, der so frevelhaft –«
Da aber schlug der Mann, der sich wieder vom Boden aufgerichtet hatte, eine helle Lache an. »So also steht's? Er ist der Erwählte? Hahaha!«
»Jost!« rief Marcus ganz entsetzt. »Du –?«
»Glaubt ihm nicht, was er Euch sagt,« bat Ursula voll Angst. »Es ist Wahnsinn, was aus ihm spricht – ein höllischer Geist hat ihn verblendet, daß er dem eigenen Herzen Gewalt tut. Er liebt Magdalene. Wenn er mich nicht mehr sieht ... Er soll mich nicht mehr sehen, ehe ihre Hände am Altar vereint sind. Lebt wohl – lebt wohl!«
Sie galoppierte dem Hofe zu.
Die beiden jungen Männer standen einander gegenüber, nicht zwei Schritte entfernt. Marcus schien eine Erklärung zu erwarten; er konnte noch immer nicht recht begreifen, was geschehen war, wollte an des Freundes Treubruch nicht glauben. Jost maß ihn mit trotzigen Blicken. »Nun –?« brach er endlich das Schweigen, »was willst du von mir? Dein Recht an jene dort acht ich nicht. Aber du bist der Bruder – dem Bruder will ich Rede stehen und auch den Kampf mit tödlichen Waffen, wenn er ihn fordert, nicht verweigern.«
»Den Kampf?« fragte Marcus verwundert zurück. »Bin ich ein Raufbold, der auf der Landstraße Händel sucht? Und du ... wofür willst du die Waffen gegen mich ergreifen? Versteh ich das? Für einen Schimpf, den du meiner Schwester ... Du sagst, ich sei der Bruder. Das also –! Und Ursula ...«
Jost sank stürmisch an seine Brust. »Marcus, Marcus«, rief er ganz verzweifelt. »Daß du mir ins Herz sehen könntest! Es war kein frevles Spiel, das ich mit Magdalene, mit euch allen getrieben habe. So wahr ein Gott im Himmel lebt, über meine Lippen ist keine Lüge gekommen: ich wußte mir kein höheres Glück, als deine Schwester mein zu nennen, sie heimzuführen als mein Weib. Aber einmal schon verstörte dieser Dämon mein Gefühl. Und jetzt... Es ist, als ob ihr Anblick mein Blut in Aufruhr bringt, meine Gedanken verwildert, mein Gewissen einschläfert. Wenn sie mich riefe ... und müßt' ich ein todwürdiges Verbrechen begehen, ich könnte nicht Widerstand leisten. Wenn Magdalene meine Hand faßte, mich zurückzuziehen und mit innigster Bitte in mich dränge, ihrer zu gedenken – so sehr ich sie liebe, ich müßte mich losreißen und ihr mein Ohr verschließen und der Zauberin zu Füßen sinken, die mich mit ihren Augen zwingt. Und wenn sie mich nicht ruft, wenn sie mich verächtlich von sich stößt – ich kann doch nicht aus ihrem Bann. Ach! Verschwendet sind alle Worte – du kannst, du darfst mich nicht verstehen. Nur das eine siehst du ... daß Magdalene ... O mein Gott! Wie ich sie beklage, wenn ihre Liebe auch dies übersteht. Nein, sage ihr, daß ich schuldig bin, daß sie das beste Recht hat, mich zu hassen, zu verabscheuen –«
»Jost!« schrie Marcus auf. »es ist dein Wille, das Band zu lösen, das gestern erst ...« Der Ton erstickte ihm in der Kehle. Er schob ihn von sich ab, legte die Hände auf seine Schultern und krampfte die Finger in sein Fleisch, als ob er ihn zermalmen wollte.
»Was kann ich anders tun?« stammelte Jost. »Nach dem, was hier geschehen ist ... und morgen wird sich's wiederholen – immer und immer, bis Ursula ...«
»Und die ganze Stadt war Zeuge –!«
»Ja! Aber wenn die ganze Welt ... Wie kann ich's ändern?«
»Wortbrüchiger!«
»Willst du deiner Schwester Unglück?«
»Noch ist nichts Unverzeihliches geschehen.«
»Aber ich kann nicht bereuen. Ich habe keinen anderen Wunsch, als daß Ursula mich erhört.«
»Er ist unerfüllbar. Ursula liebt mich.«
»Ha! Sage das nicht. Ich könnte ...« Jost griff ihm an die Kehle.
Marcus schüttelte ihn mit Löwenkraft ab, so daß er zurücktaumelte. »Ursula liebt mich«, wiederholte er.
Jost schien sich nochmals auf ihn stürzen zu wollen. Plötzlich aber wurde er anderen Sinnes, schwang sich auf sein Pferd und jagte davon. »Nimm dich in acht«, schrie er ihm zu, »daß ich euch nicht beisammen sehe. Es wäre dein Tod!«
Lange noch stand Marcus auf der Landstraße wie versteinert, in sich hineingrübelnd. Der Kopf hing ihm schwer hinab – es wollte keine Ordnung in sein Denken kommen. Arme Schwester! –
Ursula hatte ihrem Grauschimmel den Stall geöffnet und war dann im Hause leise die Stiege aufwärts gegangen und in das Giebelstübchen eingetreten, in dem die Mädchen schliefen. Durch das Ölpapier des Fensters, hinter dem die Lade nicht geschlossen war, drang so viel Schimmerlicht, daß sie die Gegenstände erkennen konnte. Magdalene lag in dem breiten Bett, in dem sie gemeinsam zu ruhen pflegten, schlief aber nicht. Ursula hörte sie, als sie auf den Zehen heranschlich, in schluchzenden Tönen weinen. Erst als sie sich aufs Bett setzte, richtete Magdalene sich erschreckt auf. »Bist du's?« fragte sie. »Ich hörte dich nicht kommen.«
Ursula umfaßte sie und zog den Kopf der Freundin an ihre Brust. »Weine nicht, Liebste«, sagte sie mit sanfter Stimme, ihre Wange streichelnd, »es wird alles wieder gut werden.«
»Es wird nicht wieder gut werden«, antwortete Magdalene, von neuem in Tränen ausbrechend, »es kann nicht wieder gut werden. Ach, ich wußte es ja! Er durfte dich nur sehen, und all mein Glück war hin. Nur bei dir war er seitdem den ganzen Tag.«
»Zürnst du mir deshalb?«
»Wie sollte ich dir zürnen? Was hast du dazu getan – was kannst du dagegen? Er hat mir's gestanden – es geht ein Zauber von dir aus, dem er nicht zu widerstehen vermag, wie er sich auch wehrt. Und er hat sich redlich gewehrt. Deine Augen – deine Augen ... ich kann's ja begreifen!«
»Sie sollen ihn nicht mehr beirren. Wahrlich, selbst muß ich es für einen Zauber halten, an dem ich doch unschuldig bin, daß er durch mich so aus der Bahn gerissen wird und einem Trugbild nachjagt, von dem doch sein Herz nichts weiß. Denn, glaube mir, du bist in seinem Herzen – jetzt wie damals, als er mir zuerst begegnete. Ich weiß nicht, was ihn so verstört, wenn er mich sieht. Er soll mich nicht mehr sehen. Schon zu lange weile ich hier. So gastlich Euer Haus, ich darf nicht vergessen, daß ich zu meiner Mutter gehöre.«
»Wie, du wolltest –?«
»Abschied nehmen und heimkehren – und bald, recht bald. Deine Eltern sind so gut zu mir. Wie dankbar ich ihnen bin – das läßt sich gar nicht aussprechen. Wenn sie je daran zweifeln könnten, führe du für mich das Wort bei ihnen. Und bitte deinen Vater auch, daß er dem Herrn Hochmeister von meinetwegen herzlichen Dank sage für alle Guttat, die ich nicht vergelten kann. Ich treffe ihn wohl nicht mehr.«
»So eilig denkst du ...«
»Es muß rasch geschehen. Morgen schon. Was kommt's auf den Tag an, wenn's doch geschieden sein muß.« Sie küßte ihr die Tränen von den Augen fort. »Du wirst keinen Grund mehr haben, darüber traurig zu sein.«
»Aber Marcus – Marcus ...«
»Marcus! Seinetwegen bliebe ich gern. Aber es geschieht doch auch seinetwegen, daß ich gehe. Sieh, es besteht zwischen uns eine Heimlichkeit, die mich sehr beseligt. Aber es ist doch nicht gut, daß wir länger zusammen sind in seines Vaters Hause. Wie ich ihn liebe, weiß er, und daß er in seinen Gedanken treu zu mir hält bis an der Welt Ende, darauf vertrau ich. Und du hörst es ja nun auch aus meinem Munde und bist seine Schwester. Wie ich dich jetzt küsse, so küsse ihn und richte ihn auf mit gutem Trost, wenn er dessen bedarf.« Sie drückte Magdalene fest an die Brust und hielt lange den Mund auf ihrem Munde. Dann ließ sie sich mit ihr auf das Kissen niedersinken. »Nun aber schlafe. Liebste, und träume süß. Du darfst gang ruhig sein. Gute Nacht!« Ursula lag eine Weile unbeweglich neben ihr, den Arm unter ihren müden Kopf gestützt. Und Magdalene schlief wirklich ein, ihren Kummer vergessend. Morgen sollte ja erst geschieden sein – morgen ... Ursula aber schloß die Augen nicht. Für sie war morgen der frühe Tag, den die erste Lerche begrüßte.
Es wurde ganz dunkel im Stübchen. Nach wenigen Stunden aber füllte sich dasselbe bereits wieder mit einem sanften Dämmerlicht, lange vor Aufgang der Sonne. Ursula zog leise ihren Arm fort und erhob sich. Sie öffnete eine buntbemalte Truhe, die ihre Habseligkeiten enthielt, packte sie in ein Tuch und knüpfte dasselbe über Kreuz zusammen. Noch einmal beugte sie sich über Magdalene, die in langen regelmäßigen Zügen atmete, wagte aber doch nicht, ihre Lippen zu berühren. »Leb wohl!« flüsterte sie. Dann schlich sie die Stiegen hinab und durch die unverschlossene Tür auf den Hof. Dicht am Hause lag der Hund. Er hob den Kopf, erkannte sie und bellte nicht, sondern folgte ihr schweifwedelnd nach dem Stalle. Der Gotländer stand noch gesattelt. Sie führte ihn hinaus vor das Hoftor. Dort stieg sie an einem Stein auf und hing das Bündel an den Sattelknopf. Dann entfernte sie sich in eiligem Trabe, der Elbinger Straße folgend.
Die Knechte und Mägde schliefen noch. Niemand hatte sie abreiten sehen.
Erst als Magdalene zum Frühstück hinabkam, wurde sie vermißt. Nun trat ihr jedes Wort in Erinnerung, das Ursula gestern gesprochen hatte. »Morgen – morgen ...« grübelte sie. »Das also war schon der Abschied.«