Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Indessen waren zu Thorn fast täglich geheime Beratungen gepflogen. Der Komtur erfuhr durch seine Aufpasser, daß hohe polnische Herren, der Reichskanzler, der Domprobst von Krakau und der Provinzial des Predigerordens in Polen, in der Stadt gesehen würden und mit den Häuptern des Bundes eifrig verkehrten. Sie nahmen zum Vorwand, daß sie der in Polen wütenden Pest wegen nach Thorn geflüchtet seien, aber es hatte doch Wohl guten Grund, daß bald darauf Gabriel von Baisen mit einigen Begleitern als Gesandter an den Erzbischof zu Gnesen und weiter zum König nach Krakau geschickt wurde. Es hieß, sie sollten um freies Geleit für die Gesandtschaft an den Kaiserhof bitten. Aber ihre geheimen Instruktionen hatten auch noch einen anderen Inhalt: Bei dem geistlichen und weltlichen Oberhaupt der mächtigen Republik rechnete man auf Beistand im Fall der Not und meinte sich denselben nicht früh genug sichern zu können.
Mit der Wahl der Kaiserboten war man schon vorher fertig geworden. Herr Wilhelm Jordan hatte abgelehnt; er glaubte der Sache des Bundes in Danzig nützlicher sein zu können. In Wahrheit fürchtete er gegen den Thorner Tileman vom Wege in Wien zurückzustehen, der doch, wie er zugeben müßte, bei diesem schwierigen Geschäft gar nicht entbehrt werden konnte. Statt seiner wurde Andreas Brunau, Bürgermeister der Altstadt Königsberg, gewählt. Die Eidechsen waren durch Augustin von der Schewe und Ramschel von Krixen, damals noch Vogt des Pomesanischen Domstiftes, vertreten. Ihre Ausrüstung für die weite Reise war schwierig und erforderte längere Zeit. Endlich setzten die vier Abgesandten mit dreißig Pferden über die Weichsel und nahmen ihren Weg auf Wien durch Polen und Ungarn.
Am Kaiserhofe, wo damals viele deutsche Fürsten und Herren um Friedrich III. versammelt waren, allerhand Streitigkeiten vor des Kaisers Oberhaupt zu vergleichen, war Ritter Georg von Eglofstein den Bündischen zuvorgekommen. Seine Werbung wurde sehr freundlich angehört und von den Fürsten unterstützt. Die alten Zeiten schienen zurückgekehrt, in denen des römischen Reiches gekröntes Oberhaupt für Fürsten und Völker die höchste weltliche Autorität war. Der Kaiser nahm deshalb nicht nur des Ordens Klageschrift willig an, sondern ermahnte die Bundesabgesandten, als sie vor ihm erschienen, ernstlich aus kaiserlicher Macht, den Bund sofort abzutun und, nach des Meisters Erbieten, sich am rechtlichen Austrage genügen zu lassen. Doch empfing er die ansehnlichen Ehrengeschenke mit sichtlichem Wohlgefallen und hörte auch die lange Rede Tilemans vom Wege gnädig an, in welcher derselbe Kaiserlicher Majestät über Ursprung und Zweck des Bundes umständlich Auskunft gab, also schließend: »Hieraus wolle Ew. Kaiserliche Majestät erkennen, wie arge Verleumdungen und Lügen gegen uns vorgebracht sind. Die Herren suchen jeden Anlaß, uns als Gottlose und Meineidige zu verketzern und als Ungehorsame und Abtrünnige den Fürsten zu verdächtigen, da wir doch nur unser Recht behaupten und des Friedens wegen schon viel von demselben nachgelassen haben. Sie halten uns nicht Wort und Treue, wie leichtlich durch den Vorgang zu beweisen, dessen der päpstliche Legat, Herr Ludwig de Silves, Zeuge war, dem sie versicherten, es sei kein Streit zwischen uns, sondern alles in Liebe und Eintracht ausgeglichen. Da sie nun gar wagen, vor Ew. Kaiserlichen Majestät Angesicht zu treten und ihre frechen Beschuldigungen zu wiederholen, so wolle Eure Gnade als der oberste Richter, den der Orden selbst durch seine Klage anerkennt und anruft, uns erlauben, des Bundes Recht zu erweisen, auch unsererseits richterliche Entscheidung erbittend.«
Die drei anderen Abgesandten verneigten sich tief nach seinem Beispiel. Der Ritter von Eglofstein und sein Kumpan Wolfgang Sauer aber fuhren ärgerlich auf und riefen: »Nein! Es bedarf keines Rechtstages zu solchem Zweck. Denn die Ursachen des Bundes sind tot, so muß der Bund selbst auch tot sein. Wir wollen mit unsern Untertanen nicht streiten um des Bundes Recht, sondern hören, welche Klagen sie bei Kaiserlicher Majestät gegen ihre Herrschaft anzubringen haben, und darauf Rede stehen. Bleibe Ew. Majestät nur fest, den Ständen zu befehlen, den Bund sofort ganz abzutun!«
Tileman merkte, wohin die Kreuzherren steuerten. Sie wollten um den Prozeß herumkommen und doch Recht erhalten. Deshalb stellte er sich gleich mitten in den Strom. »Die Ursachen des Bundes sind nicht tot«, entgegnete er. »Dies zu erweisen sind wir hergekommen und bitten um gnädigste Erlaubnis. Weil sich unser Herr Hochmeister erboten hat, vor Ew. Kaiserlichen Majestät wegen dieser Einigung zu Rechte zu stehen, so verwilligen auch wir darein Recht zu geben und zu nehmen, und bitten allein, daß es mit dem einen wie mit dem andern zugehe und ungeweigert stehen bleibe, was auf beider Parteien Vorbringen durch Ew. Kaiserliche Majestät und derselben Räte zu Recht gesprochen und erkannt wird. Geruhen Ew. Kaiserliche Majestät sich darin so gnädig zu beweisen, als wir nicht zweifeln, sondern ganz fest vertrauen, das wollen Lande und Städte mit ihrem willigen Gehorsam und Diensten gegen Ew. Kaiserliche Majestät demütiglich verdienen.«
Da aber die Ordensgesandten den Kaiser so wegen einer raschen Entscheidung bedrängt sahen, erklärten sie, sie hätten keine Vollmacht mit für diesmal, sich mit dem Bund ins Recht einzulassen, und müßten solchem Verfahren widersprechen.
Darauf beriet der Kaiser mit seinen Räten und ließ den Bundesgesandten durch seinen Kanzler, Herrn Ulrich Weltzki, antworten, er wolle nicht auf des Ordens Klagen entscheiden, ohne den andern Teil gehört zu haben. »Daß aber Kaiserliche Majestät eure Sachen jetzt vornehmen sollte, das kann nicht geschehen, da Kaiserliche Majestät hierzu keine Muße und mit etlicher Fürsten Sachen zu tun hat. Sobald diese zu Ende werden entschieden sein, so will Kaiserliche Majestät gern beide Parteien verhören und Recht sprechen, wenn ein gütlicher Ausgleich nicht gelingen sollte.«
Er setzte beiden Teilen darauf einen Rechtstag auf Johannis Baptistae des künftigen Jahres und untersagte ihnen ernstlich, bis dahin etwas Feindseliges und Unfreundliches gegeneinander zu unternehmen.
Nun aber trat Tileman vom Wege nochmals an die Schranken, hinter denen der Kaiser auf einem erhöhten Platz saß, bückte sich tief, als wollte er einen Fußfall tun, und sagte: »Allerdurchlauchtigster. Großmächtigster, Unüberwindlichster Kaiser, Allergnädigster Herr, wir danken Ew. Kaiserlichen Majestät für die bewiesene Gnade und wollen uns für unser Teil wohl so verhalten, wie es dem höchsten Richter dieser Welt zur Zufriedenheit gereichen soll. Bitten aber demütiglich, Ew. Kaiserliche Majestät wolle ansehen unsere Not, in die wir durch den Orden gedrängt werden, wenn er uns mit allen Kräften, wie zu befürchten, hinderlich ist, daß wir uns zur Vorbereitung dieses Prozesses versammeln, vereinigen und beraten, Klagen aufnehmen und Vollmachten erteilen, auch das erforderliche Geld aufbringen. Wir verhoffen uns deshalb von Ew. Kaiserlichen Majestät Gnade und Billigkeit solcher urkundlichen Genehmigung und daß wir eine ziemliche Schätzung und Schoß ausschreiben dürfen der großen Kosten wegen. Auch dafür wollen wir uns dankbar beweisen.«
Dies nahm der Kaiser vorerst zur Beratung, ließ auch eine längere Zeit auf die Antwort warten. Tileman erkannte wohl, daß man in der kaiserlichen Kanzlei, wo er sich täglich umtrieb, dieses Dankes gern im voraus versichert gewesen wäre. »Dies ist das wichtigste Zugeständnis, das wir nach Hause mitbringen können«, setzte er Augustin von der Schewe und den anderen Sendboten auseinander, und eines reichlichen Geschenkes wert. Erlangen wir durch des Kaisers Brief und Siegel das Recht, uns aus eigener Macht zu versammeln und zu besteuern, so soll es unseren gnädigen Herren schwerfallen, herauszubringen, ob es des Prozesses wegen oder zu anderen Zwecken geschieht. Bis zum Richttag wenigstens erhalten wir dann die ganze Freiheit, die wir für alle Zeit anstreben. Wir wollen sie Wohl so nützen, daß man sie uns nicht wieder nehmen soll!« Sie meinten es vor den Ihrigen verantworten zu können, wenn sie ihn zu einem stattlichen Anerbieten ermächtigten. Er verklausulierte es so geschickt, daß durch die Annahme schon halb und halb der Bund selbst als bestätigt angesehen sein sollte.
Die Ritter von Eglofstein und Sauer ihrerseits verkehrten viel mit den Fürsten und Herren am Kaiserhof, ihren Beistand für den Orden erbittend. Die ließen es an großen Worten nicht fehlen, ihnen Mut zu machen, der Kaiser könne gar nicht anders, als den gottlosen Bund verdammen. Doch wolle der Orden nicht zu vertrausam sein, sondern für alle Fälle seine Schlösser instandsetzen und ein paar tausend Mann Söldner in Böhmen anwerben. Die Ordensgesandten nahmen sich dies wohl zu Herzen und berichteten so auch an den Herrn Hochmeister. Seufzend aber sagte Eglofstein zu seinem Kumpan: »Guter Rat ist diesmal billig. Ich wollte, sie brächten in ihren Landen ein gut Stück Geld zur Armatur unserer Schlösser und Zahlung für die Söldner auf. Da aber rührt keiner die Hand. Könnten wir uns auf der Waffen Gewalt verlassen, wir ständen nicht hier als Bittende vor dem Kaiser, unsern Untertanen Red' und Antwort zu stehen.«
Tileman vom Wege, sein verhaßtester Gegner, hielt indessen noch ganz andere Schleichpfade für erlaubt. Er sah sich um, ob er einen von den kaiserlichen Räten fände, mit dem er ein Wörtchen im Geheimen sprechen könnte. Es kam ihm darauf an, ein Dokument in die Hand zu bekommen, aus dem hervorgehen sollte, daß der römische König den Bund seinerzeit genehmigt habe. Da er in der römischen Kanzlei auf Schwierigkeiten stieß, wandte er sich an die österreichische. Dort saß ein alter kaiserlicher Rat namens Ulrich Sonnenberger, den er oftmals traurig und niedergeschlagen fand, weil sein kärgliches Einkommen für eine zahlreiche Familie nicht ausreichte. An diesen schloß Tileman sich an und wußte ihn so vertraulich zu stimmen, daß er ihn in sein Haus führte, auch reiche Geschenke für Frau und Töchter annahm, die sich häufig, wie der alte Herr versicherte, die Augen verweinten, daß sie es dem Wiener Frauenzimmer ihres Standes in Putz und Geschmeide nicht gleichtun könnten.
Diesem Ulrich Sonnenberger nun sprach er auch von der kaiserlichen Urkunde, die schon im ersten Jahr des Bundes gegeben sein sollte, und daß er sich's gern einen ziemlichen Haufen Goldgulden kosten lassen möchte, wenn sie wieder vorgebracht werden könnte. Er gab ihm eine Abschrift, wie er sie im Thorner Archiv aufgefunden haben wollte. »Was könnte es Euch aber nützen«, meinte Sonnenberger, »die Erneuerung zu erhalten, da doch Euer Orden bestreiten wird, von solcher Bestätigung etwas zu wissen.«
»Laßt das unsere Sorge sein, edler Herr«, antwortete Tileman. »Ich will's Euch nicht vorenthalten, daß mir's nicht um ein Beweisstück gegen den Orden zu tun ist, den wir wohl noch mit seinen eigenen Zusagen meinen überwinden zu können. Auch wollen wir den Herrn Kaiser nicht allzu scharf beim Wort nehmen, wenn seine Erinnerung so weit zurück nicht reichen sollte. Aber wisset, daß es im Bunde viele Zaghafte und Halbe gibt, die zu einem faulen Frieden drängen, weil sie der Sache nicht im voraus ganz gewiß sind, denen wird vor dem Prozeß am Kaiserhof Angst werden. Sehen sie nun aber des Kaisers Siegel, so werden sie Mut fassen und mit uns durch dünn und dick gehen. Zu solchem Zweck ist uns die Urkunde von großem Wert.«
Rat Sonnenberger überlegte sich's noch eine Weile. Sein Herz wurde immer begehrlicher nach dem Häuflein Goldgulden. Er plauderte davon bei seiner Eheliebsten und hatte nun keine ruhige Stunde mehr. Der Thorner sehe so ehrlich aus; es sei gewiß alles in bester Ordnung. Endlich widerstand er nicht länger. Er selbst schrieb den kaiserlichen Brief mit verstellter Hand und wußte ihn geschickt in der römischen Kanzlei unterzuschieben. Das Datum hatte er um zwölf Jahre zurückgesetzt.
Mit zitternder Hand händigte er Tileman vom Wege die Urkunde aus und strich die Goldgulden ein, die als die »ordnungsmäßige Kanzleigebühr« gezahlt wurden. Von seinen Genossen zog Tileman nur Augustin von der Schewe ins Geheimnis, um bei den Eidechsen für alle Fälle gedeckt zu sein. Die andern erfuhren soviel, als der Bund erfahren sollte. Das kaiserliche Siegel, das sie gesehen hatten, war echt.
So begaben sich nun die Bundesgesandten, im ganzen wohl zufrieden mit dem, was sie ausgerichtet, auf den Heimweg.
Vor Thorn wurden sie vom Rat feierlich eingeholt und von einer großen Menschenmenge jubelnd bewillkommt. Man führte sie aufs Rathaus. Hier erstattete Tileman den ersten Bericht. »Es ist wohl eines halben Landes wert«, schloß er, »daß wir beim Kaiser gewesen. Denn jetzt haben wir volle Gewißheit, daß der Bund auch ferner bestehen wird. Wir haben jetzt den Beweis, daß er vor zwölf Jahren schon vom Kaiser bestätigt worden ist. Sehet hier sein Siegel. Darum seid guten Mutes.« Im Gespräch erzählte er lachend: »Ihr hättet dabei sein müssen, liebe Herren! Der Kaiser ließ uns an seiner Seite sitzen, des Ordens Abgesandte aber mußten stehen und wurden darob von einigen Fürsten verhöhnt.«
Augustin fügte hinzu: »Man hat auch gehört, daß der Kaiser zum Deutschmeister gesagt hat: Ihr Kreuzherren macht mir viel Unwillen; lasset ihr nicht davon, so wird für euch nichts Gutes daraus entstehen. Das war auch zu merken bei der Ordensgesandten Empfang. Der Vogt von Leipe fiel kreuzweis vor dem Kaiser nieder und bot ihm große Ehrengeschenke, von denen der hohe Herr doch nichts hat annehmen wollen.«
Sie hatten sich diese Märlein auf der Reise ausgedacht, die Freude und den Mut der Ihrigen zu nähren und zu stärken. Und so gab auch Ramschel von Krixen das seine zum besten: »Wie wir in den Audienzsaal traten, stand der Kaiser auf, ging uns entgegen und bot uns freundlich die Hand. Wir durften zu ihm kommen, so oft wir wollten. Die Herren vom Orden mußten warten, bis sie vorgeladen wurden. Das Antworten ward ihnen mitunter sauer. Als sie einmal gar stockten und nichts gegen uns vorbringen konnten, hat der Kaiser sich die Hand vor's Gesicht gehalten und hineingelacht.« Das alles erfuhr der Thorner Komtur, Herr Albrecht Kalb, von einigen guten Freunden des Ordens, ärgerte sich schier blau über so unverschämtes Gerede und berichtete dem Herrn Hochmeister Wort für Wort, was er gehört.