Ernst Wichert
Der Bürgermeister von Thorn
Ernst Wichert

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Dreizehntes Kapitel

Der Helfer in der Not

Marcus Blume wartete von Tag zu Tag auf Josts und Ursulas Rückkehr vergeblich. Immer größer wurde seine Sorge und Unruhe. Es mußte sie irgendein Unfall getroffen haben, sonst wären sie längst wieder heim. Er machte sich Vorwürfe, daß er Ursula fortgelassen habe. Nur mit Mühe wehrte er den Gedanken ab, daß Jost am Ende doch falsches Spiel spiele. Er verriet sich nicht durch Worte, aber deren bedurfte es auch für seine Mutter nicht. Selbst tief bekümmert, streichelte sie ihm oft die Wange, als ob sie ihn begütigen wollte: nimm dir's nicht so schwer zu Herzen. Nur Magdalene gab bei jeder Gelegenheit zu verstehen, daß ihr gutes Vertrauen zu Jost unerschüttert sei. »Glaubt nur, es ist etwas geschehen«, sagte sie, »wogegen er nicht kann. Die Zeit wird ihn herrlich rechtfertigen.«

»Du liebst ihn noch immer«, flüsterte Marcus ihr ins Ohr.

»Hab' ich doch nie aufgehört, ihn zu lieben«, entgegnete sie ernst, ohne zu erröten. »Hast du dir's anders vorgestellt?«

Er küßte sie statt der Antwort.

Im Spittel, das von Verwundeten überfüllt werden mußte, war eine böse Krankheit ausgebrochen, die pestartig oft in wenigen Stunden die Menschen hinraffte. Sie griff weiter in die Stadt hinein um sich und verbreitete überall Angst und Schrecken. Auch viele von den Söldnern wurden befallen. Oberst Trotzler drohte, daß er gezwungen sein werde, mit seinem Volk die Stadt zu verlassen und draußen ein Lager zu beziehen. Vergeblich wartete man auf des Hochmeisters Hilfe. Frau Regina hatte übermenschliche Anstrengungen gemacht, den vielen Kranken Dienste zu leisten; selbst vom Fieber ergriffen und ganz kraftlos, konnte sie zuletzt ihr Stübchen nicht mehr verlassen. Magdalene war Tag und Nacht bei ihr, sie zu pflegen. Stündlich erkundigte sich die kranke Frau, ob noch immer von ihren Kindern keine Nachricht eingelaufen sei, und immer wieder mußte Magdalene traurig den Kopf schütteln.

Dabei bedrängte Ulrich Czerwonka wieder heftiger die Stadt. Es war ihm gelungen, seinen Schießbedarf zu ergänzen, und er ließ nun wieder von Zeit zu Zeit ein Geschütz lösen, um die Bürger von den Straßen in die Häuser zu treiben. Fast allnächtlich hatten sie einen Ausfall vom Schloß her zu bestehen. Er verbreitete das Gerücht, der König sei schon unterwegs und werde sie furchtbar strafen, wenn sie sich nicht schleunigst unterwürfen. Bartholomäus Blume blieb fest. Es hieß, der Hauptmann habe schon von Danzig Scharfrichter kommen lassen, damit sie für die Blutarbeit gleich zur Hand seien. Auch das schreckte ihn nicht. Er bot seine ganze Beredsamkeit auf, Trotzler zum Ausharren zu vermögen. An den Spittler, von dem er am meisten hoffte, schrieb er flehende Briefe, er möchte sich der unglücklichen Stadt erbarmen. Er erhielt keine Antwort.

Und nun ging plötzlich die Rede: Jost vom Wege sei in Marienwerder gefangen und mit dem Tode bedroht; vergeblich hätten die Thorner ein großes Lösegeld geboten. – Bei den Ausfällen der Polen wurden öfters Gefangene gemacht; durch sie mußte die Nachricht verbreitet sein. Sie konnte ihren Weg über Danzig genommen haben, das immer mit dem Schloß in Verbindung stand. War sie glaubhaft? Wie sollte der Hochmeister Blumes Schreiben so mißachtet haben? Und hätte nicht Ursula mit einem Wort jeden Argwohn beseitigen müssen? Marcus zermarterte seinen Kopf, sich ein solches Ereignis erklärlich zu machen. Sollte Jost von Ursula getrennt worden sein, ehe sie Marienwerder erreichten? Hatte er den Begleitsbrief verloren und sich so nicht ausweisen können? Aber wo war denn Ursula? Er hielt's nicht länger aus in den Mauern der Stadt. »Gebt mir Urlaub, Vater«, bat er den Bürgermeister, »nur auf vierundzwanzig Stunden. Ich fühle, daß die Sorge mich niederwirft und zu allem Denken und Tun unfähig macht. Ich habe keinen Schlaf, mir verlangt nicht nach Nahrung. Bleib ich länger, so wird die tückische Krankheit mich erfassen – ich kann ihr keinen Widerstand leisten. Fall' ich dem Feinde in die Hände, so entzieh' ich der Stadt doch keinen Verteidiger. Laßt mich gehen und auskundschaften, wie es in Marienwerder steht. Kann ich mit frohem Herzen zurückkehren – oder auch nur eine traurige Gewißheit mitbringen, so soll der Feind wieder meinen Arm fühlen.«

»Soll ich auch dich noch verlieren?« klagte Blume. »Oh, diese Prüfung ist schwer.« Sogleich aber faßte er sich wieder, umarmte Marcus und sagte: »Geh mit Gott! Ich muß dir recht geben. Aber laß es die Mutter nicht wissen. Kommst du wieder, so soll sie sich nicht ohne Grund gehärmt haben, und kommst du nicht ... so hat sie den Trennungsschmerz doch nur einmal. Ich will dich mit dem Dienst auf den Mauern entschuldigen, wenn sie nach dir fragt.«

Als Marcus sich dann abends von ihm verabschiedete, wurde der starke Mann merklich weich. Er drückte den lieben Sohn wiederholt an seine Brust und sagte: »Ich weiß nicht, wie mir ist ... Es ahnt mir, wir sehen einander nicht wieder.« Er öffnete ihm selbst die Mauerpforte und schob ihn abgewendet mit einem letzten Händedruck hinaus. –

Marcus Blume ging die ganze Nacht durch, die Landstraße möglichst vermeidend und wenig betretene Stege durch Wald und Heide aufsuchend. In einigen Dörfern lag Kriegsvolk; er konnte nicht erkennen, ob des Ordens oder Bündische. Auch sah er von weitem einen großen Trupp Reiter, der sich gegen Marienburg hin bewegte. Es schienen ihm Polen zu sein. An einer anderen Stelle stieß er auf ein eben verlassenes Lager; die Wachtfeuer brannten noch. Die einzeln stehenden Gehöfte waren überall von den Bewohnern verlassen, zum Teil von ihnen oder den Feinden abgebrochen, die Brunnen verschüttet. In der Ferne leuchtete der Himmel an zwei Stellen glutrot von Feuerschein.

Als er gegen Morgen, schon nicht mehr weit vom Ziel, ein Gebüsch umschritt, wurde er plötzlich angerufen. Es war eine ausgestellte Wache, die von ihm Auskunft verlangte, wer er sei, von wo er komme und wohin er gehe. »Beantwortet mir zunächst eine Frage«, entgegnete Marcus, »die Euch ungefährlich ist. Seid ihr Kriegsleute des Ordens oder der Bündischen?«

»Des Ordens«, sagte der Mann.

»Und wer ist Euer Führer?«

»Der Oberst-Spittler Herr Heinrich Reuß von Plauen.«

»So führt mich zu ihm«, rief Marcus froh, »keinem Lieberen könnt' ich begegnen. Ich bin Marcus Blume, des Bürgermeisters von Marienburg Sohn, und will zum Herrn Hochmeister nach Marienwerder.«

»Dahin ziehen auch wir«, sagte der Landsknecht. »Wartet noch kurze Zeit. Dort bricht der Trupp schon auf; wir werden sogleich abgelöst werden.«

Wirklich wurde etwas weiter am Waldrand hin im Nebelgrauen eine Bewegung von Menschenmassen bemerkbar. Es näherte sich ein Heereszug von Reitern und Fußvolk; mehrere Fähnlein flatterten im Morgenwind. Voran ritt der Spittler in voller Rüstung, den weißen Mantel über dem Panzerhemd, zwischen einigen Rittern und Hauptleuten. Er erkannte Marcus, reichte ihm vom Pferde die Hand im Blechhandschuh und sagte: »Greift an den Steigbügel, damit Ihr besser Schritt haltet, und berichtet mir, wie es in Marienburg steht.«

Das tat Marcus. Er gab umständlich ein Bild von der traurigen Lage der Stadt und sprach die Hoffnung aus, daß ihr jetzt die zugesagte Hilfe durch den Orden kommen werde.

»Gott segne den treuen Mann, Euren Vater«, sagte der Spittler bewegt. »Ich wollte, wir könnten seiner guten Stadt auf der Stelle zureiten und die Marienburg im Sturm nehmen. Aber wir sind nur ein klein Häuflein und müssen auf mehr Zuzug warten, der uns freilich versprochen ist. Wir sind zum Schutz des Herrn Hochmeisters herbeigeeilt, konnten aber gestern nach einem langen und beschwerlichen Tagesmarsch Marienwerder nicht mehr erreichen, da Mannschaft und Pferde vor Müdigkeit nicht weiter konnten. Wisset, daß nach zuverlässigen Nachrichten ein großes Polenheer die Grenze vor Tagen schon überschritten hat und im Anmarsch auf Eure Stadt ist. Man spricht von zwanzigtausend Mann, was hoffentlich übertrieben ist. Der Vortrab ist eine Tagesreise voraus. Zinnenberg sucht ihn aufzuhalten. Es muß zu einem Treffen gekommen sein, wobei einige Dörfer in Flammen aufgegangen sind. Ihr werdet den Feuerschein am Himmel so gut wie wir bemerkt haben.«

»So nahe schon sind die Polen!« rief Marcus sehr erschreckt. »Wehe der armen Stadt, wenn es Euch nicht gelingt, den Feind im Felde zu schlagen, gnädigster Herr. Wie sollen wir uns gegen solche Übermacht halten?«

»Verzagt gleichwohl nicht«, redete der Spittler freundlich zu. »Es dünkt uns schon ein Wunder, daß die Stadt so tapfer widerstanden hat, und Gott kann wohl auch noch ein größeres geschehen lassen und durch ihre Beharrlichkeit die Burg wieder in des Ordens Besitz bringen. Ewiger Ruhm ist ihr dann gewiß.«

Nachdem dieses Allgemeine abgesprochen war, erkundigte sich der Spittler nach den näheren Umständen in seinem Hause, und da die Reiter doch dem Fußvolk nicht voraneilen durften und gut noch eine Stunde bis zur Ankunft im Schloß vergehen mußte, fing Marcus vertraulich zu erzählen an, was sich in der Familie ereignet hatte. Er sprach von der Waldfrau und von Ursula und zuletzt von Jost vom Wege, wie der sich zur Sache des Ordens bekehrt hatte und der Stadt zugezogen sei und bereits tapfer für sie gekämpft habe. Nur was zugleich des Hochmeisters und Tilemans Geheimnis war, verschwieg er. Endlich erfuhr der Spittler auch, daß Jost Ursula nach Marienwerder begleitet habe und daß sie nicht zurückgekehrt seien, und daß er selbst nun ausgegangen wäre, sie zu suchen.

»Das sind gar merkwürdige Dinge«, sagte Plauen, »und in ihrem wahren Zusammenhang nicht leicht zu erfassen. Über mancherlei Zäune, Hecken und Gräben seid Ihr so im Sprunge hinweggesetzt, daß ich Euch nicht habe folgen können, und aufs Erraten mag ich mich bei meines Kopfes Schwerfälligkeit nicht legen. Ich verstehe wohl, daß Jost vom Wege, wenn er früher Eurer Schwester Ursulas wegen abgesagt hat, die Euch doch angehört, Reue empfinden und andern Sinnes geworden sein kann; doch das behauptet Ihr nicht einmal bestimmt und laßt es nur als Beweggrund seiner Umwandlung ahnen. Es erklärt auch kaum genugsam, wie unseres Todfeindes Sohn sich plötzlich dem Vater abgewandt und das Schwert gegen die Bündischen gezogen hat. So wenig kann ich's auch verstehen, warum gerade er Ursula zum Herrn Hochmeister begleitet hat, wenn ich schon an des Fräuleins Reise keinen Anstoß nehme und nicht frage, warum der gnädige Herr Euren Bund mit Ursula segnen muß. Also nimmt's mich doch Wunder, daß Jost vom Wege, was ich auch vorher schon erfahren, im Schloß Marienwerder gefangen gesetzt ist und festgehalten wird. Sicher hat er sich über seine guten Absichten nicht ausweisen können.«

»Aber er hat ein Schreiben meines Vaters bei sich gehabt«, wendete Marcus ein. »Und warum ist Ursula nicht zurückgekehrt? Wenn sie den Herrn Hochmeister gesprochen hätte, säße Jost jetzt gewiß nicht mehr im Turm. Wie sollte sie aber abgewiesen sein, da sie des Herrn Hochmeisters Ring vorzeigen konnte? O gnädiger Herr, manches hab' ich Euch verschweigen müssen, was Euch gewisse Rätsel leicht lösen helfen könnte; darin schenkt mir doch Glauben, daß Jost es wohl ehrlich meint. Ich bitt' Euch flehentlich, nehmt Euch seiner beim Herrn Hochmeister gütig an.«

Das versprach der Spittler, und noch mehr, daß er sich auch nach Ursula erkundigen wolle. »So segne ich diese Stunde, die mich so unverhofft mit Euch zusammenführte«, rief Marcus voll Freude. »Nun kann ich hoffen, daß mein Weg nicht vergeblich gewesen.«

Vor dem Tor ließ Plauen eine Fanfare blasen. Nach einigen Reden mit denen auf der Mauer hin und her wurde es geöffnet, nachdem die Zugbrücke niedergelassen. Der Hauskomtur Boppo von Ostra erschien mit den Brüdern und Söldnerhauptleuten, den Großgebietiger nach Würdigkeit zu empfangen. Als Plauen seiner ansichtig wurde, hielt er einen Augenblick sein Pferd an und sah ihm verwundert ins Gesicht. »Ei, Ritter –«, fragte er, »wie kommt Ihr hierher und in des Hauskomturs Amt?«

»Gottes Wege sind wunderbar«, antwortete Ostra, die Arme über der Brust kreuzend und sich demütig verneigend. »Seine Gnade hat mich aus der Finsternis zum Licht geführt.«

»Dessen will ich mich mit Euch freuen«, sagte Plauen, »– wenn es so ist.« Er warf ihm noch einen musternden Blick zu und setzte sein Pferd wieder in Bewegung. »Hm – Ostra, Ostra ...« murmelte er. Unwillkürlich mußte er zurückdenken an den Tag, an dem er ihn wegen Jungfrauenraubes vor der Burg Preußisch-Holland aufhob. Und die geraubte Jungfrau ... Ja, das war Ursula, dieselbe Ursula, die jetzt ... Er glaubte plötzlich ein Licht aufblitzen zu sehen.

Marcus Blume hatte sich schon bei der Annäherung an die Burg zurückgehalten und den Trabanten zugesellt. Er stand noch auf der Zugbrücke, als der Spittler mit dem Hauskomtur sprach. Bei einer Wendung des Kopfes erkannte er Ostra. Es war ihm, als ob er einen Keulenschlag gegen die Stirn erhielt. Im ersten Augenblick meinte er niedersinken zu müssen. Dieser Mann hier! Und Ursula ... Armes, armes Mädchen! Der Trupp schritt weiter. Er mußte sich eiligst schlüssig machen, was zu tun. Jedenfalls ins Schloß, von Ostra unbemerkt! Er drängte sich zwischen die Trabanten und suchte hinter ihrem Rücken Deckung. So gelang es ihm, an dem Ritter vorüber auf den Schloßhof zu kommen. Er eilte auf Plauen zu, der eben vom Pferde stieg. Während die Rüstung rasselte, rief er ihm zu: »Gnädigster Herr, habt Ihr ihn erkannt? Das ist –«

Plauen winkte ihm ein Einverständnis zu.

»Um Gottes willen, erbarmt Euch –«

»Still! verratet Euch nicht. Bleibt bei meiner Bagage und haltet Euch versteckt. Ich will Eurer zu rechten Zeit gedenken.«

Der Hof füllte sich mit Kriegsvolk. Marcus hatte keine Mühe, Ostra zu vermeiden, der mit den Hauptleuten wegen der Quartierfrage sprach. Die Schloßmannschaft mischte sich unter die Zugereisten; man tauschte Nachrichten aus. Auch hierher hatten schon Gerüchte wegen des schnellen Anmarsches der Polen den Weg gefunden. Marcus schloß sich dem Troßknecht an, der des Spittlers Pferd nach dem Komturstall führte. Dort war er geborgen. Tausendmal pries er im stillen den glücklichen Zufall, der ihn mit dem Spittler zusammengebracht. Nie wär' er ohne ihn ins Haus gelangt, wenn Ostra das Tor hütete, oder schon von ihm hinter Schloß und Riegel gesetzt.

Der Spittler war sogleich beim Hochmeister eingetreten. »Gnädigster Herr«, sagte er ihm, »Ihr seid hier nicht genug sicher. Ich komm', Euch zu warnen und zu schleuniger Abreise zu mahnen. Lest diese Briefe. Sie stellen es außer Zweifel, daß die Polen mit großer Macht anrücken. Dieses Schloß mag einem ersten Anlauf stehen; aber man wird es regelrecht belagern, wenn man des Ordens Haupt darin weiß. Wird es mit Sturm genommen, so geratet Ihr in Gefangenschaft. Auch dürfen wir unser kleines Heer nicht in die Mauern einschließen; es ist im Felde nötiger und nützlicher. Ich will Euch zurückgeleiten bis zu unsern getreuen Söldnern. Leider sind sie stehengeblieben, als sie des polnischen Heeres Einmarsch erfuhren.«

»Zurück – immer zurück«, klagte Erlichshausen, finster zur Erde blickend und die Hände in seinen weißen Bart vergrabend.

»Und wie helfen wir der Stadt Marienburg?« rief er nach einer Weile starren Brütens. »Ich hab' ihr mein Wort verpfändet.«

»Sie muß sich jetzt zunächst selbst helfen«, antwortete der Spittler. »Wenn sie nach tapferer Gegenwehr fällt – es wäre ein grausames Schicksal! – wird sich doch die Woge des feindlichen Heeres an ihren Mauern und Türmen gebrochen haben und mit milderem Prall ins Land abfließen. Wir dürfen die Stadt auch in dieser äußersten Not ihres Treueides nicht entbinden. Es ist aber einer von dort mit mir ins Schloß gekommen, der Ew. Gnaden zu sprechen wünscht.«

»Wer ist's?«

»Marcus Blume.«

»Marcus –!« Er bewegte nickend den Kopf, in Gedanken versunken. »Gut! Laßt ihn später zu mir. Marcus Blume ...«

Die Ordensbrüder und die Hauptleute wurden herbeigerufen. Es begann eine Beratung wegen der weiter zu treffenden Maßregeln. Sie dauerte lange. Der Schreiber bekam neue Arbeit. Dann wurde das Mittagsmahl gerüstet. Als Plauen wieder mit dem Hochmeister allein war, kam er auf Jost am Wege zu sprechen. Zu seiner Verwunderung wußte Erlichshausen nichts davon, daß er von Marienburg gekommen. »Ostra hat ihn gefangen«, sagte er, »da er im Hause für die Bündischen kundschaftete. Daß er mir ans Leben gewollt, will ich nicht glauben, obgleich sein Vater –«

»Marcus Blume weiß es besser«, fiel der Spittler ein. Er teilte mit, was er von ihm erfahren.

»So war Ostra im Irrtum«, rief der Meister sehr aufgeregt. »Wie gut war's, daß ich einen übereilten Entschluß verhinderte. Sein Schicksal hing am seidenen Faden. Tileman hat der Versuchung widerstanden, sich des Sohnes wegen mit uns in eine Verhandlung einzulassen. Ich habe von diesem starren, aber in seiner Art ehrlichen Mann nichts anderes erwartet. Nun bieten die Thorner ein Lösegeld. Wir meinten aber klüger den Gefangenen zur Auswechselung zurückbehalten zu sollen. Man kann nicht wissen, was in Marienburg geschieht.«

»Ostra war vielleicht nicht ganz im Irrtum«, antwortete Plauen. »Ich höre von Marcus Blume, daß Jost ein Fräulein hieher begleitet hat, das Ew. Gnaden um Gehör bitten wollte – dasselbe Fräulein, dem er einmal räuberisch nachstellte.«

»Ursula –?«

»Das ist der Name.«

»Mein Gott! Ich erfuhr nichts davon. Ursula –! Man muß sofort den Buben –«

»Sprecht erst Marcus, gnädigster Herr.«

»Das will ich, das will ich! Laßt ihn zu mir rufen. O welche Verruchtheit!«

Er war aufgestanden und in großer Unruhe durchs Zimmer gegangen. Der Spittler beurlaubte sich sogleich, um selbst Marcus aufzusuchen.

Indessen hatte dieser die Zeit nicht ungenützt verstreichen lassen.

Im Komturstall standen Ostras Pferde. Mit seinem Stallknecht, einem munteren und pfiffigen Burschen, knüpfte Marcus, ohne sich zu erkennen zu geben, eine Unterhaltung an. Bald kam dieselbe auf den Herrn. Ein Geldstück, das in des Dieners Hand glitt, löste vollends dessen Zunge. Er plauderte aus, daß sein Ritter von des Ordens Geboten wenig halte und weltlich lebe wie nur einer. Er habe immer irgendwo sein Schätzchen, mitunter auch mehr als eins. Nun gab sich Marcus den Anschein, das nicht zu glauben, und machte den Burschen desto redseliger. »Oh, Ihr seid die liebe Unschuld selbst. Glaubt's oder glaubt's nicht, der Ritter treibt die Dreistigkeit so weit, selbst hier im Schloß so ein hübsches und gefälliges Ding einzuquartieren.«

»Hier im Schloß?«

»Wie ich Euch sage.«

Marcus schlug wild das Herz. Aber er bezwang sich, schnippte mit den Fingern und sagte: »Unmöglich! Ihr werdet mir nichts weismachen.«

»Aber unsereins hat doch auch Augen. Und wo nichts weiter zu sehen ist, denkt man sich das andere hinzu.«

»Was habt Ihr gesehen?«

»Daß die alte Hexe, des Totengräbers Frau, rührig ist und alle Tage seit einer gewissen Zeit mehrmals ins Schloß gelaufen kommt und etwas Geheimes betreibt, das sicher damit Zusammenhang hat. Sie hat auch sonst meinem Ritter schon gute Dienste getan und zischelt jetzt wieder viel mit ihm.«

»Und wo – sollte das Fräulein hier im Schloß untergebracht sein?«

»Das weiß ich freilich so genau nicht. Was geht mich's an, außer daß ich meinen Spaß davon habe? Ich bin der Alten auf ihren Schleichwegen nicht nachgegangen. Aber das wär' ein leichtes. Seht! Dort kommt sie eben wieder vom Dom her und trägt unter dem Tuch ein Körbchen. Darin ist das Essen für die da. Ich kenne schon ihre Zeit. Wenn Ihr nicht Besseres zu tun habt, schaut einmal nach, wo sie bleibt. Und sagt mir's hinterher, wenn Ihr etwas entdeckt habt. Des Spaßes wegen – versteht Ihr?«

Marcus war gleich bereit. Er ging hinter dem alten Weibe her, immer in einiger Entfernung, aber doch nicht so weit ab, daß er's hätte aus den Augen verlieren können. Er wurde nicht bemerkt. Es war jetzt im Hof und in den Kreuzgängen des Schlosses viel Bewegung. Da standen überall die Rottenführer, Landsknechte und Reiter, putzten ihre Waffen, reinigten ihre Kleider oder plauderten miteinander von den Kriegsereignissen, die zu erwarten standen. Marcus hatte wenig Mühe, sich von einer Gruppe zu andern durchzubringen. Er merkte sich genau den Weg, den die Alte nahm. Im hinteren Flur trat aus einer Seitentür Boppo von Ostra, rief sie zu sich und sprach mit ihr eine Weile im Flüsterton. Seine Gebärden zeigten an, daß er sehr dringlich etwas verlangte, während die Alte wiederholt die Achseln zuckte. Marcus stand hinter dem Eckpfeiler im Halbdunkel und konnte wohl sehen, aber nicht verstehen, was da geheim verhandelt wurde. Endlich trat Ostra wieder in die Tür zurück. Die Alte bog in den langen Gang ein. Marcus folgte ihr auch dahin, überzeugte sich aber sehr bald, daß er hier gar keine Deckung finden könnte und notwendig bemerkt werden müßte, wenn sie sich umschaute. Er drückte sich an die Mauer und blickte durch die nächste Scharte. Nun war es ihm gewiß, daß er sich auf dem Dansk befand. Er wußte, daß es von demselben keinen Ausgang nach der andern Seite geben konnte. Er wartete deshalb hier das Weitere ab.

Die Alte öffnete mit einem Schlüssel, den sie aus der Tasche zog, die letzte Tür und verschwand hinter derselben. Er hörte, daß innen wieder abgeschlossen wurde. Es wäre gang nutzlos gewesen, dort Einlaß zu begehren. Nach längerer Zeit kam die Alte wieder zurück. Sie schob sich durch die Tür, die sogleich zufiel und nun auch von außen verschlossen wurde. Während sie ihm den Rücken zukehrte, schlich Marcus über den Flur nach dem deckenden Eckpfeiler. Die Frau schlorrte heran, klopfte an die Seitentür und reichte den Schlüssel hinein. Unzweifelhaft war's Ostra, der ihn ihr abnahm.

Marcus ließ sie an sich vorüber. Er wußte alles. Aber was nun beginnen? Sollte er dem Ritter hier auflauern, wenn er nach dem Dansk ging? Das würde wahrscheinlich nicht vor Abend geschehen. Und wie bedenklich war's, sich in einen Kampf mit dem starken und vermutlich gut bewaffneten Mann einzulassen. Wurde er getötet oder auch nur gefangengenommen, so war Ursulas Schicksal besiegelt. Bestand jetzt für Ursula größere Gefahr als bisher? Vielleicht durch den Einzug des Spittlers konnte der Einäugige zu verzweifelten Entschlüssen gedrängt werden. Aber wenn einer helfen konnte, war's doch der Hochmeister. Es konnte sein, daß der Spittler ihn bald zu dem gnädigen Herrn rief. Das durfte er nicht versäumen.

Er begab sich deshalb zurück nach dem Komturstall. Erst Nachmittag aber kam Plauen, ihn abzuholen; die Zeit verging ihm in großer Beängstigung. »Der Herr Hochmeister ist so weit unterrichtet«, sagte der Gebietiger, »sprecht jetzt ganz offen. Das Geschick des Fräuleins geht ihm sehr nahe. – Vielleicht näher als Marienburgs Bedrängnis«, setzte er murmelnd hinzu.

Erlichshausen empfing Marcus Blume sehr gnädig, indem er ihm die Hand zum Kuß reichte. Er erkundigte sich nach seinem Vater, nach der Lage der Stadt, der Stärke ihrer Besatzung, den Vorrichtungen des Feindes. Er bedauerte mit herzlichen Worten, wegen der Hilfe noch länger vertrösten zu müssen. »Aber wir denken in Sorgen Tag und Nacht darauf, wie wir der treuen Stadt beispringen mögen, und bestürmen die Heilige Jungfrau unaufhörlich mit Gebeten, daß sie ihre gnädige Fürsprache beim Höchsten nicht versage.«

Dann lenkte er auf Jost vom Wege ein und ließ sich umständlich berichten, wie er nach Marienburg gekommen und mit den Bürgern tapfer gekämpft habe. »Wir wissen ihm großen Dank«, sagte der Hochmeister, »und wollen ihm auf Eure Bürgschaft dieser letzten Dienste wegen gern vergessen, was er vorher unserm Orden zuleide getan, auch seines Vaters Schmachtat nicht gedenken. Er soll sogleich seiner Bande entledigt und aus dem Turm freigelassen werden. Gebt deshalb Befehl, Herr Spittler.«

»Es soll geschehen«, versicherte Plauen. »Doch ist's vielleicht noch dringender, vorerst einen anderen Mann festzunehmen und in sicheren Gewahrsam zu bringen.«

»Ostra –! Aber es liegt zur Zeit gegen ihn nichts vor als eine unerwiesene Beschuldigung. Er konnte nicht wissen, daß Jost vom Wege zu uns übergetreten war, und tat seine Pflicht, wenn er ihn fesselte.«

»Es scheint schon, daß er ein Schreiben des Marienburger Bürgermeisters unterschlagen hat.«

»Wenn der Gefangene es nicht noch bei sich trägt.«

»O gnädigster Herr, hört mich an«, rief Marcus. »Was ich zu melden habe, gibt meiner Anklage fast schon vollen Beweis.« Er erzählte von Ursula, nicht den Grund verschweigend, der sie zu dieser Reise bewogen, und fügte bei, was er soeben im Schloß in Erfahrung gebracht, immer mit raschen Worten, als müßte die Minute gespart werden. Erlichshausen hörte ihn mit wachsender Spannung zu. »Man soll den Frevler ergreifen«, rief er, rot vor Zorn, »und dingfest machen! Was wagt dieser verwegene Mann! Unter unsern Augen –! Bruder Plauen, nehmt eine Schar Trabanten, umstellt sein Gemach, entsetzt ihn seines Amtes, das er erschlichen hat, nehmt ihm die Schlüssel ab. Diesmal braucht Ihr wahrlich nicht zu fürchten, daß ich ihn begnadige.«

Dann, als der Spittler sich entfernt hatte, wandte er sich an Marcus. »Komm«, sagte er, die Hand auf seine Schulter legend, »zeige mir den Weg nach dem Dansk. Ich selbst will dich dorthin begleiten – Ursula befreien. Oh, daß sie dem Unhold getrotzt hätte!«

»Sonst lebte sie nicht mehr«, sagte Marcus leise, aber mit festem Ton. –

Der Spittler konnte Ostra in seinem Gemach nicht antreffen.

Er war, die Zeit benutzend, in der nach dem Essen die meisten Kriegsleute in ihren Quartieren der Ruhe pflegten, nach dem Dansk gegangen, hatte die Tür aufgeschlossen und Ursula durch seinen Besuch in Schrecken gesetzt. Sie war bei seinem Eintreten aufgesprungen und hinter den Sessel geflüchtet, dessen Lehne sie wie ein Schild deckte. Sie sah bleich und krank aus, die Augen lagen tief in den Höhlen und strahlten einen fiebrigen Glanz aus, durch die Haut zuckten die blauen Äderchen an den Schläfen, der ganze Körper zitterte. »Will Gott mich denn nicht erhören«, rief sie, »und meines armseligen Lebens Tage kürzen? Ich verbot Euch, zu mir zu kommen, aber Ihr achtet keiner Bitte und keiner Drohung. Wißt Ihr's noch nicht, daß all' euer sündhaftes Werben vergeblich ist? Geht endlich in Euch und tut Buße! Wollt Ihr immer wieder hören, daß ich Euch verachte? Was begehrt Ihr noch?«

»Daß Euer Herz sich meiner erbarme«, antwortete der Ritter. »Eure Schönheit hat mich verlockt, daß ich sündigte, und eure Liebe nur kann mich entsühnen.«

Ursula biß die Zähne aufeinander und zog die Lippen zurück. »Ich haß' Euch wie die Sünde«, zischte sie. »Fort, fort! Erwartet nie eine andere Antwort.«

»Ich muß«, sagte er. »So weit ich gegangen bin, kann ich nicht mehr umkehren. Und ich will auch nicht. Was wär' mir noch das Leben ohne den Sonnenschein Eurer Huld? Habt Erbarmen! Ich bin ein Unglücklicher, der unter der Last des Kreuzes zusammenbricht. Bin ich der Sohn Gottes, daß ich mich wieder aufrichte und es mutig zum Tode trage? Ich werf' es ab! Ich will sein, als was der Herr mich erschuf: ein schwacher, sündiger Mensch. Und so wehret meiner Leidenschaft nicht, schönste aller Frauen!«

»Lästert nicht!« rief Ursula. »Der Herr schuf auch Euch zu seinem Ebenbilde; Ihr aber habt eine Teufelsfratze daraus gemacht.«

Er lachte lüstern. »Gewöhnt Euch nur an sie, und Ihr werdet sie gar nicht so abschreckend finden. Das schwarze Pflaster über dem einen Auge kommt ja doch auf Eure Rechnung. Drückt dafür ein Auge zu. Und wär' ich häßlich wie die Nacht – ich lieb' Euch doch, ich bet' Euch an, ich will für Euch zur Hölle fahren. Das muß Euch rühren. Kommt mit mir! Ich will vergessen, wer ich bin – meinen Namen, meinen Stand, meinen Ehrgeiz der Liebe opfern. Wir gehen in die weite Welt –«

»Schweigt!« herrschte Ursula ihn an. »Jedes Eurer Worte ist mir eine Schmach.«

Er trat ihr näher. »O seid nicht so stolz, Jungfräulein! Meint Ihr, ich ahnte nicht längst, von welchem Stamm die süße Frucht gefallen ist, nach der mein Sinn begehrt? Derselben Sünde dankt Ihr das Dasein, zu der Euer Reiz mich unwiderstehlich jetzt verlockt. Sträubt Euch nicht länger, mir anzugehören. Wisset: hier dürft Ihr nicht über diese Nacht hinaus bleiben. Aber ich laß Euch nicht fort, bis Ihr mir durch ein unzerreißliches Band verbunden seid. Und müßt' ich Gewalt ...«

Er sprang vor und suchte sie zu fassen. Aber Ursula schleuderte ihm den schweren Stuhl gegen die Füße, so daß er vor Schmerz aufschrie. Dann eilte sie zur Fensternische und kletterte mit der Behendigkeit einer Katze die Mauerabsätze hinauf bis zur schmalen Fensteröffnung. Sie zwängte ihren Leib in dieselbe und rief: »Wagt es, mir noch einen Schritt näher zu treten, und ich stürze mich in die Tiefe hinab!«

Er knirschte mit den Zähnen. »Was tut Ihr? Seid Ihr wahnsinnig? Es wär' Euer Tod!«

Ursula antwortete nicht. Sie hielt den Blick gespannt auf ihn gerichtet, bei der geringsten Bewegung seinerseits bereit, sich hintenüber zu werfen. Da wurde die Tür gegenüber aufgerissen. Ostra wendete sich zornig zurück, taumelte und brach zusammen. Der Hochmeister stand vor ihm. Ursula aber jubelte: »Marcus – Marcus! Ach! Marcus.«

Ostra wußte, daß nichts mehr zu retten war. Es wäre lächerlich gewesen, Verzeihung zu erbitten, die ihm nimmer werden konnte. Er überschaute rasch seine Lage. Nur zwei Männer sperrten ihm den Weg ins Freie, der eine alt und gebrechlich. Warf er den andern über den Haufen, so konnte er den Ausgang gewinnen, bevor die Schloßleute herbeigerufen waren. Wie ein Tigertier sprang er auf und stürzte sich auf Marcus, den Hochmeister zur Seite schiebend. Marcus griff ihm an die Kehle, rang mit ihm, wirbelte ihn im Kreise herum und suchte ihn zu Boden zu drücken. Ostra, der fürchten mußte, überwältigt zu werden, ließ ihn mit der rechten Hand plötzlich los und zog rasch den breiten Dolch aus der Scheide am Gürtel. Schon blitzte das Eisen gegen des Gegners Brust; Ursula kreischte entsetzt auf. Da erschollen Schritte vom Schloß her, männlich feste, das Nahen heranmarschierender Trabanten meldend. Ostra merkte die größere Gefahr von dorther. Er riß sich schnell mit Riesenkraft los und eilte den Gang hinab; mit rascher Geistesgegenwart rief er den Trabanten zu: »Hilfe – Hilfe! Der Herr Hochmeister ist in Gefahr. Ein Wahnsinniger –«

Da traf sein Blick den Spittler. Er verstummte plötzlich und wich zurück. »Er ist euer Gefangener«, sagte Plauen. »Ergreift ihn – entwindet ihm die Waffe!«

Die Trabanten sperrten in doppelter Reihe den Gang. Ein Entrinnen war nicht möglich. »Steht's so?« schrie Ostra. »Dann seht einen, dem die Freiheit mehr gilt als das Leben. Fluch dem Orden!« Höhnisch auflachend, schwang er den Dolch zweimal über seinem hochaufgereckten Kopf und schnitt sich beim dritten Zuge die Kehle durch.

Das war geschehen, ehe Plauen ihm in den Arm fallen konnte. Ostra lag röchelnd am Boden; das Blut ergoß sich in rotem Strom über den Ziegelboden. »Tragt ihn in die Firmarie«, befahl der Spittler. »Ich will einen der Priesterbrüder berufen, daß er ihm die letzte Ölung gebe. Es geht rasch mit ihm zu Ende.«

Die Trabanten hoben ihn auf, legten ihn auf ihre Spieße und trugen ihn fort.

Indessen hatte längst Ursula ihren gefahrvollen Sitz auf dem obersten Bankett der Fensteröffnung verlassen und sich Marcus an die Brust geworfen. Sie schluchzte laut und konnte kein Wort hervorbringen. Er drückte sie an sich, streichelte ihr Haar und wiederholte immer: »Gott sei gelobt – du bist gerettet!«

Erlichshausen stand einige Schritte weiter zurück und betrachtete das Paar mit feuchten Augen. Ursula schien ihn ganz vergessen zu haben. Marcus aber, nachdem er sich eine Weile ihrer Liebkosungen erfreut, flüsterte ihr zu: »Der Herr Hochmeister ...« Nun richtete sie sich wie überrascht auf, ordnete mit beiden Händen ihr Haar, indem sie es aus der Stirn strich, und sank ihm zu Füßen. Den Saum seines Mantels küssend, sagte sie: »O mein gnädigster Herr, so hat es Gott doch gewollt, daß ich noch einmal Euer erhabenes Antlitz sehe. Zu Euch kam ich. Hört mich nun gnädig an und erfüllt meine Bitte.«

Der Meister beugte sich, legte die Hände auf ihre Schultern und wollte sie erheben. »Steh' auf, mein liebes Kind, steh' auf«, befahl er. »Nicht zu meinen Füßen ist dein Platz.«

Ursula aber umfaßte seine Knie und rief: »Laßt mich hier liegen, bis ich Eurer Gnade gewiß worden bin. O mein gnädigster und gütigster Herr! Da steht Marcus Blume, den Ihr abgewiesen habt, da er Euch um meine Hand bat. Es ist lange Zeit darüber vergangen, aber wisset, daß ich ihn noch immer liebe wie damals, und keinen auf der Welt wie ihn. Da nun die Stadt Marienburg in Not kam und jeder Tag neuen Kampf brachte, hat er mir wieder angetragen, sein Weib zu werden, damit wir vereint das letzte Stündlein erwarteten, wenn es Gott so verhängt. Ich aber wollt' nicht handeln gegen Euer Verbot. Denn ich weiß jetzt« –, sie senkte den Kopf, und die Stimme flüsterte ganz leise –, »ich weiß jetzt, wer Ihr mir seid und daß ich Euch gehorsamen muß, sollt' mir auch das Herz brechen. Aber das wollt Ihr gewiß nicht! Ihr seid gütig und gerecht und werdet mich nicht unerhört und ungetröstet hier im Staube vor Euch liegen lassen. Meiner Mutter wegen gebt uns Euren Segen.«

Der Hochmeister küßte ihre Stirn. »Mein liebes, liebes Kind –«, sagte er, »steh' nur auf und sei guten Mutes. Ist nun alles enthüllt, wie ich glauben muß, und zögert Marcus gleichwohl nicht, dir die Hand zu reichen, so verstummt mein Widerspruch. Seid glücklich in eurer Vereinigung! Dem Sohne des treuesten Mannes will ich dich nicht weigern.«

Er zog Marcus an sich, nahm seine Hand und Ursulas Hand, legte sie ineinander und hob die nicht mehr Widerstrebende vom Boden auf. »O Dank – Dank!« schluchzte sie, »Dank, mein gnädigster Herr! Marcus – jetzt bin ich dein für Zeit und Ewigkeit.«

Erlichshausen führte sie zurück nach dem Schlosse. »Gern wollt' ich euch selbst die Hochzeit ausrichten«, sagte er, »aber ich bin ärmer als der ärmste meiner Untertanen, und die Not der Zeit führt mich weit ab von Festen. Aber gedenket meiner, wenn der Priester euch segnet. Und wenn wieder hellere Tage kommen, die uns allen der Himmel schenken möge, will auch ich mich eures Glückes freuen, daß ihr es wohl merken sollt.«

Der Spittler kam ihnen entgegen. Er brachte Jost vom Wege mit sich, den er aus dem Kerker abgeholt hatte. Seine Leiden waren furchtbar gewesen; kaum konnte er sich auf den Füßen erhalten. »Ihr seid frei«, redete der Hochmeister ihn an. »Zieht, wohin Ihr wollt. Ich mag Euch durch keinen Eid binden.«

Jost küßte seine Hand. »So bedarf es auch eines Eides nicht«, antwortete er. »Es sind viel Eide gebrochen in dieser strengen Zeit, und auch mancher der Besten hat sein Gewissen nicht rein bewahrt. Laßt mich Euch dienen, gnädigster Herr, aus reuigem Gehorsam und in frommer Hoffnung des Sieges der guten Sache. Sie ist gewißlich auf seiten derer, die für des deutschen Namens Ehre kämpfen.«

»Auch wenn wir unterliegen«, sagte Erlichshausen. »Daran wollen wir uns aufrichten!«

Er trat in die Tür seines Gemaches. »Heut' seid ihr meine Gäste; morgen in der Frühe wollen wir uns verabschieden.«

Vom Türmchen der Schloßkapelle läutete das Sterbeglöcklein. Ein Bruder Deutschen Ordens war verschieden.


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