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33. Das mechanische Museum

»Weißt Du noch, Helmut? Nur vier Tage sind's, seit wir Bekanntschaft miteinander machten. In dieser knappen Spanne Zeit, was hat sich da nicht alles ereignet! In meiner Lamettrie-Maske bin ich erschienen und habe Dich eingeladen, mein mechanisches Museum zu besuchen. An Deinem Staunen wollte ich mich weiden, ich alter Narr! Aber nun wir die Gaukelbude besuchen wollen, bin ich ganz klein vor dem Manne der Wahrheit.«

So sprach er, als sie nach Tisch durch den Garten schritten. Ohne Hulda und Frau Belling, die nicht mochten, daß seine Beschämung auch noch mit ihrer Anwesenheit belastet würde.

Helmut versuchte ihn aufzurichten: »Weshalb so gedrückt, Onkel? auch ein Lamettrie hat die Wahrheit gesucht. Und vor ihr, der Göttlichen, schwinden wir alle in ein Nichts zusammen.«

»Das ist es«, erwiderte der Onkel, »was ich an Dir so liebe: Du selber bist demütig, und so stehst Du mir bei, daß ich auch diesen Teil meiner Beichte fertig bringe.«

»Nicht verzagt!« Und ermunternd griff er nach seiner Hand: »Wir wachsen, indem wir erkennen.«

Wie gestern kamen sie durch die Empfangshalle, vorbei am Jüngling, der aus Tiefen zum Lichte jauchzt. Einen Blick taten sie auf das Gemälde der Himmelskönigin, und der Greis dachte an das faustische Wort: »So schau ich in allen die ewige Zier.« Durch den Lesesaal und kleinere Gemächer der Bibliothek kamen sie zu einem Fahrstuhl, der abwärts trug. Da war ein theaterähnlicher Raum mit Sesseln und seitlichen Nischen«

Friedrich, im schwarzen Gehrock, und Päch standen hier bereit: »Die Herren kennen ja Doktor Burger, also gut!« Das Auge niedergeschlagen, raunte er ihnen zu: »Ich erinnere daran, daß ich Möller anzureden bin, Ignatius Möller heiß ich ... und nun bitte, Herr Päch, übernehmen Sie die Führung!«

Der Angeredete verbeugte sich, Friedrich hielt sich im Hintergründe, und nun begann Päch: »Dies ist der Saal für mechanische Vorstellungen, wo wir besonders unsere Automaten zu zeigen pflegen.«

Umherschauend betrachtete Helmut die Wandbemalung. Offenbar suchte sie die Geschichte der Automaten-Erfindung darzustellen. Da waren griechische Standbilder, die sich vor dem staunenden Volke bewegen konnten, und wie jener sagenhafte Flieger und sein abstürzendes Söhnlein vermuten ließen, die Automaten des Atheners Dädalus vorstellten.

»Dort die fliegende Taube wird dem Tarentiner Archytas zugeschrieben«, erläuterte Päch bescheiden – »die kriechende Schnecke dem Demetrius Phalereus. Eine eiserne Fliege, die schwirren konnte, soll die Erfindung des Regiomontanus sein, der im fünfzehnten Jahrhundert gelebt hat. Albertus Magnus, den das deutsche Mittelalter als einen Magier feiert, soll ebenfalls geflogen sein. Den mißlungenen Flug des Schneiders von Ulm schildert dieses Bild ...«

»Zur Sache selbst!« unterbrach Möller – »was haben Sie vorgesehen?«

»Auf der Schaubühne vor Ihnen das Krokodil«, stammelte Päch.

Möller schien verlegen: »Hätten Sie lieber unsere Nachbildung der Straßburger Münsteruhr gezeigt.«

»Die hab ich im Original gesehen«, sagte Helmut – »und zwar mit wahrer Andacht. Hier hat sich die Mechanik in den Dienst deutscher Frömmigkeit gestellt. Ergreifend ist es, wie die zwölf Apostel an ihrem Herrn vorüberziehen und sich vor ihm neigen; wie der Hahn die Flügel schlägt und kräht, wie der Tod die Sense wetzt ...«

»Haben wir«, unterbrach Möller, »nicht die Nachbildung des Kunstmenschen, den Frederik Ireland vor wenigen Jahren sehen ließ? Die Figur läuft frei umher, schreibt ihren Namen und radelt ... Elektrizität ist natürlich die Triebkraft, die Ströme werden durch fließendes Quecksilber geschlossen und geöffnet.«

»Auch Ihr Krokodil funktioniert ähnlich«, erlaubte sich Päch zu bemerken, »und da dacht ich ...«

Verdrossen wandte sich Möller zu Helmut: »Nun also! Bitte nehmen wir Platz!« lind er wies auf die Sessel vor der Schaubühne. Als Helmut und der Onkel sich gesetzt hatten, bewegten sich ihre Sitze nebst drei benachbarten mannshoch nach oben, so daß man auf die Bühne etwas herabsah.

Dort war nun, wie Päch erläuterte, ein Ufer des Amazonenstroms; links im Vordergrund ein paar Riesenstämme mit Schlingranken und im Sumpf blühendes Schilfgewächs. Rechts eine schlammige Sandbank, lieber endlosen Strom sah man, wo Baumgerippe langsam trieben, auf deren einem ein schwarzes Krokodil zu liegen schien. »Ja, es ist ein schwarzer Alligator, ein gefräßiges Reptil, das den Indianern Hunde und Geflügel wegschnappt und eine Länge bis zu sechs Metern erreicht.«

Helmuts Aufmerksamkeit wurde durch Laute der Wildnis gefesselt, durch Rauschen von Schilf, durch Wasserplätschern. Und sieh! mit gellendem Aufschnattern flatterte ein entenartiger Vogel über die Bühne. »Verblüffend naturgetreu!« Päch flüsterte: »Grammophon!«

Und nun erläuterte er: »Die schwarzen Krokodile treten oft in solchen Massen auf, daß sie im Amazonas wimmeln wie in unsern Sümpfen die Kaulquappen und am Ufer rasselnde Haufen bilden. Die Reisenden auf den Dampfern machen sich die Unterhaltung, ihnen Stahlkugeln durch den Panzer zu jagen, die augenblicklich töten können. Was dort wie ein Schlammklumpen auf dem Wasser erscheint, ist der Kopf eines solchen Ungetüms.«

Was er meinte, kam näher, und langsam hob sich aus der Flut ein oben schwarzes, teilweise gelbliches Krokodil von gedrungenem Bau, furchtbarem Rachen, Wülsten über den Augen, gepanzertem Rücken und Schweif. Nun stand es auf den vier teckelartigen Schwimmbeinen und klappte mit lautem Gähnen sein Maul auf, so daß Zahnreihen wie gewaltige Sägen drohten. Hierauf warf es sich ruckartig auf den Bauch und ließ den Kopf nachlässig zur rechten Seite hängen, den Uferbord hinunter. Wie Sonnenschein flutete das elektrische Licht, und behaglich blinzelte die Panzerechse mit den Schweinsaugen, deren Pupillen meergrün waren.

Aus dünnen Halmen im Vordergrunde links wurde nun Kopf und nackte Brust eines herankriechenden Negers sichtbar, der mit gelber Lederhose bekleidet war. Vorsichtig lugte er, die weißen Augäpfel rollend, nach dem ruhenden Feind und kroch wie eine Schlange näher. Nochmals richtete er den Oberkörper auf, um freies Ziel für sein doppelläufiges Gewehr zu haben, mit dem er anschlug.

Von dem Geräusch, das er machte, gewarnt, schnellte die Riesenechse auf ihre vier Beine, hob schlagfertig den gelenkigen Panzerschweif vornüber bis zum Rachen, klappte diesen auf und brüllte, es war ein Gemisch von Ochsen- und Jaguargebrüll; schaurig dröhnte dabei, wie wuchtiges Holzhacken, das Zusammenklappen der Kinnladen. Der Jäger war auf die Füße geschnellt und zielte ruhig.

Gleich darauf fuhr der Strahl knallend aus der Büchse, und im selben Augenblick überschlug sich das Krokodil nach vorn – da lag es und ließ die Sonne auf seinen gelben Bauch scheinen. Vorsichtig trat der Schwarze mit der Büchse heran, und wie er sich von seinem Siege überzeugt hatte, grinste er mit den blitzenden Zähnen, während sich langsam der Vorhang schloß, und zugleich die Sessel niedergingen.

»Das ist ja so packend, als fände die Jagd in Wirklichkeit statt«, sagte Helmut aufatmend – »es schaudert einen ordentlich.«

»Hören Sie, Herr Möller?« meinte Päch befriedigt, »ich hab's ja immer gesagt: das ist Ihr effektvollster Automat.«

»Blendwerk!« grollte der Alte – »ein Selbstbeweger ist doch nur, wer all seine Bewegungen aus innerer Mechanik zustande bringt. Aber wenn das Krokodil sich überschlägt, wird es von außen her, durch unsichtbare Drähte gelenkt, damit es genau auf den Rücken zu fallen kommt. Der innen befindliche Mechanismus war mir nicht zuverlässig genug. In diesem Punkte bin ich eben Stümper geblieben. Doch wäre das Selbstbewegen auch tadellos durchgeführt, ganz von innen, Blendwerk läge jedenfalls vor, insofern nämlich die künstlichen Gliedmassen durchweg auf völlig andere Weise sich bewegen, als die natürlichen ... oh! Nur der Schein der Natur kann erreicht werden, nicht sie selbst; und was sie Deinem Geist nicht offenbaren mag, das zwingst Du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben ... Helmut! Wozu Dir noch mehr zeigen? Es ist ja immer derselbe Schwindel.«

»Nicht doch! als Natur gibt es sich ja nicht.«

»Doch! Wo ein Kniff vorliegt, wo der Beschauer überlistet wird, wie bei meinem Schachspieler. – Pfui! Das ist Humbug

»Heute den Schachspieler vorzuführen, würde zu viel Vorbereitung erfordern. Heute könnt ich nur mit einer Kleinigkeit aufwarten. Herr Päch, führen Sie uns noch zum Pan!«

Päch, dem Friedrich voranlief, wie einer, der etwas herzurichten hat, geleitete die Herren durch einen Gang, wo Maschinen geringen Umfangs standen, und bei einigen verweilte er, indem er etwa folgendermaßen erläuterte: »Das ist die sprechende Maschine.« Es war eine Art Klaviatur. Das Werk hatte Friedrich im Vorbeigehen aufgezogen. Indem Päch die Tasten griff, begann die Maschine mit mühsamer Artikulation, mit flatternden, schnarrenden Lauten: »Ich – bin – der – erste – Apparat – zum Spre – chen – sechs – Jahr – zehnte – alt.«

Friedrich stand bei einer geöffneten Tür, und die Herren traten ein. Gott Pan, ein zottiger Satyr, lächelte sie an, hob die Pansflöte über sein gebräuntes, bärtiges Gesicht und begann auf zottigen Bocksbeinen einen stampfenden Tanz, wobei er sich langsam drehte. Dann stand er traumversunken, legte die gestaffelten Pfeifen an die gespitzten Lippen und blies ein Hirtenlied, das sanft begann und mit lustigem Triller endete. Im Eifer rollten die Augen unter seinen buschigen Brauen, beim Pusten war er vorgebeugt, tief zog er den Atem, und nach einem stürmischen Finale stand er verzückt.

Päch und Friedrich nickten vergnügt – Lamettrie-Möller lächelte ironisch.


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