Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

Kaiser Max auf der Martinswand in Tyrol 1493

»Hinauf! hinauf! In Sprung und Lauf!
Wo die Luft so leicht, wo die Sonne so klar,
Nur die Gemse springt, nur horstet der Aar;
Wo das Menschengewühl zu Füßen mir rollt,
Wo das Donnergebrüll tief unten grollt:
Das ist der Ort, wo die Majestät
Sich herrlich den Herrscherthron erhöht!
Die steile Bahn hinan! Hinan!
Dort pfeifet die Gemse! – Ha! springe nur vor;
Nach setzet der Jäger, und fliegt empor!

Gähnt auch die Kluft schwarz, wie die Gruft;
Nur hinüber, hinüber, im leichten Schwung!
Wer setzt mir nach? es war ein Kaisersprung!
Klimme, Gemse, nur auf die Felsenwand!
In die luftige Höh, an des Abgrunds Rand
Mach' ich mit Eisen mir doch die Bahn.
Nur muthig hinauf und muthig hinan!
Jetzt ohne Rast, den Strauch erfaßt!
Wenn tückisch der Zweig vom Gesteine läßt,
So hält mich im Fall die Klippe noch fest.« –

Der Stein nicht hält, der Kaiser fällt
In die Tiefe hinab zwei Klaftern lang,
Da ward Herrn Maxen doch gleichsam bang.
Ein Felsen hervor ein wenig ragt,
Das nennt er Glück – Gott sei's geklagt!
Einbrachen die Knie, doch blieb er stehn
Und taumelt sich aus; da mußt' er nun sehn:
Hier half kein Sprung, kein Adlerschwung;
Denn unter ihm senkt sich die Martinswand,
Der steileste Felsen im ganzen Land.

Er starrt hinab in's Wolkengrab,
Und starrt hinauf in's Wolkenmeer,
Und schaut zurück und schaut umher.
Da zeigt sich kein Fleck zum Sprung handbreit,
Kein Strauch, der den Zweig dem Klimmer beut
Aus harten Felsen wölbt sich ein Loch
Schroff hinter ihm, wie ein Dom so hoch!
Der Kaiser ruft in taube Luft:
»Ei doch, wie hat mich die Gemse verführt!
Kein Weg zu den Lebenden niederführt.« –

Er war's gewillt, es ist erfüllt!
Wo die Luft so leicht, wo die Sonne so klar,
Wo die Gemse nur springt, nur horstet der Aar,
Wo das Menschengewühl zu Füßen ihm rollt,
Wo das Donnergebrüll tief unten grollt,
Da steht des Kaisers Majestät,
Doch nicht zur Wonne hoch erhöht.
Ein Jammersohn auf luft'gem Thron,
Findet sich Max nun plötzlich allein,
Und fühlt sich, schaudernd, verlassen und klein. –

Im Thalesgrund ein Hirte stund,
Und sieht auf der Platte sich's regen,
Und bücken und heben und schreiend bewegen.
»›Den bannt wohl hinauf des Satans Gewalt?
Das ist bei Gott eine Menschengestalt!‹«
So ruft er, und winkt die Hirten herbei,
Daß jeder ihm staunend das Wunder zeih!
Gott sei mit ihm! Ist's eine Stimm':
Der steht dort oben in großer Noth,
Muß arg wohl erleiden den Hungertod.

Auf leichtem Roß ein Jägertroß
Kommt nun das Thal hereingesprengt,
Wo sich die Menge schon gaffend drängt.
Und rufet den nächsten Hirten an:
»Nahm wohl der Kaiser anher die Bahn?
Hoch auf der Alp klomm er empor,
Daß ihn des Jägers Blick verlor.«
Der Hirte blickt auf die Wand, erschrickt,
Hindeutend sagt er zum Jägerschwarm:
»›Dann schaut ihn dort oben! daß Gott erbarm!‹«

Der Jäger blickt auf die Wand, erschrickt,
Und hebet nun schnell sein Sprecherrohr,
Und ruft, was Menschenbrust mag, empor:
»Herr Kaiser, seid Ihr's, der steht in der Blend',
So werft herab einen Stein behend.‹«
Und vorwärts nun woget das Menschengewühl,
Und plötzlich ward es nun todtenstill. – –
Da fällt der Stein, senkrecht hinein,
Wo unter dem Felsen ein Hüter wacht,
Daß zerschmettert das Dach zusammenkracht.

Des Volks Geheul, auf eine Meil'
Im ganzen Umkreis zu hören,
Macht rings das Echo empören.
Und zum Kaiser auf dringet der Jammerlaut,
Der kaum mehr menschlicher Hülfe vertraut.
Er spannet das Aug', er strecket das Ohr:
»Was wühlet dort unten? Was rauscht empor?«
Er sieht und lauscht; fort wühlt's und rauscht –
So harret er aus, ohn' Murren und Klag',
Der edle Herr, bis zu Mittag.

Doch Sonnenbrand die Felsenwand
Zurück mit glühenden Strahlen prallt;
Da wird unleidlich der Hitze Gewalt.
Erschöpft von der mattenden Gemsenjagd,
Vom Durst gequält, vom Hunger geplagt,
Fühlt sich Max ganz matt und schwach; –
War's Wunder, daß endlich die Kraft ihm brach?
Das wünscht' er allein: Gewiß zu sein,
Eh' die Besinnung ihm verfließt,
Ob Hülfe bei Menschen noch möglich ist?

Bald wußt' er Rath und schritt zur That,
Und schrieb mit Stiften auf Pergament
Die Frag' an's Volk, und wickelt behend
Mit goldnem Bande das Täfelein,
Auf einen gewichtigen Marmorstein,
Ließ fallen die Last in die Tiefe hinab, –
Und horcht' – kein Laut, der ihm Antwort gab.
Ach Gott und Herr! Man liebt ihn so sehr,
Drum findet vom Volke sich Niemand ein,
Dem Herrn ein Bote des Todes zu sein. –

Der Kaiser, wie hart, auf Antwort harrt,
Und sendet den dritten und vierten Stein,
Doch immer wollt' es vergeblich sein,
Bis schon am Himmel die Sonne sich senkt,
Und nun erseufzend der Herr sich denkt:
»Wär Hülfe möglich, sie riefen es mir,
So harr' ich nun sichrer des Todes allhier.«
Da hob sein Sinn zu Gott sich hin;
Ihm entflammt das Herz der heilige Geist,
Daß er sich schnell von dem Irdischen reißt,

Weg stößt die Welt, zum Ewigen hält!
Jetzt wieder ein Täflein nimmt zur Hand,
Beschreibt es eifrig. – Weil fehlte das Band
So band er's am Stein mit dem goldenen Vließ,
Was soll's ihm? Er war ja des Todes gewiß!
Und aus dem erhöheten luftigen Grab
Wirft er den Stein in's Leben hinab.
Wohl peinlicher Schmerz durchwühlet sein Herz
Jedem, der nun, was der Kaiser begehrt,
Weinend vom weinenden Leser hört.

Der Leser rief: »So heißt der Brief!
Viel Dank, Tyrol, für deine Lieb',
Die treu in jeder Noth mir blieb.
Doch Gott versucht' ich mit Uebermuth,
Das soll ich nun büßen mit Leib und Blut.
Bei Menschen ist keine Rettung mehr;
Gottes Wille geschehe! Gerecht ist der Herr!
Will büßen die Schuld mit Muth und Geduld.
Mit einem wohl könnt ihr mein Herz erfreun,
Ich will Euch den Dank im Tode noch weihn.

Nach Zierlein eilt nun unverweilt
Ein Bot' um das heilige Sakrament,
Nach dem mir dürstend die Seele brennt,
Und wenn der Priester steht am Fluß,
So kündet's mir, Schützen, durch einen Schuß.
Und wenn ich den Segen nun soll empfahn,
So deut' es ein zweiter mir wieder an.
Sehr bitt' ich euch, fleht dann zugleich
Mit mir zum Helfer in aller Noth,
Daß er mich stärk' im Hungertod.«

Der Bote fleucht, der Priester keucht
Nun schon herbei, nun steht er am Fluß,
Schnell kündet's dem Kaiser der Schützen Schuß.
Der schauet hinab, erblickt die Monstranz,
Denn blitzend erglänzt der Demantkranz.
Und wirft sich vor ihr auf die Kniee hin,
Mit zerknirschtem Herzen, mit gläubigem Sinn.
Die Menschheit ringt und singt, und schwingt
Auf entfesselten Flügeln empor sich schnell
Zu der ewigen Liebe hochheiligem Quell!

Und, o! wie fleht sein heißes Gebet!
»O Gott, du Vater, allmächtig am Himmelsthron,
Du Lieb' aus Lieb' entquollener Gottessohn,
Und du, hochheiliger Gottesgeist,
Der beide vereint, das Heil uns weist,
O Gott, deß Liebe auf jeder Spur
Verkündet laut die weite Natur!
O, tauchte sich schnell im Lebensquell
Mein liebender Geist, umfaßte die Welt,
Die liebend am Herzen dein Arm erhält.

»Vor meinem Tod dein Himmelsbrod
Wünsch ich Unwürdiger, o wie sehr!
O, sieh auf mich erbarmend her!
O, Christus Lieb', tritt bei mir ein,
Und führ' mich zurück in der Gläub'gen Verein,
Die deine Lieb' so feurig beseelt,
Daß eines sie werden mit Gott und Welt.
Und weil ich nicht werth, was ich begehrt,
Ein einzig Wort aus deinem Mund
Macht deinen Knecht auch wieder gesund.«

So will er im Flehn vor Liebe vergehn.
Da kündet ein zweiter Schuß ihm an,
Daß er den Segen nun soll empfahn.
Der Herr sogleich auf Felsengrund
Wirft sich die Stirn und die Hände wund.
Und der Jäger mit lautem Sprecherrohr
Sagt ihm des Priesters Worte vor:
»›Dich segne Gott in deiner Noth,
Der Vater, der Sohn und der heilige Geist,
Den Himmel und Erd' ohn' Ende preist.‹«

Nun allzumal im ganzen Thal
Das Volk auf den Knien harrt im Gebet,
Und laut für das Heil des Herrn fleht.
Den Kaiser rührt's, der Betenden Schall
Bringt ihm zu Ohren der Wiederhall.
Auch er bleibt knien im Gebet,
Und Gott für das Wohl der Völker fleht;
Schon flammet der Mond am Horizont,
Und herrlich das grünliche Firmament
Von funkelnden Sternenheeren brennt. -

Des Himmels Pracht erweckt mit Macht
Die Sehnsucht zum himmlischen Vaterland,
Ihm löset sich jedes irdische Band.
Wo der Seraphim Harfe Jubel erklingt,
Der Seligen Chor das Heilige singt,
Wo das Leiden schweigt, die Begierde sich bricht
Zur ewigen Liebe, zum ewigen Licht,
Dahin, dahin schwingt sich sein Sinn,
Und mit hoch empor gehobnen Händen
Denkt er entfliehend sein Elend zu enden.

Als schlank und fein ein Bäuerlein,
Wie der Blitz ihn blendend, nun vor ihm stund,
Und grüßt' ihn mit lieblich ertönendem Mund:
»›Herr Max, zum Sterben hat's wohl noch Zeit,
Doch folgt mir schnell. Der Weg ist weit.‹«
Der Kaiser entsetzt sich ob dem Gesicht,
Und trauet den Augen und Ohren nicht.
Und wie er schaut, ihm heimlich graut:
Denn es wallt um den Knaben gar sonderlich
Ein dämmernder Schein, der nichts Irdischem glich.

Doch der Kaiser in Hast sich wieder faßt
Und fragt das Knäblein: »Wer bist du? – Sprich!«
»›Ein Bote, gesandt, um zu retten dich!‹«
»Wer zeigte dir an zur Klippe den Weg?«
»›Wohl kenn ich den Berg und jeglichen Steg.‹«
»So hat dich der Himmel zu mir geschickt?«
»›Wohl hat er dein reuiges Herz erblickt!‹«
Drauf es sich dreht, zur Höhlung geht,
Und gleitet nun leicht durch den Riß in der Wand,
Den vorher sein forschendes Auge nicht fand.

Durch den Riß gebückt der Kaiser sich drückt,
Sieh da hüpfet das Knäblein leuchtend voran,
Durch steile Schluchten tief ab die Bahn.
Wo funkelnd das Erz an den Wänden glimmt,
In der Tiefe der Schwaden aufblitzend schwimmt,
Am Gewölb' ertönt der Schritte Hall,
Fern donnert des Bergstromes brausender Fall,
Tiefer noch ab, Meilen hinab;
Da gleitet das Knäblein in eine Schlucht,
Die Fackel erlosch. – Mit den Händen bange nun sucht

Max sich den Weg hervor, und dringt empor;
Und schaut aufathmend der Sterne Licht,
Und sucht den Knaben und findet ihn nicht.
Da faßt ihn ein Schauer. Nicht hat er geirrt,
Wohl war es ein Engel, der ihn geführt.
Und schon erkennt er Zierleins Thal,
Hört brausen der Menge verworrenen Schall.
Mit bebendem Tritt er weiter schritt,
Wie oft ermattet er weilen muß,
Bis er naht dem weit erglänzenden Fluß.

Noch stand er weit, – doch hocherfreut
Schaut er den Priester bei Fackelglanz
Stehn unermüdlich mit der Monstranz,
Und noch die treuen Gemeinden knien,
Und heiß im Gebete für ihn glühn.
Sein Auge war naß, sein Herz hoch schwoll,
's war ja von tausend Gefühlen voll.
Schnell tritt er vor, ruft laut empor:
»Lobet den Herrn und seine Macht!
Seht, mich hat sein Engel zurückgebracht!«

Collin


 << zurück weiter >>