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Lorelei

I.

Die Lorelei, die Lorelei
Singt helle Zauberlieder,
Sie klingen her, sie klingen hin,
Die Wogen auf und nieder;
Die Schiffer lockt der Sang herbei,
Sie kehren nimmer wieder.

O, Königssohn! du weißt es doch,
Was bist du so verwegen?
Ist dir's, o Jüngling, um ein Lieb
Daheim so sehr verlegen?
Willst du, ein frischer Knabe noch,
Dem kalten Tod entgegen?

»Die Lor'lei zu umfah'n
Hab' ich mich fest verschworen;
Mir träumte von ihr diese Nacht,
Ihr Lied kam mir zu Ohren;
Zur Lor'lei lenkt des Schiffleins Bahn,
Wär's tausend Mal verloren!«

Der Königssohn beim Steuer lehnt,
Rund um ihn die Genossen;
Sie haben nicht ein Wort gesagt:
Seid ihr zum Tod entschlossen?
Ihr seht, wie's unten dräut und gähnt –
Und dennoch unverdrossen?

»›Schauend von dem kühlen Stein,
In das dunkle Grab der Wogen
Singend bei der Sonne Schein,
Singend unter'm Sternenbogen:
Götterselig, doch allein –
So ist Lor'lei groß gezogen!‹«

Das Schifflein stürmt im Flug dahin;
Nach ihren vollen Brüsten,
Nach ihrem keuschen, süßen Leib
Erfaßt sie das Gelüsten. –
Hin, nach der Jungfrau steht ihr Sinn,
Und wenn sie sterben müßten!

Von ihrem Felsen beugt die Maid
In Lust die nackten Glieder.
»›Ich liebe dich, umfasse mich!‹«
So schallen ihre Lieder;
»›Ich bin bereit, zu jeder Zeit,
Mir blühn und glühn die Glieder.‹«

Der Königssohn das Steuer hält:
»Durch! durch die wilden Wellen!
Dort weilt die Maid!« »›Die Brandung hier!‹«
»Was kümmert das, Gesellen?«
»›Jesus Maria! Du Herr der Welt,
Gott schütz' uns, wir zerschellen!‹«

Der Strudel faßt das bange Schiff:
»O Lorelei, du Schöne!«
Der Sturmwind durch die Segel pfiff:
»Noch hör' ich deine Töne!«
Zerschellt es jach am Felsenriff:
»Lohnst du uns so, Sirene?«

II.

An des Felsens steilen Wänden
Zieht hinauf ein ernster Zug,
Skapuliere um die Lenden,
In der Hand das heil'ge Buch;
Ruhen oft und ruhen lange,
Beten leis' den Rosenkranz,
Und um ihre blasse Wange
Schimmert es wie Heil'genglanz.
Sie beten so brünstig, den Zauber zu lösen
Sie waffnen sich wacker zum Kampf mit dem Bösen,
            Die Mönche im Kranz.

Oben ruht auf weichem Moose
Stolz, wie sonst, die Lorelei,
Spielt mit ihren Flechten lose,
Wie ein Kind in Träumerei;
Hoch, wie sonst, die Brüste schwellen,
Rasch, wie sonst, die Pulse geh'n,
Ob auch heut' sie die Gesellen
Würde kalt, wie sonst, verschmäh'n?
Jetzt wendet in Hast sie die glühenden Augen;
Sie kann es nicht fassen; die kann sie nicht brauchen,
            Die sich so sonderlich dreh'n.

»Der von Todten du erstanden,
Christe, Gott und Gottes Sohn,
Mach' uns nicht, o Herr, zu Schanden,
Die wir knie'n vor deinem Thron.
Bitte du, Gebenedeite,
Für uns, daß er gnädig sei,
Der die Sünder all' befreite,
Lös' uns von der Zauberei.
Wir haben gebetet, nun wollen wir handeln;
Wohl haben den Muth wir, den Zauber zu wandeln,
            Steht uns, ihr Heiligen, bei!«

Sie erheben sich vom Knien,
Bei der Fackel düst'rem Licht
Aufwärts ernst die Mönche ziehen,
Kreuzend Stirn und Angesicht.
Weihrauch duftet auf und nieder,
Heilig Wasser weiht den Grund,
Zwar verstummen ihre Lieder,
Ave lispelt doch der Mund.
So feierlich treten mit sicherem Schritte,
Als wären's die Jünger und Er in der Mitte,
            Die Patres den Grund.

Da von ihrem Felsensitze
Hebet sich das schöne Weib,
Aus den Augen zucken Blitze,
Doch es bebt ihr schlanker Leib.
»›Wer hat euch geladen, Gäste,
Daß ihr Nächtens mich besucht?
Bleibt daheim und schlafet feste,
Eh' der Böse euch versucht!‹«
»O, Sancta Maria! du führest den Reigen
Der Heiligen droben, euch ruf ich zum Zeugen:
            Die Lorelei – verflucht.«

Sie, in fürchterlichem Bangen,
Flieht hinauf zum letzten Stein,
Von der letzten Angst umfangen,
Wimmert in die Nacht hinein:
»Vater, an des Todes Sprosse
Fleht zu dir dein armes Kind.
Sende deine weißen Rosse;
Willst du retten, sei geschwind!
Schon hör' ich die Stimmen – schon sind sie gekommen –
Schon haben die Würger den Gipfel erklommen – – –
            Die Rosse! – Auf, Wogen und Wind!«

Plötzlich, wie in tiefsten Tiefen
Rauscht's und schwillt's im stillen Rhein;
Alle Bäche, die da schliefen,
Brechen ihren engen Schrein,
Wogen wachsen wie Lawinen,
Steigen, wie der Nebel steigt:
Ehe noch ein Mönch erschienen,
Hat der Rhein sein Kind erreicht:
Fest greifen die Wellen die Tochter, die bange,
Es säumen die schäumenden Rosse nicht lange;
            Zu den Schwestern die Schwester entfleucht.

Immanuel


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