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Die drei Tellen

Es schlafen die drei Telle
Im edlen Schweizerland,
In einer Felsenzelle,
Im Rütli an dem Strand,
Wo noch die Welle brausend
Vom Vierwaldstätter-See;
Da schon ein halb Jahrtausend
Sie ruhn in stiller Höh'.

Die alten Landesretter,
Wer weckt sie aus der Nacht?
Es fahren böse Wetter
Wohl über's Land mit Macht,
Kaum stehn' die Alpen wider
Und halten noch sich frei,
Und Zwietracht reiß't die Glieder
Der Bundeskett entzwei.

Ein Sagen wird vernommen:
Wann nun die Zeit der Noth
Für's Vaterland gekommen,
Und es schier liegt am Tod,
Da gehn sie sonder Weilen
Hervor in ihrer Kraft,
Die Tellen, die drei Säulen
Der Eidgenossenschaft.

Ein's Tag's ein Hirtenknabe
Verirrt, ein frommes Kind,
Sich zu dem Felsengrabe,
Wo die drei Schläfer sind,
Da hat sich aufgerichtet
Der wahre alte Tell,
Das Angesicht gelichtet,
Die Augen frisch und hell.

Und welch' Zeit ist's auf Erden?
Hat er das Kind gefragt
Mit freundlichen Geberden;
Und als der Knabe sagt:
Hoch Mittag – spricht er wieder:
So ist es noch nicht Zeit!
Und legt sich schlafen nieder
Den andern zwei'n zur Seit'.

Das Kind läuft heim zur Hütte,
Erzählt die Mähr zur Stell',
Und was er sprach, der dritte,
Der eigentliche Tell.
Der Vater mit sein'n Gesellen
Fuhr aus um's Morgenroth,
Zu wecken die drei Tellen
Für's Vaterlandes Noth.

Doch wie sie manche Stunden
Auch suchten also sehr,
So haben sie gefunden
Die Höhle nimmermehr.
Es schlafen die drei Telle
Seitdem manch graues Jahr
In ihrer Felsenzelle
Noch immer – immerdar.

O schliefen solche Tellen
Für Deutschland irgendwo,
Ich sucht' mit mein'n Gesellen
Wohl Tag und Nacht also,
Bis ich die Höhle fände,
Und läg' sie unbekannt
Weit ab an der Welt Ende
Am allerletzten Strand.

Und wie Gewitter brausend
Erhöb' ich meine Stimm'
Im Jammer all' der Tausend,
Und all' der Tausend Grimm
Von meinen deutschen Brüdern,
Die Jahre lang schon schrein,
Und Niemand will's erwiedern
Und will ihr Helfer sein.

Das sollte ihn wohl wecken
Den alten deutschen Tell,
Und ihn wie Donner schrecken
Aus seinem Traume schnell,
Er sollt' und müßte kommen,
Der Retter in der Noth,
Dem deutschen Volk zum Frommen
Den Zwingherr'n all'n zum Tod.

Doch geht noch eine Sage
Zum Trost in unserm Kreuz:
Der Schwanberg künft'ger Tage
Liegt mitten in der Schweiz!
Wie Einer das mag deuten? –
Ich habe den Verstand:
Ganz Deutschland wird in Zeiten
Ein freies Schweizerland.

Wetzel


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