Sagen aus Mecklenburg-Vorpommern
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Der sechste am Galgen

In Angerburg war ein Meisterdieb am Werk, den man lange nicht fangen konnte. Einmal aber hängte er ein Paar Krücken auf einen Baum und bat, als lahmer Bettler auftretend, einen vorbeireitenden Pfarrer, ihm die Krücken herunterzuholen. Der Teufel habe sie ihm entrissen und in die Zweige geworfen. Der Pfarrer durfte die Bitte nicht abschlagen, saß ab und mühte sich am Baum, indes sich der Meisterdieb in den Sattel schwang und höhnisch lachend davonritt. Da war aber nun das Faß übergelaufen, Der Vogt bot alles auf, den Burschen zu fassen, und schließlich gelang es ihm auch. Mit vier anderen Spitzbuben, die im Turm einsaßen, wurde er auf einen extra großen Galgen gehängt. Die Leichname wurden zur Abschreckung nicht abgenommen. Da kamen nun ein paar Edelleute am Schindanger vorbei, und einer von ihnen, der allzuviel Wein getrunken hatte, nahm seinen Hut ab und schwenkte ihn gegen die armen Sünder, die da mit lang gewordenen Hälsen am Galgenholz baumelten. »Der erste da, dessen Augen so verdreht sind, ist der berühmte Meisterdieb«, lallte er, »sei mir gegrüßt, du Meister deines Berufes, eigentlich ist es schade, daß du so jung sterben mußtest. Ich lade dich ein, du Galgenvogel, mich mit deinen vier Brüdern zu besuchen. Auf ein gutes Essen und einen feinen Trunk kannst du bei mir zählen.« Die Gesellschaft brach in ein lautes Gelächter aus und ritt weiter.

Am anderen Morgen, als der Edelmann noch immer schwer vom Wein im Bett lag, klopfte es an dem Tor, und die fünf Gehenkten, den Strick um den Hals, begehrten Einlaß. Die Frau lief verstört zu ihrem Mann und berichtete ihm, daß da fünf seltsame Gesellen mit einem Strick um den Hals sich auf eine Einladung unter dem Galgen beriefen. Dem Edelmann war etwas grausig zumute, aber er bewirtete die armen Sünder so, wie er es versprochen hatte. Es ging schweigsam zu bei dem Mahl, und als es vorüber war, erhob sich der Meisterdieb und sprach: »Wir danken Euch, edler Junker, für die Bewirtung und künden Euch, daß wir in genau vier Wochen wieder ein Holz miteinander teilen werden, so wie wir jetzt den Tisch miteinander teilten.«

Der Edelmann nahm die Prophezeiung nicht auf die leichte Schulter, obgleich ihm seine Frau und seine Freunde die Ängste auszureden suchten. Er verließ sein Haus während vier Wochen nicht, bat auch ständig Gäste zu sich, um Hilfe bei Gefahr in seiner Nähe zu haben. Am Abend des letzten Tages der von den Gehenkten gesetzten Frist ritt er, als es zu dunkeln begann, aus. Er dachte, mit dem Einbruch der Nacht sei die Prophezeiung erloschen. Das Schicksal wollte es, daß eben zu dieser Zeit der Komtur des Ritterordens Jagd auf einen Mörder machte und ihn in den Wäldern vermutete, in dem der Edelmann nach vierwöchiger freiwilliger Gefangenschaft etwas frische Luft zu schöpfen gedachte. Die Knechte des Komturs glaubten in dem Edelmann den Mörder vor sich zu haben, als sie ihm in der Dunkelheit begegneten. Sie versuchten ihn festzunehmen, doch der Edelmann setzte sich zur Wehr und stach einen Knecht nieder. Nun war auch der Komtur herangekommen, und als er den erstochenen Knecht sah, war er überzeugt, daß es ihm gelungen war, den Mörder zu stellen. Er warf sich über ihn, und mit Hilfe seiner Knechte vermochte er den Edelmann zu überwältigen. Der Komtur wollte ein Exempel statuieren und befahl, den Edelmann sofort zum Galgen zu bringen und neben den dort schon baumelnden Gehenkten aufzuknüpfen. Vergebens versuchte der Edelmann das Mißverständnis aufzuklären, der Komtur dünkte sich seiner Sache so sicher und war so in Wut, daß ihn alles Bitten nicht bewegen konnte, den Befehl zurückzunehmen. So mußte der Edelmann als sechster neben den fünf Gehenkten am Galgenholze baumeln.

 


 


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