Sagen aus Mecklenburg-Vorpommern
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Die Unterirdischen im Lindenberg bei Penzlin

Nahe bei Penzlin lag ein Hünengrab. Einst kamen zwei Leute aus Zahren, die von Penzlin heimkehrten, bei dem Grab vorbei. Der eine von ihnen hatte sehr großen Durst und wußte sich nicht zu helfen, weil auf dem Wege von Penzlin nach Zahren kein Wirtshaus und auch keine Quellen anzutreffen waren. Als er sich nun dem Lindenberg näherte, hörte er drinnen eine prächtige Musik, als ob zum Erntebier aufgespielt würde, und zwischen dem Gebüsch schien Licht zu blinken. Weil der Mann wußte, daß in dem Berg Unterirdische wohnten und die Leute der Oberwelt damals noch auf vertrautem Fuß mit den Kleinen im Berg drunten lebten, so dachte er, hier könntest du wohl etwas für den Durst bekommen.

Während nun sein Gefährte weiterwanderte, ging er um den Berg herum, um den Eingang zu suchen. Als er aber sah, daß all sein Bemühen vergeblich sei, rief er dem lustigen Völklein drinnen laut zu: »Heft ji nich eens to drinken, mi döst't ok gor to dull.«

Kaum hatte er dies gesagt, als auch schon ein kleiner Mann mit einem prächtigen Krug neben ihm stand und ihm freundlich zu trinken bot.

»Da«, sagte er, »drink, äwer kik jo nich in den Kroog!«

Der Mann aus Zahren ließ sich dies nicht zweimal sagen, und es schmeckte ihm gar köstlich, denn in dem Krug war ein feiner Trunk von köstlichem Geschmack. Während er aber so trank, flüsterte ihm der Versucher zu: »Lauf mit dem Krug davon, es gibt seinesgleichen nicht, und mit dem Kleinen da wirst du schon fertig werden.«

Als sich der Mann nun umsah und nur den einen Zwerg gewahrte, lief er, da er nichts Arges ahnte, mit dem Krug davon. Aber der Unterirdische erhob sofort ein großes Geschrei, und gleich wimmelte die ganze Schar der Kleiden aus dem Berge heraus und hinter dem Spitzbuben her. Aber so eilig auch die Bestohlenen trippelten, ihre kurzen Beinchen vermochten doch nicht, mit den langen und schnellen Läufen des Diebes Schritt zu halten, geschweige denn, ihn einzuholen.

Es war indes einer unter den Zwergen, der hatte zwar nur ein Bein, als er aber rief: »Een Been loop!«, da griff er mit dem einen Bein wacker aus, war bald seinen Genossen weit voraus und setzte dem Räuber heftig nach. Er war ihm auch schon ziemlich nahe; denn seine Gefährten feuerten ihn fortwährend an und schrien: »Brooder Eenbeen, lop doch!«

Als sie aber dicht vor Zahren an den Kreuzweg kamen und der Einbeinige den Flüchtling fast schon eingeholt hatte, sprang der Verfolgte mit einem Satz über den Weg und war in Sicherheit, denn darüber hinaus durfte ihm der Einbeinige aus der Unterwelt nicht folgen. Als der Zwerg nun sah, daß sein Schatz für immer dahin sei, rief er dem Entkommenen nach: »Du magst den Krug nun behalten und immerfort daraus trinken, denn er wird nie leer werden, aber hüte dich hineinzusehen!«

Der Mann, froh, seinen Raub geborgen zu haben, eilte nun heim und bewahrte das wunderbare Gerät sorgfältig auf. Es war so, wie »Bruder Einbein« gesagt hatte. Er konnte daraus trinken, so oft er Durst hatte, und trank auch fleißig, ohne Schaden zu leiden, vielmehr bekam ihm der Trunk außerordentlich gut. Als es aber den Krug schon viele Jahre gebraucht hatte, plagte ihn doch einmal die Neugierde, er blickte in das Gefäß und sah auf dem Grunde – eine große, häßliche Kröte. Nun war aber auch alles aus. Die Kröte war mit einemmal verschwunden, der Krug war leer, der Mann aber siechte in kurzer Zeit elend dahin.

Die älteren Bewohner der umliegenden Dörfer halten die Umgebung des Lindenberges noch immer für nicht recht geheuer. So soll es vielen Leuten besonders zur Nachtzeit dort nicht gut ergangen sein; sie verirrten sich, obwohl sie den Weg genau kannten. Die Unterirdischen waren auf die Menschen böse.

 


 


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