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Wer es noch nicht gemerkt hat, dem sei es hiermit gesagt: Magdalena will gern gelobt sein. Sie verdiente es aber auch. Hatte Jakob Bäume gepflanzt, so daß das fremde Haus zur bleibenden Heimat wurde, so erwachte mit Magdalena früh am Morgen Heiterkeit und Arbeitsamkeit, und sie weckte alle im Hause zu Gleichem.
Sie lobte selber aber auch gern, sie nickte den Pflanzen im Garten und Feld zu, wie wenn sie sagen wollte: Bist ein braver Kopfsalat . . . so ist's recht, ihr Erdäpfel! Nur gut wachsen.
Magdalena pflanzte alle Gemüse in ihrem Garten und die Würzkräuter holte sie immer frisch aus der Erde; sie kochte die Speisen, daß sie das Beste waren, was daraus zu bereiten war; sie selber aß sehr wenig, aber es nährte sie, wenn es den anderen schmeckte; ihre Augen gingen bei Tische unruhig hin und her, und wenn niemand was sagte, fragte sie geradezu: »Wie ist die Supp'? Wie sind die Bohnen?« Und wenn gelobt war, dann erst aß sie wie gebührlich.
Sie hielt die Kinder an, daß sie für ihre Nahrung auch ordentlich arbeiteten. Sie mußten in Acker und Garten helfen und bis hinauf zu der lange liegen bleibenden Schneebreite, das Frauenhemd genannt – das aber in der Nähe gar nicht so aussieht – mußten die Kinder Beeren, Kräuter und Pilze im Walde sammeln; diese gehören doch noch denen, die sie sammeln, der Wald aber gehörte dem großmächtigen Eichhofbauer dort oben.
Die Kinder waren willig, denn sie sahen den Fleiß der Mutter, die keine Müdigkeit und kein Ausrasten kannte.
Auf dem Dienstacker waren Kartoffeln gepflanzt, auf dem Pachtacker stand Getreide. In der Ernte spannte Magdalena sich selber ein wie ein Pferd und zog die Garben heim. Möglichst wenig verausgaben, dagegen etwas erwerben und weiterkommen, war ihr steter Bedacht und es gelang ihr. Als im zweiten Jahre Justizrat Heister mit seiner Frau zu Besuch kamen, hatte sie natürlich große Freude und auch große Lobesernte, aber sie genügte sich dessen doch nicht; sie zeigte dem Gastfreunde, wie da in der Nähe ein beträchtliches Stück Waldes abgeholzt war, und bat nun Heister, es zu bewirken, daß die abgeholzte Strecke, die just wie dazu geschaffen sei, ihnen zum Hopfenacker überlassen werde. Es wurde von der Oberbehörde gewährt und Magdalena war jedes Jahr neu glücklich mit der Hopfenernte, die auch für die Kinder ein wahres Fest war.
»Die Leute, die von unserem Hopfen Bier trinken, die müssen lustig sein,« sagte sie oft, denn sie dachte gern in die Welt hinaus und in die Folgerung der Dinge. Dadurch war sie gesprächsam, wenn auch gar nichts vorging, und wenn niemand entgegnete, so gab sie sich selber Red' und Antwort.
Daneben verging aber auch kaum ein Tag, an dem sie nicht das Glück pries, daß man hier so ruhig und gedeihlich und vor allem so allein leben konnte. Jakob nickte einverständlich, aber er hatte es nicht gern; er hielt das Leben des ständigen Gescheuches gar nicht wert, und er meinte auch, es sei nicht gut, wenn man alles beruft. Nicht daß er Aberglauben hatte. Weit entfernt! Wer an der Eisenbahn angestellt ist, wie kann der abergläubisch sein? Aber das ist doch richtig, wenn man so viel Rühmens macht und alles vor sich selber auslegt und ausdenkt, daß es auch anders sein könnte, da macht man dem Unglück eine Thür auf. Jakob weiß Beispiele genug davon zu erzählen und Magdalena, die für alles einen Grund weiß, weiß auch solche für die Einsprache des Gegners, zumal wenn der Gegner Jakob ist. »Du hast auch wieder recht,« sagte sie, »ja so ist's. Wenn man allfort so an anderes denkt, da sieht man nicht, was gerade vor einem auf dem Boden ist, und man stolpert und fällt.«
»Du hast nicht umsonst bei einem Advokaten gedient,« sagte Jakob, aber nicht laut, denn er gönnt seiner Frau gern das letzte Wort, und das soll, wie man sagt, sehr ersprießlich sein für eine gute Ehe. Ueberdies nimmt er Magdalena gern ab, was sie zu reden hat; zu wem soll sie's denn sonst hergeben? Nur in einem konnte er seine Ungeduld kaum bemeistern. Es war für Magdalena wie ein süßer Nachschmack, vom Hause Heisters und den Gastereien zu erzählen: wie sie zweimal in ihrer Küchenschürze an die Tafel habe kommen müssen, und die Gäste – es waren siebenundzwanzig, die Männer in weißen Krawatten, die Flauen im bloßen Hals bis weit hinunter – alle haben sie gelobt. Sie konnte dann alle Speisen aufzählen, was sie dran gethan und wie sie dem Sieden und Dampfen abgewartet.
Sie ist halt ein Weib – dachte Jakob bei solchen Erinnerungen, und ein Weib putzt sich gern auf, und sei es auch mit alten vertrockneten Ehren. Ich kann Gott danken, daß sie nur diese Mucken im Kopf hat.
Magdalena hatte aber auch nicht lange zu forschen, die Mucken ihres Mannes kennen zu lernen, obgleich sie so wenig laut gaben wie ihr Besitzer.
In den ersten Jahren bekam Jakob jedesmal beim Uebergang des Winters in den Frühling einen schlimmen Husten, und die Nachbarin vom Bahnhäuschen Numero 374 sagte Magdalena, es sei eine Sünde von einem Manne mit solcher Anlage, zu heiraten, und eine verlassene Frau und Kinder in die Welt hineinzusetzen, und Jakob habe noch dazu selber bekannt, er werde nicht älter als dreiunddreißig Jahre, seine Mutter sei auch so gestorben.
Magdalena ging zornig und bitter heim, aber vor dem Hause hielt sie an und sagte sich: Nein, jetzt nicht noch ärgern.
Sie machte ihrem Mann keinen Vorwurf, daß er statt zu ihr zu anderen gesprochen; sie lockte es ihm behutsam heraus, daß er ihr seine Ahnungen und Beispiele erzählte, und sie lachte nicht darüber und suchte ihn nicht zu bekehren, denn sie wußte, wie leicht er verscheucht ist.
Im dritten Jahre zur Fastnachtszeit gab's auch auf unserem Bahnhäuschen eine Maskerade. Jakob war krank, aber man meldete nichts davon der Oberbehörde. Jakob war noch erst auf Widerruf angestellt und fürchtete, seinen Posten zu verlieren, wenn er schon so früh sich krank melden müsse. Hatte er ja ohnedies einen schweren Stand, da er nur auf Heisters Betrieb und nach verkürzter Probezeit in den Dienst eingerückt war. Denn auch hier fehlt bereits die Stufenleiter des Beamtentums nicht; erst nach wohlbemessener Zeit als Hilfsarbeiter und Anwärter rückt man zum festen Dienst auf.
Magdalena machte den Zaghaftigkeiten ihres Mannes rasch ein Ende, sie steckte sich in die Dienstkleider ihres Mannes, beging die Bahn und hielt in strammer Haltung die Fahne beim Durchgang des Zuges. Der Nachbar oben und der Nachbar unten bewahrten festes Schweigen, just nicht aus Gutmütigkeit, aber man kann ja nicht wissen, wie man auch einmal etwas zu verschweigen hat. Wenn Magdalena hochgerötet heimkam, war Jakob immer neu glücklich über die Lustigkeit und Entschlossenheit seiner Frau. Jakob glaubte von nichts in der Welt Böses, aber den Nordwind, den hielt er für tückisch, der hatte es gerade auf ihn abgesehen, denn er trug den Schnee von den Feldgebreiten und vom Berge herab just auf seinen Straßenübergang, und Magdalena mußte ihren Mann immer besonders versichern, daß sie dort den Schnee sauber weggekehrt habe.
In den ruhigen Tagen des Daheimseins ließ auch Jakob viel von seinen Gedanken laut werden, die sich in den Jahren der Einzelhaft in seiner Seele angesammelt hatten. Er konnte es nur in Bruchstücken dargeben, aber das verständnisvolle Zuhören Magdalenas und manchmal auch ein nachhelfendes Wort machte alles klar. Das Auge Magdalenas wurde feucht, als er erzählte, wie schwer es ihm geworden, wieder ins Leben einzutreten, und wie er erst da gespürt habe, daß er noch einmal fröhlich sein könne, als er vom Hause Heisters hinweg zu den Pferden des Adlerwirts in den Stall gekommen war.
»Ich möcht' nur wieder auf einem Gaul sitzen und wieder Waldhorn blasen,« sagte er und seine Augen strahlten, dann erzählte er von den lustigen Tagen, da er Postillon gewesen, und die böse Zeit. die zwischen damals und jetzt lag, war vergessen. Und jetzt, da er so vieles und nun gar diesen Wunsch von der Seele hatte, schien sich seine Brust zu erleichtern, er wurde ohne ärztliche Hilfe wieder ganz gesund und Magdalena war besonders glücklich. daß das Kind, das nach der Dienstmaskerade zur Welt kam, am Leben und gesund blieb, und dieses Kind war Albrecht, von dem noch viel zu erzählen ist.
Jakob gestand es nicht ein, aber es ist doch nicht zu leugnen, er hatte noch seine besondere Lust an Albrecht. Emil ist viel begabter, das ist keine Frage, er ist der Erste in der Schule, aber Albrecht ist so geschickt und gar nie überlästig, und dazu hat er vom Vater das Musiktalent geerbt, er pfeift wie eine Schwarzamsel und wie eine Lerche, und er kann auf einem Lindenblatt Trompetenstückchen blasen, daß man meint, er habe das feinste Instrument. Alle Tänze, die er auf der Kirchweih gehört, hat er im Kopf behalten, es fehlt kein Ton, und die Mutter hat ihn auch noch viele Liederweisen gelehrt. Dazu war Albrecht, der jeden Baum hinaufkletterte und mit den Hasen um die Wette sprang, gar nicht überlästig; wo man ihn hinsetzte, da blieb er sicher, sei es draußen im Freien oder drin im Postenhäuschen am Ueberweg, da, wo der Feldweg über die Bahn geht und man bei jedem Zug hüben und drüben mit dem Schlagbaum die Bahn zu sperren hat. Jakob nannte das Postenhäuschen dort seine Einsiedelei, und es hatte allerdings nur Raum für einen Menschen, war noch ein zweiter da, mußte man ihn auf den Schoß nehmen, und Albrecht saß da oft und gern auf dem Schoß des Vaters, der ihm auch einmal erzählte, daß er die zwei Rosenbäumchen rechts und links von der Einsiedelei am Tage nach der Geburt Albrechts gepflanzt habe.
Jakob hatte sich keinen Vorwurf zu machen, daß er Emil hintan setzte, für diesen ist es besser, er sitzt hinter seinen Büchern; er ist immer so unruhig und hat so viel zu fragen, was der Vater leider nicht beantworten kann, denn woher soll Jakob wissen, mit welchem Stoff man die Gläser an der Signallaterne so gefärbt hat, daß dasselbe Licht da rot und da grün durchscheint. Und doppelt beschämend war es, daß der Vater, der doch Postillon gewesen und Bahnwärter geworden, keine Antwort zu geben wußte, als Emil ihn fragte, wie man Pferdekraft messe.
Albrecht war fügsam und ließ sich von Emil beherrschen, der schon von früh an gern über andere regierte.
Albrecht vollführte schon in seinem sechsten Jahre zwei ungewöhnliche Thaten; für die eine wurde er bestraft; von der anderen dagegen behielt er für Lebenszeit ein Denkzeichen.
Eines Tages hörte man ihn jauchzen von der Lokomotive des Güterzuges, er hatte sich, da sie angehalten hatte, hinaufgeschwungen und fuhr nun jubelnd am Elternhause vorbei. Magdalena schalt über die Keckheit des Knaben, im geheimen jedoch war sie stolz auf seinen Mut, Jakob aber sagte gar nichts, nur als Albrecht heimkam, bestrafte er ihn tüchtig und sagte: »Du wirst dran denken und es nicht mehr thun.«
Bei der anderen That aber schrie Albrecht entsetzlich und blutete über das ganze Gesicht.
Die Herbsthühner waren der besondere Stolz der Mutter, sie legten noch Eier, wenn die anderen schon lange damit aufhörten, und eine goldgelbe Henne war die fleißigste. Albrecht war hinter dem Hause, als ein Habicht herabstieß und die goldgelbe erfaßte; kühn stürzte sich Albrecht auf den Habicht los, rang mit ihm und entwand ihm seinen Raub; aber der schlimme Vogel hatte nach ihm gehackt und ihm auf der linken Stirne eine Wunde beigebracht und ihm die Braue zerrissen. »Es thut nichts! Es thut nichts, Mutter!« tröstete er, als sie ihm die Wunde abwusch. Als Jakob bei der Heimkehr das Ereignis erfuhr, sagte er: »Mutter! Jetzt hab' nur keinen Aberglauben, als ob das was zu bedeuten hätte.«
Sie lächelte, denn sie wußte, er suchte sich damit nur seinen eigenen Aberglauben auszureden. Sie erschrak aber über Emil und jagte ihn aus der Stube, da er gesagt hatte: »Wenn der Albrecht einmal was thut, hat man ein Kennzeichen in seinem Steckbrief.«
Woher hat nur Emil solche Gedanken?
Emil aber war bös auf den jüngeren Bruder, weil er ihn verraten hatte. Einem Reisenden war das rot eingebundene Bädekersche Reisebuch entfallen. Emil hatte es versteckt und las heimlich darin; der jüngere Bruder aber verriet den Fund, und Emil mußte nach strenger Zurechtweisung des Vaters das Buch dem Bahnmeister bringen.
Er wurde indes bald dem Elternhause entfremdet, denn auf Zureden des Pfarrers und Dorflehrers ging er täglich zum Unterrichte nach der Erziehungsanstalt, die eine Stunde entfernt am jenseitigen Bergesabhang in einem alten Kloster eingerichtet war. Der höhere Unterricht erweckte in ihm schon früh einen gewissen Hochmut. Er hielt es aber kaum der Mühe wert, daheim sein besseres Wissen kundzugeben, und bei der Feldarbeit zu helfen, war er zu stolz. Man hatte keinen Pflug, und die Aecker wurden mit dem Spaten bearbeitet. Man hatte keine leichteren für die Kinder und es war ein Stolz, schon früh den Spaten handhaben zu können. Es war zum Verwundern, daß Albrecht schon im achten Jahre helfen konnte wie ein Mann.
Auch in den Ruhestunden brachte er dem Vater viel Erquickliches, und ein Tag ist unvergessen.
»Vater! Ich hab' die Raben gern,« sagte Albrecht eines Tages.
»So? Was ist denn da dran gern zu haben?«
»Sie sind dem Habicht, dem Hühnerdieb, aufsässig. Sieh doch, sieh doch! Wie jetzt einer ihn rauft. Ich hab' schon oft zugesehen, wie sie's machen.«
Jakob schaute auf und sah, wie ein Rabe hoch in den Lüften einen Habicht verfolgte, und Albrecht fuhr fort:
»Jetzt guck, der Rab' fliegt oben her und hackt: Habicht! Fang mich, wenn du kannst. Jetzt taucht er unter, ein paar Schuh unter den Habicht, der kann mit seinen Flügeln ihm nicht gleich nach. – Jetzt kommt er wieder und hackt, er vertreibt ihn. Der Habicht ist freilich stärker, aber in den Lüften hilft ihm das nichts; er hat einen krummen Schnabel und muß ausholen zum Hacken, der Rab' hat einen geraden, der kann immer stechen. Schau, der Rab' hat gewonnen, der Habicht muß hinüber ins Thal und jetzt fliegen sie auseinander. Gut Nacht, Rab'!«
»Du bist grad wie dein' Mutter, die hat auch gern ein Aug' auf alles, was fliegt,« sagte Jakob, er hatte ein Gefühl, daß diese scharfe Beobachtung dem Knaben einmal im Leben nützlich sein könne.