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Siebenundvierzigstes Kapitel.

In der Sommerfrische saß wie gewöhnlich die Präsidentin von Kastelburg am oberen Ende des Tisches, der Platz des Staatsrats und Theodoras blieb unbesetzt. Die Präsidentin hatte sich's verbeten, daß von dem großen Ereignisse des Tages weiter gesprochen werde. Das war freilich hart, denn was konnte sonst von Interesse sein? Aber die Präsidentin war empört, wie man teils schadenfroh, teils mitleidig sich darüber ausließ, daß Theodora den Sohn eines Sträflings liebte, und man erging sich noch in allerlei Fabeln von Raub und Mord, die der Vater verübt hätte.

Sobald die Tafel zu Ende war, ließ sich die Präsidentin beim Staatsrat melden. Doktor Hornung, der eben bei seinem Vater war, ging auf die Hausflur, um die Besuchende abzuhalten, sie aber rief laut: »Mich empfängt Ihr Herr Vater, wenn er wach ist.«

Der Staatsrat öffnete die Thür und sagte höflich:

»Sehr erfreut,« und zu dem Sohne gewendet, fuhr er fort: »Laß mich mit der Frau Präsidentin allein.«

Der Doktor ging, und die Präsidentin begann lächelnd: »Im Leben des schönen Otto hören doch die Abenteuer nicht auf.«

Der alte Herr dankte verbindlich und die Präsidentin fuhr fort:

»Du erlebst nun Abenteuer an Kindern und Kindeskindern.«

»Ich bitte, nicht du zu sagen, wir können doch belauscht werden.«

Mit gedämpfter Stimme fuhr die Präsidentin fort: »Ich kann bei dem, was ich zu sagen habe, nicht anders, aber ich will leise sprechen.«

»Und was bringt mir meine verehrte Freundin?«

»Vor allem bedenke, was du zerstören kannst. Du darfst stolz auf diese Enkelin sein, sie vereinigt Mut und Anmut, sie ist weich und tapfer, in ihrer Natur ist Erz und Blume gemischt.«

Die Redende sah lächelnd auf und erwartete ein Lob; dem Staatsrat aber schien es peinlich, den Ruhm seiner Enkelin zu hören. Dennoch sagte er im verbindlichsten Tone:

»Es freut mich, meine Enkelin so erkannt zu sehen. Aber verehrte Freundin, ich gestatte niemand außer Ihnen ein Recht, in das drein zu reden, was ich jetzt zu thun und zu lassen habe.«

»Schön! Sehr schön! Aber ich bitte dich, zu bedenken, daß Egoismus und Liebe dir dein Verfahren bestimmen müssen.«

Der Staatsrat stutzte. Die Frau hat es darauf abgesehen, Gegensätze zu vereinen. Die Präsidentin aber erklärte:

»Du zerstörst durch deinen Widerspruch dir ein Glück, da du dir die Freude an deiner Enkelin aus der Seele reißest, und du zerstörst ihr das volle Glück, da sie stets deines Widerspruchs gedenken muß. Kannst du das leugnen? Gibt es irgend etwas, in dem du Ersatz finden kannst für die Liebe dieser Enkelin?«

»Nein,« entgegnete der Staatsrat, »aber ich kann mich nicht in diese Sphäre begeben. Kennen Sie die Geschichte dieses Mannes?«

»Vollkommen! Ich habe mir die Geschichte dieses Bahnwärters von deinem Freunde Heister erzählen lassen. Also der dumme Junge mit den Pfeilen hat da auch sein Spiel gehabt? Nun haftet seinem Vergehen nichts Gemeines mehr an. Und dann, sieh höher hinauf. Ihr findet es erhaben, wenn ein Gott eine reuige Sünderin aus den Flammen in den Himmel hebt. Ist es nicht schöner und größer, daß die Erlösung sich auf Erden vollziehe in reuigen Thaten? Und die vor Schuld bewahrt sind, verdanken es nicht immer ihrer Tugend.«

»Das sagen Sie?«

»Ja. Erinnere dich einer wunderlichen Geschichte, sie ist fast ein Märchen. Der schöne, geistreiche und liebenswürdige Assessor liebte die Frau seines Gerichtsdirektors und sie ließ sich die Huldigungen gefallen, sie hatte auch ein junges heißes Herz. Und eines Abends, die beiden waren allein, wagte der junge Mann ein stürmisches Geständnis und die junge Frau hatte den Mut zu sagen: ›Den Tag, an dem ich meiner Liebe zu dir nachgebe, den überlebe ich nicht; du darfst nicht fortgesetzt heucheln und ich nicht . . .‹ Und da standen sie beisammen und weinten und waren doch sonst so lustige Menschen. Du hast mich nachmals zu deiner Wahlschwester ernannt, und als du mir deine junge Frau zuführtest, danktest du mir, daß du einer solchen würdig geblieben.«

Der Staatsrat sah zu Boden, er hatte sich in dieser Freundin doch geirrt; sie gefiel sich nicht in gesprächsamen Tändeleien, sie hatte sich mit dem Fortschritt der Jahre immer mehr veredelt.

Die Präsidentin mochte ahnen, was in dem Jugendfreunde vorging, ein wunderbares Lächeln ging über ihr Antlitz und verschönte dasselbe, indem sie wieder das Wort nahm:

»Dieser einfältige Knecht hat den Mann seiner Geliebten, sei es fahrlässig, sei es mit Vorbedacht, getötet. Das ist Verbrechen, ist roh. Dafür haben eure Gesetzbücher Strafen. Aber es ist kein Verbrechen und es ist fein, mit dem Gatten der Geliebten spazierenfahren, reiten, jagen, Whist spielen und schöne Dramen mit verteilten Rollen lesen und dabei –«

»Bitte, liebe Freundin, ich bin angegriffen –«

»Gut, ich habe alles gesagt. Ich weiß, du wirst deine Hochsinnigkeit bewähren. Vergeude nicht in deinen Jahren die Liebe zu deiner Enkelin. Und nun leb wohl!«

Sie ging, auf ihren Stab gestützt, davon. Man hörte noch durch die lange Flur, wie sie mit dem Stocke aufstieß.


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