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Achtundzwanzigstes Kapitel.

Ich ging in die Stube, der Rittmeister stand am Fenster, er wendete sich um und fragte:

»Bist du's, Schaller?«

Mir zitterte das Herz. Also der Schaller kommt auch? Der wird mich erkennen. Ich sagte, daß ich es sei und er erwiderte barsch:

»Geh! Nein, bleib. Sag', was sieht man hier vom Fenster aus?«

Ich sagte, daß an diesem Fenster eine hohe Tanne stehe, da sehe man nicht viel, aber vom andern Fenster überschaue man den See und die Alpen.

»Du hast eine sonderbare Stimme,« sagte er, »bist du eine Schweizerin?«

Er wartete nicht, bis ich antwortete, und fragte wieder: »Woher kommt die Musik, die man jetzt hört?«

»Vom Dampfschiff auf dem See. Der Wind trägt manchmal den Klang hier herauf.«

»So? Die Welt ist lustig. Sie fahren mit Musik auf dem See. Nun geh! Nur noch eins. Betrüg' mich nicht. Ich merke alles. Nun geh!«

Ich ging ins Nebenzimmer und war froh, daß ich mich setzen konnte.

Muß ich nicht dem Professor sagen, was der Rittmeister uns daheim angethan hat? Nein, ich trag's besser still . . . aber dem Ronymus muß ich doch sagen, was mir auferlegt ist? Nein, dem auch nicht. Ich will alles allein . . .

Der Rittmeister im Nebenzimmer pfiff, er pfiff wunderschön, ganze Musikstücke.

Die Thür ging auf, der Rack kam herein.

»Ist nicht ein Hund bei dir?« rief der Rittmeister, er hatte ein wunderbar scharfes Gehör. Ich bejahte und befahl dem Rack, daß er zu dem Herrn gehe; er folgte mir zum erstenmal nicht gradaus, ich mußte ihm streng befehlen.

Der Rittmeister betastete den Hund und sagte, das sei keine reine Rasse, der Hund stamme von Schäfer- und Hühnerhund ab. Rack sah mich an, wie wenn er jedes Wort verstanden hätte; er war gegen alle Menschen gut, nur gegen den Rittmeister nicht. Wer weiß, woran so ein Hund merkt, daß das kein braver Mann ist.

Alle Kranken hatten eine Freude dran, wenn ich ihnen ein Hauptstück vom Rack erzählte. Ich sagte zum Rittmeister: »Das ist ein kluges Tier. In einer bestimmten Ecke steht eine Gießkanne. Wenn der Rack Durst hat, nimmt er den Henkel ins Maul und trägt die Gießkanne herbei, daß man ihm Wasser eingieße, das er mit seiner langen Zunge ausleckt, und dann trägt er die Kanne wieder an ihren Platz.«

Der Rack schüttelte den Kopf, während ich das erzählte: diesem Manne solltest du die Geschichte nicht erzählen. – Und er hatte recht. Denn der Rittmeister sagte: »Solche Geschichten gehen mich nichts an.«

Ich wußte sonst immer den Leuten allerlei zu erzählen, jetzt aber wußte ich nichts mehr.

Ich mußte nun den Rittmeister an der Hand führen und ihm sagen, wo alles in dem großen Zimmer stehe, die Tische, die Stühle und das Bett.

»Ist kein Spiegel im Zimmer?« fragte er. Ich sagte nein, und er lachte.

»Freilich, man sieht sich ja selber nicht. Erlaube, ich will mit der Hand erkennen, wie du aussiehst.«

Er fuhr mir mit der Hand übers Gesicht, ich gab ihm mit der Faust einen Stoß, der wahrscheinlich ärger als nötig, und er sagte:

»Gut, soll nicht mehr geschehen. Ist noch Tag oder schon Nacht?«

Ich sagte, daß eben die Sonne untergehe, und er rief wieder in seinem befehlerischen Tone: »Geh!« Er war gewohnt, die Menschen hin und her zu schieben, als wären sie Stühle.

Ich stand im andern Zimmer am Fenster und sah hinaus, da war Himmel und Erde und Wasser wie lauter rotes Gold. Ich wendete mich zurück, ich wußte nicht, warum.

Da hing an der Wand das Bild von dem großen Doktor von Berlin, und ich mußte denken: O du! vielleicht hast du auch einmal einen Feind von dir, gewiß hast du auch schlechte Menschen geheilt. Du hast nichts gewollt als helfen. Ich kann nicht, was du kannst, aber was ich vermag, das will ich thun.

Wie ich das so dachte, war mir's, als ob er mir zulächelte.

Ja, es war doch wunderbar. Andern Tages sagte mir unser Professor, er habe die Nachricht bekommen, daß gestern abend bei Sonnenuntergang der große Doktor von Berlin gestorben sei. Und in derselben Stunde hatte ich an ihn gedacht, und er mußte in seiner Sterbestunde gefühlt haben, wie vielen Menschen er die Sonne wiedergegeben.


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