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Ich war jetzt eigentlich zum erstenmal Magd, denn beim Schwager habe ich wohl auch gedient, aber ich war doch die Schwägerin.
Nichts ist ärger, als wenn Dienstboten einander zu unterjochen suchen; davon war aber hier oben nichts zu merken. Die Wirtin – sie war eine Oberstwitwe – war überall vorn dran in der Arbeit und ihre Tochter auch; Vornehmheit gab's da nicht, und die Dienstleute untereinander wollten keins über das andere regieren, daß es ihm den Hudel mache. Kann sein, daß das gute Schweizer Art ist, denn hier zu Lande bei meinen Dienstboten hab' ich's schwer gehabt, es auch dahin zu bringen.
Also ich war Dienstbote und war's gern. Mir war da oben so leicht und frei, wie wenn ich als Gast zur Sommerfrische wäre, und die Arbeit – es hat viel gegeben – thue ich gern. Treppauf und treppab habe ich gesungen, wie wenn ich ein Glück zu erwarten hätte, das morgen, ja in der nächsten Stunde kommt.
Ich hatte viele Gäste, einzelne und ganze Familien; es hieß aber, das rechte Leben komme erst, wenn der große Berliner Doktor kommt. Eine Schar von Augenkranken zog ihm voraus, siedelte sich bei uns an, im Dorf und weitum in der Gegend, und wartete auf ihn.
Er ist gekommen, und als ich ihn zum erstenmal sah, da hab' ich's gespürt, das war das Frohe, das Glück, das mir vorgeschwebt hatte.
Ich stellte ihm einen Blumenstrauß in sein Zimmer, ich hätte ihm gern Blumen gestreut, wo er geht.
Und so wie in der ersten Minute, so ist's geblieben. Er hat gewiß auch gespürt, wie ich zu ihm denke.
Ich brachte ihm Wasser. Ich hätte ihm gern die Füße gewaschen, die ihn tragen.
»Wie heißen Sie?« fragte er mich; o, was hatte er für eine Stimme!
»Brigitta,« sagte ich, »aber man ruft mich nur Gitta, und ich bitte, sagen Sie du.«
»Bist du eine Verwandte des Hauses?«
»Nein, ich bin aus dem Schwarzwald.«
»Hast du noch Eltern?«
»Nein.«
»Hast du Geschwister?«
»Nein.«
Ich mußte ihn nur ansehen, wie er so fragte, ich meinte, er müsse alles wissen, dem sei nichts verborgen auf der Welt.
Der Doktor hatte einen Blick, so heilig traurig und dabei doch so auferwecklich, ich kann's nicht sagen. Wo er hinkam, war schon eine Heilung damit, daß er da war, und mit seiner Stimme hat er die Schmerzen gestillt; die Wildesten und Ungeduldigsten sind vor ihm lind und sanft geworden.
Von allen Seiten kamen Wallfahrer, anders als da drüben in Einsiedeln. Es kamen Männer und Frauen und Kinder, arm und reich, ihm war alles gleich.
Er war doch zu uns da herauf gekommen, um sich auszuruhen, aber die Menschen ließen solch einem Mann keine Ruhe. Wenn er spazieren ging, habe ich Gott gedankt, daß er doch jetzt einmal für sich selber sein und verschnaufen darf; aber auf Weg und Steg haben sie ihm abgelauert und sind ihm nachgelaufen, und er ist nie unwillig geworden.
Und solch ein Mann hat auch sterben müssen!
Droben in meiner Stube hängt sein Bild mit seiner Unterschrift. Ja, was will aber so ein Bild heißen? Den Blick und nun gar den Ton der Stimme kann man nicht aufs Papier bringen.
Damals aber lebte er noch frisch und thätig und hatte noch kein weißes Haar im Bart.
Unter denen, die auf den großen Doktor warteten, war auch eine Engländerin aus Indien mit einem wunderschönen Kinde, es hieß Seridja, das hatte goldrote Haare und ein Gesicht wie Milch und Blut, war aber ein wahrer Teufel, der seine Freude daran hat, die Menschen zu plagen.
Das Kind war blind, und wer ihm zu nahe gekommen ist, den hat es mißhandelt; die Mutter hat es geplagt wie eine Magd und die Magd wie einen Hund.
Die Magd, eine braune Indierin, war die frühere Amme des Kindes, sie ist Babu gerufen worden, und das Kind hatte kein gutes Wort weder zu ihrer Mutter noch zu ihrer Amme.
Der Doktor untersuchte nun zuerst die Seridja, und sie hat geschrieen und um sich geschlagen wie ein Besessener; es war das einzige, das nicht ruhig geworden ist unter seiner Hand und vor seiner Stimme. Er hat die Mutter mit dem Kind fortgeschickt und hat gesagt vor einem Jahr sei da nichts zu machen.
Sonst hat er viele große Heilungen zuweg gebracht. Ich habe mir von den Geheilten erzählen lassen und habe mit ihnen Gott gedankt und den Mann gesegnet.
Ich war so froh, wie wenn ich in meinem ganzen Leben kein Leid erlebt hätte, und doch ist's wieder gekommen, aber gottlob nur wie eine eben fortziehende Wetterwolke.
Ich stand eines Tages vor dem Haus, ordnete Wäsche und sang leise vor mich hin. Der Himmel war so blau, die Luft so frisch und gut, man lebt doch da hoch oben auf den Bergen frei und leicht wie ein Vogel; es war so eine Minute oder länger, in der man gar nicht mehr weiß, was man ist und wo man ist. Da weckte mich etwas. Ich hörte die Stimme des Doktors drunten am Haupthaus. Ich ging ans Geländer, da stand der Doktor an einem bepackten Wagen und sagte: »Haben Sie Geduld, Herr Baron, es läßt sich jetzt noch nichts bestimmen oder versuchen.«
Im Wagen saß ein Mann und eine Frau, und wer war's? Der Rittmeister und seine Frau. Ich mußte mich am Geländer halten.
Der Postillon bläst, der Wagen fährt davon, ganz nahe an mir vorbei, ich habe mich nicht geirrt, es ist richtig, es war der Rittmeister und seine Frau, und noch ein schöner junger Mann saß bei ihnen.
Ich mußte mich besinnen, wo ich war; mit mir ging alles herum. Ich zählte meine Wäsche nach, aber ich konnte nicht mehr ordentlich zählen, ich war ganz verwirrt.
Lieber Gott! Thu mir nur das nicht an, daß du mir den Mann noch einmal vor Augen schickst.
So habe ich vor mich hin gedacht, und jetzt hörte ich die Stimme der Bonifacia; ich meinte, es wäre nicht wahr, aber es ist wahr. Die Bonifacia war da, mit dem Weger, der ein Aug' verbunden hat; es war ihm ein Steinsplitter ins Aug' gefahren und er litt arge Schmerzen. Ich sagte ihm, daß, wenn Einer auf der Welt ihm helfen könne, das der große Doktor sei.
Bonifacia erzählte, das meine der Ronymus auch. Der Ronymus habe als Soldat ausgedient und sei jetzt Hausknecht in Basel; dort sei der große Doktor über Nacht gewesen, und da habe der Ronymus Geld heimgeschickt, damit der Vater hierher reise.
»Er ist gar ein gutes Kind,« sagte die Bonifacia, »und wie wird er sich erst freuen, daß wir dich hier getroffen haben.«
Wie wir drei uns miteinander gefreut haben, das brauche ich nicht zu erzählen. Es erleichterte mir das Herz, daß ich meine Nächsten so bei mir hatte, denen ich berichten konnte, daß ich den Rittmeister gesehen, aber glücklicherweise nur einen Augenblick.
»Und ich bring' dir ein Andenken vom Rittmeister,« sagte der Weger, »da sieh, dein Anhenker mit deinem Namen. Kinder, die Beeren im Wald gesucht haben, haben das gefunden. Ich hab's mitgenommen, um es dir zu deinem Schwager zu bringen.«
Da hielt ich nun den Anhenker wieder in der Hand, und als ich darauf sah, wachte jene Nacht wieder auf, da ich mit dem Vater durch den Wald wanderte zum Ohm. Warum kam alles wieder, warum nicht auf ewig vergangen und vergessen?
Es war aber jetzt nicht Zeit, solchen Gedanken nachzuspüren.