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Neununddreißigstes Kapitel.

Am Abend kam der Ronymus, er legte beide Hände auf die Brust und konnte nicht reden; ich nahm ihn an der Hand, führte ihn in meine Stube und sagte:

»Ronymus, du hast mich gern, und ich sag' dir's gradaus, ich habe dich auch gern, aber –«

»Was aber? Jetzt ist alles gut, weiter braucht's nichts.«

»Nein, Ronymus. Ich hab' noch eine schwere Last auf mir.«

»Ich kann dich tragen, und wenn du noch sieben Centner auf dir hättest,« und er hob mich auf und trug mich auf dem Arm herum, wie ein kleines Kind. Ich mußte ihn bitten, mich herunter zu lassen; er that's und ich sagte:

»Ronymus, ich hab' das heilige Gelübde gethan, ich muß büßen. Der Rittmeister ist blind, auf immer, nicht durch mich, das ist eine Gnade vom Himmel, aber ich . . . ich habe ihn blenden wollen, und dafür muß ich büßen.«

»Das ist zu fein geschliffen,« wehrte der Ronymus ab, »denk', wenn jeder büßen müßte für das, was er hat thun wollen, da wäre die ganze Welt ein Zuchthaus, und es wäre niemand da, der den Posten versehen könnte; unser Herrgott müßt' selber Zuchthausdirektor sein. Ich kann's nicht glauben; aber sei's drum, daß du den Rittmeister hast blenden wollen. Jetzt ist's doch einmal nicht, du bist nicht schuld, warum willst du nicht den Vorteil davon haben, daß er ohnedies blind war?«

»Ich hab's ihm versprochen.«

»Halt! Das Versprechen gilt jetzt nicht. Ein Dienstbote, der heiratet, das steht im Gesetz, ist frei. Ich rede mit dem Mann, er muß dich gutwillig freigeben, oder wir zwingen ihn mit dem Gesetz.«

»Und wenn er mich auch freigibt, glaub' mir, ich könnte mir's mein Lebtag nicht verzeihen, daß ich ihn verlassen habe; ich könnte keine Stunde mehr lustig sein, nicht für mich, nicht für dich.«

»Das geht nicht, du mußt lustig sein.«

»Ronymus! Ich hab' dem Rittmeister heilig versprochen, daß ich nicht von ihm gehe, so lang mir noch ein Aug' offen steht.«

»Dann sollen deine Augen noch siebenundsiebzig Jahre und noch ein paar Krautherbste dazu offen stehen. Ja, so sei es denn. Wir nehmen den Kerl zu uns und füttern ihn, bis er tot ist.«

»Nein, Ronymus, so nicht, du mußt es gern thun.«

»Zum Gernthun kann man sich nicht zwingen. Aber dir zulieb kann ich drein willigen. Dich muß ich haben, dich nehme ich, und wenn ich sieben Teufel als Zugab' bekomme. Und wenn ich's recht überlege, so geht's ganz gut; wir haben ja ein Wirtshaus mit elf Zimmern und fünf Dachkammern, und der Rittmeister muß noch einen guten Stumpen Geld haben von seiner Räuberzeit her, und wenn ich's recht überleg', so bringen Gutthaten nichts Böses. O du! Du machst noch einen gutmütigen Kerl aus mir. Jetzt warum lachst? Warum weinst?«

Ich hab's nicht sagen können, und der Ronymus faßte mir beide Hände und sah mich an und sagte, es käme ihm doch wie ein Traum vor, daß die Prinzeß vom Schlehenhof ihn heiraten wolle, aber es müsse wahr sein, und zum Zeichen, daß es wahr sei, solle ich ihm einen Kuß geben.

Ich bat ihn nun, mit mir zum Rittmeister zu gehen und alles in Ordnung zu bringen. Er sagte:

»Ja, ja, es ist schon so mit mir. Wie ich noch ein kleiner Bub war, da hat der böse Hund von deinem Ohm Donatus mir die Hosen zerrissen. Wochenlang habe ich einen geschickten Stein in der Tasche getragen, um ihn dem Hund an den Kopf zu werfen; aber wie ich's hätte thun können, habe ich den Stein aus der Tasche gethan und dem Hunde nichts. So geht mir's jetzt auch mit dem Rittmeister. Aber komm', ich will's schon recht machen.«

Hand in Hand gingen wir zum Rittmeister.

»Herr Rittmeister! Ich komme mit meinem Bräutigam,« sagte ich.

»Was? Du? Wer? Mit wem?« Er ließ mich nicht weiter zu Wort kommen und fluchte auf die ganze Welt; ein Blinder werde betrogen, und heilige Schwüre gelten nichts. Er streckte die Arme aus und schrie, wenn er mich nur erwürgen könnte; eine einzige Frau für alle.

»Hören Sie uns doch ruhig und geduldig an,« sagte der Ronymus.

»Wer spricht da? Wer ist das?«

»Ich, der Ronymus!«

»Wer ist der Ronymus?«

»Ich bin Knecht gewesen auf dem Schlehenhof heim Xander. Ich habe damals den Herrn Rittmeister beleidigt. Verzeihen Sie mir. Es soll nicht gesagt sein. Ich habe einen Haß auf den Herrn Rittmeister gehabt, ich habe keinen mehr. Ich bitte, haben Sie auch keinen mehr. Wir wollen Sie in Ehren halten. Lassen Sie mich ausreden. Ich bin Soldat gewesen. Aber das habe ich jetzt nicht sagen wollen. Wir haben ein Wirtshaus gekauft, und da sollen Sie bei uns bleiben und gute Tage haben, und meine Frau und ich und was noch nachkommt, soll Ihnen zu Diensten sein, wie wenn Sie der Großvater wären. Und meinen Vater, den Weger, haben wir auch bei uns. Sie sollen sehen, will sagen, Sie sollen's spüren, wie wir zu Ihnen sind, Tag und Nacht, und es wird Ihnen bei uns gut schmecken; meine Mutter selig hat hundertmal gesagt, so kann niemand kochen wie die Brigitta. Herr! Herr! Lassen Sie jetzt alles gut sein, ich kann nicht viel reden.«

Die Stimme versagte ihm, dicke Tropfen standen ihm auf der Stirn, und wie er sich jetzt die Stirn abwischte, hätte ich ihm gern die Hände geküßt. Ich konnte aber nichts als weinen. Der Ronymus faßte meine Hand und sagte:

»Du sollst nicht weinen, du sollst fröhlich sein.«

Der Rittmeister redete lange kein Wort.

Endlich sagte er:

»Wie heißest du?«

»Hab's ja gesagt, Ronymus.«

»Ronymus. Du glaubst, ich hätte viel Geld, und das erbet ihr dann?«

»Ja, wir nehmen's schon, und ich mein', wir dürfen auch.«

»So? Du glaubst, ich sei euch was schuldig, weil der Xander zu Grunde gegangen ist? Sag' ehrlich, glaubst du das?«

»Ja.«

Wieder war der Rittmeister lange still. Er bewegte die Finger beider Hände rasch in der Luft und sagte dann:

»Komm her, Ronymus, komm näher. Du scheinst mir eine ehrliche Haut. Ich könnte mir's besonders gut bei euch machen, wenn ich reich thäte; aber ich will nicht. Ich will dir ehrlich sagen, ich besitze nichts mehr. Glaubst du das?«

»Nein, ich glaub's nicht.«

»Es ist aber so. Wollt Ihr mich nun doch ins Haus nehmen und bei Euch behalten und ebenso gern?«

»Ebenso gern?« antwortete der Ronymus. »Nein. Aber unser Wort halten wir; die Brigitta sagt, sie sei es Ihnen schuldig, und ich als ihr Mann bezahle die Schulden meiner Frau.«

»Nun ist's gut, ich vertraue dir. Ich bin ausgeraubt, ich habe nichts als eine gute Jahresrente, so lang ich lebe. Ja, ich gehe mit Euch. Gitta, mit diesem Manne wirst du glücklich. Gitta, gib ihm meine Pistolen. Ronymus, es sind Kugeln drin; du warst Soldat, du verstehst sie herauszuziehen. Nun aber ist's genug.«

Ich sah, daß der Rittmeister rote Backen hatte, die Narbe von der Schußwunde im Backen war ziegelrot, das durfte nicht sein, er bekommt wieder Fieber; ich sagte ihm also, er solle ruhig sein, es sei alles in Ordnung. Dann ging ich mit dem Ronymus aus der Stube.

In meinem Zimmer aber habe ich den Ronymus um den Hals genommen, und lieber hat noch nie eine Frau auf der Welt ihren Mann umarmt, als ich den meinen. Und gibt es einen besseren, ehrbareren Mann auf der Welt?

Er nahm etwas aus der Tasche und sagte:

»Das hat dir meine Mutter selig vermacht; das ist deine Trau, in diesem Anhenker ist der Steinsplitter, der in meines Vaters Auge war, und auf ihrem Totenbett hat meine Mutter ihn dir vermacht, sie hat's prophezeit, daß du meine Frau wirst.«

Als er endlich fortging, sagte er:

»O du! Ich . . . ich krieg' des Schlehhofbauern Tochter, ich, ich krieg' die Prinzeß vom Schlehenhof!«

Ja, noch heutigestags spricht der Ronymus von meinem Vater und besonders von meiner Mutter, wie wenn das Fürsten gewesen wären, und wenn er besonders lustig ist, heißt er mich – aber nur im geheimen – die Prinzeß vom Schlehenhof. –

In der Nacht habe ich einen Brief an die Frau Doktorin geschrieben nach Montreux. Ich hatte einen Menschen auf der Welt, dem ich alles sagen konnte und sagen mußte. Ich habe geschrieben, bis mir die Augen übergingen und Tropfen auf das Papier fielen.


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